Entscheidungsdatum: 15.12.2016
Die Vollziehung des Beschlusses der Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2016 wird bis zur Entscheidung des Senats über die Beschwerde des Antragsgegners gegen diesen Beschluss ausgesetzt.
Der 1. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestags hat im Wesentlichen den Auftrag aufzuklären, ob bestimmte ausländische Nachrichtendienste Kommunikationsvorgänge von, nach und in Deutschland auf Vorrat erfassten und/oder daraus gewonnene Daten nutzten bzw. nutzen und inwieweit Stellen des Bundes in diese Vorgänge involviert waren. Das vorliegende Verfahren betrifft die dem Grunde nach am 8. Mai 2014 durch den Ausschuss einstimmig beschlossene Vernehmung des Zeugen S..
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seinem Rechtsmittel gegen den Beschluss der Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2016 (Az.: 1 BGs 125/16 - 1 ARs 1/16), mit dem diese auf Antrag der Beschwerdegegnerin angeordnet hat, der Untersuchungsausschuss habe nochmals über einen Antrag abzustimmen, die Bundesregierung zu ersuchen, die Voraussetzungen für eine Vernehmung des Zeugen Snowden in Deutschland zu schaffen und dem Ausschuss mitzuteilen, zu welchem Zeitpunkt sie diese herstellen könne; sollte der Antrag weiterhin von einem Viertel der Mitglieder des Ausschusses unterstützt werden, habe der Ausschuss ihm zumindest mehrheitlich zuzustimmen.
Der Beschwerdeführer beantragt, die Vollziehung dieses Beschlusses bis zur Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen. Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Für den gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG, § 36 Abs. 3 PUAG, § 307 Abs. 2 StPO statthaften Antrag besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.
a) Nach seinem Wortlaut ordnet der Beschluss der Ermittlungsrichterin die Vornahme von Handlungen an; danach hat die Entscheidung einen vollziehbaren Inhalt. Die nähere Auslegung der erstinstanzlichen Entscheidungsformel sowie die Überprüfung von deren Rechtmäßigkeit und Vollstreckungsfähigkeit ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
b) Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt im Übrigen auch nicht deshalb, weil der Untersuchungsausschuss am 1. Dezember 2016 mehrheitlich beschlossen hat, die erneute Abstimmung über den hier verfahrensgegenständlichen Antrag bis zum Abschluss des hiesigen Rechtsmittelverfahrens zu vertagen. Die Entscheidung, ob einer gerichtlichen Anordnung Folge zu leisten ist, obliegt auch in Verfahren nach dem Untersuchungsausschussgesetz nicht der Dispositionsbefugnis des Verfahrensbeteiligten, der in erster Instanz unterlegen ist und gegen den sich die Anordnung wendet. Sie richtet sich vielmehr nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, mithin im vorliegenden Fall nach § 307 StPO. Nach § 307 Abs. 1 StPO entfaltet die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung; ihr kommt kein Suspensiveffekt zu. Die vorläufige Aussetzung der Vollziehung kann allein im Verfahren nach § 307 Abs. 2 StPO erreicht werden.
2. Der Antrag hat in der Sache Erfolg.
a) Nach den allgemeinen Maßstäben ist die Aussetzung der Vollziehung nach § 307 Abs. 2 StPO eine gerichtliche Ermessensentscheidung. Erweist sich das Rechtsmittel bei vorläufiger Prüfung aller Voraussicht nach als unzulässig oder unbegründet, so ist es nicht sachgerecht, den Vollzug einer erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung auszusetzen. Ist dies nicht der Fall, so ist unter Berücksichtigung der maßgebenden Umstände des Einzelfalls abzuwägen, ob das Interesse an der sofortigen Vollziehung die dem Beschwerdeführer durch den Vollzug drohenden Nachteile überwiegt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. Juni 2009 - StB 19/09, NStZ 2010, 343, 344; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 307 Rn. 2 mwN).
Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, bei Verfahren nach dem Untersuchungsausschutzgesetz dürfe die Vollziehung einer gerichtlichen Entscheidung wegen des hohen Gewichts des parlamentarischen Aufklärungsinteresses sowie des Beschleunigungsgebotes nur unter engeren Voraussetzungen ausgesetzt werden, etwa wenn schwerwiegende oder irreparable Nachteile drohten oder die angegriffene Maßnahme mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig oder ersichtlich von untergeordneter Bedeutung sei (vgl. Waldhoff/Gärditz, PUAG, § 36 Rn. 53), ist dem in dieser Form nicht zu folgen. Auch im Strafverfahren kommen dem Interesse an der Aufklärung unter Umständen schwer wiegender Straftaten sowie dem Beschleunigungsgebot eine große Bedeutung zu. In der Sache geht es zudem regelmäßig, etwa bei Haftentscheidungen, um einschneidende Eingriffe in grundgesetzlich geschützte Rechtspositionen der Verfahrensbeteiligten. Hieraus folgt, dass bei der Prüfung der Aussetzung der Vollziehung einer gerichtlichen Anordnung nach dem Untersuchungsausschutzgesetz kein anderer Maßstab an die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels anzulegen ist als in den sonstigen Fällen des § 307 Abs. 2 StPO. Hierfür spricht auch, dass die Grundsätze, nach denen das Bundesverfassungsgericht bei einstweiligen Anordnungen gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG entscheidet, soweit es die Erfolgsaussicht der zugrunde liegenden Verfassungsbeschwerde betrifft, denen gleichen, die im Rahmen des § 307 Abs. 2 StPO allgemein gelten (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2016 - 2 BvR 2557/16, juris Rn. 6 ff.). Was die übrigen angeführten Gesichtspunkte angeht, so sind diese, sofern sie im konkreten Fall Bedeutung erlangen, zwar in die erforderliche Abwägung einzustellen; sie stellen indes keine konstitutiven Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs dar.
b) Danach gilt im vorliegenden Fall:
Das Rechtsmittel des Beschwerdeführers ist weder offensichtlich unzulässig noch offensichtlich unbegründet; der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist vielmehr bei der gebotenen vorläufigen Würdigung des Sach- und Streitstands offen. Im Rahmen der somit zu treffenden Rechtsfolgenabwägung überwiegen die Nachteile, die mit einem sofortigen Vollzug der Anordnung verbunden sind. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, dass bei einem Vollzug der ermittlungsrichterlichen Entscheidung die Hauptsache unabhängig von deren Ergebnis praktisch vorweggenommen würde. Demgegenüber erscheint ein Zuwarten bis zur Entscheidung des Senats über die Beschwerde weniger einschneidend. Der Senat hat dabei die Bedeutung des sich im Ausland aufhaltenden Zeugen für den Untersuchungsgegenstand und die bisherigen Bemühungen bedacht, seine Einvernahme zu erwirken. Schließlich war vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Diskontinuität der Zeitpunkt des Ablaufs der Wahlperiode ebenso in den Blick zu nehmen wie der Umstand, dass der den Zeugen betreffende Beweisbeschluss bereits vom 8. Mai 2014 datiert, das bezüglich des auch hier verfolgten Begehrens der Antragstellerin zunächst angestrengte Organstreitverfahren schon mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Dezember 2014 (2 BvE 3/14, BVerfGE 138, 45) endete und das hiesige erstinstanzliche Verfahren erst mit am 24. August 2016 eingegangenem Schriftsatz vom 18. August 2016 eingeleitet wurde.
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