Entscheidungsdatum: 13.07.2016
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2011 065 376
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 13. Juli 2016 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Dr. Mittenberger-Huber, der Richterin Akintche und des Richters am Landgericht Dr. von Hartz
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 29. Juli 2013 aufgehoben. Wegen des Widerspruchs aus der Marke 1 175 200 wird die Löschung der Marke 30 2011 065 376 angeordnet.
I.
Die Wortmarke
TÜg Zert International
ist am 3. Dezember 2011 angemeldet und am 20. März 2012 unter der Nummer 30 2011 065 376 als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Dienstleistungen der
Klasse 35: organisatorische und betriebswirtschaftliche Prüfung und Bewertung (Auditierung);
Klasse 42: Zertifizierung von Unternehmen aller Branchen insbesondere von Managementsystemen.
Gegen diese Marke, deren Eintragung am 20. April 2012 veröffentlicht wurde, hat der Inhaber der älteren Wortmarke
TÜV Cert
die am 19. April 1991 unter der Nummer 1 175 200 eingetragen wurde für Dienstleistungen der Klassen 41, 42, 44
Dienstleistungen eines Ingenieurs, Physikers, Chemikers, Arztes, Psychologen, insbesondere Beraten, Ausbilden, Begutachten, Forschen, Prüfen, Überwachen, Zertifizieren auf dem Gebiet der Technik, insbesondere Sicherheitstechnik, Verkehrswesen, Umweltschutz, Energietechnik und Wärmetechnik
Widerspruch erhoben.
Mit Beschluss vom 29. Juli 2013 hat die Markenstelle für Klasse 35 des DPMA den Widerspruch zurückgewiesen und sowohl die Verwechslungsgefahr verneint als auch den Bekanntheitsschutz abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Vergleichsmarken könnten sich teilweise, nämlich hinsichtlich der Dienstleistungen der jüngeren Marke „Zertifizierung von Unternehmen aller Branchen, insbesondere von Managementsystemen“ und dem „Zertifizieren auf dem Gebiet der Technik, insbesondere Sicherheitstechnik, Verkehrswesen, Umweltschutz, Energietechnik und Wärmetechnik“ der Widerspruchsmarke bei identischen Dienstleistungen begegnen oder lägen zumindest in einem sehr engen Ähnlichkeitsbereich. Zugunsten des Widersprechenden könne bezüglich der Dienstleistungen „Zertifizieren auf dem Gebiet der Technik“ sogar von einer gesteigerten Kennzeichnungskraft ausgegangen werden. Der erforderliche Abstand werde aber selbst bei identischen Dienstleistungen sowie Anwendung nur durchschnittlicher Sorgfalt noch eingehalten. Selbst wenn man die Zeichenbestandteile der angegriffenen Marke „Zert International“ bzw. „Cert“ der Widerspruchsmarke als beschreibend für Zertifizierungen vernachlässige, unterschieden sich die beiden Marken auffällig durch den letzten Buchstaben der weiteren Wortbestandteile „TÜg“ bzw. „TÜV“ der beiden Zeichen. Dort verfüge die angegriffene Marke über den Sprenglaut „g“ und die Widerspruchsmarke über den Reibelaut „f“, weil das „V“ so gesprochen werde. Es handele sich in beiden Fällen um Abkürzungen bzw. Kurzwörter, bei denen schon geringe Unterschiede vom angesprochenen Verkehrskreis bemerkt würden. Die genannten Unterschiede reichten aus, um den Marken ein eigenständiges Klangbild zu verleihen, unabhängig davon, ob die Markenbegriffe als Wörter ausgesprochen oder als Abkürzung buchstabiert würden, so dass Verwechslungen in klanglicher Hinsicht ausgeschlossen seien. Bei einer Abkürzung oder Wörtern aus drei Buchstaben könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Wortanfang stärker beachtet werde als das Wortende.
Eine schriftbildliche Verwechslungsgefahr sei aufgrund der typischen Umrisscharakteristik von „g“ gegenüber „V“, die der jeweils anderen Marke fehle, ebenfalls ausgeschlossen. Zudem verfüge die angegriffene Marke bei handschriftlicher Wiedergabe und Wiedergabe in Normalschrift durch das „g“ über eine Unterlänge, die der Widerspruchsmarke fehle.
Für andere Arten von Verwechslungsgefahren sei nichts dargetan oder ersichtlich. Die angesprochenen Verkehrskreise gingen auch nicht davon aus, dass es sich bei der jüngeren Marke um ein weiteres Produkt der Widersprechenden handele, weil die Marken unterschiedlich gebildet seien. Die gemeinsame Buchstabenfolge „TÜ –ert“ reiche nicht aus, um die jüngere Marke der Widersprechenden zuzuordnen oder als Serienzeichen anzusehen.
Für den Löschungsgrund unter dem Aspekt des Sonderschutzes der bekannten Marke bestünden ebenfalls keine Anhaltspunkte.
Gegen den den Widerspruch zurückweisenden Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers.
Er ist der Ansicht, dass teilweise Dienstleistungsidentität bzw. hochgradige Dienstleistungsähnlichkeit bestehe. Ferner weise die Widerspruchsmarke eine erheblich gesteigerte Kennzeichnungskraft auf. Wie der Bundesgerichtshof in der Entscheidung „TÜV II“ bereits festgestellt habe, handele es sich bei der Widerspruchsmarke sogar um eine bekannte Marke. Die von der Markenstelle angenommene erhöhte Kennzeichnungskraft gelte somit auch für die unter der Widerspruchsmarke „TÜV Cert“ erbrachten Zertifizierungsdienstleistungen.
Vor dem Hintergrund der Dienstleistungsidentität sowie der gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke könne eine Verwechslungsgefahr nur bei absoluter Zeichenunähnlichkeit verneint werden. Zwischen der Widerspruchsmarke „TÜV Cert“ und der jüngeren Marke „TÜg Zert International“ bestehe aber sogar hochgradige Zeichenähnlichkeit. Zwar bestehe die jüngere Marke aus mehreren Wortbestandteilen. Im Verhältnis zu den übrigen Wortelementen nehme das am Anfang stehende außergewöhnliche und damit besonders einprägsame Kurzwort „TÜg“ eine prägende Stellung ein. Der Zusatz „Zert“ falle bei einer beiläufigen Wahrnehmung eher sekundär ins Auge, könne aber als (mit-) prägend betrachtet werden. Der weitere Zusatz „International“ sei aber wegen seines nichtssagenden glatt beschreibenden Charakters vollständig zu vernachlässigen.
Beim Vergleich mit der Widerspruchsmarke „TÜV Cert“ sei also allein der die jüngere Marke prägende Bestandteil „TÜg Zert“ heranzuziehen. Zwischen diesen bestehe hochgradige Ähnlichkeit auf klanglicher, schriftbildlicher und begrifflicher Ebene.
Die bestehende Übereinstimmung in „TÜ–ert“ bestimme das Klangbild und überwiege auch quantitativ den Unterschied im Wortende, dem das Publikum ohnehin weniger Bedeutung beimesse. Bei den Konsonanten „V“ und „g“ handele es sich nur um Augenblickslaute, die gerade am Wortende leicht überhört werden könnten.
Die Buchstaben „T“ und „Ü“ stünden bei den Vergleichsmarken jeweils für „Technische Überwachung“. Die angesprochenen Verkehrskreise würden daher in dem Buchstaben „g“ ein Akronym für einen mit „V = Verein“ ähnlichen Hinweis erblicken, nämlich „Gemeinschaft“ oder „Gesellschaft“. Sie verständen daher „TÜg“ als Akronym von „Technischer Überwachungsgesellschaft/-gemeinschaft“, so dass eine gedankliche Verbindung im Sinne von § 9 Absatz 1 Nr. 2, 2. HS MarkenG ausgelöst werde.
Auch ein Löschungsgrund nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG liege vor. Aufgrund der aus der Übernahme von „TÜ –ert“ gegebenen klanglichen, schriftbildlichen und insbesondere auch begrifflichen Gemeinsamkeiten der sich gegenüberstehenden Zeichen werde der Bestandteil „TÜV“ der Widerspruchsmarke „TÜV Cert“ bei den angesprochenen Verkehrskreisen unweigerlich in Erinnerung gerufen. Auf diese Bekanntheit der Marke „TÜV“ und ihren guten Ruf ziele der Beschwerdegegner ab, um vom illegalen Imagetransfer zu profitieren.
Der Beschwerdeführer beantragt (Bl. 7 d. A.),
den Beschluss des DPMA vom 29. Juli 2013 aufzuheben und die angegriffene Marke zu löschen.
Der Inhaber der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht eingelassen und keinen Antrag gestellt. Im Amtsverfahren hat er die Auffassung vertreten, es sei keine Dienstleistungsidentität erkennbar. Eine klangliche Ähnlichkeit bestehe nicht. Die Betonung des ersten Wortbestandteils der zu vergleichen Zeichen erfolge jeweils auf dem letzten Buchstaben.
Es liege ein deutlicher und verständlicher Sinngehalt des Buchstabens „g“ gegenüber „V“ vor, um eine Verwechslungsgefahr zu verneinen. Neben der Schreibweise „Zert“ habe zudem der Begriff „International“ eine sehr hohe Bedeutung für den Markenunterschied.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die nach § 66 MarkenG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Zwischen den Vergleichsmarken ist eine klangliche Verwechslungsgefahr im Sinne von §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG zu besorgen, so dass die angegriffene Marke zu löschen ist.
1.
Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (EuGH GRUR 2010, 1098, Rn. 44 – Calvin Klein Trademark Trust/HABM [Calvin Klein]; BGH MarkenR 2016, 157 Rn. 19 – BioGourmet; GRUR 2015, 1004 Rn. 18 – IPS/ISP; GRUR 2015, 176 Rn. 9 – ZOOM/ZOOM; GRUR 2012, 1040, Rn. 25 – pjur/pure). Bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den durch die Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (EuGH GRUR 2010, 933 Rn. 33 – Barbara Becker/HABM [BARBARA BECKER]; BGH GRUR 2013, 833 Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria).
a)
Die Vergleichsmarken werden zur Kennzeichnung von durchschnittlich bis eng ähnlichen Dienstleistungen verwendet. Ob die zu vergleichenden Dienstleistungen identisch sind, kann dahingestellt bleiben, weil in diesem Fall erst recht eine Verwechslungsgefahr zu besorgen ist.
aa)
Hinsichtlich der Prüfung der Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit ist von der Registerlage, mithin von den im Register eingetragenen Dienstleistungen auszugehen. Der Inhaber der angegriffenen Marke hat die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke nicht bestritten.
bb)
Eine Ähnlichkeit von beiderseitigen Waren oder Dienstleistungen ist dabei grundsätzlich anzunehmen, wenn diese unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen, insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte oder Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlichen Gründe so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus demselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR Int 2009, 397 Rn. 65 - P Les Éditions Albert René Sàrl/HABM [OBELIX/MOBILIX]; BGH GRUR 2015, 176 Rn. 16 - ZOOM/ZOOM; GRUR 2004, 601 - d-c-fix/CD-FIX; GRUR 2001, 507, 508 - EVIAN/REVIAN).
Maßgeblich für die Annahme einer Dienstleistungsähnlichkeit ist – unter Berücksichtigung der Kriterien der Warenähnlichkeit – nicht zuletzt angesichts der fehlenden Körperlichkeit von Dienstleistungen in erster Linie Art und Zweck der Dienstleistung, d. h. der Nutzen für den Empfänger der Dienstleistung und die Vorstellung des Verkehrs, dass die Dienstleistungen unter der gleichen Verantwortung erbracht werden (BGH GRUR 2002, 544, 546 – BANK 24; GRUR 2001, 164, 165 – Wintergarten; Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, 3. Aufl., § 14 MarkenG Rn. 223; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 9 Rn. 111).
(1)
Zwischen der Dienstleistung der angegriffenen Marke „organisatorische und betriebswirtschaftliche Prüfung und Bewertung (Auditierung)“ in Klasse 35 und den „Dienstleistungen eines Ingenieurs, Physikers, Chemikers, Arztes, Psychologen, insbesondere (…) Begutachten, (…), Prüfen, Überwachen Zertifizieren auf dem Gebiet der Technik (…)“ der Widerspruchsmarke besteht jedenfalls eine durchschnittliche Ähnlichkeit.
Bei den von der jüngeren Marke in Klasse 35 beanspruchten Dienstleistungen „organisatorische und betriebswirtschaftliche Prüfung und Bewertung (Auditierung)“ geht es um die systematische Überprüfung und Bewertung durch dafür geschulte Fachleute nach vorgegebenen Checklisten, die den aktuellen Stand von Kenntnissen über die optimale Gestaltung der überprüften Systemteile und -prozesse anhand von Prüffragen dokumentieren (vgl. Online-Verwaltungslexikon, olev.de, Version 1.35, Stichwort: audit).
Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob der angesprochene Verkehrskreis, hier überwiegend Unternehmer und Angestellte der Führungsebene mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen, die Dienstleistungen „organisatorische und betriebswirtschaftliche Prüfung und Bewertung“ lediglich in einem eingeschränkten Sinn als betriebswirtschaftliche Prüfung und Bewertung im Sinne einer Revision bestehender unternehmerischer Faktenlagen versteht (vgl. Vahlens, Großes Wirtschaftslexikon, 2. Aufl., Band 2, Stichwort: Prüfung). Vorliegend ist nämlich zu berücksichtigen, dass die beanspruchten Dienstleistungen „organisatorische und betriebswirtschaftliche Prüfung und Bewertung“ durch den Klammerzusatz „(Auditierung)“ eine inhaltsbestimmende Erläuterung und damit eine Erweiterung erfahren haben. Die ursprüngliche englische Bezeichnung „audit“ für Rechnungsprüfung (vgl. DUDEN-Oxford, Großwörterbuch Englisch-Deutsch, Mannheim 1990, Stichwort: audit) hat nämlich ihrerseits ebenfalls einen Bedeutungswandel erfahren. „Audit“ wird nicht mehr nur in einem engeren Sinn rein aus betriebswirtschaftlicher Sicht verstanden (vgl. GABLER, Fremdwörterbuch Wirtschaft, Wiesbaden, 1998, Stichwort: audit; Vahlen, Großes Controlling Lexikon, München 1993, Stichwort: AuditingàInterne Revision). Der Begriff ist inzwischen abstrahierend auch die Bezeichnung für einen "Systematischen, unabhängigen und dokumentierten Prozess zur Erlangung von Nachweisen und zu deren objektiver Auswertung, um festzustellen, inwieweit Auditkriterien erfüllt sind" (vgl. ISO 9000:2000). Neben dem internen Audit (sog. interner Prüfung) gibt es auch das externe Audit durch ein neutrales Institut (DGQ, Managementsysteme – Begriffe, 9. Aufl., Stichwort: audit). Bei Bestehen der Prüfung erhält das Unternehmen ein Zertifikat, welches am Ende des Auditierungsprozesses steht (s. sogleich unter (2); DUDEN Wirtschaft, 4. Aufl., Stichwort: Audit). Thematisch existieren Financial Audits, Marketing Audits oder Öko-Audits (vgl. Lexikon der Betriebswirtschaft, Beck-Wirtschaftsberater im dtV, Stichwort: Audit).
Ein solcher Auditierungsprozess wird von Spezialisten verschiedener Fachrichtungen durchgeführt (vgl. z. B. DIN EN ISO 19011, Punkt 7.2.3.3). Dieses disziplinspezifische Wissen können aufgrund ihrer ursprünglichen Ausbildung sowohl Ingenieure, Physiker, Psychologen oder Ärzte in die Auditierung einbringen. Die für die Widerspruchsmarke eingetragenen Dienstleistungen der vorgenannten Berufe umfassen mithin die Eignung zum Auditoren und weisen daher zumindest durchschnittliche Berührungspunkte zur in Klasse 35 für die angegriffene Marke geschützten Dienstleistung „Auditierung“ auf. Ein Widerspruch ergibt sich insoweit nicht zur Entscheidung des Senats vom 28.06.2013 (29 W (pat) 109/12), in der eine – für andere Dienstleistungen geschützte – Widerspruchsmarke des hiesigen Beschwerdeführers verfahrensgegenständlich war.
(2)
Ferner besteht zwischen den „Dienstleistungen eines Ingenieurs, Physikers, Chemikers, Arztes, Psychologen, insbesondere (…) Prüfen, (…), Zertifizieren auf dem Gebiet der Technik, (…)“ der Widerspruchsmarke und der für die Klasse 42 geschützten Dienstleistung der angegriffenen Marke „Zertifizierung von Unternehmen aller Branchen insbesondere Managementsystemen“ eine enge Ähnlichkeit, da diese sich in ihrem Anwendungsbereich überschneiden können.
Mit der auf die Auditierung folgenden Zertifizierung wird die Einhaltung von (Qualität)Standards (amtlich) beglaubigt, bescheinigt bzw. mit einem Zertifikat versehen (vgl. Definition von „zertifizieren“ unter www.duden.de). Bei der im Verzeichnis der angegriffenen Marke in Klasse 42 aufgeführten Dienstleistung „Zertifizierung von Unternehmen aller Branchen“ wird folglich wirtschaftlichen Einheiten jedweder Art die Einhaltung bestimmter Standards bescheinigt. Dies betrifft auch Unternehmen, die auf technischem Gebiet tätig sind. Mitumfasst sind daher auch die für die Widerspruchsmarke geschützten Dienstleistungen eines Ingenieurs, Physikers u. a. zum „Zertifizieren auf dem Gebiet der Technik“, da das angesprochene Publikum davon ausgehen kann, dass die Dienstleistungen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke aus demselben oder ggf. aus wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammten.
b)
Zugunsten des Widersprechenden kann für die Widerspruchsmarke bezüglich der Dienstleistung „Zertifizieren auf dem Gebiet der Technik“ von einer gesteigerten Kennzeichnungskraft ausgegangen werden. Der Zeichenbestandteil „TÜV“, der in der Widerspruchsmarke „TÜV Cert“ enthalten ist, ist im Inland bekannt i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG (vgl. BGH GRUR 2011, 1043 Rn. 43 – TÜV II). Damit ist auch für die Widerspruchsmarke von gesteigerter Kennzeichnungskraft auszugehen, da dem Stammbestandteil einer Markenserie die Kennzeichnungskraft der gesamten Markenfamilie zugerechnet werden kann (BGH MarkenR 2009, 455 Rn. 33 – Kinder III; Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, a. a. O., § 14 Rn. 272). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der angesprochene Verkehr die Zusammengehörigkeit der Zeichen erkennt. Dem angesprochenen Verkehr ist die seit Jahrzehnten erfolgte Verwendung der Bezeichnung „TÜV“ für eine Institution, die u. a. die vorgeschriebenen regelmäßigen technischen Überprüfungen von Kraftfahrzeugen im gesamten Bundesgebiet vornimmt, geläufig. Er erkennt in der Widerspruchsmarke „TÜV Cert“ aufgrund der Bekanntheit des Zeichenbestandteils „TÜV“ auf dem vorgenannten Gebiet der Kfz-Prüfung die Zusammengehörigkeit der Zeichen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Zeichenbestandteil „Cert“ im Sinne von „Certificate, Zertifikat, Zertifizierung“ der für die Widerspruchsmarke geschützten Dienstleistungen der genannten Berufe im Zusammenhang mit dem Prüfen, Überwachen und Zertifizieren auf dem Gebiet der Technik als inhaltliche Ergänzung verstanden werden kann.
c)
Angesprochene Verkehrskreise sind vorliegend Unternehmer und unternehmerische Entscheidungsträger, so dass von einer erhöhten Aufmerksamkeit auszugehen ist. Zwar richten sich die Dienstleistungen der Widerspruchsmarke sowohl an den Endverbraucher als auch an Unternehmer, die Dienstleistungen der angegriffenen Marke werden indes nur von Unternehmern oder Entscheidungsträgern in Unternehmen nachgefragt (vgl. Hacker, a. a. O., § 9 Rn. 239).
d)
Ausgehend von einer durchschnittlichen bis hohen Dienstleistungsähnlichkeit, einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft und einer etwas erhöhten Aufmerksamkeit der Verkehrskreise, sind an den zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr notwendigen Markenabstand hohe Anforderungen zu stellen. Diesen Anforderungen wird die angegriffene Marke nicht gerecht. Es liegt zumindest eine durchschnittliche klangliche Zeichenähnlichkeit vor.
Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich vom jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen auszugehen (BGH, a. a. O. Rn. 13 - BSA/DAS DEUTSCHE SPORTMANAGEMENTAKADEMIE; GRUR 2015, 1004 Rn. 23 - IPS/ISP; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 - pjur/pure). Das schließt es nicht aus, dass unter Umständen ein oder mehrere Bestandteile eines komplexen Zeichens für den durch das Kennzeichen im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufenen Gesamteindruck prägend sein können (EuGH GRUR 2010, 933 Rn. 33 - Barbara Becker/HABM [BARBARA BECKER]; BGH, a. a. O. Rn. 13 – BSA/DAS DEUTSCHE SPORTMANAGEMENTAKADEMIE). Allein auf den dominierenden Bestandteil einer zusammengesetzten Marke kommt es aber nur dann an, wenn alle anderen Markenbestandteile zu vernachlässigen sind (BGH, a. a. O., Rn. 15 – Maalox/Melox-GRY; BGH GRUR 2011, 824 Rn. 23 – Kappa). Einer beschreibenden Angabe kann jedoch kein bestimmender Einfluss auf den Gesamteindruck einer Marke zukommen, da der angesprochene Verkehr beschreibende Angaben nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren oder Dienstleistungen, sondern lediglich als Sachhinweis auffasst (BGH, a. a. O. Rn. 40 – pjur/pure). Dabei ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen (vgl. vgl. EuGH GRUR 2004, 428, Rn. 53 – Henkel KGaA [Henkel]; BGH GRUR 2015, 173 Rn. 16 – for you; Hacker, a. a. O., § 9 Rn. 237).
Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042 Rn. 28 - THOMSON LIFE, BGH, a. a. O. Rn. 13 – BSA/DAS DEUTSCHE SPORTMANAGEMENTAKADEMIE; a. a. O., Rn. 22 – IPS/ISP). Dabei genügt für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Richtung (BGH, a. a. O. Rn. 26 Kappa; GRUR 2008, 719 Rn. 35 – idw Informationsdienst Wissenschaft).
aa)
Die Vergleichszeichen in ihrer Gesamtheit zeigen schriftbildlich, klanglich und begrifflich ausreichende Unterschiede auf.
Die Zeichen „TÜg Zert International“ und „TÜV Cert“ weichen in der Zahl der Wörter, der Länge und der Silbenzahl bei einer Gesamtbetrachtung wesentlich voneinander ab. Auch begrifflich wahren beide Marken den erforderlichen Abstand. Während „TÜV Cert“ allgemein gefasst ist, bezieht sich das Verständnis der angegriffenen Marke „TÜg Zert International“ auf einen speziellen Bereich, nämlich den Internationalen.
bb)
Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr liegt trotzdem vor, weil die angegriffene Marke in klanglicher Hinsicht durch den Zeichenbestandteil „TÜg“ und die Widerspruchsmarke durch den Zeichenbestandteil „TÜV“ geprägt wird, so dass sich die Zeichen „TÜg“ und „TÜV“ gegenüberstehen.
(1)
Die jüngere Marke „TÜg Zert International“ setzt sich zusammen aus „TÜg“, „Zert“ und „International“, die Widerspruchsmarke aus den Zeichenbestandteilen „TÜV“ und „Cert“. Der Bestandteil „International“ der jüngeren Marke ist beschreibend, da er lediglich einen Hinweis auf das geographische Gebiet, in dem die Dienstleistungen erbracht werden sollen oder in dem das Unternehmen tätig ist, darstellt (vgl. BGH, a. a. O. Rn. 46 – IPS/ISP). Ob es sich einerseits bei dem Zeichenbestandteil „Zert“ der jüngeren Marke um eine beschreibende Kurzform für „Zertifikat“ handelt und andererseits der Bestandteil „Cert“ der Widerspruchsmarke eine dem Verkehr verständliche Abkürzung für Zertifizierung ist und somit einen Teil der beanspruchten Dienstleistungen beschreibt, also beide Bestandteile als beschreibende Angaben ggf. für den jeweiligen Gesamteindruck der Marken zu vernachlässigen wären, kann als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben. Denn eine die Verwechslungsgefahr begründende klangliche Markenähnlichkeit liegt aus den nachfolgend darzustellenden Gründen vor, wenn sich die Bestandteile „TÜg“ und „TÜV“ allein kollisionsbegründend gegenüberstehen und mithin erst recht, sofern von einer Mitprägung der Bestandteile „Zert“ bzw. „Cert“ auszugehen ist.
(2)
Die jeweils aus drei Buchstaben bestehenden Bestandteile „TÜg“ der jüngeren Marke und „TÜV“ der Widerspruchsmarke stimmen in den ersten zwei Buchstaben „TÜ“ und damit – auch unter Berücksichtigung des Kurzwortcharakters – am stärker beachteten Wortanfang vollständig überein. Sie sind beide einsilbig, verfügen an gleicher Stelle über den einzigen, identischen Vokal „Ü“ und die gleiche Abfolge von Konsonant, Vokal und Konsonant. Sie haben zudem einen identischen Betonungs- und Sprechrhythmus, weil beide am Anfang betont werden. Sie unterscheiden sich ausschließlich in ihren Endkonsonanten „g“ und „V“.
In der Regel werden Kurzwörter (Buchstabenwörter) wie alle anderen Wörter ausgesprochen (vgl. Donalis, grammis 2.0, FAZ sprich „ef-a-zett“ oder „faz? – Aussprache von Kurzwörtern). Zu beachten ist die Besonderheit, dass Kurzwörter mit ihrem Lautwert der einzelnen Buchstaben gesprochen werden, wenn sie Vokale enthalten und damit Silben bilden, die für die Zungen des Sprechenden angenehmen sind. Kurzwörter, bei denen die Buchstaben mit ihrem alphabetischen Buchstabennamen gesprochen werden, bestehen ausschließlich aus Konsonanten (BMW, VW, ZDF) oder sind nicht ohne Schwierigkeiten auszusprechen (ABM; AKW). Eine feste Regel existiert allerdings nicht (Tendenz für Lautwert, Metzler Lexikon Sprache, 4. Aufl., Stichwort: Kurzwort). Vorliegend enthalten beide Zeichen einen Vokal und bilden mit den Konsonanten ein angenehm auszusprechendes Kurzwort. Für eine Aussprache mit dem Lautwert spricht ferner, dass es sich bei dem Zeichenbestandteil „TÜV“ der Widerspruchsmarke um eine bekannte Marke handelt, die nach ihrem Lautwert ausgesprochen wird. Der angesprochene Verkehr wird deshalb beide Zeichen entsprechend artikulieren. Die angegriffene Marke wird „tüg“ (tYg)“, die Widerspruchsmarke „tüf (tYf)“ ausgesprochen.
In klanglicher Hinsicht ist die Vokalfolge für die Frage der Übereinstimmung des klanglichen Gesamteindrucks von Kollisionszeichens regelmäßig von besonderer Bedeutung (BGH, a. a. O. Rn. 43 – IPS/ISP). Beide Zeichen enthalten den Vokal „ü“. Bedeutsam ist vorliegend insbesondere, dass neben dem übereinstimmenden Vokal die Anzahl der Konsonanten auch der erste Konsonant identisch ist „T“. Denn für den angesprochenen Verkehr, der die jeweiligen Bezeichnungen regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleichen kann, fallen die übereinstimmenden Merkmale in einem undeutlichen Erinnerungseindruck stärker ins Gewicht als die Unterschiede (BGH, a. a. O. Rn. 23 – IPS/ISP; GRUR 2001, 158, 160 – Drei-Streifen-Kennzeichnung; BPatG, Beschluss vom 01.10.2003, 29 W (pat) 35/01). Schließlich stehen die beiden klangschwachen Konsonanten „g“ und „V“ am Wortende und werden als sogenannte Augenblickslaute oft nur undeutlich wahrgenommen und können leicht überhört oder missverstanden werden. Das Klangbild wird daher durch die beiden ersten, übereinstimmenden Laute „TÜ“ bestimmt.
(3)
In dem Fall, dass den jeweiligen Zeichenbestandteilen „Zert“ und „Cert“ eine mitprägende Stellung zukommt, ist die Übereinstimmung der zu vergleichenden Zeichen noch größer, weil sie sich dann klanglich nur in einem einzigen – mittleren – Buchstaben unterscheiden.
Die beiden Zeichen weisen jeweils einen weiteren Wortbestandteil auf, nämlich „Zert“ in der jüngeren Marke und „Cert“ in der Widerspruchsmarke. Der Unterschied im Anfangsbuchstaben ist im Rahmen der Prüfung der klanglichen Verwechslungsgefahr zu vernachlässigen. Der Buchstabe „z“ in der angegriffenen Marke wird für sich wie [t͜s], in Verbindung mit dem Vokal „e“ wie [tse] ausgesprochen. Die Widerspruchsmarke wird entweder insgesamt in Deutsch oder in Kombination Deutsch/Englisch ausgesprochen werden. Beides ist vorliegend gleich naheliegend. Letztere Kombination ist deshalb naheliegend, weil der angesprochene Verkehr, der über weitgehende und vertiefte Englischkenntnisse verfügt, in dem Zeichenbestandteil „Cert“ die Abkürzung für den englischen Begriff „certificate“ im Sinne von „Zertifikat“ erkennen kann (vgl. DUDEN, Das Wörterbuch der Abkürzungen, 6. Aufl., Stichwort: Cert.) und damit an einen englischen Begriff erinnert wird und ihn dementsprechend ausspricht.
Die angegriffene Marke wird demnach „tüg tsert (tYg ʦɛrt)“ ausgesprochen. Die Widerspruchsmarke wird entweder „tüf sört (tYf s3:t)“ oder in Deutsch „tüf tsert (tYf ʦɛrt)“ ausgesprochen.
Neben der identischen Vokalfolge (ü-e) stimmt auch die überwiegende Anzahl an Konsonanten überein (T-g-z-r-t zu T-v-c-r–t). Der angesprochene Verkehr wird die Vielzahl der klanglichen Übereinstimmungen verstärkt wahrnehmen und einen etwaigen Unterschied überhören.
2.
Ob die angegriffene Marke ferner wegen der Gefahr ungerechtfertigter Ausnutzung der Wertschätzung der bekannten Marke „TÜV Cert“ zu löschen (§§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG), braucht nicht mehr entschieden zu werden.
3.
Zur Auferlegung von Kosten aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG bestand kein Anlass.