Entscheidungsdatum: 12.10.2010
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 307 22 576
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 12. Oktober 2010 durch Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, Richter Kruppa und Richterin am LG Werner
beschlossen:
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
I
Gegen die am 5. April 2007 angemeldete und am 19. Juli 2007 für
„25: Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen;
32: Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtsaftgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken;
33: alkoholische Getränke (ausgenommen Biere);
35: Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten;
43: Dienstleistung zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen“
eingetragene farbige Wort-/Bildmarke 307 22 576
hat die Widersprechende am 29. Oktober 2007 aus ihrer am 7. Juli 2006 angemeldeten Wortmarke 306 07 802
PUR 2
die seit 9. Mai 2006 eingetragen und noch für
„29: Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; konserviertes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Fruchtmus; Eier, Milch und Milchprodukte; Speiseöle und -fette;
30: Kaffee, Tee, Kakao, Zucker, Reis, Tapioka, Sago, Kaffee-Ersatzmittel; Mehle und Getreidepräparate einschließlich Zerealienriegel; Brot; Honig, Melassesirup; Hefe, Backpulver, Salz, Senf, Essig, Saucen (Würzmittel), Gewürze, Kühleis;
32: Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken“
geschützt ist, Widerspruch eingelegt.
Die Markenstelle hat den Widerspruch mit Beschluss vom 2. März 2010 zurückgewiesen. Dazu ist ausgeführt, die zu vergleichenden Zeichen wichen im maßgeblichen Gesamteindruck derart voneinander ab, dass eine Verwechslungsgefahr selbst bei Identität der Waren bzw. Dienstleistungen und einer durchschnittlich Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu verneinen sei. PUR² komme im angegriffenen Zeichen keine allein prägende Bedeutung zu. Entgegen der Auffassung der Widersprechenden könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher diesen Bestandteil aufspalte und sich nur an PUR² orientiere. GO möge in Alleinstellung oder in Verbindung mit anderen Angaben lediglich im Sinn einer Kaufaufforderung verstanden werden, hier erwecke es diesen Eindruck nicht.
PUR 2 GO bilde ein einheitliches Ganzes, zumal es sich bei der 2 GO um eine umgangssprachliche Abkürzung des Ausdrucks „to go“ handle.
Der Verbraucher, der ohnehin nicht zum Analysieren einer ihm markenmäßig entgegentretenden Bezeichnung neige, werde die vorliegende Gesamtbezeichnung nicht aufspalten und verkürzt mit PUR2 wiedergeben. Bei Erkennen des Ausdrucks „to go“ werde die Ziffer 2 zudem nach englischen Phonetikregeln [tu] gesprochen, wozu die Widerspruchsmarke keine Veranlassung gebe.
Auch die Gefahr, dass die Marken gedanklich in Verbindung gebracht würden, sei nicht gegeben, da die zu vergleichenden Marken einen völlig verschiedenen Charakter aufwiesen; Gemeinsamkeiten in Typus und Originalität fehlten.
Die Widersprechende hat am 26. März 2010 Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, bei den identischen Massenwaren bestehe eine Verwechslungsgefahr, weil der Verbraucher sie ohne erhöhte Aufmerksamkeit erwerbe. Die Widerspruchsmarke sei im angegriffenen Zeichen vollständig enthalten. Viele Verbraucher würden die 2 in beiden Marken deutsch aussprechen und nicht als „to“ verstehen. An die Phrase „to go“ im Sinn von „zum Mitnehmen“ sei das Publikum gewöhnt, so dass es in PUR 2 den prägenden Bestandteil sehe.
Auch die Widerspruchsmarke könnte im Zusammenhang mit „to go“ verwendet werden.
Folge man der Markenstelle, so müsste 2 GO entfallen. Dann stünde PUR der Widerspruchsmarke verwechselbar gegenüber, denn die darin enthaltene Zahl sei kennzeichnungsschwach.
Bei alledem sei immer zu berücksichtigen, dass die Marken den Verbrauchern nicht gleichzeitig begegneten, was zu Verwechslungen aus ungenauer Erinnerung heraus führe.
Die Widersprechende beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem angegriffenen Zeichen die Eintragung zu versagen.
Die Inhaberin des angegriffenen Zeichens hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II
1.
Da die Beteiligten keine mündliche Verhandlung beantragt haben und diese nach Wertung des Senats auch nicht geboten ist, kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Dass sich die Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren nicht geäußert hat, steht der vorliegenden Entscheidung nicht entgegen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs gebietet es lediglich, den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu geben, Stellungnahmen zum Sachverhalt abzugeben und ihre eigene Auffassung zu den entsprechenden Rechtsfragen darzulegen sowie Anträge zu stellen. Nachdem der Beschwerdegegnerin die Beschwerdebegründung am 9. Juni 2010 zugestellt wurde, bestand hierzu hinreichend Gelegenheit.
2.
Die statthafte und zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache keinen Erfolg; es besteht auch nach Auffassung des Senats keine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr im Sinn von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.
Zwischen den für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr maßgeblichen Faktoren, Ähnlichkeit der Marken und der mit ihnen gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen, Kennzeichnungskraft der älteren Marke sowie Art und Aufmerksamkeit des beteiligten Publikums, besteht eine Wechselwirkung. So könnte vorliegend eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke den geringeren Grad an Ähnlichkeit der Marken ausgleichen. Mangels erhöhter Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist jedoch keine Gefahr von Verwechslungen gegeben.
a) Bei der Beurteilung der Waren-/Dienstleistungsähnlichkeit ist von der Registerlage auszugehen, da die 2006 eingetragene Widerspruchsmarke noch in der sogenannten Benutzungsschonfrist ist.
Den Waren aus Klasse 25 und den Dienstleistungen aus der Klasse 35 des angegriffenen Zeichens stehen auf Seiten der Widerspruchsmarke keine ähnlichen Waren gegenüber.
Dagegen sind identische Waren aus Klasse 32 für beide Marken beansprucht.
Die Getränke der Klasse 33 des jüngeren Zeichens sind ähnlich zu den Waren aus Klasse 30 und 32 der Widerspruchsmarke.
Zu den Dienstleistungen der Klasse 43 im jüngeren Zeichen sind die Waren der Widerspruchsmarke ähnlich, weil sie im Rahmen von Verpflegungsdienstleistungen angeboten werden.
b) Die Widerspruchsmarke ist wegen der Kombination des Wortes PUR mit einer Ziffer höchstens leicht unterdurchschnittlich kennzeichnungskräftig. „Pur“ selbst ist eine beschreibende Angabe dafür, dass ein Produkt rein ist und keine anderen Stoffe enthält. Dies kann bei den Waren der Widerspruchsmarke durchwegs eine Rolle spielen. Die Ziffer 2 ist als solche ebenfalls kaum kennzeichnungskräftig, da die Verbraucher aus ihr alle möglichen Angaben (Größe, Nachfolgemodell, Filiale etc.) herauslesen können.
Anhaltspunkte für eine dennoch gesteigerte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke im Gesamten sind weder ersichtlich noch von der Widersprechenden dargetan.
c) Unter Berücksichtigung der dargelegten Umstände sind allenfalls im Bereich der Warenidentität durchschnittliche Anforderungen an den erforderlichen Markenabstand zu stellen, um eine Verwechslungsgefahr im markenrechtlichen Sinn auszuschließen - im Übrigen weit geringere Anforderungen, soweit eine Verwechslungsgefahr nicht ohnehin mangels jeder Warenähnlichkeit ausscheidet.
Damit reichen die Abweichungen in den Marken aus, um die Gefahr von Verwechslungen im Sinn von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG hinreichend sicher auszuschließen.
aa) Bildlich unterscheiden sich die Marken aufgrund der graphischen Gestaltung des angegriffenen Zeichens ausreichend.
Selbst die Unterschiede zwischen PUR 2 GO und PUR 2 treten bei üblicher Schreibweise ausreichend deutlich in Erscheinung, da die Zeichenlänge unterschiedlich ist, die 2 im angegriffenen Zeichen hochgestellt geschrieben ist, was einen mathematischen Charakter hat, und dem GO des angegriffenen Zeichens in der Widerspruchsmarke nichts Vergleichbares gegenübersteht.
bb) Den klanglichen Eindruck des angegriffenen Zeichens prägt PUR 2 GO in seiner Gesamtheit. Der Verbraucher hat keine Veranlassung, das GO abzuspalten, zumal es mit der 2 im Sinn von „to“ die Aussage „zum Mitnehmen“ ergibt.
Allenfalls könnte man deswegen ein Abspalten von 2 GO erwägen, wobei das angegriffene Zeichen dann [pur] gesprochen würde.
Sowohl [purtsweigo], [purtugo] als auch [pur] hält aber einen ausreichenden Abstand zu [purtswei] oder [purtu:], weil jeweils eine der zu vergleichenden Formen eine Silbe mehr hat, die die Lautfolge maßgeblich beeinflusst. Dies gilt für das markante -go am Ende ebenso wie für -tswei oder -tu (mit langen u von „two“).
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Aussprache [purtsweigo] beim angegriffenen Zeichen nur in geringem Maße zu erwarten ist, weil die Kombination 2 GO als „zum Mitnehmen“ gerade bei den Getränken erkannt wird und zu der Aussprache [purtugo] führt. Gerade im Getränkebereich, wo teilweise Warenidentität vorliegt, ist somit die klangliche Ähnlichkeit besonders reduziert.
Insgesamt besteht ein so geringer Ähnlichkeitsgrad der Marken, dass sogar bei Identität der Waren und leicht unterdurchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke keine Verwechslungsgefahr besteht.
cc) Allerdings kann eine (unmittelbare) Verwechslungsgefahr auch gegeben sein, wenn den Gesamteindruck einer mehrbestandteiligen Marke gerade der mit der Gegenmarke übereinstimmende Bestandteil prägt und die übrigen Bestandteile demgegenüber weitgehend in den Hintergrund treten und für den Gesamteindruck des Zeichens vernachlässigt werden können (BGH GRUR 2004, 598 - Kleiner Feigling; GRUR 2004, 865 - Mustang). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich grundsätzlich allein anhand der betreffenden Marke selbst, d. h. ohne Rücksicht auf die Vergleichsmarke (BGH GRUR 1996, 198, 199 - Springende Raubkatze; GRUR 2000, 895 - Ewing; GRUR 2002, 342, 343 - Astra/Estra-puren). Nach diesen Grundsätzen kann eine den Gesamteindruck prägende und damit kollisionsbegründende Stellung des Bestandteils „PUR 2 “ im angegriffenen Zeichens nicht bejaht werden. Eine hochgestellte Zahl bezieht sich regelmäßig auf das Vorhergehende; hier verbindet sich die 2 außerdem mit GO zu „to go“.
Zwar handelt es sich bei der angegriffenen Marke nicht um einen geschlossenen Gesamtbegriff, denn weder „purzweigo“ noch „purtogo“ vermittelt einen verständlichen Sinngehalt des Gesamtzeichens. Dennoch wird der Gesamteindruck der jüngeren Marke nicht durch den Bestandteil „Pur 2 “ geprägt. Zwar mögen Waren, für die das angegriffene Zeichen eingetragen ist, zum Mitnehmen geeignet sein, aber „pur“ taugt als beschreibende Angabe nicht als Marke.
Allerdings erfährt der Grundsatz, wonach die gegebenenfalls den Gesamteindruck einer Marke prägenden Elemente ohne Rücksicht auf die Gegenmarke zu ermitteln sind, eine Einschränkung, wenn der übereinstimmende Bestandteil aufgrund seiner tatsächlichen Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft erlangt hat. Eine solche Stärkung wirkt sich nicht nur auf die Kennzeichnungskraft der älteren Marke aus, sondern bewirkt gleichzeitig, dass diese auch dann einen Hinweis auf den Inhaber der älteren Marke gibt, wenn sie nicht isoliert, sondern als Bestandteil eines anderen, jüngeren Zeichens auftritt (BGH GRUR 2003, 880, 881 - City Plus). Eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke besteht jedoch weder insgesamt noch für deren Bestandteile PUR bzw. 2. Dementsprechend kommt den Bestandteilen PUR, PUR2 und 2 eine den Gesamteindruck der jüngeren Marke prägende Stellung auch nicht auf der Grundlage einer erhöhten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu.
dd) Über die Grundsätze der (modifizierten) Prägetheorie hinaus kann eine Verwechslungsgefahr zwar auch dann bestehen, wenn die jüngere Marke neben anderen Elementen einen mit der Widerspruchsmarke identischen Bestandteil enthält und dieser in dem zusammengesetzten Zeichen, ohne zu prägen, eine selbständig kennzeichnende Stellung behält (EuGH GRUR 2005, 1042 - Thomson life; BGH GRUR 2006, 859 - Malteserkreuz). Dennoch kann nicht jede Übernahme einer älteren Marke in ein jüngeres Kombinationszeichen automatisch zur Annahme einer Verwechslungsgefahr führen. Dazu bedarf es vielmehr besonderer Anhaltspunkte dafür, dass der betreffende Bestandteil in dem jüngeren Zeichen eine selbständig kennzeichnende Stellung einnimmt. Das wäre z. B. der Fall, wenn der älteren Marke lediglich der Handelsname oder eine bekannte Marke des Jüngeren hinzugefügt wird. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Sonstige Anhaltspunkte, die den Bestandteil „Pur 2 “ in der angegriffenen Marke als selbständig kennzeichnend erscheinen lassen könnten, liegen nicht vor.
ee) Es besteht auch nicht die Gefahr, dass das Publikum die Vergleichsmarken über eine gedankliche Verbindung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2, 2. Halbs. MarkenG verwechselt. Diese Art von Verwechslungsgefahr setzt voraus, dass der Verbraucher die Unterschiede der Marken zwar wahrnimmt, jedoch auf Grund von Gemeinsamkeiten in der Zeichenbildung die angegriffene Marke der Inhaberin der Widerspruchsmarke zuordnet oder auf sonstige wirtschaftliche oder organisatorische Verbindungen zwischen den Markeninhabern schließt.
Eine solche Verwechslungsgefahr besteht im vorliegenden Fall nicht, zumal weder die Widersprechende noch die Inhaberin des angegriffenen Zeichens (BPatG GRUR 2009, 96 - FlowParty/flow) eine Markenserie mit dem Stammbestandteil PUR oder PUR2 oder 2 unterhält.
Auch sonst fehlen für eine gedankliche Verbindung durchgreifende Anhaltspunkte. Es kann insbesondere nicht unterstellt werden, dass die Verbraucher vorliegend PUR 2 GO so verstehen, als würde das Produkt PUR2 der Widersprechenden hier zum Mitnehmen angeboten. Dazu müssten sie entweder die 2 der Widerspruchsmarke vernachlässigen oder die 2 im angegriffenen Zeichen beiden Bestandteilen im Sinn von „PUR2 to go“ zuordnen. Derartig „haar-“ und zeichenspalterische Überlegungen können den allgemeinen Verbraucherkreisen hier nicht unterstellt werden, da die Widerspruchsmarke keine bekannte Marke ist. Nur bei einer bekannten Marke könnte sich ein solches Verständnis aufdrängen.
3.
Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeit besteht kein Anlass (§ 71 Abs. 1 MarkenG), da die Bearbeitung des Widerspruchs gegen die Waren und Dienstleistungen der Klasse 25 und 43, denen auf Seiten der Widerspruchsmarke keine auch nur geringgradig ähnlichen Waren gegenüberstehen, keine besonderen Kosten verursacht hat.