Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 17.08.2015


BVerwG 17.08.2015 - 3 B 53/14

Eigenständige Zustellung eines Bescheides mit eingeschriebenem Brief an einen Rechtsanwalt in Österreich


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
17.08.2015
Aktenzeichen:
3 B 53/14
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2015:170815B3B53.14.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 8. Juli 2014, Az: 6 A 10085/14, Beschlussvorgehend VG Neustadt (Weinstraße), 4. September 2013, Az: 5 K 251/13.NW
Zitierte Gesetze
Art 10 Abs 1 S 2 AHiVwVtr AUT
Art 10 Abs 1 S 1 AHiVwVtr AUT
Art 6 Abs 1 AHiVwVtr AUT
§§ 178ff ZPO
§ 13 Abs 4 S 1 ZustellG AUT

Leitsätze

Nach dem Vertrag zwischen Deutschland und Österreich über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom 31. Mai 1988 (BGBl. II S. 357) (juris: AHiVwVtr AUT) entscheidet das Recht des um Zustellung ersuchten Staates, welche Anforderungen bei einer Zustellung eines Bescheides unmittelbar durch die Post (Art. 10 Abs. 1 des Vertrages) an die Eigenhändigkeit der Zustellung an einen Rechtsanwalt und an den Rückschein gestellt sind.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit einer Klage gegen eine tierseuchenrechtliche Anordnung und einen Kostenbescheid für die Unterbringung von Tieren.

2

Die Klägerin ist eine Firma in der Slowakei und handelt mit Hundewelpen. Bei einem Tiertransport nach Belgien kam es zu einem Verkehrsunfall, der eine amtstierärztliche Untersuchung der Welpen nach sich zog. Wegen des Zustandes der Tiere ordnete der Beklagte mit Verfügung vom 5. März 2012 die Absonderung und Beobachtung der Welpen an und untersagte ihren Weitertransport. Die Klägerin verzichtete daraufhin auf sämtliche Eigentums- und Besitzansprüche an den betroffenen Tieren. Mit Bescheid vom 16. August 2012 zog der Beklagte die Klägerin zur Erstattung der Kosten für die Unterbringung der Welpen (20 535,13 €) heran. Die Widersprüche der Klägerin gegen beide Bescheide wies der Beklagte mit Bescheid vom 19. Februar 2013 zurück. Dieser Bescheid wurde dem in Wien praktizierenden Prozessbevollmächtigten der Klägerin per Einschreiben mit Rückschein zugestellt. Die Sendung wurde einer Angestellten, die auch den Rückschein unterschrieb, in den Räumen der Rechtsanwaltsgesellschaft am 22. Februar 2013 ausgehändigt. Die vom Prozessbevollmächtigten am 21. März 2013 verfasste Anfechtungsklage ist am 26. März 2013 beim Verwaltungsgericht eingegangen. Das Verwaltungsgericht hat durch Zwischenurteil vom 4. September 2013 festgestellt, dass die Klage zulässig ist. Die einmonatige Klagefrist sei nicht in Lauf gesetzt worden, weil der Widerspruchsbescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) i.V.m. Art. 10 Abs. 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom 31. Mai 1988 (Rechtshilfevertrag) sei erforderlich, dass die Sendung selbst einen Hinweis auf die besondere Versendungsform "Eigenhändig" enthalte, was auf dem Rückschein zu dokumentieren sei. Diese Anforderung sei nicht eingehalten. Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsgerichts durch Beschluss nach § 130a VwGO geändert, den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin abgelehnt und die Klage abgewiesen. Diese sei unzulässig, weil die Anforderungen nach Art. 10 Abs. 1 des Rechtshilfevertrages an die Zustellung im Ausland erfüllt seien. Das maßgebliche österreichische Recht sehe die Übergabe an Kanzleiangestellte als eigenhändige Zustellung an, und der Rückschein müsse für die Wirksamkeit der Zustellung keinen Vermerk "Eigenhändig" tragen, wenn die Sendung tatsächlich an einen berechtigten Empfänger übergeben worden und dies dokumentiert sei.

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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

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Die einem Beschwerdeführer abgeforderte Darlegung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt die Formulierung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr). Die Beschwerde will geklärt wissen:

"Wie ist Art. 10 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom 31. Mai 1988 (“Rechtshilfevertrag“) nach den völkerrechtlichen Auslegungsregeln der Art. 31 und 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23.05.1969 (WVRK) auszulegen? Im Speziellen die Wortfolge 'mit den besonderen Versendungsformen 'Eigenhändig' und 'Rückschein' zu versenden'."

5

Diese Frage, die als solche zu allgemein und umfassend ist, um Gegenstand der Beantwortung in dem angestrebten Revisionsverfahren sein zu können, lässt sich anhand der Ausführungen in der Beschwerdeschrift allerdings so weit in Teilfragen gliedern, dass sie hinreichend bestimmt ist. Der Beschwerde geht es offenkundig darum, die Anforderungen an die Versendungsformen "Eigenhändig" und "Rückschein" nach dem Rechtshilfevertrag zu klären, soweit sie vom Oberverwaltungsgericht zum Nachteil der Klägerin präzisiert worden sind. Damit stellen sich die Fragen, ob eine eigenhändige Zustellung die Aushändigung der Sendung an den namentlich genannten Empfänger erfordert oder auch an bestimmte Dritte, wie Angestellte in einer Rechtsanwaltskanzlei, zulässt, und ob auf dem Rückschein die Eigenhändigkeit der Zustellung vermerkt sein muss.

6

Diese Fragen betreffen revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, zu dem völkerrechtliche Verträge zählen, die in der Bundesrepublik, wie der inmitten stehende Rechtshilfevertrag durch Zustimmungsgesetz vom 26. April 1990 (BGBl. II S. 357), in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sind (vgl. Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 16 m.w.N.). Die Fragen sind als solche auch fallübergreifend, offenkundig für eine Vielzahl von Zustellvorgängen bedeutsam und nicht durch höchstrichterliche Entscheidung geklärt. Jedoch enthält nicht jede derartige Frage der Auslegung und Anwendung einer Vorschrift bereits eine Problemstellung, die eine Klärung gerade in einem Revisionsverfahren verlangt. Eine Beantwortung ist ohne Revisionsverfahren möglich und geboten, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage des Wortlauts der Vorschrift mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> und vom 11. Juni 1993 - 4 B 101.93 - Buchholz 407.4 § 8 FStrG Nr. 22 S. 18). Das ist hier für beide Fragen der Fall; sie lassen sich ohne Weiteres im Sinne des angefochtenen Beschlusses beantworten.

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1. Aus Art. 10 Abs. 1 des Rechtshilfevertrages erschließt sich, dass mit dem Begriff der Eigenhändigkeit nicht zwingend die Übergabe einer Sendung nur an den namentlich bezeichneten Empfänger gefordert ist. Was unter "Eigenhändig" zu verstehen ist, soll maßgeblich von der Rechtsordnung des Staates bestimmt werden, in dem das Schriftstück zugestellt wird. Das besagt ausdrücklich Satz 1 der Regelung mit der - in der Souveränität der Vertragsstaaten wurzelnden - Vorgabe, dass die Übermittlung "nach den für den Postverkehr zwischen den Vertragsstaaten geltenden Vorschriften" erfolgt. Dieser Ausgangspunkt stimmt mit dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland (BGBl. 1981 II S. 533) überein, an das der Rechtshilfevertrag anknüpft (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs zum Vertragsgesetz vom 6. April 1989, BT-Drs. 11/4308 S. 5, 11). Das Übereinkommen geht in Art. 6 Abs. 1 davon aus, dass die Zustellung in einer der Formen vorgenommen wird, die das Recht des ersuchten Staates für die Zustellung in seinem Hoheitsgebiet vorschreibt (Buchst. a) oder zumindest zulässt (Buchst. b). Dies konkretisierend haben die Vertragsstaaten des Rechtshilfevertrages in Art. 10 Abs. 1 Satz 2 für die Fälle, in denen nach dem Recht des Absendestaates eine Zustellung erforderlich ist und unmittelbar durch die Post bewirkt werden soll, die Zustellung durch eingeschriebenen Brief mit den besonderen Versendungsformen "Eigenhändig" und "Rückschein" ermöglicht. Dass die Vertragsstaaten von einer Erläuterung dieser Begriffe abgesehen haben, belegt wiederum, dass sie deren Ausfüllung ihren eigenen Rechtsordnungen überlassen wollten. Das lag nahe, weil die eigenhändige Zustellung mit Rückschein in beiden Rechtsordnungen bekannt ist und auf Ersuchen jedes Absendestaates im Zustellstaat bewirkt werden kann. In Deutschland kann sie als besondere Form des Einschreibens mit Übergabe (§ 4 Abs. 1 VwZG) gewählt werden, um sicherzustellen, dass keine Ersatzzustellung (§ 3 Abs. 2 VwZG i.V.m. §§ 178 bis 181 der Zivilprozessordnung) stattfindet (vgl. Schlatmann, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2014, § 4 Rn. 2). Nichts anderes gilt nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts für den österreichischen Rechtsraum. Dort ist das Zustellgesetz maßgeblich, nach dem die "Zustellung zu eigenen Handen" (§ 21) ebenfalls eine Zustellung an Ersatzempfänger (§ 16) ausschließt, nicht aber die Aushändigung an Angestellte einer Kanzlei, die gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 österr. ZustG für Zwecke eigenhändiger Zustellung dem "originären" Empfänger, hier also dem namentlich bezeichneten Rechtsanwalt, gleichgestellt sind. Lässt aber das Recht des ersuchten Vertragsstaates die Aushändigung einer Sendung an bestimmte Dritte als "eigenhändig" gelten, so ist der Nachweis der eigenhändigen Zustellung im Sinne des Rechtshilfevertrages erbracht.

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An die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum österreichischen Recht ist der Senat gebunden. Sie betreffen nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO Tatsachen, deren Ermittlung dem Revisionsgericht durch § 137 Abs. 2 VwGO verwehrt ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. März 1989 - 1 B 43.89 - Buchholz 130 § 3 RuStAG Nr. 2 S. 2 f., vom 3. Mai 1996 - 4 B 46.96 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 296 S. 7 f., vom 10. Dezember 2004 - 1 B 12.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 67, vom 14. Oktober 2004 - 6 B 6.04 - Buchholz 115 Sonst. Wiedervereinigungsrecht Nr. 51 und vom 29. Mai 2012 - 3 B 90.11 - ZOV 2012, 213 <214>). Zulässige und begründete Revisionszulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) in Bezug auf diese Feststellungen, die die Bindung nach § 137 Abs. 2 VwGO entfallen ließen, hat die Beschwerde nicht geltend gemacht.

9

2. Auch die weitere Frage, ob der Rechtshilfevertrag verlangt, dass die "Eigenhändigkeit" auf dem Rückschein vermerkt ist, lässt sich mit dem angefochtenen Beschluss ohne Weiteres - verneinend - beantworten. Es versteht sich von selbst, dass die besondere Versendungsform "Eigenhändig" auf der Sendung vermerkt sein muss, um der Post des Zustellstaates die erforderlichen Modalitäten und den gewünschten Ausschluss einer Ersatzzustellung zu verdeutlichen. Demgegenüber hat der Rückschein eine bloße Dokumentations- und Nachweisfunktion, die es nicht erfordert, die Versendungsform auf ihm zu vermerken. Für den Nachweis genügt es, wenn sich aus den Angaben auf dem Rückschein objektiv, ggf. durch Nachfrage nachvollziehen lässt, dass nach dem Recht des Zustellstaates eine eigenhändige Zustellung erfolgt ist. Dass der fragliche Rückschein dies zulässt, wie vom Oberverwaltungsgericht festgestellt, zieht die Beschwerde nicht mit Revisionszulassungsgründen in Zweifel. Der vom Verwaltungsgericht für erforderlich gehaltene Vermerk "Eigenhändig" auf dem Rückschein hat keinen weitergehenden Beweiswert.

10

Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab. Das gilt insbesondere für die Würdigung der Ausführungen der Beschwerde unter "II. Revision", in denen die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses in der Art einer Berufungsbegründung ohne einen konkretisierten Bezug zu Zulassungsgründen des § 132 Abs. 2 VwGO gerügt wird.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 und 3 GKG. Die Bedeutung der Sache für die Beschwerdeführerin ist durch das Rechtsschutzziel geprägt, das erstinstanzliche Zwischenurteil wiederherzustellen, um den Rechtsstreit fortsetzen zu können. Die Beschränkung auf die Zulässigkeit der Klage rechtfertigt eine Halbierung der regulär anzusetzenden Beträge (5 000 € für die tierschutzrechtliche Anordnung und 20 535,13 € an Unterbringungskosten).