Entscheidungsdatum: 28.06.2013
In der Beschwerdesache
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betreffend die Marke 30 2010 057 953
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 28. Juni 2013 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Grabrucker sowie der Richterinnen Kortge und Uhlmann
beschlossen:
Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 16. August 2012 wird aufgehoben.
Dem Deutschen Patent- und Markenamt wird aufgegeben, die Löschung der Marke 30 2010 057 953 aufgrund des Widerspruchs aus der Gemeinschaftsmarke EM 005825781 anzuordnen.
I.
Die Wortmarke
TÜg
ist am 6. Oktober 2010 angemeldet und am 8. März 2011 unter der Nummer 30 2010 057 953 als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Dienstleistungen der
Klasse 35: organisatorische und betriebswirtschaftliche Prüfung und Bewertung (Auditierung);
Klasse 42: Zertifizierung von Unternehmen aller Branchen insbesondere von Managementsystemen.
Gegen diese Marke, deren Eintragung am 8. April 2011 veröffentlicht wurde, haben die Inhaber der älteren Gemeinschaftswortmarke
TÜV
die am 19. Juni 2008 unter der Nummer EM 005825781 eingetragen wurde u. a. für Dienstleistungen der
Klasse 35: Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten;
Klasse 42: Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen und Forschungsarbeiten und diesbezügliche Designerdienstleistungen; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und –software
Widerspruch erhoben, der mit Verwechslungsgefahr und Bekanntheitsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 und 3 MarkenG begründet worden ist.
Mit Beschluss vom 16. August 2012 hat die Markenstelle für Klasse 35 des DPMA sowohl Verwechslungsgefahr zwischen den beiden Marken verneint als auch Bekanntheitsschutz abgelehnt und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Vergleichsmarken könnten sich teilweise bei identischen oder in sehr engem Ähnlichkeitsbereich liegenden Dienstleistungen begegnen, nämlich bei „Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; wissenschaftlichen und technologischen Dienstleistungen und Forschungsarbeiten sowie industriellen Analyse- und Forschungsdienstleistungen“, weil diese Widerspruchsdienstleistungen auch mit der für die angegriffene Marke beanspruchten „organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Prüfung und Bewertung (Auditierung)“ sowie „Zertifizierung von Unternehmen aller Branchen, insbesondere von Managementsystemen“ zu tun hätten. Bei der von diesen Dienstleistungen angesprochenen Zielgruppe handele es sich eher um Fachkreise aus Wirtschaft und Industrie. Ferner würden diese speziellen Dienstleistungen mit einer angemessenen Sorgfalt in Anspruch genommen. Zugunsten der Widersprechenden könne bezüglich der wissenschaftlichen und technologischen Dienstleistungen und Forschungsarbeiten sowie der industriellen Analyse- und Forschungsdienstleistungen von einer gesteigerten Kennzeichnungskraft ausgegangen werden. Der erforderliche Abstand werde aber selbst bei identischen Dienstleistungen sowie Anwendung nur durchschnittlicher Sorgfalt noch eingehalten. Die beiden Marken unterschieden sich auffällig durch den letzten Buchstaben. Dort verfüge die angegriffene Marke über den Sprenglaut „g“ und die Widerspruchsmarke über den Reibelaut „f“, weil das „V“ so gesprochen werde. Es handele sich in beiden Fällen um Abkürzungen bzw. Kurzwörter, bei denen schon geringe Unterschiede bemerkt würden. Die genannten Unterschiede reichten demzufolge aus, um den Marken ein eigenständiges Klangbild zu verleihen, unabhängig davon, ob die Markenbegriffe als Wörter ausgesprochen oder als Abkürzung buchstabiert würden, so dass Verwechslungen in klanglicher Hinsicht ausgeschlossen seien. Bei einer Abkürzung oder Wörtern aus drei Buchstaben könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Wortanfang stärker beachtet werde als das Wortende. Dass es sich bei der angegriffenen Marke um eine Kurzform für „Technische Überwachungsgemeinschaft“ handeln solle, werde den angesprochenen Verkehrskreisen eher nicht bekannt sein.Eine schriftbildliche Verwechslungsgefahr könne aufgrund der typischen Umrisscharakteristik von „g“ gegenüber „V“, die der jeweils anderen Marke fehle, ebenfalls ausgeschlossen werden. Zudem verfüge die angegriffene Marke bei handschriftlicher Wiedergabe und Wiedergabe in Normalschrift durch das „g“ über eine Unterlänge, die der Widerspruchsmarke fehle. Für andere Arten von Verwechslungsgefahren sei nichts dargetan oder ersichtlich. Die angesprochenen Verkehrskreise gingen auch nicht davon aus, dass es sich bei der jüngeren Marke um ein weiteres Produkt der Widersprechenden handele, weil die Marken unterschiedlich gebildet seien. Die gemeinsame Buchstabenfolge „TÜ“ reiche nicht aus, um die jüngere Marke der Widersprechenden zuzuordnen oder als Serienzeichen anzusehen. Für den Löschungsgrund unter dem Aspekt des Sonderschutzes der bekannten Marke seien ebenfalls keine Anhaltspunkte gegeben. Die von der Widersprechenden zitierte Entscheidung des BGH „TÜV II“ (GRUR 2011, 1043) sei mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Dort habe das Publikum aufgrund der unveränderten Übernahme des bekannten Markennamens annehmen können, es handle sich um eine Unterorganisation der Widersprechenden, während allein aufgrund der gemeinsamen Buchstabenfolge „TÜ“ die jüngere Marke nicht mit der Widersprechenden in Verbindung gebracht werde.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, mit der sie beantragen,
den Beschluss des DPMA vom 16. August 2012 aufzuheben.
Sie sind der Ansicht, dass teilweise Dienstleistungsidentität bzw. hochgradige Dienstleistungsähnlichkeit bestehe. Ferner weise die Widerspruchsmarke eine erheblich gesteigerte Kennzeichnungskraft auf. Wie der BGH in der Entscheidung „TÜV II“ bereits vor dem Hintergrund des in Anlage 2 vorgelegten Umfrageergebnisses der T… GmbH von Oktober 2006 (Bl. 60 – 63 VA) festgestellt habe, handele es sich bei der Widerspruchsmarke sogar um eine bekannte Marke. Ausweislich des Ergebnisses der vom I… im Mai 2012 durchgeführten Verkehrsbefragung (Anlage 5, Bl. 32 – 73 GA) sei die Bezeichnung 99 % der Befragten bekannt. 95 % der Befragten beschrieben „TÜV“ als „Institution zur (technischen) Überprüfung, Überwachung, Kontrolle und Sicherheitsprüfung“, d. h. sie erkannten in „TÜV“ einen Unternehmenshinweis. 94 % der Befragten hätten zutreffend angegeben, dass unter der Bezeichnung „TÜV“ Haupt- und Abgasuntersuchungen von Kraftfahrzeugen erbracht würden. 27 % der Befragten hätten angegeben, dass unter der Bezeichnung „TÜV“ Zertifizierungen nach Normen und Richtlinien (z. B. DIN oder ISO) in Industrie und Handel durchgeführt würden, also die Zertifizierung von Unternehmen. Immerhin weitere 36 % hielten ein Angebot von solchen Zertifizierungsdienstleistungen unter der Bezeichnung „TÜV“ für durchaus möglich. Die von der Markenstelle angenommene erhöhte Kennzeichnungskraft gelte somit auch für die unter der Widerspruchsmarke „TÜV“ erbrachten Zertifizierungs- und Prüfdienstleistungen. Die sich aus den Abweichungen in den lediglich letzten Buchstaben „V“ und „g“ ergebenden Unterschiede reichten für einen ausreichenden Abstand nicht aus. Vor dem Hintergrund der Dienstleistungsidentität sowie der gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke könne eine Verwechslungsgefahr nur bei absoluter Zeichenunähnlichkeit verneint werden. Eine solche sei auch bei Kurzwortzeichen aber nur dann anzunehmen, wenn die Unterschiede in jeder Wahrnehmungskategorie deutlich in Erscheinung träten (vgl. BPatG GRUR 1996, 496 - PARK/Jean Barth; BGH GRUR 1957, 499 - Wit/Wipp; GRUR 2002, 167, 171 - Bit/Bud; BPatG 29 W (pat) 7/03 – TTB/TTC; 30 W (pat) 79/03 – FOC/POC; 26 W (pat) 40/02 – TUI/TUL; EuG T-274/09 – ICE/IC4). Die bestehende Übereinstimmung in „T-Ü“ bestimme das Klangbild und überwiege auch quantitativ den Unterschied im Wortende, dem das Publikum ohnehin weniger Bedeutung beimesse. Bei den Konsonanten „V“ und „g“ handele es sich nur um Augenblickslaute, die gerade am Wortende leicht überhört werden könnten, zumal die Betonung wegen der Einsilbigkeit der Markenwörter auf dem Wortanfang „T-Ü“ liege. Auch schriftbildlich stimmten Buchstabenzahl und die beiden ersten Buchstaben vollständig überein. Beide Vergleichsmarken seien zudem Abkürzungen von Firmenbezeichnungen (Anlage 3, Bl. 64 – 67 VA) und die Buchstaben „T“ und „Ü“ stünden bei beiden für „Technische Überwachung“. Die angesprochenen Verkehrskreise würden daher in dem Buchstaben „g“ ein Akronym für einen mit „V = Verein“ ähnlichen Hinweis erblicken, nämlich „Gemeinschaft“ oder „Gesellschaft“. Sie verständen daher „TÜg“ als Akronym von „Technischer Überwachungsgesellschaft/-gemeinschaft“, so dass eine gedankliche Verbindung im Sinne von § 9 Absatz 1 Nr. 2 MarkenG ausgelöst werde. Das Publikum werde von einer Gestattung der Verwendung der Bezeichnung „TÜg“ durch die Widersprechenden, den mit Abstand bekanntesten Prüfinstitutionen auf dem deutschen Markt, und somit von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen ausgehen (vgl. EuGH GRUR 2009, 56 – Intel). Auch ein Löschungsgrund nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG liege vor. Aufgrund der aus der Übernahme von „TÜ“ gegebenen klanglichen, schriftbildlichen und insbesondere auch begrifflichen Gemeinsamkeiten der sich gegenüberstehenden Zeichen werde die Widerspruchsmarke „TÜV“ bei den angesprochenen Verkehrskreisen unweigerlich in Erinnerung gerufen. Die Widersprechenden sowie die übrigen TÜV-Organisationen genössen in Deutschland, mittlerweile auch weltweit, ein sehr hohes Ansehen wegen ihrer Neutralität und Sachkunde. Den von ihnen erbrachten Prüfdienstleistungen werde daher eine sehr hohe Bedeutung insbesondere im Hinblick auf die Qualität der Dienstleistungen von TÜV-zertifizierten Unternehmen beigemessen. Der Inhaber der jüngeren Marke versuche, ein umfassendes Markenportfolio im „Dunstkreis“ der bekannten Marke „TÜV“ aufzubauen. Denn er habe für sich bzw. letztlich für die dahinter stehende Technische Überwachungsgemeinschaft T1… GmbH für die gleichen streitgegenständlichen Dienstleistungen die Wortmarken „TÜg Zert International“ (30 2011 065 376) und „TÜG“ (30 2012 024 896) sowie die Wort-/Bildmarke „Tüg ZERT INTERNATIONAL“ (30 2012 024 860, Anlage 6, Bl. 74 – 77 GA) registrieren lassen. Ein solches Markenportfolio - und damit auch die hier streitgegenständliche jüngere Marke - diene allein dazu, den guten Ruf und das positive Image der Marke „TÜV“ im Bereich der Prüf- und Zertifizierungsdienstleistungen ohne eigene (finanzielle) Gegenleistung auszunutzen. Da der Markeninhaber selbst zugegeben habe, dass die unter „TÜg“ erbrachten Dienstleistungen nicht dem Bereich der Technik, sondern allein dem Bereich der Prüfung von Managementsystemen angehörten, „TÜ“ aber bekanntermaßen für „Technische Überwachung“ stehe, mache die Bezeichnung „TÜg“ eigentlich keinen Sinn. Die Bezeichnung „MÜg“ für „Management Überwachungsgemeinschaft“ oder „MZg“ für „Management Zertifizierungsgemeinschaft“ hätten wesentlich näher gelegen. Ferner bestehe auch eine hochgradige Gefahr der Beeinträchtigung der besonderen Wertschätzung der Widerspruchsmarke. Weder der Inhaber der jüngeren Marke noch die mit ihm im Zusammenhang stehende Technische Überwachungsgemeinschaft T1… GmbH stünden in irgendeiner Verbindung zu den offiziellen TÜV-Organisationen. Die Widersprechenden hätten somit keinerlei Kontroll- und Einflussmöglichkeit auf die von ihnen erbrachten Zertifizierungs- und Auditierungsdienstleistungen. Hieraus resultiere die Gefahr, dass etwaige Schlechtleistungen zu Unrecht unmittelbar den TÜV-Organisationen zugerechnet werden.
Der Inhaber der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Im Amtsverfahren hat er die Auffassung vertreten, es sei keine Dienstleistungsidentität erkennbar. Die Widerspruchsmarke weise auch keine erhöhte Kennzeichnungskraft auf. Das Umfrageergebnis der T… GmbH von Oktober 2006 sei nicht mehr aktuell. Die Bekanntheit der Widerspruchsmarke beziehe sich nur auf Produktsicherheit und die Hauptuntersuchung von Autos. Aufgrund der Kleinschreibung des Buchstabens „g“ scheide eine schriftbildliche Zeichenähnlichkeit aus. Auch eine klangliche Verwechslungsgefahr scheide aus, weil die Betonung der Vergleichsmarken auf den Endkonsonanten liege und eine Vermischung der Aussprache von „V“ und „g“ sprachwissenschaftlich nicht möglich sei. Ferner unterschieden sich die Buchstaben „g“ und „V“ auch im Sinngehalt. Ferner sei die sich von der jüngeren Marke nur in der Schreibweise unterscheidende Marke „TÜG“ (399 695 818) am 30. März 2000 u. a. für die Klassen 35 und 42 ohne ein Widerspruchverfahren eingetragen worden (Anlage 1, Bl. 83 f. VA). Eine Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung der Widerspruchsmarke sei nicht gegeben, weil diese in den letzten Jahren ihr Ansehen bezüglich Neutralität und Sachkunde verloren habe (Anlagen 2 – 4, Bl. 85 – 90 VA). Zudem unterlägen die Leistungen der „TÜg“ der Überwachung der nationalen Akkreditierungsstelle der BRD (DAkkS).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Zwischen beiden Marken besteht zwar wegen Dienstleistungsunähnlichkeit keine Verwechslungsgefahr im Sinne von §§ 125b Nr. 1, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2, MarkenG, aber es liegt der Löschungsgrund gemäß §§ 125b Nr. 1, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG vor, weil die Benutzung der angegriffenen Marke die Wertschätzung der bekannten Widerspruchsmarke ohne rechtfertigenden Grund ausnutzen würde.
1.
Die Frage der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH GRUR 2004, 865, 866 – Mustang; GRUR 2004, 598, 599 – Kleiner Feigling; GRUR 2004, 783, 784 – NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX; GRUR 2006, 60, 61 Rdnr. 12 – coccodrillo; GRUR 2006, 859, 860 Rdnr. 16 – Malteserkreuz I; MarkenR 2008, 405 Tz. 10 – SIERRA ANTIGUO; GRUR 2008, 906 – Pantohexal; GRUR 2008, 258, 260 Rdnr. 20 – INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2009, 484, 486 Rdnr. 23 – METROBUS; GRUR 2010, 235 Rdnr. 15 – AIDA/AIDU; EuGH GRUR 2006, 237, 238 – PICARO/PICASSO).
a)
Ausgehend von der Registerlage werden die Vergleichsmarken nicht zur Kennzeichnung ähnlicher Dienstleistungen verwendet.
aa)
Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen. Hierzu gehören die Art der Waren und Dienstleistungen, ihre regelmäßige betriebliche Herkunft, ihr regelmäßiger Vertriebs- oder Erbringungsort, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung, ihre wirtschaftliche Bedeutung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen. In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie aufgrund anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlicher Gründe so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus denselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (EuGH GRUR 1998, 922 Rdnr. 15 – Canon; BGH, GRUR 2007, 321 Rdnr. 20 – COHIBA; GRUR 2009, 484 Rdnr. 25 – METROBUS; GRUR 2012, 1145, 1148 Rdnr. 34 f. - Pelikan).
bb)
Entgegen der nicht näher begründeten Auffassung der Markenstelle kann ein solches Ähnlichkeitsverhältnis bei den sich hier maßgeblich gegenüber stehenden Dienstleistungen nicht festgestellt werden.
aaa)
Bei der von der jüngeren Marke in Klasse 35 beanspruchten Dienstleistung „organisatorische und betriebswirtschaftliche Prüfung und Bewertung (Auditierung)“ geht es um die von externen Prüfern vorgenommene Bewertung, ob ein Unternehmen in organisatorischer und betriebswirtschaftlicher Hinsicht bestimmte (Qualitäts)Standards erfüllt (vgl. Definition von „auditieren“ unter www.duden.de).
bbb)
Mit der anschließenden Zertifizierung wird die Einhaltung von (Qualitäts)Standards (amtlich) beglaubigt, bescheinigt bzw. mit einem Zertifikat versehen (vgl. Definition von „zertifizieren“ unter www.duden.de). Bei der im Verzeichnis der angegriffenen Marke in Klasse 42 aufgeführten Dienstleistung „Zertifizierung von Unternehmen aller Branchen insbesondere von Managementsystemen“, wird folglich wirtschaftlichen Einheiten jedweder Art, insbesondere aber deren Leitungs- und Führungssystemen, die Einhaltung bestimmter Standards bescheinigt.
ccc)
Die gegenüberstehenden Widerspruchsdienstleistungen:
Klasse 35: Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten;
Klasse 42: Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen und Forschungsarbeiten und diesbezügliche Designerdienstleistungen; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und –software
weisen keinerlei sachliche Berührungspunkte zu den Dienstleistungen der jüngeren Marke auf.
Da Auditierungs- und Zertifizierungsdienstleistungen von einer externen (neutralen) Prüfungsinstanz erbracht werden müssen, werden die angesprochenen Verkehrskreise, hier vorwiegend Unternehmensinhaber und Angehörige der unternehmerischen Führungsebene, nicht davon ausgehen, dass sie von den Geschäftsführungs- oder Unternehmensverwaltungsdienstleistern selbst und damit unter derselben betrieblichen Verantwortung erbracht werden. Ferner werden diese Verkehrskreise nicht annehmen, dass Werbeagenturen und Bürodienstleister Auditierungs- und Zertifizierungsdienstleistungen anbieten. Da die Auditierung und Zertifizierung in organisatorischer und betriebswirtschaftlicher Hinsicht bzw. für Unternehmen erfolgen, haben sie auch keinen Bezug zur Technik, so dass auch eine Ähnlichkeit zu technologischen Dienstleistungen einschließlich diesbezüglicher Designerdienstleistungen ausscheidet. Forschungsdienstleistungen widmen sich der Untersuchung eines wissenschaftlichen Problems und wissenschaftliche Dienstleistungen beschäftigen sich mit den Erkenntnissen aus forschender Tätigkeit in einem bestimmten Bereich. Die Auditierungs- und Zertifizierungsdienstleistungen vergleichen nur einen Ist- mit einem Soll-Zustand und beinhalten somit keine forschende oder wissenschaftliche Tätigkeit. Auch die industriellen Analysedienstleistungen weisen keinen Zusammenhang mit den Auditierungs- und Zertifizierungsdienstleistungen auf. Unter dem in der Nizzaer Klassifikation verwendeten Begriff der „Analysedienstleistungen“ werden die Analyse eines Stoffes oder Gegenstandes in seine Bestandteile, also chemische Analysen von Eigenschaften oder Zusammensetzungen von Stoffen und Stoffgemischen verstanden (Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des HABM vom 16. Juli 2009, R 1173/2008-1). Zwischen diesen für die Industrie bestimmten (chemischen) Analysedienstleistungen und den für die jüngere Marke beanspruchten Prüfungsdienstleistungen besteht daher keine Verbindung. Dies gilt auch für die Widerspruchsdienstleistungen „Entwurf und Entwicklung von Computerhard- und –software“. Der Umstand, dass Computer und Software bei der Erbringung der Dienstleistungen der angegriffenen Marke zur Anwendung kommen, reicht für die Annahme einer Ähnlichkeit nicht aus. Hinzu kommt, dass den angesprochenen Verkehrskreisen bekannt ist, dass die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten von elektronischen Rechnern und die Komplexität der Entwicklung von Betriebs- und Anwendersoftware eine Arbeitsteilung zwischen Softwareunternehmen und anderen Dienstleistern nach sich ziehen.
Es liegt daher vorliegend die Annahme fern, das Publikum könnte glauben, die angegriffenen und widersprechenden Dienstleistungen stammten aus demselben oder ggf. aus wirtschaftlich verbundenen Unternehmen.
2.
Die angegriffene Marke ist jedoch wegen der Gefahr ungerechtfertigter Ausnutzung der Wertschätzung der bekannten Marke „TÜV“ zu löschen (§§ 125b Nr. 1, 42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG).
a)
Dieser Löschungsgrund setzt unabhängig von der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen eine bekannte Marke im Inland voraus. Da es sich vorliegend um eine Gemeinschaftsmarke handelt, tritt nach § 125b Nr. 1 MarkenG an die Stelle der Bekanntheit im Inland die Bekanntheit in der Gemeinschaft. Die Bekanntheit muss aber nicht überall in der Gemeinschaft bestehen. Vielmehr genügt die Bekanntheit „in einem wesentlichen Teil des Gemeinschaftsmarkengebiets“, wofür Bekanntheit in einem Mitgliedstaat ausreichend sein kann, wenn das Gebiet des betreffenden Mitgliedstaates als wesentlicher Teil des Gemeinschaftsgebiets angesehen werden kann (EuGH GRUR 2009, 1158, 1159 Rdnr. 30 – PAGO/Tirolmilch). Der erforderliche Bekanntheitsgrad ist als erreicht anzusehen, wenn die Gemeinschaftsmarke einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt ist, das von den durch diese Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen betroffen ist (EuGH a. a. O. Rdnr. 24 - – PAGO/Tirolmilch; GRUR Int. 2000, 73 Rdnr. 26 - General Motors).
Als Bekanntheitsfaktoren, die sowohl im Prioritätszeitpunkt der jüngeren Marke als auch zum Entscheidungszeitpunkt vorliegen müssen, sind zu berücksichtigen die Bekanntheit im demoskopischen Sinne, der Marktanteil der Marke, die Intensität ihrer Benutzung (Umsatzstärke), die geographische Ausdehnung, die Dauer der Benutzung und der Umfang der Investitionen, die das Unternehmen zur Förderung der Marke getätigt hat, wie z. B. Werbeaufwendungen, Sponsoring oder branchenübergreifende Lizenzverträge (EuGH GRUR 2009, 1158, 1159 Rdnr. 25 – PAGO/Tirolmilch; a. a. O. Rdnr. 27 – General Motors; 73, 75 – Chevy; BGH GRUR 2003, 428, 432 – BIG BERTHA). Es muss also erkennbar sein, dass die Marke durch erfolgreiche wirtschaftliche Anstrengungen des Markeninhabers einen wirtschaftlichen Wert erlangt hat, der – auch branchenübergreifend – einer unlauteren Ausbeutung oder Beeinträchtigung durch Dritte zugänglich ist.
Ausgehend von diesen Grundsätzen stellt die Widerspruchsmarke „TÜV“ eine in der Gemeinschaft bekannte Marke dar.
Dies ergibt sich zunächst aus dem in Anlage 2 vorgelegten Umfrageergebnis der T… GmbH von Oktober 2006 zur „Bekanntheit und Zuordnungen der Bezeichnung ‚TÜV‘ zu einer bestimmten Unternehmens-Organisation im Zusammenhang mit Prüfungen im Bereich der Technik“ (Bl. 60 – 63 VA). Danach ist die Bezeichnung „TÜV“ 95,6 % der Gesamtbevölkerung und 98,4 % der potentiellen Autofahrer ohne Erwähnung einer konkreten Waren- oder Dienstleistungsgruppe bekannt. 93,4 % der potentiellen Autofahrer verbinden damit von sich aus direkt Waren und Dienstleistungen aus dem Bereich „Prüfung von Kraftfahrzeugen“. 71,7 % der potentiellen Autobesitzer sehen in der Bezeichnung „TÜV“ einen Hinweis auf ein ganz bestimmtes Unternehmen. Insbesondere im Hinblick auf diese Umfrageergebnisse hatte der BGH in seiner Entscheidung vom 17. August 2011 (GRUR 2011, 1043, 1045 Rdnr. 46 ff. – TÜV II) die Bekanntheit der Bezeichnung „TÜV“ als Hinweis auf eine mit der Hauptuntersuchung von Kraftfahrzeugen befasste Organisation bereits bestätigt.
Nach dem Ergebnis der vom I… im Mai 2012 durchgeführten Verkehrsbefragung (Anlage 5, Bl. 32 – 73 GA), die im Beschwerdeverfahren vorgelegt worden ist, ist die Bezeichnung „TÜV“ sogar 99 % der Bevölkerung bekannt. 95 % beschreiben „TÜV“ als „Institution zur (technischen) Überprüfung, Überwachung, Kontrolle und Sicherheitsprüfung“, d. h. sie erkennen in „TÜV“ einen Unternehmenshinweis. 94 % geben an, dass unter der Bezeichnung „TÜV“ Haupt- und Abgasuntersuchungen von Kraftfahrzeugen erbracht werden. 27 % erklären, dass unter der Bezeichnung „TÜV“ Zertifizierungen nach Normen und Richtlinien (z. B. DIN oder ISO) in Industrie und Handel durchgeführt werden. Weitere 38 % halten ein Angebot von solchen Zertifizierungsdienstleistungen unter der Bezeichnung „TÜV“ für durchaus möglich.
Den Senatsmitgliedern ist die seit Jahrzehnten erfolgte Verwendung der streitgegenständlichen Bezeichnung für eine Institution, die u. a. die vorgeschriebenen regelmäßigen technischen Überprüfungen von Kraftfahrzeugen im gesamten Bundesgebiet vornimmt, selbst bekannt. Sie kann daher als gerichtskundig angesehen werden.
Diese extrem hohe Bekanntheit der Bezeichnung „TÜV“ im gesamten Gebiet des EU-Mitgliedstaates Deutschland reicht für die gleich lautende Gemeinschaftswiderspruchsmarke aus, weil Deutschland sowohl von der Bevölkerungszahl her als auch in wirtschaftlicher Hinsicht einen erheblichen Teil des Gemeinschaftsgebiets ausmacht.
b)
Der Bekanntheitsschutz greift aber nur gegenüber identischen oder ähnlichen Zeichen ein. Hier liegt sogar eine hochgradige Zeichenähnlichkeit vor.
Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken, wobei von dem allgemeinen Erfahrungsgrundsatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (vgl. u.a. EuGH GRUR 2004, 428, 431 Rdnr. 53 – Henkel; BGH MarkenR 2000, 420, 421 – RATIONAL SOFTWARE CORPORATION; GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch). Der Grad der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen ist dabei im Klang, im (Schrift-)Bild und im Bedeutungs-(Sinn-)Gehalt zu ermitteln.
Nach diesen Grundsätzen kommen sich die Vergleichsmarken klanglich, schriftbildlich und begrifflich verwechselbar sehr nahe.
aa)
Die jeweils aus drei Buchstaben bestehenden Marken „TÜg“ und „TÜV“ stimmen in den ersten zwei Buchstaben „TÜ“ und damit – auch unter Berücksichtigung des Kurzwortcharakters - am stärker beachteten Wortanfang vollständig überein. Sie sind beide einsilbig, verfügen an gleicher Stelle über den einzigen, identischen Vokal „Ü“ und die gleiche Abfolge von Konsonant, Vokal und Konsonant. Sie haben zudem einen identischen Betonungs- und Sprechrhythmus, weil beide am Anfang betont werden. Sie unterscheiden sich ausschließlich in ihren Endkonsonanten „g“ und „V“. Dieser einzige Unterschied erscheint unter Berücksichtigung des Erfahrungssatzes, dass die Übereinstimmungen von Marken dem Verkehr regelmäßig länger und deutlicher in Erinnerung bleiben als die Unterschiede, zumal wenn sie quantitativ gegenüber dem unterscheidenden Teil überwiegen (BGH GRUR 1993, 118 - Corvaton/Corvasal; GRUR 1993, 972 - Sana/Schosana) als nicht mehr ausreichend, um Verwechslungen mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen zu können. Da beide Konsonanten stimmhaft sind, sich am Wortende befinden und nur als sogenannte Augenblickslaute wirken, können sie leicht überhört oder missverstanden werden. Das Klangbild wird daher durch die beiden ersten, übereinstimmenden Laute „TÜ“ entscheidend bestimmt, während die abweichenden Laute „g“ und „V“ am Ende, dem das Publikum ohnehin weniger Bedeutung beimisst, nicht ins Gewicht fallen.
bb)
Eine schriftbildliche Ähnlichkeit ist ebenfalls gegeben.
Die Vergleichsmarken stimmen in Buchstabenanzahl sowie in den ersten beiden Buchstaben vollständig überein. Der einzige Unterschied im Endkonsonanten fällt zumindest bei der auch zu berücksichtigenden Großschreibung des Buchstabens „G“ im Schriftbild nicht stark genug ins Gewicht, so dass auch insoweit eine Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann.
cc)
In begrifflicher Hinsicht kann eine Ähnlichkeit ebenfalls nicht verneint werden.
Denn im Hinblick auf die bekannte Marke TÜV, die vom Publikum als Abkürzung von „Technischer Überwachungs-Verein“ verstanden wird, wird dieses auch bei der angegriffenen Marke aufgrund der Identität der beiden ersten Buchstaben „TÜ“ die Bedeutung im Sinne von „Technischer Überwachung“ annehmen und den Buchstaben „g“ zumindest bei der ebenfalls zu berücksichtigenden Großschreibung „G“ als Abkürzung für „Gesellschaft“ oder „Gemeinschaft“ und somit „TÜg“ als Akronym von „Technischer Überwachungs-Gesellschaft oder Gemeinschaft“ wahrnehmen. Zwischen beiden Bedeutungsinhalten besteht daher im Wesentlichen Übereinstimmung darin, dass es sich um eine Personenvereinigung handelt, die sich mit der Überwachung von Technik befasst.
c)
Die Verwendung der ähnlichen jüngeren Marke würde die Wertschätzung der bekannten Widerspruchsmarke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzen.
aa)
Dabei wird die markenmäßig-rechtserhaltende Verwendung der angegriffenen Marke gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG unterstellt.
bb)
Eine Ausnutzung der Wertschätzung einer Marke wird nach höchstrichterlicher Rechtsprechung angenommen, wenn sich ein Wettbewerber mit der Kennzeichnung seiner Waren oder Dienstleistungen einer Marke angenähert hat, um Gütevorstellungen, die die angesprochenen Verkehrskreise mit den unter der Marke vertriebenen Erzeugnissen oder Dienstleistungen verbindet, für sich auszunutzen (BGHZ 86, 90, 95 - Rolls-Royce; BGH, GRUR 1985, 550, 553 DIMPLE; GRUR 2000, 875, 877 - Davidoff I). Dabei handelt es sich vor allem um die Fälle des Imagetransfers, bei denen der gute Ruf der bekannten Marke auf die ähnlich gekennzeichneten Produkte oder Dienstleistungen umgeleitet werden soll.
Die unter der bekannten Marke „TÜV“ erbrachten Dienstleistungen der Widersprechenden sowie der übrigen TÜV-Organisationen genießen ein sehr hohes Ansehen wegen ihrer Neutralität und Sachkunde. Den von ihnen erbrachten Prüfdienstleistungen wird daher eine sehr hohe Bedeutung beigemessen.
Soweit der Inhaber der angegriffenen Marke eine Wertschätzung der bekannten Bezeichnung „TÜV“ verneint, weil die damit bezeichnete Institution in den letzten Jahren ihr Ansehen bezüglich Neutralität und Sachkunde verloren habe, reichen die von ihm vorgelegten Presseberichte (Anlagen 2 – 4, Bl. 85 – 90 VA) nicht aus, um den guten Ruf der Widerspruchsmarke zu erschüttern.
Aus dem Stern-Presseartikel „Forscher warnen vor Metall-Hüftgelenken“ (Anlage 3, Bl. 87 f. VA) geht nicht hervor, dass die Hüftimplantate überhaupt von einem TÜV-Unternehmen geprüft wurden. Der „TÜV“ wird nur als ein Beispiel für zahlreiche mögliche Zertifizierungsunternehmen angeführt:
„Um in der EU vertrieben werden zu dürfen, brauchen Medizinprodukte ein CE-Kennzeichen, das etwa vom TÜV vergeben wird.“
Da es sich bei der Anlage 4 (Bl. 89 f. VA) um einen Ausdruck der Homepage der Rechtsanwälte G… vom 11. April 2012 handelt, in der diese sich als eine auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisierte Kanzlei zur Prüfung auch von Geldanlagen mit einem angeblich nicht verlässlichen TÜV-Siegel für … € anbieten, kann ihr eine objektive Aussage zur Qualität der mit der Bezeichnung „TÜV“ gekennzeichneten Prüfungsdienstleistungen und damit zum Ruf der bekannten Marke nicht entnommen werden.
Im Stern-Artikel „Das Silikon hat niemand geprüft“ (Anlage 2, Bl. 85 f. VA) weist der dort genannte TÜV den Vorwurf, die Produkte des Herstellers P… nicht seriös bewertet zu haben, zurück mit der Begründung, dass er selbst bei der französischen Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen diesen Hersteller erstattet habe, weil dieser Veränderungen an der genehmigten Auslegung des Produkts verschwiegen habe. Auch dieser Einzelfall einer vorsätzlichen Täuschung des TÜV-Unternehmens ist nicht geeignet, den guten Ruf der TÜV-Marke zu beeinträchtigen.
cc)
Ob die Ausnutzung der Wertschätzung ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise erfolgt, ist auf Grund einer umfassenden Interessenabwägung zu beurteilen (vgl. zu § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG BGH, GRUR 1999, 992, 994 f. – BIG PACK; zu § 15 Abs. 3 MarkenG BGHZ 147, 56, 67 – Tagesschau). Allerdings ist bei der identischen oder ähnlichen Benutzung einer bekannten Marke zu dem Zweck, die mit ihr verbundene Aufmerksamkeit oder Wertschätzung auszunutzen, regelmäßig von einem die Unlauterkeit im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG begründenden Verhalten auszugehen (vgl. zu § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG: EuGH GRUR 2005, 509 Rdnr. 49 – Gillette Company/LA-Laboratories; GRUR 2009, 56 Rdnr. 39 – Intel/CPM; BGH, GRUR 2005, 583, 584 – Lila-Postkarte). So liegt der Fall auch hier.
Die angegriffene Marke wird für einen Dienstleistungsbereich beansprucht, der einen gewissen Bezug zu den mit der bekannten Marke „TÜV“ gekennzeichneten Prüfungs- und Qualitätskontrolldienstleistungen aufweist, ohne dass eine Dienstleistungsähnlichkeit angenommen werden kann. Der Beschwerdegegner hat sich in den Bereich der Sogwirkung der bekannten Marke „TÜV“ begeben, um von ihrem Ruf und Ansehen zu profitieren und ohne finanzielle Gegenleistung die wirtschaftlichen Anstrengungen der Widersprechenden zur Schaffung und Aufrechterhaltung des Images der bekannten Marke auszunutzen. Einen rechtfertigenden Grund dafür hat er weder vorgetragen, noch ist er ersichtlich. Der Beschwerdegegner ist vielmehr auf die Verwendung der der bekannten Marke nahe kommenden Bezeichnung „TÜg” zur Kennzeichnung seiner Dienstleistungen gar nicht angewiesen. Da er selbst zugegeben hat, dass diese nicht dem Bereich der Technik, sondern allein dem Bereich der Prüfung von Managementsystemen angehören, „TÜ“ aber die bekannte Bedeutung „Technische Überwachung“ zukommt, ist die Wahl des Kennzeichens „TÜg“ nicht nachvollziehbar. Die vom Beschwerdegegner erbrachten Dienstleistungen wären mit „MÜg“ für „Management Überwachungsgemeinschaft“ oder „MZg“ für „Management Zertifizierungsgemeinschaft“ wesentlich treffender gekennzeichnet.
Obwohl der Senat mit dieser Entscheidung von seiner im Hinweis vom 12. November 2012 geäußerten Rechtsauffassung der Dienstleistungsähnlichkeit und der Bejahung einer Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichsmarken gemäß §§ 125b Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG abgerückt ist, hat es keines weiteren Hinweises bedurft, weil die geänderte Rechtsansicht das mitgeteilte Ergebnis nicht beeinflusst und der Löschungsgrund wegen Bekanntheitsschutzes bereits im gesamten Verfahren Gegenstand ausführlicher Erörterungen der Beteiligten gewesen ist.