Entscheidungsdatum: 30.07.2015
Der durch eine freiwillige Spitzeltätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR verwirklichte Ausschluss von der Rehabilitierung nach § 4 BerRehaG entfällt nicht wieder durch eine nachträgliche Distanzierung des Spitzels vom MfS.
Die Klägerin wendet sich dagegen, dass ihr der Beklagte die Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) wegen einer Spitzeltätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) verweigert.
Die 1962 geborene Klägerin begann 1978 ein Fachschulstudium zur medizinisch-technischen Laborassistentin an einer Medizinischen Fachschule in Berlin-Friedrichshain. Im November 1980 wurde die Klägerin wegen versuchter Republikflucht festgenommen, im Dezember 1980 exmatrikuliert und im Januar 1981 wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts zu einer Freiheitsstrafe von anderthalb Jahren verurteilt. Im Juli 1981 verfasste die Klägerin in der Haft eine handschriftliche Verpflichtungserklärung zur konspirativen Zusammenarbeit mit dem MfS. Im Dezember 1981 wurde sie mit der Auflage, ihr Studium weiterzuführen, auf Bewährung vorzeitig aus der Haft entlassen. Anlässlich eines Treffens mit Stasi-Mitarbeitern am 27. Januar 1982 verfasste sie einen handschriftlichen Bericht über einen Vorgesetzten, verweigerte dann aber ausdrücklich die weitere Zusammenarbeit mit dem MfS. Nachdem die Klägerin nicht mehr zur Arbeit erschien und einen Ausreiseantrag gestellt hatte, verbüßte sie nach Widerruf der Strafaussetzung von November 1982 bis April 1983 die restliche Haftzeit. Im April 1984 stellte sie einen weiteren Ausreiseantrag und schrieb im Oktober 1984 eine weitere handschriftliche Verpflichtungserklärung zur konspirativen Zusammenarbeit mit dem MfS. Im Dezember 1985 reiste die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland aus.
Mit ihrem Antrag auf berufliche Rehabilitierung erläuterte sie, wie ihr die Zusammenarbeit mit dem MfS abgenötigt worden sei, wie sie sich ihr zu entziehen versucht habe, die Staatssicherheit sie aber immer wieder unter Druck gesetzt habe. Man habe sogar ihre ungeborene Tochter als Druckmittel benutzt, weshalb sie sich entschlossen habe, das Kind zur Adoption freizugeben. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil infolge der Zusammenarbeit mit dem MfS der Ausschließungsgrund des § 4 BerRehaG vorliege. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und den Ausschließungsgrund bestätigt. Von allem anderen abgesehen, bleibe der Bericht vom 27. Januar 1982, den die Klägerin über ihren Vorgesetzten verfasst habe. Darin habe sie Äußerungen des Vorgesetzten festgehalten, die sie selbst für problematisch gehalten habe. Es sei ihr bewusst gewesen, dass sie Informationen über unbefangen gegebene Äußerungen des Vorgesetzten geliefert habe, die für die Stasi potenziell interessant und geeignet gewesen seien, ihn weiterer intensiver Überprüfung und möglicher politischer Verfolgung auszusetzen. Aus der Bewertung des MfS ergebe sich, dass die Klägerin den Bericht entsprechend ihrer Einsatzrichtung abgegeben habe und dass die Informationen tatsächlich relevant gewesen seien, weiter überprüft und weitergegeben worden seien. Die Klägerin habe sich auch nicht in einer die Freiwilligkeit der Spitzeltätigkeit ausschließenden Zwangslage befunden. Sie habe angegeben, bei der Abfassung des Berichts überrumpelt worden zu sein. Dass sie dies später bereut und in beeindruckender Weise eine weitere Zusammenarbeit gegenüber einem hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS abgelehnt habe, mache die Verwirklichung des Ausschließungsgrundes nicht ungeschehen. Weder dies noch die Einmaligkeit des Vorfalls und das jugendliche Alter der Klägerin ergäben einen so atypischen Fall, dass ein Absehen vom Ausschließungsgrund gerechtfertigt sei.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Es liegt keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vor, aus denen die Revision zugelassen werden kann.
1. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf dem die Entscheidung beruhen kann, ist nicht gegeben. Die Beschwerde macht insofern geltend, es liege eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor, weil das Verwaltungsgericht zentralen Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt und gegen Denkgesetze verstoßen habe.
Soweit die Beschwerde dies damit begründen will, dass sich die Ausführungen zur Wirkung einer nachträglichen Distanzierung vom MfS auf den Seiten 14 und 23 des Urteilsabdrucks widersprächen, übergeht sie, dass der (scheinbare) Widerspruch auf das Fehlen des sinnumkehrenden Wortes „nicht“ auf Seite 14 (Zeile 11) des Urteilsabdrucks zurückgeht, das aus dem Zusammenhang des Satzes und der weiteren Urteilsbegründung ohne Weiteres als offensichtlicher Schreibfehler erkennbar ist. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht das fehlende Wort durch Beschluss vom 26. Juni 2014 - nach Eingang der Beschwerdebegründung - im Wege der Urteilsberichtigung nach § 118 VwGO nachträglich eingefügt. Liegt kein Widerspruch vor, geht auch die Rüge fehl, das Verwaltungsgericht habe, ausgehend von seinen widersprüchlichen Ausführungen, den Vortrag der Klägerin zu Entlastungstatsachen nicht mehr gewürdigt. Tatsächlich trifft dies nicht zu; vielmehr hat das Verwaltungsgericht die von der Klägerin geltend gemachten Umstände unter dem Blickwinkel seines Rechtsstandpunktes bewertet (UA S. 23).
2. Eine Abweichung von Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht dargelegt.
Die Beschwerde meint, das Verwaltungsgericht weiche von Aussagen in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2009 - 5 C 4.08 - (Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 16) und vom 18. September 2009 - 5 C 1.09 - (BVerwGE 135, 1) ab. Eine Divergenz liegt vor, wenn sich das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat zu einem ebensolchen Rechtssatz in der Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts, und wenn das Urteil auf dieser Abweichung beruht (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 11. März 2009 - 4 BN 7.09 - juris und vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
3. Die Rechtssache hat mit den sich daraus fallabhängig ergebenden Fragen keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Die Beschwerde formuliert als grundsätzlich klärungsbedürftig Varianten zu der Frage, ob die „Entlastung [eines für das MfS tätigen Spitzels] durch späteres Abkehrverhalten“ des Spitzels möglich ist. Diese Frage lässt sich in dem Rahmen, in dem der Fall Anlass zu einer fallübergreifenden Klärung bieten könnte, ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens im Sinne des angefochtenen Urteils verneinen. Anlass zur Klärung kann hier nur geben, ob der durch eine freiwillige Spitzeltätigkeit für das MfS verwirklichte Ausschließungsgrund nach § 4 BerRehaG durch das nachträgliche Verhalten des informellen Mitarbeiters wieder entfallen kann. Diese Frage ist zu verneinen. Besondere Umstände, wie sie bei Abgabe des Berichts in der Person der Klägerin vorgelegen haben mögen (Jugendlichkeit, Überrumpelung), sind bereits bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob der Verfolgte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 2008- 3 B 73.08 - ZOV 2008, 264 dazu, dass auch eine einzige Denunziation ausreichen kann). Ist dies zu bejahen - wie es das Verwaltungsgericht unbeanstandet festgestellt hat -, bieten weder der Tatbestand des § 4 BerRehaG noch übergeordnete Grundsätze einen Ansatz dafür, späteres Verhalten des Spitzels ausgleichend wirksam werden zu lassen. Die nachträgliche Distanzierung des Spitzels bleibt ohne Einfluss auf die Folgen, die sein Verhalten bereits ausgelöst hat, und geht in seinen Wirkungen nicht über die Verhaltensanforderungen hinaus, die ohnehin einem ehemaligen Bürger der DDR abverlangt werden, der wegen erlittener Verfolgung Leistungen beansprucht, aber nicht der Staatssicherheit zu Diensten war. Ausgehend von dieser Beantwortung der Grundsatzfrage würden sich die weiteren Differenzierungen der Fallfrage nicht mehr entscheidungserheblich stellen.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.