Entscheidungsdatum: 22.11.2017
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2015 052 593.6
hat der 28. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 22. November 2017 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Kortbein, des Richters Schmid und des Richters Dr. Söchtig
beschlossen:
Der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes, Markenstelle für Klasse 10, vom 7. März 2016 wird aufgehoben, soweit die Anmeldung für die nachfolgenden Waren und Dienstleistungen zurückgewiesen worden ist:
Klasse 10:
Chirurgische Instrumente und Apparate für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie; zahnärztliche Instrumente und Apparate; chirurgisches Nahtmaterial für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie;
Klasse 35:
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Einzelhandels und Großhandelsdienstleistungen für chirurgische Instrumente und Apparate sowie chirurgisches Nahtmaterial jeweils für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie; Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für zahnärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche Zähne, Zahnprothesen;
Klasse 42:
Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; industrielle Analyse und Forschungsdienstleistungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; industrielle Analyse und Forschungsdienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und software im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; alle vorgenannten Dienstleistungen für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie.
I.
Das Wortzeichen
AMIS
ist am 10. September 2015 beim Deutschen Patent- und Markenamt zur Eintragung als Marke in das dortige Register für nachfolgende Waren und Dienstleistungen angemeldet worden:
„Klasse 10:
Chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne; orthopädische Artikel; chirurgisches Nahtmaterial; Implantate und Zahnprothesen und orthopädische Prothesen; Schäfte; orthopädische Geräte zur Streckung und/oder Halterung von Körperteilen; Extensionsvorrichtungen sowie deren Teile; Extensionsschuhe.
Klasse 35:
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten; Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne, orthopädische Artikel, chirurgisches Nahtmaterial, Implantate und Zahnprothesen und orthopädische Prothesen, Schäfte, orthopädische Geräte zur Streckung und/oder Halterung von Körperteilen, Extensionsvorrichtungen sowie deren Teile, Extensionsschuhe.
Klasse 42:
Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und -software im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie.“.
Das Deutsche Patent- und Markenamt, Markenstelle für Klasse 10, hat die Anmeldung nach vorangegangener Beanstandung vom 21. September 2015 mit Beschluss vom 7. März 2016 für nachgenannte Waren und Dienstleistungen wegen Fehlens der Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen:
„Klasse 10:
Chirurgische, ärztliche, zahn und tierärztliche Instrumente und Apparate; orthopädische Artikel; chirurgisches Nahtmaterial; Schäfte
Klasse 35:
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Einzelhandels und Großhandelsdienstleistungen für chirurgische, ärztliche, zahn und tierärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche Zähne, orthopädische Artikel, chirurgisches Nahtmaterial, Implantate, Zahnprothesen, orthopädische Prothesen, Schäfte, orthopädische Geräte zur Streckung und/oder Halterung von Körperteilen, Extensionsvorrichtungen sowie deren Teile, Extensionsschuhe
Klasse 42:
Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; industrielle Analyse und Forschungsdienstleistungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; Industrielle Analyse und Forschungsdienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und software im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie.“.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die gegenständlichen Waren und Dienstleistungen würden sich an Fachleute aus Medizin, Psychologie und Medizintechnik richten. Diese würden das Anmeldezeichen als Abkürzung der Wortfolge „anterior minimal invasive surgery“ verstehen. In den angesprochenen Verkehrskreisen sei Englisch Fachsprache, so dass diese den Begriff „AMIS“ unmittelbar mit minimalinvasiven Operationstechniken mit anteriorem Zugang in Verbindung bringen würden. Alle von der Zurückweisung umfassten Waren und Dienstleistungen seien für derartige minimalinvasive Operationstechniken bestimmt und geeignet oder würden der technischen Entwicklung dieser Operationstechniken dienen. Mit dem Beanstandungsbescheid bzw. dem Zurückweisungsbeschluss übersandte Rechercheergebnisse belegten, dass das Zeichen „AMIS“ bereits als eine Art Fachabkürzung für „anterior minimal invasive surgery“ verwendet werde. Folglich würden die angesprochenen Verkehrskreise nicht davon ausgehen, dass nur ein Unternehmen Waren und Dienstleistungen im Zusammenhang mit minimalinvasiven Operationstechniken mit anteriorem Zugang anbiete. Das Anmeldezeichen weise daher nicht zwingend auf die Anmelderin hin.
Entgegen der Auffassung der Anmelderin sei auch eine Schutz begründende Mehrdeutigkeit nicht ersichtlich. Es reiche aus, wenn eine der denkbaren Bedeutungen beschreibend sei. Fernliegende Interpretationsmöglichkeiten könnten außer Betracht bleiben. So werde vorliegend das Zeichen „AMIS“ nicht als das französische Wort für „Freunde“ oder als die Kurzform von „Amerikaner“ verstanden. Auch andere von der Anmelderin genannte Abkürzungen kämen auf Grund des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses nicht in Betracht. Schließlich sei es unerheblich, ob sie das angemeldete Zeichen ursprünglich selbst entwickelt habe, wenn es für die angesprochenen Verkehrskreise unmittelbar verständlich sei und sich zu einer Fachabkürzung entwickelt habe.
Ob an dem Anmeldezeichen darüber hinaus auch ein Freihaltebedürfnis bestehe, hat das Deutsche Patent- und Markenamt im Ergebnis dahinstehen lassen.
Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde vom 5. April 2016.
In der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2017 hat sie die von der Zurückweisung betroffenen Waren und Dienstleistungen wie folgt beschränkt:
Klasse 10:
Chirurgische Instrumente und Apparate für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie; zahnärztliche Instrumente und Apparate; chirurgisches Nahtmaterial für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie;
Klasse 35:
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Einzelhandels und Großhandelsdienstleistungen für chirurgische Instrumente und Apparate sowie chirurgisches Nahtmaterial jeweils für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie; Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für zahnärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche Zähne, Zahnprothesen;
Klasse 42:
Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; industrielle Analyse und Forschungsdienstleistungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; industrielle Analyse und Forschungsdienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und software im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; alle vorgenannten Dienstleistungen für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie.
Danach hat die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes, Markenstelle für Klasse 10, vom 7. März 2016 aufzuheben, soweit die Anmeldung für die nachfolgenden Waren und Dienstleistungen zurückgewiesen worden ist:
Klasse 10:
Chirurgische Instrumente und Apparate für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie; zahnärztliche Instrumente und Apparate; chirurgisches Nahtmaterial für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie;
Klasse 35:
Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Einzelhandels und Großhandelsdienstleistungen für chirurgische Instrumente und Apparate sowie chirurgisches Nahtmaterial jeweils für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie; Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für zahnärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche Zähne, Zahnprothesen;
Klasse 42:
Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; industrielle Analyse und Forschungsdienstleistungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; industrielle Analyse und Forschungsdienstleistungen im Bereich der Entwicklung und Optimierung von minimalinvasiven Operationsverfahren; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und software im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie; alle vorgenannten Dienstleistungen für Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, plastische und ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Viszeralchirurgie.
Zur Begründung führt sie aus, das Deutsche Patent- und Markenamt habe in seinem angegriffenen Beschluss verkannt, dass vorliegend ebenso auf die Auffassung der allgemeinen Durchschnittsverbraucher und nicht ausschließlich auf die der medizinischen Fachkreise abzustellen sei. Auch erstgenannte informierten sich über ärztliche Methoden, würden von medizinischen Waren bzw. Dienstleistungen angesprochen und nähmen diese in Anspruch. Bei dem Anmeldezeichen handele es sich um einen vagen, mehrdeutigen Begriff mit unklarem Inhalt. Daher stelle es auch keine sachbezogene bzw. beschreibende Angabe dar. „AMIS“ könne nämlich mehrere unterschiedliche Bedeutungen haben. Die angesprochenen Endverbraucher würden das Anmeldezeichen daher entweder als unbekannten oder aber als mehrdeutigen (Fantasie-) Begriff auffassen.
Selbst wenn die angesprochenen Verkehrskreise „AMIS“ als Abkürzung ansehen und versuchen würden, ihren Begriffsinhalt zu erschließen, bedeute dies nicht, dass sie dem Anmeldezeichen die Bedeutung „anterior minimal invasiv surgery“ beimessen oder sich unter ihm etwas Konkretes vorstellen würden. Vielmehr sei das Anmeldezeichen ausschließlich als betrieblicher Herkunftshinweis auf sie zu verstehen, da die Buchstabenfolge immer im Zusammenhang mit ihr verwendet werde und auch sie es gewesen sei, welche das Kürzel „AMIS“ entwickelt habe. Hierbei sei ergänzend zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Anmeldezeichen um eine Wortneuschöpfung handele.
Wenn die angesprochenen Verkehrskreise zu dem vom Deutschen Patent- und Markenamt unterstellten beschreibenden Sinngehalt von „AMIS“ gelangen sollten, müssten sie drei unterschiedliche gedankliche Schritte machen. Zunächst hätten sie das Anmeldezeichen in einzelne Buchstaben zu zerlegen. Diese müssten dann jeweils als Abkürzung für bestimmte Begriffe angesehen werden. Sodann wäre jedem Begriff isoliert eine Bedeutung beizumessen, auf welche sich der angesprochene Verkehr danach festzulegen habe. In einem weiteren Schritt müsste er die jeweiligen Begriffe zusammenführen, um eine verständliche Gesamtaussage zu erhalten. Diese wäre dann in Verbindung mit den beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu setzen. Eine solche mehrteilige, zergliedernde und analysierende Betrachtungsweise würden die angesprochenen Verkehrskreise jedoch nicht vornehmen.
Selbst wenn man das vom Deutschen Patent- und Markenamt unterstellte Verständnis des Anmeldezeichens zugrunde legen würde, so sage dieses dennoch nichts über die beanspruchten Waren und Dienstleistungen aus. Insbesondere beschreibe es sie nicht.
Aus vorgenannten Gründen bestehe an der Buchstabenfolge „AMIS“ auch kein Freihaltebedürfnis.
Abschließend weist die Anmelderin noch darauf hin, dass das EUIPO einer korrespondierenden Unionswortmarke bereits Schutz gewährt habe.
Wegen der näheren Einzelheiten wird ergänzend auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist hinsichtlich der vorliegend allein noch verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen begründet. Insoweit steht der Eintragung des Anmeldezeichens weder das Schutzhindernis des Fehlens der Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG noch des Bestehens eines Freihaltebedürfnisses gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen.
1. Laut Tenor des angegriffenen Beschlusses vom 7. März 2016 wird die Anmeldung u. a. für „Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für künstliche Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche Zähne“ in Klasse 35 zurückgewiesen. Angemeldet sind zwar „Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne“. Die von der Markenstelle für Klasse 10 eigenständig vorgenommene Einfügung des Adjektivs „künstliche“ vor den Substantiven „Augen“ und „Zähne“ begegnet jedoch keinen rechtlichen Bedenken, da bereits die angemeldete Fassung nicht natürliche Augen und Zähne umfasst hat. Die Formulierung „Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne“ lässt darauf schließen, dass sich die Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen lediglich auf künstliche Körperteile beziehen. Die drei Begriffe „Gliedmaßen“, „Augen“ und „Zähne“ sind durch das Komma und die Konjunktion „und“ zu einer Einheit verbunden, so dass zwecks Vermeidung von Wiederholungen von der erneuten Nennung des Adjektivs „künstliche“ vor den Substantiven „Augen“ und „Zähne“ abgesehen werden konnte. Zudem lehnt sich der angemeldete Ausdruck „Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne“ an die Formulierungen in der Internationalen Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken (Nizza-Klassifikation) an, in der lediglich „künstliche Gliedmaßen“, „künstliche Augen“ und „künstliche Zähne“ genannt sind (vgl. Nizza-Klassifikation - Alphabetische Liste der Waren, 11. Ausgabe, gültig ab 1. Januar 2017, Seiten 64 und 65).
2. Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die dem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. EuGH GRUR 2012, 610, Rdnr. 42 - Freixenet; GRUR 2008, 608, Rdnr. 66 f. - EUROHYPO; BGH GRUR 2014, 569, Rdnr. 10 - HOT; GRUR 2013, 731, Rdnr. 11 - Kaleido; GRUR 2012, 1143, Rdnr. 7 - Starsat; GRUR 2012, 1044, Rdnr. 9 - Neuschwanstein; GRUR 2010, 825, Rdnr. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2010, 935, Rdnr. 8 - Die Vision; GRUR 2006, 850, Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. EuGH GRUR 2006, 233, Rdnr. 45 - Standbeutel; GRUR 2006, 229, Rdnr. 27 - BioID; GRUR 2008, 608, Rdnr. 66 - EUROHYPO; BGH GRUR 2008, 710, Rdnr. 12 - VISAGE; GRUR 2009, 949, Rdnr. 10 - My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2012, 1143, Rdnr. 7 - Starsat; GRUR 2012, 1044, Rdnr. 9 - Neuschwanstein; GRUR 2012, 270, Rdnr. 8 - Link economy).
Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren und Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, Rdnr. 24 - Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 943, Rdnr. 24 - SAT.2; BGH GRUR 2010, 935, Rdnr. 8 - Die Vision; GRUR 2010, 825, Rdnr. 13 - Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850, Rdnr. 18 - FUSSBALL WM 2006).
Hiervon ausgehend besitzen Zeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Rdnr. 15 - Aus Akten werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2004, 674, Rdnr. 86 - Postkantoor; BGH GRUR 2012, 270, Rdnr. 11 - Link economy; GRUR 2009, 952, Rdnr. 10 - DeutschlandCard; GRUR 2006, 850, Rdnr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2005, 417 - BerlinCard; GRUR 2001, 1151 - marktfrisch; GRUR 2001, 1153 - antiKALK) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die - etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2006, 850, Rdnr. 19 - FUSSBALL WM 2006; GRUR 2003, 1050 - Cityservice; GRUR 2001, 1143 - Gute Zeiten - Schlechte Zeiten). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft auch solche Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100, Rdnr. 23 - TOOOR!; GRUR 2006, 850, Rdnr. 28 - FUSSBALL WM 2006).
Hiervon ausgehend kann dem Anmeldezeichen hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen die für eine Eintragung erforderliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht abgesprochen werden.
a) Bei den angesprochenen Verkehrsteilnehmern handelt es sich vornehmlich um medizinische Fachkreise. Die verfahrensgegenständlichen chirurgischen bzw. zahnärztlichen Instrumente und Apparate sowie das chirurgische Nahtmaterial in Klasse 10 werden im Wesentlichen von Ärzten zur Diagnose, Behandlung oder Verbesserung der körperlichen Funktionen oder des Gesundheitszustandes von Menschen eingesetzt. Die verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen der Klassen 35 und 42 haben vornehmlich den Handel mit entsprechenden Waren bzw. die minimalinvasive Chirurgie zum Gegenstand. Sie werden folglich von medizinisch vorgebildeten oder im Medizinhandel tätigen Fachleuten angeboten oder nachgefragt.
b) Im Ergebnis zutreffend hat das Deutsche Patent- und Markenamt in seinem angegriffenen Beschluss ausgeführt, dass die maßgeblichen Verkehrskreise die Buchstabenfolge „AMIS“ naheliegend und ohne Weiteres als Abkürzung der Wortfolge „Anterior Minimal Invasive Surgery“ auffassen werden, deren deutsche Bedeutung „minimalinvasive Operation mit anteriorem Zugang“ sich dem des Englischen mächtigen Fachverkehr unmittelbar erschließt. Hierbei ist ergänzend zu berücksichtigen, dass es sich - wie die eigenen, der Beschwerdeführerin mit Hinweis vom 7. September 2017 übermittelten Recherchen des Senats ergeben haben - bei der Buchstabenfolge „AMIS“ bereits vor dem Anmeldezeitpunkt um einen medizinischen Fachbegriff gehandelt hat.
Das Kürzel „AMIS“ ist ein medizinischer Fachterminus und bezeichnet eine Operationstechnik zum Einbringen von Hüftprothesen“ (vgl. unter www.wikipedia.org - „AMIS“). Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Zugang zum Hüftgelenk von vorne durch das sogenannte Hueter-Intervall erfolgt und spezielle Instrumente sowie ein besonderer Operationstisch verwendet werden, um eine möglichst sichere und schonende Operation zu ermöglichen (vgl. unter www.wikipedia.org – „AMIS-Technik“). Hiervon ausgehend werden die angesprochenen Fachkreise unter dem Anmeldezeichen eine spezielle Operationstechnik verstehen, welche die Einbringung von Hüftprothesen zum Gegenstand hat.
c) Die Unterscheidungskraft ist grundsätzlich in Verbindung mit den jeweils beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu beurteilen. Demzufolge vermag ein Anmeldezeichen für bestimmte Waren und Dienstleistungen unterscheidungskräftig zu sein, während ihm für andere die Unterscheidungskraft fehlt (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Auflage, 2015, § 8, Rdnr. 92).
Alle nunmehr noch verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen weisen keinen Sachbezug zu vorgenannter AMIS-Operationstechnik auf. Weder sind die Waren für Hüftoperationen geeignet oder bestimmt, noch bilden diese den maßgeblichen Gegenstand der in Rede stehenden Dienstleistungen:
Die Waren der Klasse 10 kommen nicht nur im zahnärztlichen Bereich, sondern auch in der Gefäß-, Herz-, Thorax-, Viszeral- sowie in der plastischen als auch ästhetischen Chirurgie zum Einsatz. Auf diesen chirurgischen Gebieten werden auch die Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen der Klasse 35 sowie die Dienstleistungen der Klasse 42 erbracht. Die in Klasse 35 weiterhin enthaltenen „Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistungen für zahnärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, künstliche Augen, künstliche Zähne, Zahnprothesen“ stehen ebenfalls mit Hüftoperationen in keinem sachlichen Zusammenhang.
Das gleiche gilt für die Dienstleistungen „Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung“ der Klasse 35. Allein der Umstand, dass die AMIS-Operationstechnik auch Gegenstand dieser Tätigkeiten sein kann, lässt die Unterscheidungskraft des angemeldeten Zeichens insoweit nicht entfallen (vgl. BPatG 28 W (pat) 33/15 - Traumtomaten). Die Kennzeichnungsgewohnheiten lassen nämlich darauf schließen, dass mit Hilfe eines Zeichens nicht auf das Thema der Werbung, Geschäftsführung oder Unternehmensverwaltung hingewiesen wird, da eine solche Festlegung auf einen bestimmten Inhalt eine nicht gewollte Beschränkung bedeuten würde. Insofern kommt dem Kürzel „AMIS“ im Verkehr nicht die Bedeutung einer thematischen Sachangabe, sondern eines betrieblichen Herkunftshinweises zu (vgl. BPatG GRUR 2010, 336, Rdnr. 20 - My World).
3. Aus vorstehend Gesagtem folgt im Ergebnis weiter, dass der Eintragung des Anmeldezeichens hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Waren und Dienstleistungen auch kein Freihaltebedürfnis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegensteht.
Weitere Eintragungshindernisse sind nicht ersichtlich, so dass der Beschwerde stattzugeben war.