Entscheidungsdatum: 15.01.2014
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 19. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Der Kläger begehrt die Gewährung der monatlichen besonderen Zuwendung für Haftopfer nach § 17a des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG). Den Antrag vom 19. Juli 2007 lehnte die Landesdirektion Chemnitz mit Bescheid vom 28. Juli 2009 unter Hinweis auf eine Entscheidung des OLG Rostock ab. Gegen die Zurückweisung des Widerspruchs mit Bescheid vom 2. Februar 2010 unternahm der Kläger zunächst nichts. Mit Schreiben vom 2. März 2011 beantragte er bei der Landesdirektion die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 26. September 2011 abgelehnt, der Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 22. November 2011 zurückgewiesen. Die am 14. Dezember 2011 erhobene Klage mit dem Antrag, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Juli 2009 und des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2010 zu verpflichten, dem Kläger die Zuwendung für Haftopfer zu zahlen, hat das Verwaltungsgericht als unzulässig abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung der Haftopferzuwendung sei durch Bescheid von 2009 bestandskräftig abgelehnt worden. Der Kläger habe hiergegen nicht innerhalb der einmonatigen Frist des § 74 VwGO Klage erhoben. Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des gemäß § 17a Abs. 6 StrRehaG anwendbaren § 27 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht vorlägen. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, ohne Verschulden verhindert gewesen zu sein, die Klagefrist einzuhalten. Auch lasse sich seinen Darlegungen im Schriftsatz vom 12. März 2012, in dem er erstmals seine persönlichen Umstände geschildert habe, nicht entnehmen, in welchem Zeitraum ihm die Klageerhebung unmöglich gewesen sei.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
1. Der Kläger macht zur Begründung seiner Beschwerde geltend, das Verwaltungsgericht habe den Kern des Vortrags verkannt. In erster Linie habe sich die Klage gegen den Bescheid von 2009 gerichtet. Die Landesdirektion Chemnitz hätte dieses Ziel erkennen und seinen Antrag auf Wiedereinsetzung als Antrag auf Rücknahme des Bescheides von 2009 nach § 44 SGB X und auf Leistungsgewährung verstehen müssen. Dieser Antrag hätte auch Erfolg haben müssen. Zum Zeitpunkt der Antragsablehnung habe der BGH mit Beschluss vom 14. Juli 2011 (4 StR 548/10 - NJW 2011, 2981) bereits die Auffassung des OLG Rostock für falsch erklärt, auf die sich die Landesdirektion bisher gestützt habe.
Mit diesem Vortrag mag ein Fehler des Verfahrens vor der Landesdirektion aufgezeigt sein, nicht jedoch ein Mangel des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. § 44 Abs. 1 SGB X, der gemäß § 17a Abs. 6 StrRehaG im Verwaltungsverfahren anwendbar ist, verpflichtet Leistungsträger (hier nach § 25 Abs. 2 Satz 2 StrRehaG), auch bei wiederholten Anträgen über die Rücknahme der entgegenstehenden Verwaltungsakte und die Gewährung der beanspruchten Sozialleistung zu entscheiden. Anders als das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht folgt das SGB X bei Ansprüchen auf Sozialleistungen dem Grundsatz, dass der materiellen Gerechtigkeit auch für die Vergangenheit Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen und damit vor der Rechtssicherheit gebührt. Es kennt keine dem § 51 VwVfG vergleichbare Regelung, die es der Behörde erlaubt, ein Wiederaufgreifen abgeschlossener Verwaltungsverfahren unter Berufung auf die Bindungswirkung früherer Bescheide abzulehnen, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat und der Antragsteller keine neuen Beweismittel vorlegen kann (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 32/02 R - NZS 2004, 660 m.w.N.). Ein solcher Anspruch auf behördliche Rücknahme der früheren Bescheide mag indes Gegenstand des im März 2011 eingeleiteten Verwaltungsverfahrens gewesen sein; Gegenstand des Klageverfahrens war aber - wie das Verwaltungsgericht herausgearbeitet hat und der Kläger in der Beschwerdeschrift bestätigt - eine Klage nach § 42 Abs. 1 VwGO auf Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung von Haftopferzuwendung, und zwar unter Wiedereinsetzung in die versäumte Frist des § 74 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VwGO für die Klage gegen die einer solchen Verpflichtung entgegenstehenden Bescheide vom 28. Juli 2009 und 2. Februar 2010. Diese Verpflichtungsklage wird nicht berührt, wenn die Landesdirektion den Antrag des Klägers im Verwaltungsverfahren unzutreffend verstanden hätte oder sachgerecht anders hätte auslegen müssen. Insofern ist auch weder geltend gemacht noch ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht das anwaltlich formulierte Klagebegehren verfahrensfehlerhaft ausgelegt hat. Namentlich waren die späteren Bescheide im Verfahren auf "Wiedereinsetzung" nicht in das Klageverfahren einbezogen.
2. Soweit der Kläger weiter geltend macht, das Verwaltungsgericht sei fälschlich davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht vorliegen, und habe die Klage daher zu Unrecht als unzulässig behandelt, ist ebenfalls kein Verfahrensmangel gegeben. Zwar kann in der Entscheidung durch Prozessurteil statt durch Sachurteil ein Verfahrensfehler liegen (stRspr, vgl. Beschluss vom 21. Oktober 2004 - BVerwG 3 B 76.04 - juris Rn. 9; Kuhlmann, in: Wysk, VwGO, § 132 Rn. 38 m.w.N.). Das Beschwerdevorbringen ergibt aber nicht, dass die Wiedereinsetzung vom Verwaltungsgericht falsch beurteilt worden ist. Auch wenn es mit § 27 SGB X eine unzutreffende, weil nur Fristversäumnisse in sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren betreffende Norm herangezogen hat, hat es in der Sache doch die mit § 27 SGB X im Wesentlichen übereinstimmenden Voraussetzungen des einschlägigen § 60 VwGO geprüft. Dass ihm dabei durchgreifende Fehler unterlaufen sind, zeigt das Beschwerdevorbringen nicht auf. Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung der Wiedereinsetzung nicht nur auf die mangelnde Glaubhaftmachung des depressionsähnlichen Zustands gestützt, der den Kläger an der rechtzeitigen Klageerhebung gehindert haben soll. Es hat zusätzlich die zeitlichen Zusammenhänge betrachtet und dem Kläger vorgehalten, insbesondere den Zeitraum nicht genannt zu haben, in dem er an der Klageerhebung gehindert war. Diesen Grund für die Nichtgewährung der Wiedereinsetzung hat der Kläger im Beschwerdeverfahren nicht entkräftet. Es liegt im Gegenteil auf der Hand, dass er jedenfalls die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 VwGO nicht gewahrt hat. Er hat weder den Wiedereinsetzungsantrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses für die Klageerhebung gestellt und begründet noch die Klageerhebung als versäumte Rechtshandlung innerhalb dieser Frist nachgeholt. Der Kläger hat sich in der Lage gesehen, im März 2011 persönlich einen Antrag auf "Wiedereinsetzung" bei der Landesdirektion zu stellen und mit weiteren Schreiben in Reaktion auf Hinweise der Landesdirektion weiterzuverfolgen. In diesem Zeitpunkt war das Hindernis seiner geltend gemachten psychischen Ausnahmesituation offenbar beseitigt. Klage hat er jedoch erst am 14. Dezember 2011, also rund neun Monate später, erhoben und seinen Wiedereinsetzungsantrag erst Ende Februar des Folgejahres begründet.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.