Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 22.02.2012


BPatG 22.02.2012 - 29 W (pat) 545/10

Markenbeschwerdeverfahren – "schmutz.de" – keine Unterscheidungskraft


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
29. Senat
Entscheidungsdatum:
22.02.2012
Aktenzeichen:
29 W (pat) 545/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2009 048 197.0

hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 22. Februar 2012 durch die Vorsitzende Richterin Grabrucker, die Richterin Dorn und den Richter Kruppa

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Wortzeichen

2

schmutz.de

3

ist am 12. August 2009 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register für nachfolgende Dienstleistungen angemeldet worden:

4

Klasse 35: Aktualisierung und Pflege von Daten in Computerdatenbanken; Dateienverwaltung mittels Computer; Dienstleistungen des Groß- und Einzelhandels über das Internet in den Bereichen: Tonträger und Datenträger; Durchführung von Auktionen und Versteigerungen im Internet; Online-Werbung in einem Computernetzwerk; Präsentation von Firmen im Internet und anderen Medien; Präsentation von Waren, in Kommunikations-Medien für den Einzelhandel; Systematisierung von Daten in Computerdatenbanken; Verkaufsförderung [Sales promotion] [für Dritte]; Vermietung von Werbeflächen im Internet; Vermietung von Werbezeit in Kommunikations-Medien; Vermittlung von Verträgen für Dritte, über den An- und Verkauf von Waren sowie über die Erbringung von Dienstleistungen; Werbung im Internet für Dritte; Zusammenstellung von Daten in Computerdatenbanken;

5

Klasse 38: Bereitstellen des Zugriffs auf ein weltweites Computernetzwerk; Bereitstellung des Zugriffs auf Computerprogramme in Datennetzen; Bereitstellung des Zugriffs auf Informationen im Internet; Bereitstellung von Internet-Chatrooms; Durchführung von Videokonferenzen; E-Mail-Dienste; elektronischer Austausch von Nachrichten mittels Chatlines, Chatrooms und Internetforen; Telekommunikation mittels Plattformen und Portalen im Internet; Vermietung von Zugriffszeit auf globale Computernetzwerke; Verschaffen des Zugriffs zu Datenbanken; Weiterleiten von Nachrichten aller Art an Internet-Adressen (Web-Messaging);

6

Klasse 41:Durchführung von Spielen im Internet; online angebotene Spieldienstleistungen [von einem Computernetzwerk].

7

Mit Beschluss vom 18. Februar 2010 hat die Markenstelle für Klasse 35 die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass das nach der Art einer unvollständigen Internet-Adresse gebildete Zeichen von dem angesprochenen Publikum als Sachhinweis auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit minderwertigen verwerflichen geistigen Produkten im Internet aufgefasst und nicht als betrieblicher Herkunftshinweis verstanden werde. Denn die angesprochenen Verkehrskreise würden häufig mit Medien-, Internet- und Spielangeboten konfrontiert, die bedenkliche Inhalte thematisierten und dabei die Bezeichnung "Schmutz" schlagwortartig verwendeten. Die beanspruchten Dienstleistungen könnten thematisch "schmutzige" Inhalte haben oder - wie die Dienstleistung "Online-Werbung" - für solche Produkte werben, bzw. im Rahmen entsprechender Internet-Auftritte erbracht werden.

8

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders, die nicht begründet wurde. Im Amtsverfahren hat er vorgetragen, dass dem übertragenen Sinn des Wortes "Schmutz" als moralisch Verwerfliches lediglich eine untergeordnete Bedeutung zukomme. Auch das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG greife nicht, da das Zeichen nicht unmittelbar beschreibend sei.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

10

Die zulässige Beschwerde des Anmelders ist unbegründet.

11

Der Eintragung des angemeldeten Wortzeichens "schmutz.de" als Marke steht hinsichtlich der beanspruchten Dienstleistungen das absolute Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen. Die Markenstelle hat der angemeldeten Wortfolge daher zu Recht die Eintragung versagt.

12

1. Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, welches die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2008, 608, 611 Rdnr. 66 f. - EUROHYPO; BGH GRUR 2010, 825, 826 Rdnr. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850, 854 Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten. Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. - FUSSBALL WM 2006; a. a. O. - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2009, 411 Rdnr. 8 - STREETBALL; 778, 779 Rdnr. 11 - Willkommen im Leben; 949 f. Rdnr. 10 - My World). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft ist die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2004, 943, 944 Rdnr. 24 - SAT 2; GRUR 2006, 411, 412 Rdnr. 24 - Matratzen Concord/Hukla; BGH a. a. O. - FUSSBALL WM 2006). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. EuGH GRUR 2004, 428, 431 Rdnr. 53 - Henkel; BGH MarkenR 2000, 420, 421 - RATIONAL SOFTWARE CORPORATION; GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch). Ausgehend hiervon besitzen Wortmarken dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 674, 678 Rdnr. 86 – Postkantoor; BGH GRUR 2001, 1151, 1152 - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - anti KALK; GRUR 2005, 417, 418 – BerlinCard; a. a. O. Rdnr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2009, 952, 953 Rdnr. 10 - DeutschlandCard) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die – etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2001, 1043, 1044 - Gute Zeiten – Schlechte Zeiten; BGH GRUR 2003, 1050, 1051 - Cityservice; a. a. O. - FUSSBALL WM 2006). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und die sich damit in einer beschreibenden Angabe erschöpfen (BGH a. a. O. 855 Rdnr. 28 f. - FUSSBALL WM 2006).

13

2. Die angemeldete Wortfolge weist für die beanspruchten Dienstleistungen einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt bzw. einen engen beschreibenden Bezug auf.

14

a) Das angemeldete Zeichen ist nach Art einer (unvollständigen) Internetadresse aufgebaut und umfasst die Bestandteile "schmutz" und ".de", wobei letzterer die übliche und allgemein bekannte Top-Level-Domain für Deutschland darstellt.

15

Das Substantiv "Schmutz" ist ein weit verbreitetes und geläufiges Wort der deutschen Alltagssprache. Es steht für "etwas (wie Staub, aufgeweichte Erde o. Ä.), was irgendwo Unsauberkeit verursacht, was etwas verunreinigt" (Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. 2006 [CD-ROM]). Im übertragenen Sinn wird es gebraucht für minderwertige oder als moralisch verwerflich angesehene geistige Produkte (Duden - Deutsches Universalwörterbuch a. a. O.), wie sich aus vielfältigen Redewendungen, etwa "Schmutz- und Schundliteratur", "schmutzige Worte, Witze, Lieder" oder "schmutzige Phantasie" ergibt.

16

Vor diesem Hintergrund kann die Gesamtbezeichnung "schmutz.de" von den angesprochenen Verkehrskreisen ohne weiteres als Sachhinweis auf irgendein Internetangebot in Deutschland rund um das Thema "Schmutz", entweder unmittelbar oder im Sinne von minderwertigen oder moralisch verwerflichen geistigen Produkten, verstanden werden. Es ist davon auszugehen, dass das angesprochene Publikum im einschlägigen Dienstleistungssektor häufig mit Medien-, Internet- und Spielangeboten konfrontiert wird, die bedenkliche Inhalte thematisieren und in diesem Zusammenhang die Bezeichnung "Schmutz" oder "schmutzig" verwenden, wie aus den dem Anmelder mit Schreiben vom 14. April 2010 übersandten Recherchebelegen des DPMA (Bl. 23 - 49 VA) und den mit Schreiben vom 31. Januar 2012 übersandten ergänzenden Belegen des Senats (Bl. 17 - 33 GA) hervorgeht.

17

b) Die Endung ".de" gehört zu den üblichen Protokoll- und Adressangaben und kann auch in einer zusammengesetzten Marke, die wie eine Internetadresse gebildet ist, die Unterscheidungskraft nicht begründen (vgl. EuG GRUR Int. 2008, 330 - suchen.de; BPatG BlPMZ 2000, 294, 295 - http://www.cyberlaw.de; Mitt. 2003, 569 - handy.de; GRUR 2004, 336, 338 - beauty24.de; 33 W (pat) 269/00 - EquityStory.com; 29 W (pat) 55/10 - gewerbezentrale.de; 29 W (pat) 525/10 - fashion.de; Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 8 Rdnr. 134 m. w. N.).

18

c) Eine individualisierende Bedeutung kommt in der Regel nur der Second-Level-Domain zu. Dem – bei dem angemeldeten Zeichen wie eine Second-Level-Domain verwendeten – Begriff "schmutz" fehlt jedoch die erforderliche geringe Unterscheidungskraft, da alle beanspruchten Dienstleistungen in einen engen sachlichen Bezug zu Schmutz bzw. Warnungen und Schutz davor im Medium des Internets gebracht werden können:

19

aa) Die in Klasse 35 beanspruchten Dienstleistungen "Aktualisierung und Pflege von Daten in Computerdatenbanken; Dateienverwaltung mittels Computer" können dem Ausfiltern und Schutz von Datenbanken vor minderwertigen Dateien dienen oder minderwertige Dateien pflegen oder verwalten.

20

bb) Die weiter angemeldeten "Dienstleistungen des Groß- und Einzelhandels über das Internet in den Bereichen: Tonträger und Datenträger; Durchführung von Auktionen und Versteigerungen im Internet; Präsentation von Firmen im Internet und anderen Medien; Präsentation von Waren, in Kommunikations-Medien für den Einzelhandel; Systematisierung von Daten in Computerdatenbanken; Verkaufsförderung [Sales promotion] [für Dritte]; Vermittlung von Verträgen für Dritte, über den An- und Verkauf von Waren sowie über die Erbringung von Dienstleistungen; Zusammenstellung von Daten in Computerdatenbanken" können sich auf Produkte und Daten beziehen, die Schmutz zum Gegenstand haben, sich etwa mit der Beseitigung oder Verhinderung von Schmutz befassen, oder auf Produkte mit "schmutzigen" Inhalten.

21

cc) Die Dienstleistungen "Online-Werbung in einem Computernetzwerk; Werbung im Internet für Dritte" können für derartige Produkte oder auf Internetplattformen mit entsprechenden Inhalten angeboten werden.

22

dd) Zu der Dienstleistung "Vermietung von Werbeflächen im Internet" steht das Anmeldezeichen insoweit in einem engen beschreibenden Bezug, als die Werbeflächen auf Internetseiten bzw. in Sendungen mit anstößigem Inhalt oder für Produkte mit anstößigem Inhalt oder Produkte zum Schutz vor diesen Inhalten angeboten werden können. Zwar hat die weiter beanspruchte "Vermietung von Werbezeit in Kommunikations-Medien" keinen unmittelbaren inhaltlichen Bezug, gerade in den Kommunikationsmedien kann die Werbezeit aber nicht getrennt von der Sendung bzw. der Plattform, in oder auf der sie erscheint, betrachtet werden, so dass jedenfalls ein funktionaler Zusammenhang zu der beanspruchten Dienstleistung besteht.

23

ee) Die in Klasse 38 angemeldeten Dienstleistungen "Bereitstellen des Zugriffs auf ein weltweites Computernetzwerk; Bereitstellung des Zugriffs auf Computerprogramme in Datennetzen; Bereitstellung des Zugriffs auf Informationen im Internet; Bereitstellung von Internet-Chatrooms; Durchführung von Videokonferenzen; E-Mail-Dienste; elektronischer Austausch von Nachrichten mittels Chatlines, Chatrooms und Internetforen; Telekommunikation mittels Plattformen und Portalen im Internet; Vermietung von Zugriffszeit auf globale Computernetzwerke; Verschaffen des Zugriffs zu Datenbanken; Weiterleiten von Nachrichten aller Art an Internet-Adressen (Web-Messaging)" können sich auf Datennetze und Informationen mit anstößigem Inhalt beziehen oder den Zugriff zu Informationen zum Schutz davor oder zur Aufklärung über schmutzige Inhalte verschaffen.

24

ff) Die in Klasse 41 beanspruchten Dienstleistungen "Durchführung von Spielen im Internet; online angebotene Spieldienstleistungen [von einem Computernetzwerk]" können sich auf Spiele beziehen, die einen anstößigen Inhalt haben.

25

d) Die Tatsache, dass eine Internet-Adresse nach bisheriger Praxis in ihrer Gesamtheit nur einmal vergeben wird, bedeutet nicht notwendig, dass die Internet-Adresse stets zu einem Produkt- oder Leistungsangebot eines bestimmten Anbieters führt; sie kann auch nur als Suchhilfe oder zur Eingrenzung von Themenkreisen fungieren (Ströbele/Hacker a. a. O, § 8 Rdnr. 134). Der Inhaber einer Domain erwirbt auch weder das Eigentum an der Internet-Adresse selbst noch ein sonstiges absolutes Recht, welches ähnlich der Inhaberschaft an einem Immaterialgüterrecht verdinglicht wäre (BVerfG GRUR 2005, 261 - ad-acta.de). Aus der einmaligen Vergabe vermag somit keinesfalls die Eignung zur Erfüllung der Herkunftsfunktion im Sinne der markenrechtlichen Unterscheidungskraft hergeleitet werden (EuG GRUR Int. 2008, 330 Rdnr. 44 - suchen.de). Dies gilt insbesondere für Domain-Namen mit nicht unterscheidungskräftigen Gattungsbezeichnungen - wie hier "schmutz" -als Second-Level-Domain (vgl. auch BGH GRUR 2001, 1061, 1063 - Mitwohnzentrale.de; GRUR 2005, 687, 699 - weltonline.de), die nach ständiger Rechtsprechung nicht als betrieblicher Herkunftshinweis geeignet sind (Ströbele/Hacker a. a. O, m. w. N.).

26

3. Da schon das Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG vorliegt, kann aus Sicht des Senats dahinstehen, ob das angemeldete Zeichen darüber hinaus für die fraglichen Dienstleistungen freihaltungsbedürftig gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ist.