Entscheidungsdatum: 22.06.2017
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2014 000 894
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 22. Juni 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Kortbein, des Richters Schmid und des Richters Dr. Söchtig
beschlossen:
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
I.
Die am 10. Februar 2014 angemeldete Bezeichnung
BULLSEYE
ist am 19. Mai 2014 als Wortmarke unter der Nummer 30 2014 000 894 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister eingetragen worden. Die Eintragung bezieht sich auf die Waren
Klasse 12:
Fahrräder; Dreiräder; Teile und Zubehör für Fahrräder und Dreiräder.
Gegen diese Eintragung, die am 20. Juni 2014 veröffentlicht wurde, hat die Widersprechende am 16. September 2014 aus ihrer am 5. Juni 2002 angemeldeten und am 16. April 2009 eingetragenen Wortmarke UM 002 724 656
BULLS
Widerspruch eingelegt. Die Eintragung dieser Marke umfasst folgende Waren:
Klasse 9:
Fahrradcomputer; Fahrradcomputer mit Pulsmesseinrichtung zur Trainingskontrolle; Brillen, Schutz- Sonnen- und Sportbrillen; Helme, Schutz-, Fahrrad- und Motorradhelme; Knie-, Handgelenk- und Ellbogenschützer für Zweiradsport und Inlinersport;
Klasse 12:
Fahrräder und deren Teile; motorisierte Zweiradfahrzeuge und deren Teile; Motorräder; Fahrzeugräder und -reifen, insbesondere für Zweiradfahrzeuge; Flickzeug für Reifenschläuche; Fahrrad- und Zweiradmotoren; mechanische Diebstahlsicherungen für Fahrzeuge;
Klasse 28:
Fahrradheimtrainer; Fahrrad-Trimmgeräte; Trainings- und Fitnessgeräte; Kinderspielfahrzeuge; Inliner; Rollschuhe; Skateboards; Schützer (Sportartikel).
Das Deutsche Patent- und Markenamt, Markenstelle für Klasse 12, hat den Widerspruch mit Beschluss vom 8. April 2016 zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass zwischen den Vergleichszeichen keine Verwechslungsgefahr bestehe. Zwar seien die für die angegriffene Marke eingetragenen Waren und die für die Widerspruchsmarke in Klasse 12 geschützten Waren identisch. Zudem sei von einem durchschnittlichen Schutzumfang der Widerspruchsmarke auszugehen. Bei Abwägung der relevanten Umstände des Einzelfalls halte die angegriffene Marke indes den erforderlichen Zeichenabstand zur Widerspruchsmarke ein. Die angegriffene Marke „BULLSEYE“ als Ganzes unterscheide sich von der Widerspruchsmarke „BULLS“ durch das zusätzliche Wortelement „-EYE“ ausreichend. Ferner komme dem Wortbestandteil „BULLS-“ innerhalb der angegriffenen Marke auch keine selbständig kollisionsbegründende Stellung zu, zumal sie einen Gesamtbegriff im Sinn von „Zielscheibenmitte, Volltreffer“ darstelle. Auch für das Vorliegen einer assoziativen Verwechslungsgefahr bestünden keine Anhaltspunkte.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Nach ihrer Auffassung besteht zwischen den Streitmarken Verwechslungsgefahr. Die Markenstelle gehe zu Unrecht davon aus, dass die angegriffene Marke dem in Bezug auf identische Waren gebotenen deutlichen Abstand zur Widerspruchsmarke Rechnung trage. Zwischen den Vergleichszeichen bestehe ein hoher Grad an klanglicher und schriftbildlicher Ähnlichkeit. Die Widerspruchsmarke sei vollständig in der jüngeren Marke enthalten. Die Zeichen stimmten dadurch in den ersten fünf der acht Buchstaben der jüngeren Marke überein. Vorliegende Konstellation sei vergleichbar mit dem vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fall, in dem sich die Marken „BULL“ und „BULLDOG“ gegenüber gestanden hätten, die als zumindest mittelgradig ähnlich angesehen worden seien (EuGH, Urteil vom 5. Februar 2015, T-78/13). Die Streitzeichen verfügten auch nicht über einen klar erkennbaren unterschiedlichen Bedeutungsgehalt. Es könne nämlich nicht angenommen werden, dass das Publikum die Bedeutung „Zielscheibenmitte, Volltreffer“, die das Wort „BULLSEYE“ im Englischen aufweise, dem inländischen Publikum geläufig sei. Ausgehend von der Bedeutung „Bullenauge“, mithin „Auge eines Bullen“, bestehe auch eine begriffliche Ähnlichkeit der Zeichen. Ferner seien im Amtsverfahren Unterlagen vorgelegt worden, aus denen sich eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ergebe.
Die Widersprechende beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 8. April 2016 aufzuheben und wegen des Widerspruchs aus der Wortmarke UM 002 724 656 die Löschung der Eintragung der angegriffenen Marke 30 2014 000 894 anzuordnen.
Der Inhaber der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Im Amtsverfahren hat er ausgeführt, dass das Zeichen „BULLSEYE“ im Dart-Sport „Volltreffer“ bedeute und sich daher grundlegend von dem Widerspruchszeichen „BULLS“ unterscheide.
Ergänzend wird auf den angefochtenen Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 8. April 2016 und auf den übrigen Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zwischen den Vergleichszeichen besteht keine Verwechslungsgefahr (§ 125 b Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG). Das Deutsche Patent- und Markenamt hat den Widerspruch aus der Unionsmarke daher zu Recht zurückgewiesen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 MarkenG).
1. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. EuGH, GRUR Int. 2000, 899, Rdnr. 40 – Marca Mode; GRUR 2010, 933, Rdnr. 32 – BARBARA BECKER; BGH, GRUR 2012, 64, Rdnr. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2016, 382, Rdnr. 22 – BioGourmet). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der Waren, die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze besteht vorliegend für das angesprochene Publikum keine Gefahr von Verwechslungen.
2. Die für die angegriffene Marke eingetragenen Waren „Fahrräder; Dreiräder; Teile und Zubehör für Fahrräder und Dreiräder“ und die Waren „Fahrräder und deren Teile“ der Klasse 12 der Widerspruchsmarke sind identisch. Insbesondere umfassen „Fahrräder“ auch „Dreiräder“.
3. Im Streitverfahren ist von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen.
Bei der Bestimmung der Kennzeichnungskraft sind alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, zu denen insbesondere die Eigenschaften, die die Marke von Haus aus besitzt, der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die geographische Verbreitung und die Dauer der Benutzung der Marke, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke und der Teil der beteiligten Verkehrskreise gehören, der die Waren oder Dienstleistungen aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt (u. a. BGH, GRUR 2017, 75, Rdnr. 29 - Wunderbaum II).
Tatsächliche Umstände, aus denen sich das Vorliegen einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ergibt, sind vorliegend nicht liquide (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Auflage, § 9, Rdnr. 167). Solche Tatsachen ergeben sich insbesondere nicht aus der von der Widersprechenden mit Schriftsatz vom 10. März 2015 vorgelegten Verkehrsbefragung aus dem Jahr 2014. Der erklärte Zweck dieser Befragung bestand darin zu klären, ob und inwieweit Fahrradbesitzern die Marke ihres Fahrrads bekannt ist („Welche Fahrradmarke fahren Sie persönlich?“). Die im vorliegenden Zusammenhang vorrangig relevante Frage, inwieweit die durch Fahrräder angesprochenen Verkehrskreise insgesamt, insbesondere auch solche, die kein Fahrrad dieser Marke oder gar kein Fahrrad fahren, die Widerspruchsmarke kennen, war nicht Gegenstand der Erhebung. Selbst wenn der Befragung ungeachtet ihres abweichenden Gegenstands mittelbar auch Aussagen zur Bekanntheit der Widerspruchsmarke zu entnehmen sein sollten, lässt der dabei für die Widerspruchsmarke ermittelte Bekanntheitswert von 3,6 %, mit dem sie Platz 8 der Auswertung belegt, jedenfalls nicht mit ausreichender Deutlichkeit den Schluss auf eine Verkehrsbekanntheit der Widerspruchsmarke in einem Umfang zu, der die Annahme überdurchschnittlicher Kennzeichnungskraft rechtfertigt (vgl. zur Abstufung nach fünf Graden BGH, GRUR 2013, 833, Rdnr. 55 - Culinaria/Villa Culinaria).
4. Die im Rahmen der Beurteilung der Verwechslungsgefahr erforderliche Gesamtabwägung ergibt, dass die angegriffene Marke den wegen der Warenidentität gebotenen deutlichen Abstand zur Widerspruchsmarke auch unter Berücksichtigung einer Gegenüberstellung der Zeichen nach dem Erinnerungsbild in jeder Hinsicht einhält. Vorliegend sind als Verkehrsteilnehmer vorrangig tatsächliche und potentielle Nutzer von Fahrrädern anzusehen. Bei diesen Waren handelt es sich um regelmäßig mehrere Jahre nutzbare Gebrauchsgüter, deren Kennzeichen das Publikum schon im Interesse verkehrssicherer Fortbewegung mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit wahrnimmt.
a) Die Frage der Ähnlichkeit einander gegenüber stehender Marken ist nach deren Ähnlichkeit im Klang, im (Schrift-) Bild und im Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (vgl. EuGH, GRUR Int. 2010, 129, Rdnr. 60 – La Espaňola/Carbonell; BGH, GRUR 2009, 1055, Rdnr. 26 – airdsl; GRUR 2011, 824, Rdnr. 26 – Kappa).
(1) Zwischen den Streitzeichen in ihrer Gesamtheit besteht keine unmittelbare begriffliche Ähnlichkeit. Derartige Verwechslungen sind zu besorgen, wenn sich Wörter gegenüber stehen, die ihrem Sinn nach vollständig oder im Wesentlichen übereinstimmen (vgl. BGH, GRUR 2004, 779, 782, Rdnr. 61 f. - Zwilling/Zweibrüder; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Auflage, § 9, Rdnr. 285, m. w. N.). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Wörtlich übersetzt lautet die englischsprachige jüngere Marke „Bullenauge“. Damit benennt sie ein bestimmtes Organ eines Bullen, nicht jedoch - wie die ebenfalls aus dem Englischen kommende Widerspruchsmarke - Bullen als solche. Die Rechtsprechung des EuGH, nach der eine begriffliche Ähnlichkeit auch auf dem Symbol- oder Assoziationsgehalt von Wörtern beruhen kann (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. Februar 2015, T-78/13 - BULL/BULLDOG), dürfte zu einer sachlich nicht veranlassten und kaum objektiv eingrenzbaren Ausweitung des Verwechslungsschutzes führen (vgl. zu den abweichenden Maßstäben Fink, Der begriffliche Zeichenvergleich im Gemeinschaftsmarkenrecht aus deutscher Perspektive, FS 50 Jahre Bundespatentgericht, Seite 791). Vorliegend ist zudem auch insoweit keine relevante Annäherung der Zeichen erkennbar. Nach Auffassung des Senats fehlen jegliche Anzeichen dafür, dass das angesprochene Publikum in seiner Wahrnehmung und Erinnerung die jüngere Marke so stark mit einem „Bullen“ in Verbindung bringt, dass er die Zeichen „BULLSEYE“ und „BULLS“ von ihrer Bedeutung her gleichsetzt. Der begriffliche Abstand zwischen ihnen ist im Übrigen noch größer, wenn von der korrekten Bedeutung „Volltreffer“ der jüngeren Marke ausgegangen wird (vgl. Pons, Großwörterbuch Englisch – Deutsch, 2002, Seite 103).
(2) Klanglich und schriftbildlich stimmen die Vergleichszeichen in der Buchstabenfolge „BULLS“, die sich in der jüngeren Marke zudem am besonders beachteten Wortanfang befindet, überein. Im Gesamteindruck überwiegen jedoch die Unterschiede, um Verwechslungen insbesondere durch Verhören bzw. -lesen zuverlässig auszuschließen.
(a) Klanglich tritt die in der jüngeren Marke enthaltene zweite Wortsilbe „-EYE“, selbst wenn sie nicht betont werden sollte, ausreichend deutlich hervor. Der dem inländischen Verkehr im Sinn von „Auge“ geläufige englischsprachige Wortbestandteil „EYE“, gesprochen [aı] (vgl. wiktionary.org), verfügt über ein helles Klangbild, das sich von dem durch den dunklen Vokal „u“ bestimmten Lauteindruck der ersten Wortsilbe klar abhebt. Die Erfassung und Erinnerung der bestehenden Unterschiede wird im Übrigen durch den - wie oben ausgeführt - abweichenden Begriffsgehalt der beiden Vergleichszeichen unterstützt. Zwar kann hierbei entgegen der Auffassung des Deutschen Patent- und Markenamts nicht unbedingt von der möglicherweise unter Dart-Spielern bekannten Bedeutung „Zielscheibenmitte, Volltreffer“ der jüngeren Marke ausgegangen werden (vgl. auch dict.cc, Stichwort „bullseye“), da keine Anzeichen dafür bestehen, dass die durch die gegenständlichen Waren, insbesondere „Fahrräder“, angesprochenen inländischen Verkehrskreise in der Lage sind, diese Bedeutung sofort zu erfassen (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Auflage, § 9 Rdnr. 291). Indes wird das Publikum die wörtliche Bedeutung der jüngeren Marke „Bullenauge“ bzw. „Auge eines Bullen“ ohne Weiteres erfassen, da die Zeichenbestandteile „BULLS“ und „EYE“ gängige, auch im Inland bekannte Begriffe der englischen Sprache sind.
(b) Die zusätzliche Bestandteil „EYE“ der jüngeren Marke hebt sich von seinen Konturen ausreichend deutlich von der Widerspruchsmarke ab, um schriftbildliche Verwechslungen der Zeichen zuverlässig zu verhindern. Dies gilt bei Vergleich der Zeichen sowohl in Groß- als auch in Kleinschreibung. Auch hier wirkt der Verwechslungsgefahr der abweichende Sinngehalt der sich gegenüber stehenden Marken entgegen.
(3) Innerhalb der einteiligen angegriffenen Marke kann auch nicht von einer selbständig kollisionsbegründenden Stellung des Wortteils „BULLS“ ausgegangen werden (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042, Rdnr. 28 f. – THOMSON LIFE; BGHZ 167, 322, Rdnr. 18 – Malteserkreuz I; GRUR 2013, 862, Rdnr. 45 – Culinaria/Villa Culinaria). Es fehlen ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme, der Verkehr werde das Element „BULLS“ der jüngeren Marke herausgreifen. Hierbei ist insbesondere in Betracht zu ziehen, dass „BULLSEYE“ im Inland als Gesamtbegriff mit der Bedeutung „Auge eines Bullen“ aufgefasst wird, so dass das angegriffene Zeichen nicht in seine Wortbestandteile aufgegliedert wird (vgl. BGH, GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling).
b) Eine assoziative Verwechslungsgefahr ist ebenfalls zu verneinen. Insbesondere hat die Widersprechende nicht das Vorliegen einer von ihr benutzten Zeichenserie mit dem Stammbestandteil „BULLS“ geltend gemacht (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Auflage, § 9, Rdnr. 492), was die Annahme einer mittelbaren Verwechslungsgefahr begründen könnte. Ebenso sind die beiden Marken nicht vergleichbar gebildet und weisen keinen ähnlichen Sinngehalt auf. Insofern liegt auch keine mittelbare begriffliche Verwechslungsgefahr vor.
Der Beschwerde der Widersprechenden war daher zurückzuweisen.
5. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen noch ersichtlich sind.