Entscheidungsdatum: 08.11.2012
I.
Der Kläger begehrt als Enkel und Erbeserbe der Frau M. deren verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen der Wegnahme eines Pensionsbetriebes in Brandenburg.
Die im Jahr 1971 verstorbene Frau M. wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Opfer des Faschismus anerkannt und erhielt als solche im Juli 1946 eine Neusiedlerstelle in P. (Mark Brandenburg) zugewiesen. Ihr wurde ferner genehmigt, ein Wochenendheim für Opfer des Faschismus und Kulturschaffende zu bewirtschaften. Wegen Spionageverdachts wurde sie im April 1951 im Auftrag der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK) von der deutschen Volkspolizei festgenommen und der SKK übergeben. Die UdSSR verurteilte sie im Dezember 1951 wegen Sabotage zu 15 Jahren Freiheitsentzug. Zur Verbüßung wurde sie im Januar 1952 nach Sibirien verbracht, wo sie bis zur Entlassung in die Bundesrepublik im Jahre 1955 blieb. Nach der Verbringung in die UdSSR bezeichnete sie die Volkspolizei als republikflüchtig. Aufgrund eines Beschlusses der Landesbodenkommission vom 11. März 1952 wurde Frau M. als Eigentümerin der Neusiedlerstelle aus dem Grundbuch gelöscht. Die Grundstücke wurden als Eigentum des Volkes eingetragen, in Parzellen aufgeteilt und Neubauern zugewiesen.
Wegen ihrer strafrechtlichen Verurteilung wurde Frau M. im Jahr 2000 von der Russischen Föderation rehabilitiert. Verwaltungsverfahren auf Rückübertragung der Grundstücke nach dem Vermögensgesetz, die von ihrer Tochter eingeleitet und nach deren Tod teilweise vom Kläger, ihrem sie allein beerbenden Sohn, weiterverfolgt wurden, blieben zu erheblichen Teilen erfolglos. Ohne Erfolg blieb auch der beim Beklagten bereits 1999 angebrachte streitgegenständliche Antrag, alle Verwaltungsentscheidungen aufzuheben, die zum Eigentumsverlust an der Neusiedlerstelle in P. geführt hatten, hilfsweise festzustellen, dass diese Maßnahmen rechtsstaatswidrig waren, und die entzogenen Grundstücke und Vermögenswerte zurückzuübertragen, zurückzugeben oder zu entschädigen.
Das Verwaltungsgericht hat diese Klage, nach der Einholung verschiedener Auskünfte, abgewiesen und ausgeführt, es könne offen bleiben, ob das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) durch das Vermögensgesetz verdrängt werde; denn jedenfalls lägen die übrigen Voraussetzungen für eine Rehabilitierung nicht vor. Als Maßnahme, die zum Verlust der Neusiedlerstelle geführt habe, komme nur der Beschluss der Landesbodenkommission in Betracht. Er sei aber lediglich Folge der Rechtslage nach der Besitzwechselverordnung gewesen. Danach sei es zwingend gewesen, Neubauernwirtschaften neu zu vergeben, wenn sie vom Eigentümer nicht mehr ordnungsgemäß bewirtschaftet worden seien; nach den Gründen sei nicht differenziert worden. Der Beschluss der Landesbodenkommission habe auch weder der politischen Verfolgung gedient noch sei er ein Willkürakt gewesen. Andere Verfolgungsmaßnahmen deutscher behördlicher Stellen, die einen Vermögensverlust der Neusiedlerstelle unmittelbar bewirkt haben könnten, seien nicht ersichtlich. Ein von deutschen Stellen im Sinne einer eigenen Maßnahme gelenkter Vermögensentzug lasse sich wegen der eigenständigen Verfolgung der Frau M. durch die SKK und deren faktisch unanfechtbaren Machtstellung in der gerade neu gegründeten DDR auch bei einer Gesamtschau nicht feststellen.
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht begründet. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch liegt eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vor (2.).
1. Die Beschwerde hält die Fragen für klärungsbedürftig:
(1) Ist die Auslieferung eines Bürgers der DDR unter Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 und außerhalb eines geregelten rechtlichen Verfahrens an die Strafverfolgungsbehörden eines anderen Staates mit den tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar im Sinne des § 1 Abs. 1 VwRehaG?
(2) Ist die hoheitliche Maßnahme einer behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalls im Beitrittsgebiet, die zu einer gesundheitlichen Schädigung, einer beruflichen Benachteiligung oder (hier) einem Eingriff in Vermögenswerte geführt hat, auch dann mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats unvereinbar und auf Antrag aufzuheben, wenn
- sie der früheren Rechtslage im Beitrittsgebiet entsprach und eine (mögliche) gesetzliche Folge der politischen Verfolgung war und/oder
- nicht nachgewiesen werden kann, dass diese Maßnahme selbst zum Zwecke der politischen Verfolgung durchgeführt wurde,
sie jedoch unmittelbare, von den Verfolgern gewollte oder zumindest gebilligte Folge der politischen Verfolgung war?
Die erste Frage sei eine entscheidungserhebliche Vorfrage für die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung. Die Mitwirkung deutscher Stellen an der Überstellung der Großmutter des Klägers an die sowjetische Besatzungsmacht sei mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin unvereinbar gewesen. Es sei zu klären, ob Folgeentscheidungen solcher rechtsstaatswidrigen Maßnahmen, wie die Enteignung der Großmutter des Klägers, in den Anwendungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes fallen, wenn sie zu einer Benachteiligung des Betroffenen geführt hätten. Die zweite Frage betreffe unmittelbar die tragenden Erwägungen des angefochtenen Urteils. Es sei zu klären, ob behördliche Entscheidungen, die zu Vermögensverlusten führten, in den Anwendungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes fielen, wenn sie zwar nicht selbst und unmittelbar der politischen Verfolgung gedient hätten oder eine solche Zielrichtung, wie im vorliegenden Fall, nicht mehr nachgewiesen werden könne, sie aber doch unmittelbares Ergebnis einer politischen Verfolgung gewesen seien.
a) Den aufgeworfenen Fragen fehlt nicht deshalb die Entscheidungserheblichkeit, weil der Kläger nicht antragsberechtigt wäre. Nach § 9 Abs. 1 VwRehaG kann der Antrag nach § 1 VwRehaG von einer natürlichen Person, die durch die Maßnahme unmittelbar in ihren Rechten betroffen ist und nach deren Tod von demjenigen, der ein rechtliches Interesse an der Rehabilitierung des unmittelbar Betroffenen hat, gestellt werden. Ein rechtliches Interesse ist nur bei denkbaren eigenen Folgeansprüchen anzuerkennen (vgl. Beschluss vom 21. März 2011 - BVerwG 3 B 70.10 - ZOV 2011, 130 <131>). Allerdings sind Folgeansprüche nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) hier nicht offensichtlich ausgeschlossen, was für die Antragsberechtigung nach § 9 VwRehaG genügt. Es ist auch mit Blick auf die abgeschlossenen Verwaltungsverfahren nach dem Vermögensgesetz möglich, dass die streitigen Grundstücke der Neusiedlerstelle auf der Grundlage einer Bescheinigung nach § 7 VwRehaG nach § 1 Abs. 7 VermG im Wege des Wiederaufgreifens von Verfahren durchgesetzt werden können (zur Rückübertragung der enteigneten Bodenreformwirtschaft eines Neubauern vgl. auch Urteil vom 28. Juni 1996 - BVerwG 7 C 8.95 - BVerwGE 101, 287 <288 f.>).
b) Die Frage 1 müsste jedoch aus einem anderen Grund in einem Revisionsverfahren nicht beantwortet werden; denn die auf die Übergabe der Großmutter an die SKK gerichtete Fragestellung geht bereits daran vorbei, dass diese vom Kläger - fern der Rechtswirklichkeit - als "Auslieferung" bezeichnete Maßnahme angesichts der allgemeinkundigen, aber auch vom Verwaltungsgericht bindend festgestellten Machtposition der Sowjets allein deren Tatherrschaft unterlag und daher von vornherein keine eigenständige hoheitliche Maßnahme der Volkspolizei war, die - wie ebenfalls vom Verwaltungsgericht festgestellt worden ist - im ausdrücklichen Auftrag der SKK handelte.
Abgesehen davon wird diese Überstellung an die Sowjets nicht vom Streitgegenstand des Verfahrens erfasst. Dieser wird durch den Klageantrag begrenzt, den Beschluss der Landesbodenkommission vom 11. März 1952 aufzuheben "sowie alle sonstigen verwaltungsrechtlichen Entscheidungen, mit denen das
Die Entziehung der Neubauernwirtschaft wurde durch Beschluss der Landesbodenkommission vom 11. März 1952 angeordnet. Damit wurde eine Rechtsfolge vollzogen, die nach der Annahme des Verwaltungsgerichts in der Verordnung über die Auseinandersetzung bei Besitzwechsel von Bauernwirtschaften aus der Bodenreform vom 21. Juni 1951 (Besitzwechselverordnung - GBl DDR S. 629) vorgesehen war. Schon nach den Bodenreformverordnungen vom September 1945 wie später in den Besitzwechselverordnungen der Jahre 1951/56 und 1975/88 war das Bodenreformeigentum als persönliches Arbeitseigentum des Neubauern ausgestaltet und unterlag entsprechend dem Ziel der Bodenreform, den "feudal-junkerlichen Großgrundbesitz" zu beseitigen und durch Schaffung neuer Bauernwirtschaften den Übergang zu einer sozialistischen Bodenwirtschaft einzuleiten, vielfältigen Verfügungsbeschränkungen und personenbezogenen Bindungen (s. hierzu näher Urteile vom 25. Februar 1994 - BVerwG 7 C 32.92 - BVerwGE 95, 170 <172 f.> und vom 28. Juni 1996 a.a.O. S. 289 f.). Zu diesen gehörte die Pflicht, das Bodenreformeigentum entsprechend den Grundsätzen der sozialistischen Bodenpolitik zu nutzen. Bei einem Verstoß gegen diese Bewirtschaftungspflicht konnte das Bodenreformeigentum entschädigungslos entzogen werden. Die Gründe dafür, warum das Bodenreformeigentum nicht bewirtschaftet wurde, waren unerheblich (§ 9 der Besitzwechselverordnung, vgl. Urteile vom 28. Juni 1996 a.a.O. S. 290 und vom 19. Mai 2005 - BVerwG 7 C 18.04 - Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 15 S. 59). Vor diesem Hintergrund hat die Überstellung der Großmutter des Klägers an die SKK zwar letztlich zur Folge gehabt, dass sie ihre Neubauernstelle nicht bewirtschaften konnte und damit die tatsächlichen Voraussetzungen eintraten, unter denen das Eigentum entzogen werden durfte, sie war jedoch nicht die Maßnahme, durch die oder auf deren Grundlage der vom Kläger als rehabilitierungswürdig bezeichnete Vermögenszugriff vorgenommen wurde.
c) Mit der zweiten Frage will die Beschwerde - bei sachgerechtem Verständnis der Fragestellung - geklärt wissen, ob eine Enteignung rehabilitierungsfähig ist, wenn sie zwar selbst nicht rechtsstaatswidrig war, aber unmittelbare Folge einer rechtsstaatswidrigen Maßnahme (hier der "Auslieferung"). Auch hier gilt zunächst, dass diese Maßnahme angesichts der Machtverhältnisse eine solche der Sowjets war, in deren Auftrag die Volkspolizei tätig wurde. Sieht man davon ab, lässt sich die Frage auf der Grundlage des Gesetzes ohne Weiteres bejahen. § 1 VwRehaG setzt die Rechtsstaatswidrigkeit einer Verwaltungsentscheidung (Abs. 1 Satz 1) oder einer sonstigen hoheitlichen Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle (Abs. 5) voraus, nicht aber, dass die Folgen dieser Maßnahme - eine gesundheitliche Schädigung, ein Eingriff in Vermögenswerte oder eine berufliche Benachteiligung - ihrerseits rechtsstaatswidrig sind.
d) Soweit die Beschwerde auf Fragen der Kausalität abzielt, sind diese nach dem bereits Ausgeführten schon deswegen nicht klärungsfähig, weil Frau M. auch im Hinblick auf die vermeintliche Auslieferung einer Verfolgung durch sowjetische Stellen ausgesetzt war, in deren Gefolge sich die Tatsachen ergaben, sie den Zugriff der deutschen Behörden auf das Bodenreformland rechtfertigten. Dass die SKK durch deutsche behördliche Stellen manipuliert wurde, um einen diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum der Frau M. zu erhalten, hat das Verwaltungsgericht aufgrund einer eingehenden Würdigung der Umstände nicht festgestellt. Gegen diese Würdigung ist revisionsrechtlich nichts Durchgreifendes vorgebracht.
2. Das angefochtene Urteil weicht nicht vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 18.06 - (Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 9 = ZOV 2007, 67) ab.
Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn sich das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat zu einem ebensolchen Rechtssatz, der in einer Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts aufgestellt worden ist, und wenn das Urteil auf dieser Abweichung beruht (stRspr, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97- NJW 1997, 3328 = Buchholz 310 § 133