Entscheidungsdatum: 13.07.2015
Der Kläger führt einen landwirtschaftlichen Betrieb mit dem Schwerpunkt Milcherzeugung. Am Standort des Stammbetriebs hat er einen Milchautomaten zur Abgabe von Rohmilch an Kunden ("Milch-ab-Hof-Abgabe") aufgestellt. Ca. zwei Kilometer entfernt befindet sich eine zweite Betriebsstätte mit dem Stallgebäude für die Unterbringung der Milchkühe und der Melk-Technik. Mit Ordnungsverfügung vom 15. Januar 2010 untersagte das zuständige Landratsamt dem Kläger, Rohmilch aus dem Milchautomaten abzugeben und in den Verkehr zu bringen. Das Landratsamt stützte sein Einschreiten auf § 39 Abs. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) und führte zur weiteren Begründung aus, die Milchabgabe am Standort des Stammbetriebs verstoße gegen § 17 der Verordnung über Anforderungen an die Hygiene beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von bestimmten Lebensmitteln tierischen Ursprungs (Tierische Lebensmittel-Hygieneverordnung - Tier-LMHV), weil sie nicht am Ort der Milcherzeugung erfolge und deshalb nicht als "Abgabe im Milcherzeugungsbetrieb" im Sinne von § 17 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Tier-LMHV anzusehen sei. Den Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium mit Bescheid vom 6. Juli 2010 zurück. Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil zur Begründung ausgeführt: Die Untersagungsverfügung sei rechtmäßig. Zwar finde sie ihre Ermächtigung nicht in § 39 Abs. 2 LFGB, sondern wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts in Art. 54 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 882/2004. Ein Auswechseln der Rechtsgrundlage sei hier aber zulässig; denn da sich die Vorschriften hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen und der Rechtsfolgen nicht erheblich unterschieden, werde weder der angefochtene Verwaltungsakt in seinem Wesen verändert noch die Rechtsverfolgung für den Kläger erschwert. Die Abgabe von Rohmilch am Stammbetrieb des Klägers verstoße gegen § 17 Tier-LMHV. Die Bestimmung sei unionsrechtskonform; die nationale Regelungskompetenz ergebe sich aus Art. 10 Abs. 8 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 853/2004. § 17 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Tier-LMHV begrenze die Rohmilchabgabe räumlich auf den Milcherzeugungsbetrieb. Weise ein landwirtschaftlicher Betrieb mehrere Betriebsstätten auf, sei das die Örtlichkeit, an der die Milch tatsächlich gewonnen werde. Für diese Auslegung sprächen vor allem der Wortlaut und der hygienerechtliche Schutzzweck der Norm. Ein Transport der Rohmilch erhöhe das Risiko einer bakteriellen Verunreinigung und sei daher zu unterbinden. Die angefochtene Verfügung leide auch nicht an einem Ermessensfehler. Als geeignete und erforderliche Maßnahme im Sinne des Art. 54 Abs. 1 und Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 sei hier allein die Untersagung der streitigen Milchabgabe in Betracht gekommen. Das Verbot erweise sich schließlich nicht als unverhältnismäßig.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Berufungsurteil hat keinen Erfolg. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht.
1. Der Kläger hält für klärungsbedürftig,
"ob im Sinne der gebotenen europarechtsgemäßen Auslegung des nationalen Rechts § 17 Abs. 4 Tier-LMHV dahin-gehend auszulegen ist, dass unter Einhaltung der europäischen Hygienestandards eine Milchabgabe im Milcherzeugungsbetrieb erlaubt ist".
Er meint, dass die berufungsgerichtliche Auslegung des § 17 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Tier-LMHV mit den Zielvorstellungen der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 nicht im Einklang stehe, weil der Verwaltungsgerichtshof einen strengeren Hygienemaßstab zugrunde gelegt habe als ihn die europäischen Bestimmungen vorgäben. Aus der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 ließen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die unmittelbare Abgabe von Rohmilch an den Verbraucher dort zu erfolgen habe, wo das Milchvieh gehalten werde.
Damit zeigt der Kläger keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf. Die aufgeworfene Frage lässt sich anhand der unionsrechtlichen Vorschriften ohne weiteres beantworten und erfordert deshalb nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, Rohmilch werde nur dann im Sinne des § 17 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Tier-LMHV "im Milcherzeugungsbetrieb" abgegeben, wenn die Abgabe am Standort der Milchgewinnung erfolge, verstößt nicht gegen die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs (ABl. L 139 S. 55; zuletzt geändert durch Verordnung
Einem Mitgliedstaat ist es auch nicht verwehrt, bei einer Regelung im Sinne von Art. 10 Abs. 8 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 ein höheres Gesundheitsschutzniveau oder einen strengeren Hygienemaßstab zugrundezulegen als ein anderer Mitgliedstaat. Mit der Ermächtigung zum Erlass einzelstaatlicher Vorschriften für die Rohmilchabgabe an Verbraucher bringt der europäische Verordnungsgeber zum Ausdruck, dass diese Materie nicht Gegenstand einer Harmonisierung auf Unionsebene ist. Es obliegt daher der Einschätzung und Beurteilung des einzelnen Mitgliedstaates, ob und inwieweit es im Interesse eines hohen Gesundheitsschutz- und Verbraucherschutzniveaus (vgl. Erwägungsgründe 3 und 9 der Verordnung
2. Die zweite von dem Kläger aufgeworfene Frage,
"ob ein Auswechseln der Ermächtigungsgrundlage dann möglich ist, wenn die in Betracht kommenden Vor-schriften sich in Bezug auf die gesetzlich vorgegebenen Handlungsmöglichkeiten unterscheiden",
rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Die Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie nicht entscheidungserheblich ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat für den Streitfall keine relevanten Unterschiede zwischen § 39 Abs. 2 LFGB und Art. 54 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. L 165 S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.