Entscheidungsdatum: 23.11.2010
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG), die ihrem Vater für Wegnahmeschäden an land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und an Grundvermögen gewährt worden war. Der Schaden wurde durch Rückübertragung des Vermögens ausgeglichen. Die vermögensrechtlichen Bescheide von 1994, 1998 und 2001 wurden der Beklagten Ende Januar 2003 vom Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Stendal übermittelt. Daraufhin wurde die Hauptentschädigung mit Bescheid vom 13. März 2007 zurückgefordert. Der Rückforderungsbetrag wurde auf Beschwerde der Klägerin durch Bescheid vom 8. Februar 2008 reduziert. Die Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und ausgeführt, der Rückforderungsbescheid sei innerhalb der Vier-Jahres-Frist des § 349 Abs. 5 Satz 4 LAG erlassen worden. Abzustellen sei auf den Erstbescheid von 2007, der die Frist auch unterbrochen habe, und nicht auf den Bescheid von 2008. Die Beklagte habe erst Ende Januar 2003 und nicht früher durch die Übermittlung der Bescheide positive Kenntnis vom Schadensausgleich erlangt. Die Korrespondenz mit der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen im Februar 1997 betreffe nicht den Gegenstand des Schadensausgleichs. Eigene Nachforschungen habe die Beklagte nicht anstellen müssen. Der Rückforderungsanspruch sei auch nicht verwirkt, weil sich die Beklagte nicht dahin geäußert habe, sie werde von der Rückforderung absehen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (1.) noch liegt ein Verfahrensmangel vor (2.).
1. Keine der aufgeworfenen Fragen verleiht der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
a) Die Frage,
ob "der Begriff der 'Kenntnis von dem Schadensausgleich' in § 349 Abs. 5 LAG so zu verstehen ist, dass sie ausschließlich den jeweiligen konkreten Gegenstand des Schadensausgleichs im konkreten Lastenausgleichsverfahren betreffen muss",
bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, sie beantwortet sich aus dem Wortlaut des § 349 Abs. 5 Satz 4 LAG. Danach muss sich die Kenntnis auf den Schadensausgleich und die Person des Verpflichteten beziehen; unerheblich ist, in welchem Verfahren oder Zusammenhang die Behörde ihre positive Kenntnis erlangt wird. Ob die Beklagte bereits durch das Schreiben der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen vom 20. Februar 1997 Kenntnis erlangt hat, wie die Klägerin behauptet, ist eine Frage der Würdigung des Einzelfalls und grundsätzlicher Klärung entzogen.
Soweit die Klägerin hieran anschließend geltend macht, die Beklagte habe sich der Möglichkeit einer früheren Kenntnisnahme bewusst verschlossen und selbst durch ihr Verhalten Ursachen dafür gesetzt, dass eine frühere Kenntnis nicht eintreten konnte, wird nicht deutlich, in welcher Hinsicht Klärungsbedarf bestehen soll. Der Senat hat wiederholt entschieden, dass es für den Fristbeginn ohne Belang ist, ob die Ausgleichsbehörde sich die Kenntnis früher hätte verschaffen können und ob sie zureichende Bemühungen zur Sachverhaltsklärung unternommen hat (Beschlüsse vom 3. November 2009 - BVerwG 3 B 41.09 - ZOV 2010, 31 und vom 19. August 2008 - BVerwG 3 B 3.08 - Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 18). Soweit das Beschwerdevorbringen darauf abzielen sollte, ob die Frist infolge eines grob fehlerhaften oder gar treuwidrigen Verhaltens der Behörde schon vor Erlangung der positiven Kenntnis zu laufen beginnen kann, wird jedenfalls keine tatsächliche Grundlage für einen solchen Fall aufgezeigt.
b) Die weitere Frage,
ob "der Begriff der 'Verwirkung' so zu verstehen ist, dass sie neben dem Zeitfaktor immer eine zusätzliche Äußerung des Anspruchsinhabers etwa dahingehend
lässt sich auf der Grundlage der vorliegenden Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten. Die Verwirkung als Hauptanwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr, vgl. Urteil vom 27. Januar 2010 - BVerwG 7 A 8.09 - juris Rn. 26 m.w.N.). Nach diesen Grundsätzen versteht es sich von selbst, dass auch andere Umstände als eine Erklärung des Berechtigten (hier der Beklagten) eine Vertrauensgrundlage schaffen können. Die Klägerin zeigt nicht auf, dass ihr Fall Anlass zu einer weitergehenden Klärung geben könnte. Wie die von ihr geltend gemachten Umstände den Voraussetzungen der Verwirkung zuordnen sind, ist wiederum eine Frage der Einzelfallwürdigung.
c) Nicht klärungsbedürftig ist schließlich die Frage,
ob "ein zunächst erlassener und später durch einen so genannten Zweitbescheid ersetzter Erstbescheid immer zur Unterbrechung der 4-Jahres-Frist nach § 349 Abs. 5 LAG" führt.
Diese Frage ist nach der maßgeblichen materiellrechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat die Unterbrechung der Frist gemäß § 349 Abs. 5 Satz 5 LAG durch den - von ihm so genannten - Erstbescheid aus dem Jahr 2007 nur beiläufig als zusätzlichen Gesichtspunkt angeführt. Entscheidungstragend ist die durch Rügen nicht entkräftete Annahme, bereits der Rückforderungs- und Leistungsbescheid von 2007 sei fristwahrend erlassen worden. Dann aber kommt es nicht darauf an, ob sich die zu beachtende Frist wegen einer Unterbrechung verlängert hat. Abgesehen davon beruht die Frage der Klägerin auf der Annahme, der Bescheid aus 2008 sei ein Zweitbescheid; diese Bewertung ist vom Verwaltungsgericht indes ausdrücklich zurückgewiesen worden (UA S. 6).
2. Der geltend gemacht Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor. Die Klägerin rügt, das Verwaltungsgericht habe den Inhalt des Schreibens der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen vom 20. Februar 1997 nicht zur Kenntnis genommen und sich der Bedeutung des dazu gefertigten Vermerks des Sachbearbeiters verschlossen. Das trifft ersichtlich nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat die Vorgänge von Anfang 1997 ausdrücklich gewürdigt (UA S. 5), ihnen jedoch eine von der Rechtsauffassung der Klägerin abweichende Deutung gegeben. Dadurch wird der Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Nach diesem Grundsatz können die Verfahrensbeteiligten beanspruchen, dass das Gericht ihre tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht, nicht aber auch, dass es ihrer Argumentation, Bewertung oder den gezogenen Schlüssen folgt. Dass das Verwaltungsgericht mit dem Vermerk des Sachbearbeiters einen entscheidungserheblichen Umstand vollständig übersehen hätte, ist nicht ersichtlich.