Bundesarbeitsgericht

Entscheidungsdatum: 28.06.2011


BAG 28.06.2011 - 3 AZN 146/11

Nichtzulassungsbeschwerde - Grundsätzliche Bedeutung


Gericht:
Bundesarbeitsgericht
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsdatum:
28.06.2011
Aktenzeichen:
3 AZN 146/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend ArbG Kiel, 18. Februar 2010, Az: ö.D. 5 Ca 1967 b/09, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, 1. Dezember 2010, Az: 6 Sa 185/10, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Eine Rechtsfrage hat nicht allein deshalb grundsätzliche Bedeutung iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG, weil von ihr mehr als 20 Arbeitsverhältnisse bei dem beklagten Arbeitgeber betroffen sein können.

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 1. Dezember 2010 - 6 Sa 185/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 8.011,10 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger eine „Erhöhungsrente“ zusteht.

2

Der Kläger bezieht seit Mitte des Jahres 2003 von der Beklagten Leistungen wegen Invalidität nach dem „Tarifvertrag über eine betriebliche Altersversorgung bei der T AG“ (TV Kapitalkontenplan). Dieser wurde zwischen dem Vorstand der Beklagten und dem Bundesvorstand der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di abgeschlossen. Er gilt - mit gewissen Ausnahmen - für Arbeitnehmer und Auszubildende der Beklagten, die unter den Geltungsbereich der einschlägigen Manteltarifverträge fallen. Die Versorgungsordnung zu diesem Tarifvertrag sieht im Invaliditätsfall eine Garantierente vor. Zusätzlich ist nach der maßgeblichen tariflichen Regelung eine Erhöhungsrente zu leisten, falls der Arbeitnehmer „trotz ernsthaften Betreibens seines Rentenantrages, ggf. im Klageweg, keine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung“ erhält.

3

Der Kläger beantragte mehrfach erfolglos die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung beim zuständigen Rentenversicherungsträger. Die Beklagte gewährte ihm daraufhin zunächst eine Erhöhungsrente. Nachdem der Widerspruch des Klägers gegen den dritten ablehnenden Bescheid der Deutschen Rentenversicherung mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2006 zurückgewiesen worden war, weil der Kläger seinen Widerspruch auch „nach der Aufforderung vom 25.08.2006 … nicht begründet und neue Tatsachen nicht vorgetragen“ habe, wies die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 15. März 2007 darauf hin, dass er mit einer zumindest teilweisen Einstellung der betrieblichen Versorgungsleistungen rechnen müsse, wenn er den Widerspruch wieder nicht begründen werde.

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Anfang des Jahres 2008 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung; gegen den ablehnenden Bescheid vom 12. März 2008 legte er fristgemäß Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2008 zurückgewiesen wurde. Es ist streitig, ob der Kläger den Widerspruch ordnungsgemäß begründet hatte.

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Ab Januar 2008 zahlte die Beklagte die Erhöhungsrente zum Teil nicht, zum Teil nur gekürzt.

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Mit seiner Klage hat der Kläger Differenzbeträge für den Zeitraum von Januar 2008 bis zum Oktober 2009 geltend gemacht. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat ihr das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen stattgegeben. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die auf grundsätzliche Bedeutung gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.

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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Revision ist nicht wegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 72a Abs. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) zuzulassen. Die Beklagte hat die grundsätzliche Bedeutung der von ihr formulierten Rechtsfrage nicht dargelegt.

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1. Die Beklagte hält für klärungsbedürftig die Frage, ob die maßgebliche tarifliche Regelung Mitwirkungshandlungen des Arbeitnehmers über sozialrechtliche Bestimmungen hinaus verlangt und ob nach dieser Tarifnorm insbesondere ein Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid - jedenfalls nach Aufforderung durch den Rentenversicherer - zu begründen ist. Die grundsätzliche Bedeutung dieser Rechtsfrage leitet die Beklagte allein daraus her, dass eine Vielzahl von Arbeitnehmern von dem Tarifvertrag betroffen ist und laufend Versorgungsfälle hinzu treten, bei denen die maßgebliche Rechtsfrage auftreten kann.

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2. Damit hat die Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der von ihr formulierten Rechtsfrage nicht aufgezeigt.

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a) Eine Rechtsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung, wenn ihre Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder sie wegen ihrer tatsächlichen, zB wirtschaftlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit eng berührt (st. Rspr., vgl. bereits BAG 5. Dezember 1979 - 4 AZN 41/79 - BAGE 32, 203; ebenso BAG 23. Januar 2007 - 9 AZN 792/06 - BAGE 121, 52).

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Das schließt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage aus, wenn sie lediglich einen Einzelfall betrifft (BAG 9. September 1981 - 4 AZN 241/81 - BAGE 36, 85). Vielmehr muss sich die aufgeworfene Rechtsfrage in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen können und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühren. Das kann der Fall sein, wenn die Rechtsfrage über ein einzelnes Unternehmen hinaus Bedeutung hat und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts betroffen ist. Dass eine Vielzahl von Arbeitnehmern eines Unternehmens unter den Geltungsbereich eines Firmentarifvertrages fällt, kann eine allgemeine Bedeutung allenfalls dann begründen, wenn die zu klärende Rechtsfrage über den Einzelfall hinaus in weiteren Fällen streitig und maßgeblich für eine Vielzahl bereits anhängiger oder konkret zu erwartender gleichgelagerter Prozesse ist (vgl. BAG 5. Oktober 2010 - 5 AZN 666/10 - Rn. 3 und 5, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 74 = EzA ArbGG 1979 § 72 Nr. 43).

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b) Soweit der Senat demgegenüber in der auch von der Beschwerde angeführten Entscheidung vom 26. September 2000 (- 3 AZN 181/00 - zu II 2 der Gründe, BAGE 95, 372) eine grundsätzliche Bedeutung der dort aufgeworfenen Rechtsfrage allein deshalb angenommen hat, weil von ihr eine Vielzahl, jedenfalls mehr als 20 Arbeitsverhältnisse bei dem beklagten Arbeitgeber betroffen sein konnte, hält der Senat hieran nicht fest. Dem steht die Rechtsprechung anderer Senate des Bundesarbeitsgerichts nicht entgegen.

13

aa) Der Vierte Senat hat in seinen Entscheidungen vom 27. Januar 2010 (- 4 AZR 549/08 (A) - Rn. 117, AP TVG § 3 Nr. 46 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 23 und - 4 AZR 537/08 (A) - Rn. 95) sowie vom 7. Juli 2010 (- 4 AZR 549/08 - Rn. 104 ff., AP GG Art. 9 Nr. 140 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 25 und - 4 AZR 537/08 - Rn. 22) die genannte Rechtsprechung lediglich referiert und eine Übertragung des dieser Rechtsprechung zugrunde gelegten Begriffs der grundsätzlichen Bedeutung auf die grundsätzliche Bedeutung iSd. § 45 Abs. 4 ArbGG, der die Vorlage an den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts regelt, abgelehnt (vgl. auch BAG 28. Juli 2009 - 3 AZR 250/07 - Rn. 24, AP ArbGG 1979 § 45 Nr. 16 und 28. Juli 2009 - 3 AZR 663/07 - Rn. 24). Damit ist die von der früheren Rechtsprechung des Senats vorgenommene Auslegung des Begriffs der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des Nichtzulassungsbeschwerderechts (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) jedoch nicht inhaltlich bestätigt worden.

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bb) Soweit der Vierte Senat und der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts in den Beschlüssen vom 20. Oktober 1982 (- 4 AZN 406/82 - BAGE 40, 254) und vom 15. November 1995 (- 4 AZN 580/95 - zu II 2 b der Gründe, AP ArbGG 1979 § 72a Grundsatz Nr. 49 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 72) sowie vom 21. Oktober 1998 (- 10 AZN 588/98 - zu II 1 der Gründe, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 55) auf die Zahl von 20 - oder mehr - betroffenen Arbeitsverhältnissen abgestellt haben, haben sie darauf nicht die Zulassung der Revision gestützt, sondern lediglich ausgesprochen, dass eine Zulassung der Revision nicht möglich sei, weil wegen des Nichterreichens der Zahl eine grundsätzliche Bedeutung ausscheide. Es wurde also lediglich ein Rechtssatz dahingehend aufgestellt, dass eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage nicht in Betracht kommt, wenn die Zahl nicht erreicht wird, jedoch nicht umgekehrt ausgesprochen, dass dann, wenn sie erreicht wird, eine grundsätzliche Bedeutung vorliegt.

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cc) Gleiches gilt für den Beschluss vom 23. Januar 2002 (- 4 AZN 760/01 - zu II 3 b der Gründe, ZMV 2002, 87), in dem der Vierte Senat zwar einen Vortrag des Klägers dazu vermisst hat, in welchen Fallkonstellationen die maßgebliche Rechtsfrage noch auftreten kann, jedoch nicht ausgesprochen hat, dass allein ein Vortrag dahingehend, dass eine Vielzahl von Fallkonstellationen betroffen ist, die grundsätzliche Bedeutung für sich genommen begründen kann.

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dd) In dem Beschluss vom 10. März 1993 (- 4 AZN 17/93 - zu II 4 der Gründe, BAGE 72, 324) hat der Vierte Senat zwar die grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage angenommen, weil eine Reihe gleichgelagerter Prozesse anhängig war und den auszulegenden kollektivrechtlichen Bestimmungen eine erhebliche Anzahl von Arbeitsverhältnissen unterlag. Dabei ging es jedoch um die Auslegung des „Rahmenkollektivvertrages für die Beschäftigten der D F“, der - unabhängig davon, wie viele Arbeitgeber an ihn gebunden waren - einen ganzen Wirtschaftszweig der ehemaligen DDR betraf. Zudem handelte es sich um eine Rechtsfrage, die sich im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen und der Währungsumstellung stellte. Dies war angesichts der damaligen Umbruchsituation von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit.

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c) Danach ist im Streitfall die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass die von ihr formulierte Rechtsfrage maßgeblich für eine Vielzahl bereits anhängiger oder konkret zu erwartender gleichgelagerter Prozesse ist oder dass sie auch über ihr Unternehmen hinaus in einer Vielzahl von Fällen Bedeutung erlangen kann.

18

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.

        

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