Entscheidungsdatum: 21.05.2014
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2009 011 622
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts im schriftlichen Verfahren am 21. Mai 2014 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Dr. Mittenberger-Huber, der Richterin Uhlmann und der Richterin kraft Auftrags Akintche
beschlossen:
1. Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Beschwerdegegnerin, der Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.
3. Der Gegenstandswert wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
I.
Die Wortmarke
Advotipp
ist am 26. Februar 2009 angemeldet und am 11. August 2009 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für folgende Dienstleistungen der
Klasse 35: Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten;
Klasse 36: Versicherungswesen; Finanzwesen; Geldgeschäfte; Immobilienwesen;
Klasse 45: juristische Dienstleistungen; Sicherheitsdienste zum Schutz von Sachwerten oder Personen; von Dritten erbrachte persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse.
Gegen die Eintragung, die am 11. September 2009 veröffentlicht wurde, hat die Inhaberin der älteren Wortmarke
Advo
die mit Benennung der Europäischen Gemeinschaft als IR-Marke am 16. März 2005 unter der Nummer IR 868 405 registriert wurde, Widerspruch eingelegt. Das Verzeichnis der Widerspruchsmarke lautet:
Klasse 09: Software; recorded CDs, MCs and phonograph records; encoded cards, magnetic cards and chip cards;
[Software; bespielte CDs, MCs und Schallplatten; Codekarten, Magnetkarten und Chipkarten;]
Klasse 16: Printed matter; customer cards of plastic;
[Druckereierzeugnisse; Kundenkarten aus Kunststoff;]
Klasse 35: Creating and operating data bases;
[Errichten und Betreiben einer Datenbank;]
Klasse 36: Insurance; insurance brokerage; financial affairs; credit card services;
[Versicherungswesen; Vermittlung von Versicherungen; Finanzwesen; Kreditkartendienstleistungen;]
Klasse 38: News agency services;
[Dienstleistungen von Presseagenturen;]
Klasse 42: Legal consultancy.
[rechtliche Beratung.]
Die Markenstelle für Klasse 35 des DPMA hat mit zwei Beschlüssen vom 18. Juli 2011 und 19. März 2012, von denen letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, eine Verwechslungsgefahr zwischen den beiden Marken verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Die sich gegenüberstehenden Dienstleistungen seien zum Teil identisch, zum Teil lägen die Dienstleistungen der angegriffenen Marke im Ähnlichkeitsbereich zu den Widerspruchsdienstleistungen. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei für rechtsberatende Dienstleistungen leicht geschwächt, da die deutschen Verkehrskreise hierin einen beschreibenden Hinweis auf Beratung durch einen „Advokaten“, einen veralteten Ausdruck für einen Rechtsanwalt, sehen könnten. Im Übrigen sei jedoch von durchschnittlicher Kennzeichnungskraft auszugehen. Bei dieser Sachlage halte die angegriffene Marke den erforderlichen Abstand zur Widerspruchsmarke ein. Klanglich kämen sich die Marken durch die zusätzliche dritte Silbe „-tipp“ der angegriffenen Marke, die abweichende Vokalfolge und den unterschiedlichen Sprach- und Betonungsrhythmus nicht nahe. Gleiches gelte für den schriftbildlichen Vergleich. Zudem erhalte die angegriffene Marke durch den zusätzlichen Wortbestandteil „-tipp“ einen anderen Wortsinn, so dass auch eine begriffliche Ähnlichkeit nicht vorliege. Dem Bestandteil „advo“ in der jüngeren Marke komme auch keine prägende Bedeutung zu. Zum einen neige der Verkehr nicht zu einer zergliedernden Betrachtungsweise, sondern nehme ein Zeichen so wahr wie es ihm entgegentrete. Zum anderen stelle sich der weitere Begriff „-tipp“ für das Publikum nicht als beschreibend dar. Denn im Bereich der Rechtsberatung erscheine „Tipp“ nicht als gebräuchlicher Ausdruck, weil hier gewöhnlich von anwaltlichem „Rat“ gesprochen werde. Mithin habe das angesprochene Publikum keine Veranlassung, die jüngere Marke zu zergliedern und sich allein an dem Bestandteil „advo“ zu orientieren, dies gelte umso mehr als es sich bei „advotipp“ um einen eigenständigen Begriff handle. Ebenso wenig komme dem Bestandteil aus diesem Grund eine selbständig kennzeichnende Stellung zu. Auch Anhaltspunkte für eine Verwechslungsgefahr durch gedankliches in Verbindung bringen lägen nicht vor.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden und Beschwerdeführerin.
Sie ist der Auffassung, die sich gegenüberstehenden Dienstleistungen seien identisch oder ähnlich. Der Widerspruchsmarke sei insgesamt eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zuzubilligen. Selbst wenn sich „Advo“ tatsächlich an den Begriff „Advokat“ anlehne und damit eine sprechende Bedeutung erlange, bedeute dies nicht automatisch, dass der Schutzumfang dadurch gemindert sei; vielmehr wiesen auch sprechende Marken einen durchschnittlichen Kennzeichnungsgehalt auf. In Bezug auf die Dienstleistungen „Versicherungswesen“ sei die Kennzeichnungskraft sogar überdurchschnittlich angesichts der hohen Bekanntheit der seit 1968 existierenden Widersprechenden und ihrer Hauptmarken „ADVOCARD“ und „ADVO“ in Deutschland, nicht zuletzt durch den Slogan „ADVOCARD IST ANWALTS LIEBLING“. Den zum Ausschluss einer Verwechslungsgefahr erforderlichen deutlichen Abstand zur Widerspruchsmarke halte die angegriffene Marke nicht ein. Die Inhaberin der angegriffenen Marke kombiniere lediglich den mindestens durchschnittlich kennzeichnungskräftigen Bestandteil „Advo“ mit dem glatt beschreibenden Bestandteil „tipp“. Das Argument der Markenstelle, besonders im Bereich der Rechtsberatung erscheine „Tipp“ nicht als gebräuchlicher Begriff, überzeuge nicht. Die anwaltliche Beratungstätigkeit beschränke sich nicht nur darauf, umfänglichen Rechtsrat zu geben, sondern häufig würden von einem Anwalt auch schnelle praktische Tipps erwartet. Der in der angegriffenen Marke enthaltene Einzelbestandteil „Advo“ behalte daher seine selbständig kennzeichnende Stellung, weil er dort am Anfang stehe und „tipp“ als kennzeichenloses bzw. kennzeichenschwaches Element zurücktrete. Da zudem das jüngere Zeichen nicht „Anwaltstipp“ laute, sondern „advotipp“, könne auch nicht von einem einheitlichen Begriffsinhalt ausgegangen werden. Angesichts hochgradiger Zeichenähnlichkeit und Identität bzw. Ähnlichkeit der Dienstleistungen bestehe daher die Gefahr von Verwechslungen.
Die Beschwerdeführerin beantragt daher sinngemäß,
die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 35 vom 18. Juli 2011 und 19. März 2012 aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke und Beschwerdegegnerin beantragt sinngemäß
1. die Beschwerde zurückzuweisen,
2. der Beschwerdeführerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen,
3. die Festsetzung des Streitwerts.
Sie ist der Auffassung, dass eine Verwechslungsgefahr nicht bestehe. Für einen Teil der angegriffenen Dienstleistungen sei schon keine Ähnlichkeit zu den Widerspruchswaren und -dienstleistungen festzustellen. Zudem besitze die Widerspruchsmarke im Umfang der Dienstleistungen, die von einem Rechtsanwalt erbracht werden können, nur eine unterdurchschnittliche Kennzeichnungskraft, weil der Begriff „Advokat“, an den sich die ältere Marke anlehne, wieder in den üblichen Sprachgebrauch eingegangen sei. Aufgrund der Verbindung von „advo“ mit dem nachgestellten Wort „tipp“ entstehe auf Seiten der angegriffenen Marke ein einheitlicher Begriff, so dass dem Element „advo“ keine prägende Stellung beizumessen sei. Ein Anspruch auf Löschung der jüngeren Marke bestehe daher nicht. Andernfalls bedeute dies, dass sämtliche Marken, welche den Begriff „advo“ – sei es am Wortanfang, am -ende oder in der Wortmitte – beinhalteten, für andere zur Nutzung seitens der Widersprechenden gesperrt werden könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Senat teilt die Auffassung der Markenstelle, dass zwischen den sich gegenüberstehenden Marken keine Verwechslungsgefahr im Sinne von §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.
1. Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (EuGH, GRUR 2010, 1098, 1099, Rdnr. 44 – Calvin Klein/ HABM; GRUR 2010, 933, 934, Rdnr. 32 – Barbara Becker; GRUR 2006, 237, 238 – PICARO/PICASSO; BGH, GRUR 2012, 1040, 1042, Rdnr. 25 – pjur/pure; GRUR 2010, 235 Rdnr. 15 – AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, 486 Rdnr. 23 – METROBUS; GRUR 2008, 905, 906, Rdnr. 12 – Pantohexal; GRUR 2008, 258, 260 Rdnr. 20 – INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2006, 859, 860 Rdnr. 16 – Malteserkreuz I; GRUR 2006, 60, 61 Rdnr. 12 – coccodrillo m.w.N.). Allerdings kann eine absolute Waren-/Dienstleistungsunähnlichkeit selbst bei Identität der Zeichen nicht durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke ausgeglichen werden (st. Rspr.; vgl. EuGH, GRUR Int. 2009, 911 Rdnr. 34 - Waterford Wedgwood/HABM [WATERFORD STELLENBOSCH]; BGH, GRUR 2014, 488, Rdnr. 9 – DESPERADOS/DESPERADO; GRUR 2012, 1145 Rn. 34 – Pelikan; GRUR 2009, 484 Rn. 25 - METROBUS).
a) Ausgehend von der hier maßgeblichen Registerlage besteht zwischen den zu vergleichenden Dienstleistungen überwiegend Identität und teilweise Ähnlichkeit. Ein Teil der angegriffenen Dienstleistungen liegt dagegen außerhalb des Ähnlichkeitsbereichs zu den Widerspruchsdienstleistungen und -waren.
Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen. Hierzu gehören insbesondere die Art der Waren und Dienstleistungen, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen. In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie beim Vertrieb Berührungspunkte aufweisen (EuGH, GRUR 1998, 922 Rdnr. 15 – Canon; BGH, a.a.O. – DESPERADOS/DESPERADO). Zu den Faktoren, die das Verhältnis zwischen Dienstleistungen kennzeichnen, gehören insbesondere Art und Zweck der Dienstleistung, das heißt der Nutzen für den Empfänger und die Vorstellung des Verkehrs, dass die Dienstleistungen unter der gleichen Verantwortung erbracht werden.
aa) Die Dienstleistungen der angegriffenen Marke „Versicherungswesen“ sind identisch zu den Widerspruchsdienstleistungen „Insurance“ (= Versicherungswesen) und „insurance brokerage“ (= Vermittlung von Versicherungen). Identität besteht zudem zwischen den Dienstleistungen „Finanzwesen“ der angegriffenen Marke und den Widerspruchsdienstleistungen „financial affairs“ (= Finanzwesen). Die von der angegriffenen Marke beanspruchten Dienstleistungen „Geldgeschäfte“ umfassen als Oberbegriff die „credit card services“ (= Kreditkartendienstleistungen), so dass auch insoweit Identität vorliegt.
Wegen der engen Verzahnung weist die für die angegriffene Marke eingetragene Dienstleistung „Immobilienwesen“ eine hohe Ähnlichkeit zu den Widerspruchsdienstleistungen „financial affairs“ auf. Denn Banken bieten nicht nur Immobilienfinanzierungen und Immobilienfonds an, sondern bewerben in ihren Geschäftsstellen häufig auch die von ihnen finanzierten Neubauvorhaben ebenso wie Gebrauchtimmobilien (vgl. Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 16. Auflage, S. 342 und S. 339: BPatG, Beschluss vom 29.07.2008, 25 W (pat) 17/06; Beschluss vom 20.02.2006, 33 W (pat) 26/04; Beschluss vom 28.09.2004, 33 W (pat) 56/03).
Identität liegt ferner zwischen den „juristischen Dienstleistungen“ der angegriffenen Marke und „Legal consultancy“ (= Rechtsberatung) der Widerspruchsmarke vor.
Zwischen den „von Dritten erbrachte persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“ und der „Legal consultancy“ besteht als einander ergänzende Leistungen noch eine Ähnlichkeit, weil es hier z.B. bei Bestattungsdiensten, im Bereich der Mediation und Eheberatung oder den Betreuungsdienstleistungen zu Überschneidungen mit Rechtsberatung kommen kann.
Zwischen der Dienstleistung der angegriffenen Marke „Geschäftsführung“ ist ohne weiteres eine Ähnlichkeit zu „Legal consultancy“ anzunehmen, weil die Geschäftsführung in der Vorstellung des angesprochenen Publikums auch die Wahrnehmung rechtlicher Interessen umfasst (BPatG, Beschluss vom 21.01.2004, 29 W (pat) 229/02). Hinsichtlich der „Unternehmensverwaltung“ ist noch von entfernter Ähnlichkeit zu „financial affairs“ auszugehen, da die Prüfung, Verwaltung und Organisation der Firmenfinanzen ein wesentlicher Bestandteil der Verwaltung von Firmen und Unternehmen sein kann (BPatG, Beschluss vom 29.07.2008, 25 W (pat) 17/06).
bb) Im Übrigen ist allerdings mangels relevanter Berührungspunkte eine Waren-/Dienstleistungsähnlichkeit nicht festzustellen. In diesem Umfang muss der Widerspruch und mithin die Beschwerde schon aus diesem Grund erfolglos bleiben.
So ist eine Ähnlichkeit der „Sicherheitsdienste zum Schutz von Sachwerten oder Personen“ der angegriffenen Marke zu den geschützten Waren und Dienstleistungen der Widerspruchsmarke nicht zu erkennen. Dies gilt auch in Bezug auf die Dienstleistungen „Büroarbeiten“ der angegriffenen Marke.
Was die von der angegriffenen Marke beanspruchte Dienstleistung „Werbung“ betrifft, ist ebenfalls keine Ähnlichkeit zu den geschützten Waren und Dienstleistungen der Widerspruchsmarke gegeben (vgl. BPatG, Beschluss vom 08.03.2006, 29 W (pat) 25/04: keine Ähnlichkeit zwischen „Werbung“ einerseits und „Software; bespielte CDs, MCs und Schallplatten; Codekarten, Magnetkarten und Chipkarten; Druckereierzeugnisse; Kundenkarten aus Kunststoff; Versicherungswesen; Vermittlung von Versicherungen; Finanzwesen; Ausgabe von Kreditkarten; Sammeln und Liefern von Nachrichten, Errichten und Betreiben einer Datenbank; rechtliche Beratung“ andererseits; vgl. auch BPatG, Beschluss vom 29.03.2011, 26 W (pat) 20/10 für „Werbung“ zu „Druckereierzeugnisse“). In Bezug auf die Dienstleistungen „insurance brokerage“ ist zwar zu berücksichtigen, dass die Vermittlung solcher Verträge auch die Werbung/Anpreisung dieser Verträge dem Kunden gegenüber bzw. das Verteilen von Werbe-/Informationsmaterial für die einzelnen Produkte einschließt. Dies sieht der Verkehr in aller Regel jedoch nicht als Erbringung der (eigenständigen) Dienstleistung „Werbung“ für einen Dritten an, sondern eher als Hilfsmittel für die eigene Vermittlungsdienstleistung (vgl. BPatG, Beschluss vom 15.04.2004, 25 W (pat) 253/02); dies gilt gleichermaßen für die Widerspruchsdienstleistungen „Insurance; financial affairs; credit card services“.
Soweit die Beschwerdeführerin auf drei Entscheidungen hinweist, in denen zwischen den Waren „printed matter/Druckereierzeugnisse“ und der Dienstleistung „Werbung“ noch eine Ähnlichkeit angenommen wird, kann insoweit die Frage nach einer Waren/Dienstleistungsähnlichkeit letztlich dahingestellt bleiben, weil vorliegend selbst im Bereich der identischen Dienstleistungen eine Verwechslungsgefahr nicht zu besorgen ist.
b) Der Widerspruchsmarke „Advo“ kann nicht durchgehend eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zugebilligt werden. In Bezug auf die Dienstleistungen, die von einem Anwalt erbracht werden können, ist die Kennzeichnungskraft geschwächt. Zwar ist „Advo“ keine lexikalisch erfasste Abkürzung für den Begriff „Advokat“, der Begriffsanklang an „Advokat“ ist jedoch deutlich erkennbar. „Advokat“ bezeichnet bildungssprachlich einen (Rechts)Anwalt (vgl. DUDEN unter www.duden.de). Die den Parteien vorab übersandte Recherche des Senats hat ergeben (Bl. 30/31 d. A.), dass der Begriff „Advokat“ mittlerweile wieder vielfach als Synonym für „Anwalt/Rechtsanwalt“ allgemein Verwendung findet (anders noch BPatG, Beschluss vom 08.03.2006, 29 W (pat) 25/04 - adv§katphone./.Advophone). Es handelt sich damit bei „Advokat“ um einen beschreibenden Hinweis auf den Dienstleistungserbringer. Bei der Verkürzung des Sachbegriffs Advokat auf „Advo“ bleibt der Bedeutungsgehalt ohne weiteres erkennbar, im Übrigen deutlich klarer als in Bezug auf die lexikalisch erfasste, mehrdeutige Abkürzung „Adv.“. Das Markenwort „Advo“ besitzt daher beschreibende Anklänge für rechtsberatende Dienstleistungen im weitesten Sinne (so schon BPatG, Beschluss vom 30.05.2006, 24 W (pat) 239/04 - advoContact./.ADVOcontract; Beschluss vom 28.07.2004, 32 W (pat) 356/02 - ADVOBOX./.Advofax). Bei einer – wie im streitgegenständlichen Fall - für die angesprochenen Verkehrskreise erkennbar engen Anlehnung eines Markenworts an einen beschreibenden Begriff verfügt das Zeichen aber regelmäßig nur über unterdurchschnittliche Kennzeichnungskraft (vgl. BGH, GRUR 2008, 905, 907 Rdnr. 16 – Pantohexal).
Eine Steigerung der Kennzeichnungskraft in Bezug auf die Dienstleistungen „Versicherungswesen“ kommt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht in Betracht. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Marke „ADVOCARD“ und der Slogan „ADVOCARD IST ANWALTS LIEBLING“ der seit 1968 existierenden Widersprechenden - die im Übrigen aber erst 1990 in „Advocard Rechtsschutzversicherung AG“ umfirmiert hat – bekannt sind. Denn selbst eine solche Bekanntheit unterstellt, ließe dies keine Rückschlüsse auf eine Bekanntheit der Marke „Advo“ bzw. nur des Markenelements „Advo-„ aus dem zusammengesetzten Zeichen „Advocard“ bei den beteiligten Verkehrskreisen zu. Für die Annahme einer erhöhten Kennzeichnungskraft durch eine gesteigerte Verkehrsbekanntheit bedarf es hinreichend konkreter Angaben zum Marktanteil, zu Intensität, geografischer Verbreitung und Dauer der Benutzung der Marke, zum Werbeaufwand des Unternehmens inklusive Investitionsumfangs zur Förderung der Marke sowie ggf. zu demoskopischen Befragungen zwecks Ermittlung des Anteils der beteiligten Verkehrskreise, die die Waren oder Dienstleistungen auf Grund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennen (vgl. BGH, GRUR 2008, 903, 904, Rdnr. 13 – SIERRA ANTIGUO). Daran fehlt es in Bezug auf die hier relevante Widerspruchsmarke „Advo“.
c) Hinsichtlich der identischen bzw. ähnlichen Dienstleistungen der Klassen 36 und 42 bzw. 45 sind angesprochene Verkehrskreise die Allgemeinheit der Verbraucher wie auch die beteiligten Fachverkehrskreise. Insoweit ist von einer zumindest normalen Aufmerksamkeit des Publikums auszugehen. Die im Ähnlichkeitsbereich liegenden Dienstleistungen der Klasse 35 richten sich an ein unternehmerisch tätiges Fachpublikum, so dass hier ein erhöhter Aufmerksamkeitsgrad anzusetzen ist.
d) Bei dieser Ausgangslage hat die angegriffene Marke zum sicheren Ausschluss einer markenrechtlich relevanten Verwechslungsgefahr einen recht deutlichen Abstand zur Widerspruchsmarke einzuhalten; im Bereich der noch ähnlichen Dienstleistungen sind keine zu strengen Anforderungen an den Markenabstand zu stellen. Den jeweiligen Anforderungen wird die jüngere Marke gerecht.
Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente (BGH, GRUR 2013, 833, 835, Rdnr. 30 – Culinaria/ Villa Culinaria; GRUR 2012, 1040, 1042, Rdnr. 25 – pjur/pure; GRUR 2008, 909, Rdnr. 13 – Pantogast; GRUR 2008, 905, Rdnr. 12 – Pantohexal), wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u.a. EuGH, GRUR 2004, 428, 431, Rdnr. 53 – Henkel; BGH, GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch; MarkenR 2000, 420, 421 – RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).
Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, (Schrift-)Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. EuGH, GRUR 2006, 413, 414, Rdnr. 19 - ZIRH/SIR; GRUR 2005, 1042, 1044, Rdnr. 28 - THOMSON LIFE; BGH, GRUR 2010, 235, Rdnr. 15 - AIDA/AIDU; GRUR 2009, 484, 487, Rdnr. 32 – METROBUS). Dabei kann für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Hinsicht genügen (vgl. BGH, a.a.O., Rdnr. 18 - AIDA/AIDU).
Wenn – wie im vorliegenden Fall - die angegriffene Marke das Wortelement der Widerspruchsmarke identisch übernimmt und mit weiteren Silben kombiniert, führt dies nicht automatisch zur Bejahung einer Verwechslungsgefahr. Bei dem vorzunehmenden Zeichenvergleich ist nämlich stets von der eingetragenen Form der Marke und von dem durch diese Form vermittelten Gesamteindruck auszugehen. Grundsätzlich ist es daher unzulässig, aus den einander gegenüberstehenden Marken ein Element herauszugreifen und allein auf dieser Grundlage eine Verwechslungsgefahr anzunehmen (st. Rspr. EuGH, a.a.O. Rdnr. 29 - THOMSON LIFE; BGH, GRUR 2009, 1055, 1057, Rdnr. 30 – air-dsl; GRUR 2008, 903, Rdnr. 34 – SIERRA ANTIGUO; Hacker in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Auflage, Rdnr. 326). Dies würde von dem Grundsatz, dass ein Elementschutz dem Markenrecht fremd ist, abweichen. Ausnahmsweise jedoch kann ein einzelner Markenbestandteil eine selbstständig kollisionsbegründende Bedeutung haben, wenn er den Gesamteindruck einer mehrgliedrigen Marke prägt oder eine selbstständig kennzeichnende Stellung einnimmt und die übrigen Markenteile für den Verkehr in einer Weise zurücktreten, dass sie für den Gesamteindruck vernachlässigt werden können (EuGH, GRUR Int. 2004, 843, Rdnr. 32 - Matratzen; a.a.O. - THOMSON LIFE; GRUR 2010, 1098 - CK CREACIONES KENNYA/CK Calvin Klein; BGH, GRUR 2008, 903, Rdnr. 18 - SIERRA ANTIGUO; GRUR 2007, 1071, Rdnr. 35 - Kinder II). Im Gegensatz zur früher vorherrschenden Meinung verlangt die Feststellung einer Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt der Prägung des Gesamteindrucks einer Marke durch einen ihrer Bestandteile nicht (mehr) zwingend, dass es sich bei der betreffenden Marke um eine mehrgliedrige Marke handelt. Vielmehr kann der Verkehr auch bei einem zu einem Wort zusammengesetzten Zeichen einem einzelnen Wortbestandteil eine allein prägende Stellung zumessen (vgl. BGH GRUR 2008, 905, 907, Rdnr. 26 – Pantohexal; GRUR 2008, 909, 910, Rdnr. 27 – Pantogast; BPatG, Beschluss vom 09.01.2012, 25 W (pat) 1/11 – Netzorange ./.Orange; Beschluss vom 28.10.2010, 25 W (pat) 78/09 – Sunspice./.Sun; differenziert hierzu BPatG, Beschluss vom 02.07.2013, 33 W (pat) 30/11 – GIRODIAMANT./.DIAMANT; Beschluss vom 01.03.2012, 33 W (pat) 21/10 – Fotoprinz./.Prinz).
Dem Bestandteil „advo“ in der angegriffenen Marke ist – worauf die Markenstelle zutreffend hingewiesen hat – keine prägende Stellung in diesem Sinne beizumessen. Die Verkehrskreise haben keine Veranlassung, sich ausschließlich an dem Wort „advo“ zu orientieren und das nachgestellte Wort „tipp“ zu vernachlässigen. Mag es sich auch bei „tipp“ hinsichtlich der hier relevanten Dienstleistungen jeweils um eine beschreibende Angabe und damit um einen nicht schutzfähigen Bestandteil handeln, so kann er trotzdem nicht weggelassen werden. Allein der Umstand, dass sich das angegriffene Zeichen zusammensetzt aus einem schutzunfähigen Teil und einem schwach kennzeichnungskräftigen Teil, führt nämlich nicht zur Annahme einer Prägung des Zeichens durch den kennzeichnungskräftigeren der Bestandteile einer Marke. Aus der oben dargestellten Rechtsprechung zu Ausnahmefällen kann nicht hergeleitet werden, dass es für die Beurteilung, ob Verwechslungsgefahr besteht, zwangsläufig nur auf den kennzeichnungskräftigen Bestandteil einer aus einem beschreibenden Bestandteil und einem kennzeichnungskräftigen Bestandteil zusammengesetzten Marke ankommt (vgl. zuletzt EuGH, GRUR Int. 2014, 459; Rdnr. 44 – Industrias Alen/ The Clorox Company [CLORALEX]).
Vielmehr entsteht durch die Zusammenfassung der Bestandteile „advo“ und „tipp“ in ein Wort eine Klammerwirkung, die zu einem einheitlichen Wort mit dem deutlich erkennbaren Begriffsanklang im Sinne von „Anwaltstipp“ führt; „Anwaltstipp“ ist - was die den Parteien vorab übersandten Verwendungsbeispiele belegen - als eigenständiger Begriff vielfach in Gebrauch. Auch bei der jüngeren Marke handelt es sich damit um eine Aussage mit einem eigenständigen erkennbaren Sinnanklang. Diese wird der Verkehr nur insgesamt wiedergeben, so dass der Bestandteil „advo“ den Gesamteindruck der jüngeren Marke nicht prägt.
Stehen sich demnach für den Markenvergleich „advotipp“ und „Advo“ gegenüber, so wird das Publikum das eine Zeichen nicht für das andere halten, vielmehr wird es die Unterschiede der Marken erkennen. Die Marken unterscheiden sich nämlich wegen des zusätzlichen Markenteils „-tipp“ sowohl klanglich als auch schriftbildlich ausreichend deutlich voneinander. Zwar stimmen die Vergleichsmarken am erfahrungsgemäß stärker beachteten Wortbeginn in „Advo“ überein. In klanglicher Hinsicht ergibt sich aber eine andere Silbenzahl, eine andere Vokalfolge sowie ein anderer Sprech- und Betonungsrhythmus. In schriftbildlicher Hinsicht sind die Unterschiede bei der Wortlänge ebenfalls ausreichend. Das zusätzliche Wort „tipp“ wird daher weder überhört noch überlesen; in begrifflicher Hinsicht stehen sich unterschiedliche Bedeutungen gegenüber, nämlich einerseits der Anklang an „(Rechts)Anwalt“ andererseits der Anklang an „Anwaltstipp“.
Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr ist daher nicht zu bejahen.
Eine Verwechslungsgefahr aufgrund gedanklichen Inverbindungbringens im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2, 2. HS MarkenG ist ebenfalls nicht gegeben.
Das angesprochene Publikum nimmt den Bestandteil „advo“ in dem jüngeren Zeichen nicht als selbständig kennzeichnend wahr. Von einer selbständig kennzeichnenden Stellung kann nämlich nicht ausgegangen werden, wenn der betreffende Bestandteil der älteren Marke in das jüngere Kombinationszeichen integriert ist und dort - wie im vorliegenden Fall - zu einem eigenständigen Begriff führt (vgl. BPatG, Beschluss vom 02.07.2013, 33 W (pat) 30/11 - GIRODIAMANT./.Diamant). Schließlich handelt es sich weder bei der Widerspruchsmarke um das bekannte Firmenschlagwort der Widersprechenden noch ist der Widerspruchsmarke in der jüngeren Marke eine Firmenbezeichnung hinzugefügt worden, so dass auch insoweit keine selbständig kennzeichnende Stellung und damit keine Markenursurpation oder Verwechslungsgefahr im weiteren Sinn in Betracht kommt.
Anhaltspunkte für andere Arten der Verwechslungsgefahr sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, sie habe erfolgreich Widersprüche gegen die Marken advoplus, advo company und AdvoFinance erhoben, was zeige, dass das Zeichen „Advo“ kennzeichnungskräftig sei, lässt sich damit eine Verwechslungsgefahr nicht begründen. Zum einen wird der Widerspruchsmarke die Schutzfähigkeit nicht abgesprochen. Zum anderen sind die genannten Fälle nicht vergleichbar. Denn anders als im vorliegenden Fall vermögen die jeweils angegriffenen Zeichen – wegen der konkreten Ausgestaltung und/oder des hinzugefügten Wortes - keine gesamtbegriffliche Einheit zu vermitteln.
2. Der Antrag des Inhabers der angegriffenen Marke, der Beschwerdeführerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, ist nicht begründet.
Auszugehen ist von dem Grundsatz, dass jeder Verfahrensbeteiligte seine Kosten selbst trägt, § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG. Eine Abweichung von diesem Grundsatz kommt nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG nur dann in Betracht, wenn dies der Billigkeit entspricht. Das Gesetz knüpft damit die Kostenerstattung nicht generell an den Ausgang des Verfahrens an, sondern sieht eine solche nur in den Fällen vor, in denen die Anwendung des Grundsatzes der eigenen Kostentragung wegen besonderer Umstände unbillig erscheint. Solche von der Norm abweichenden Umstände sind insbesondere dann gegeben, wenn ein Verhalten vorliegt, das mit der prozessualen Sorgfalt nicht zu vereinbaren ist. Davon ist zum Beispiel auszugehen, wenn ein Verfahrensbeteiligter in einer nach anerkannten Beurteilungsgesichtspunkten aussichtslosen oder zumindest kaum Aussicht auf Erfolg versprechenden Situation sein Interesse an dem Erhalt oder Erlöschen des Markenschutzes durchzusetzen versucht (vgl. BGH, GRUR 1972, 600, 601 – Lewapur; BPatGE 12, 238, 240; Ingerl/ Rohnke, Markengesetz, 3. Auflage, § 71 Rdnr. 17; Knoll in Ströbele/Hacker, 10. Auflage, § 71 Rdnr. 12).
Anhaltspunkte für ein derartiges, die Auferlegung von Kosten rechtfertigendes Verhalten der Beschwerdeführerin sind nicht ersichtlich, da der Widersprechenden die Einlegung der Beschwerde nicht als von vornherein aussichtslos erscheinen musste. Es verbleibt daher bei dem Grundsatz, dass jeder Beteiligte die ihm erwachsenen Kosten selbst trägt.
3. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 23 Abs. 2 und 3 Satz 2, § 33 RVG. Danach ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen festzusetzen, wobei nach ständiger Rechtsprechung hierfür das wirtschaftliche Interesse des Inhabers der angegriffenen Marke an der Aufrechterhaltung der Marke maßgeblich ist (vgl. BGH, GRUR 2006, 704 – Markenwert). In Widerspruchsbeschwerdeverfahren beläuft sich bei fehlenden anderweitigen Anhaltspunkten nach der Senatsrechtsprechung der Regelwert dabei auf 50.000,- Euro (vgl. BPatG, Beschluss vom 14.03.2012, 29 W (pat) 115/11; ebenso: BPatG, Beschluss vom 09.10.2012, 33 W (pat) 560/10; Beschluss vom 30.11.2011, 26 W (pat) 47/10; Beschluss vom 05.08.2008, 27 W (pat) 75/08).