Entscheidungsdatum: 19.06.2018
In der Beschwerdesache
…
betreffend die eingetragene Marke 30 2014 044 176
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 19. Juni 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Kortbein und der Richter Schmid und Dr. Söchtig
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 29 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. August 2016 und vom 27. Juli 2017 aufgehoben.
2. Die Löschung der Eintragung der Marke 30 2014 044 176 für die Waren „Milch“ und „Milchprodukte“ wird auf Grund des Widerspruchs aus der Marke EM 000 463 141 angeordnet.
I.
Die am 11. April 2014 angemeldete Wortmarke 30 2014 044 176
ÖZÜM
ist am 8. September 2014 für nachfolgende Waren in das Register eingetragen worden:
Klasse 29:
Fleisch; Fisch; Geflügel; Wild; Fleischextrakte; konserviertes, tiefgekühltes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gallerten [Gelees]; Konfitüren; Kompotte; Eier; Milch; Milchprodukte; Speiseöle; Speisefette;
Klasse 30:
Kaffee; Tee; Kakao; Zucker; Reis; Tapioca; Sago; Kaffeeersatzmittel; Mehle; Getreidepräparate; Brot; feine Backwaren; feine Konditorwaren; Speiseeis; Honig; Melassesirup; Hefe; Backpulver; Salz; Senf; Essig; Soßen [Würzmittel]; Gewürze; Kühleis;
Klasse 32:
Biere; Mineralwässer; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken.
Gegen die Eintragung hat die Inhaberin der am 11. Februar 1997 angemeldeten und am 2. Oktober 1998 für die Waren „Käse, Joghurt; Fleisch- und Wurstwaren (auch als Konserven); Gemüsekonserven“ (Klasse 29) eingetragenen Unionswortmarke 000 463 141
ÖMÜR
Widerspruch erhoben.
Die Widersprechende hat ihren Widerspruch ausweislich der Widerspruchserklärung vom 22. Dezember 2014 auf die Waren „Käse“ und „Joghurt“ (Klasse 29) gestützt. Er richtet sich ausschließlich gegen die Eintragung der angegriffenen Marke für die Waren „Milch“ und „Milchprodukte“ (Klasse 29).
Die Markenstelle für Klasse 29 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mit Beschluss vom 5. August 2016 und die hiergegen gerichtete Erinnerung mit weiterem Beschluss vom 27. Juli 2017 zurückgewiesen. Zwischen den Vergleichsmarken bestehe keine Verwechslungsgefahr. Nach der Begründung des Erinnerungsbeschlusses sei zwar von einer durchschnittlichen originären Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen. Denn dem angesprochenen inländischen Verkehr seien die gegebenenfalls sachbezogenen Bedeutungen „Leben“, „Lebensdauer“ und „großartig“, die das Wort „ÖMÜR“ in der türkischen Sprache habe, nicht bekannt. Ferner seien die Waren „Milch“ und „Milchprodukte“ der angegriffenen Marke und die streitgegenständlichen Waren „Käse“ und „Joghurt“ der Widerspruchsmarke identisch bzw. hochgradig ähnlich. Jedoch bestehe insbesondere in klanglicher und schriftbildlicher Hinsicht keine verwechslungsbegründende Zeichenähnlichkeit. Die sich gegenüberstehenden Marken seien kurz, so dass Unterschiede regelmäßig leicht erfassbar seien. Ferner sei dem Publikum bewusst, dass die Laute „ö“ oder „ü“ häufig in türkischen Wörtern enthalten seien. Die Aufmerksamkeit der Verkehrskreise richte sich daher verstärkt auf die anderen Zeichenelemente.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Im Bereich der angegriffenen Waren bestehe eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr zwischen den Streitzeichen. Das Deutsche Patent- und Markenamt habe nicht ausreichend beachtet, dass die Anordnung der Umlaute „ö“ und „ü“ innerhalb der beiden aus jeweils vier Buchstaben und zwei Wortsilben bestehenden Marken völlig übereinstimme. Auch wenn die genannten Umlaute in der türkischen Sprache möglicherweise häufiger vorkämen als in anderen Sprachen, komme ihnen ein erheblicher Einfluss auf den Gesamteindruck der Zeichen zu. Die Umlaute „ö“ und „ü“ seien im Türkischen jedenfalls nicht stärker verbreitet als die gängigen Vokale. Außerdem sei diese Umlautfolge für die angesprochenen inländischen Verkehrskreise, die mehrheitlich deutschsprachig seien, ungewöhnlich und auffällig. Darüber hinaus habe das Deutsche Patent- und Markenamt nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Verkehr sich nicht mehr daran erinnere, ob der in beiden Zeichen vorkommende Buchstabe „M“ am Silbenanfang oder -ende stehe.
Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse des Deutschen Patent- und Markenamts vom 5. August 2016 und vom 27. Juli 2017 aufzuheben und auf Grund des Widerspruchs aus der Marke EM 000 463 141 die Löschung der Eintragung der angegriffenen Marke 30 2014 044 176 für die Waren „Milch“ und „Milchprodukte“ anzuordnen.
Die Beschwerdegegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Im Amtsverfahren hat sie ausgeführt, dass die Zeichen von den beteiligten Verkehrskreisen eindeutig zu unterscheiden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache Erfolg. Zwischen den sich gegenüberstehenden Marken besteht im verfahrensgegenständlichen Umfang Verwechslungsgefahr gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG i. V. m. § 125b Nr. 1 MarkenG. Daher ist entgegen der Auffassung des Deutschen Patent- und Markenamts die Löschung der Eintragung der angegriffenen Marke 30 2014 044 176 für die Waren „Milch“ und „Milchprodukte“ gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG anzuordnen.
1. Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. EuGH GRUR Int. 2000, 899, Rdnr. 40 - Marca Mode; GRUR 2010, 933, Rdnr. 32 - BARBARA BECKER; BGH GRUR 2012, 64, Rdnr. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2016, 382, Rdnr. 22 - BioGourmet). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der Waren, die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr.
Nach diesen Grundsätzen besteht im streitgegenständlichen Umfang in schriftbildlicher Hinsicht eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zwischen der angegriffenen Marke „ÖZÜM“ und der Widerspruchsmarke „ÖMÜR“.
a) Zur Bestimmung des maßgeblichen Verkehrsverständnisses hat das Deutsche Patent- und Markenamt im Beschluss vom 27. Juli 2017 zutreffend in erster Linie auf die allgemeinen inländischen Verkehrskreise abgestellt, die die - nicht nur nach türkischen Rezepten zubereiteten - Waren „Milch“ und „Milchprodukte“ nachfragen (vgl. BGH GRUR 2013, 631, Rdnr. 64 - Amarula/Marulablu). Der vorwiegend deutschsprachige Endverbraucher, auf den es danach ankommt, verfügt regelmäßig nicht über Türkischkenntnisse, die es zuließen, den Streitmarken einen Bedeutungsgehalt zuzuordnen (vgl. BPatG, Beschluss vom 14. Mai 2013, 28 W (pat) 61/11 - ipek/IPEK YUFKA). Die in Rede stehenden Waren sind Massenprodukte, die auf Grund ihrer Art von den angesprochenen Verkehrskreisen allenfalls mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit wahrgenommen werden.
Darüber hinaus ist im Streitfall zusätzlich das Verständnis türkischsprachiger Verkehrskreise im Inland zu berücksichtigen. Zwar ist eine gespaltene Verkehrsauffassung im Grundsatz nicht mit dem Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr und der in diesem Zusammenhang entwickelten Figur des Durchschnittsverbrauchers zu vereinbaren (vgl. BGH GRUR 2013, 631, Rdnr. 64 - Amarula/Marulablu). Eine andere Beurteilung ist aber ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn die Vergleichsmarken verschiedene Verkehrskreise ansprechen, die sich objektiv voneinander abgrenzen lassen. So verhält es sich, wenn sich ein Waren- oder Dienstleistungsangebot außer an allgemeine Verkehrskreise gezielt an eine spezielle Verbrauchergruppe, hier türkischsprachige Konsumenten richten kann (vgl. BGH GRUR 2015, 587, Rdnr. 23 ff. - Pinar; OLG Frankfurt MarkenR 2016, 484, Rdnr. 16 ff. - Schwiegermutter [kyrillisch]).
Von einer gesonderten Prüfung des Vorliegens einer Verwechslungsgefahr innerhalb türkischsprachiger Verkehrskreise kann vorliegend aber abgesehen werden. Der Widerspruch greift nämlich bereits unter Zugrundelegung des Verkehrsverständnisses des allgemeinen Publikums, das nicht über Türkischkenntnisse verfügt, durch. Kann auf Grund einer gespaltenen Verkehrsauffassung nur bei einem der verschiedenen Verkehrskreise eine Verwechslungsgefahr bejaht werden, reicht dies für die Verwirklichung des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG aus (vgl. BGH GRUR 2012, 64, Rdnr. 9 - Maalox/Melox-GRY).
b) Die angegriffenen Waren der Klasse 29 „Milch“ und „Milchprodukte“ der jüngeren Marke und die Waren „Käse“ und „Joghurt“, auf die der Widerspruch gestützt wurde, sind identisch bzw. weit überdurchschnittlich ähnlich.
„Käse“ und „Joghurt“ sind in aller Regel aus „Milch“ hergestellt, so dass ein enger stofflicher Zusammenhang besteht. Darüber hinaus ist das Publikum daran gewöhnt, dass diese Produkte üblicherweise von den denselben Unternehmen entwickelt, hergestellt und unter denselben Marken vertrieben werden. Daher weist die Ware „Milch“ eine hochgradige Warenähnlichkeit zu „Käse“ und „Joghurt“ auf. „Milchprodukte“ umfassen wiederum die Waren „Milch“ und „Joghurt“, so dass insoweit Warenidentität besteht.
c) Die Widerspruchsmarke „ÖMÜR“ verfügt - ausgehend vom bereits angesprochenen Verständnis allgemeiner inländischer Verkehrskreise - in Verbindung mit den Waren „Käse“ und „Joghurt“ von Hause aus über durchschnittliche Kennzeichnungskraft und damit über einen normalen Schutzumfang.
Die originäre Kennzeichnungskraft wird durch die Eignung einer Marke bestimmt, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. BGH GRUR 2016, 382, Rdnr. 31 - BioGourmet; GRUR 2014, 382, Rdnr. 18 - REAL-Chips).
Die Bedeutungen „großartig“ und „prima“, die dem Widerspruchszeichen „ÖMÜR“ im Türkischen u. a. zukommen (vgl. Langenscheidt, Taschenwörterbuch Türkisch, 2001, Seite 354), werden von einem inländischen Durchschnittsverbraucher mangels entsprechender Sprachkenntnisse nicht erfasst. Für eine Einschränkung der originären Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke bestehen daher insoweit keine Anhaltspunkte.
Tatsachen, aus denen sich eine Steigerung der originären Kennzeichnungskraft auf Grund umfangreicher Benutzung ergibt, sind weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt.
d) Unter Berücksichtigung der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblichen Stufung nach fünf Ähnlichkeitsgraden (vgl. BGH GRUR 2013, 833, Rdnr. 55 - Culinaria/Villa Culinaria) ist innerhalb der Verkehrskreise, die des Türkischen nicht mächtig sind, von einer unterdurchschnittlichen schriftbildlichen Ähnlichkeit der Streitmarken auszugehen.
Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Klang, (Schrift-) Bild und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die von ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken. Hierbei ist auf den jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen abzustellen (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042, Rdnr. 28 f. - THOMSON LIFE; BGH GRUR 2013, 833, Rdnr. 30 - Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2010, 235, Rdnr. 18 - AIDA/AIDU; GRUR 2011, 824, Rdnr. 31 - Kappa). Maßgebend für die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist der im Gedächtnis der angesprochenen Verkehrskreise hervorgerufene Gesamteindruck der Vergleichsmarken (vgl. EuGH GRUR Int. 2004, 843, Rdnr. 32 - Matratzen Concord).
Bei den eingetragenen Wortmarken sind auch verkehrsübliche Wiedergabeformen, insbesondere eine Kleinschreibung, zu berücksichtigen (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Auflage, § 9, Rdnr. 298). Dementsprechend weisen die beiden Zeichen in den Schreibweisen
Özüm
und
Ömür
beachtliche Übereinstimmungen auf. Sie bestehen jeweils aus vier Buchstaben, von denen drei identisch sind. Die besonders auffälligen Anfangsbuchstaben „Ö“ und die durch die darüber befindlichen Punkte gut wahrnehmbare Umlaute „ü“ sind zudem gleich angeordnet. An der letzten Stelle stehen sich zwar die Buchstaben „m“ und „r“ gegenüber. Allerdings entspricht der Buchstabe „r“ mit seiner vertikalen Form und Abrundung im oberen Bereich der Anfangskontur des Buchstabens „m“, so dass auch hier eine gewisse Annäherung festzustellen ist. Außerdem enthalten beide Marken den Konsonanten „m“, der zwar anders positioniert ist, allerdings durch seine Breite deutlich in Erscheinung tritt. Die Abweichung an der zweiten Position tritt trotz der unterschiedlichen Umrisse der Buchstaben „z“ und „m“ demgegenüber etwas in den Hintergrund, da sie sich im Wortinneren befindet. Die beiden genannten Unterschiede bleiben zwar gerade unter Berücksichtigung der geringen Länge der Streitzeichen nicht ohne Einfluss auf den Gesamteindruck (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Auflage, § 9, Rdnr. 285). Eine uneingeschränkt zuverlässige Abgrenzung lassen sie jedoch nicht zu, zumal auch der Höhenverlauf der beiden Zeichen übereinstimmt.
Den Ausführungen des Deutschen Patent- und Markenamts zur Gewichtung der Umlaute „Ö“ und „ü“ bei Wörtern, denen das Publikum eine türkische Herkunft zuschreibt, ist insoweit beizutreten, als eine nach deutschem Sprachverständnis untypische Kombination der Umlaute „Ö“ und „ü“ im Kontext eines türkischen Worts als weniger ungewöhnlich erscheint. Das ändert aber nichts daran, dass sie auf Grund ihrer auffälligen Form dennoch nicht unerheblich den Gesamteindruck mitbestimmen.
Verkehrskreise, die der türkischen Sprache nicht mächtig sind, können den Begriffen „ÖMÜR“ und „ÖZÜM“ regelmäßig keinerlei Sinngehalt zuordnen. Eine durch den Bedeutungsgehalt einer oder beider Marken begünstigte Erfassung der Zeichenunterschiede scheidet damit aus (vgl. BGH GRUR 2010, 235 - AIDA/AIDU).
e) Im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ist ausgehend von identischen bzw. weit überdurchschnittlich ähnlichen Waren und einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke eine Verwechslungsgefahr trotz unterdurchschnittlicher Zeichenähnlichkeit zu bejahen.
Der Beschwerde der Widersprechenden war daher stattzugeben.
2. Zur Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens auf einen Beteiligten gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG besteht kein Grund. Dafür erforderliche Billigkeitsgründe sind weder ersichtlich, noch dargetan worden.