Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 10.05.2015


BPatG 10.05.2015 - 27 W (pat) 39/14

Markenbeschwerdeverfahren – "Miss Merci/Merci" – keine Warenähnlichkeit – zur Kennzeichnungskraft – keine unmittelbare und mittelbare Verwechslungsgefahr – kein Löschungsgrund des Sonderschutzes der bekannten Marke


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
27. Senat
Entscheidungsdatum:
10.05.2015
Aktenzeichen:
27 W (pat) 39/14
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2012 001 465.8

hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 2015 durch Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, Richter Hermann und Richterin Werner

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1

Gegen die am 12. Januar 2012 angemeldete und am 20. August 2012 für

2

Klasse 3:

3

Kosmetika, ätherische Öle, Augenbrauenkosmetika, Lippenstifte, Hautcreme (kosmetisch), Parfümeriewaren, Kosmetikstifte, Massageöle, Nagellack, Öle für Körper- und Schönheitspflege, Rasiermittel, Schminkpuder, Schönheitsmasken, Seifen, Tag- und Nacht-Creme

4

Klasse 9:

5

Brillen, Brillenetuis, Brillengläser, Brillenrahmen, Sonnenbrillen

6

Klasse 14:

7

Schmuckwaren; Edelmetalle; Amulette; Uhren; Taschenuhren; Halsketten; Armbänder; Ringe; Ketten (Schmuckwaren); Schmuckkästen; Münzen; Ohrringe

8

Klasse 25:

9

Bekleidung, Schuhe, Babyhosen, Babywäsche, Bademäntel, Badesandalen, Bekleidung aus Lederimitat, Bekleidung für Kfz-Fahrer, Bodysuits, Damenkleider, Westen, Gymnastikbekleidung, Röcke, Hosen, Jacken, Unterwäsche, Hemden für Männer und Frauen, Strümpfe, Strumpfhosen, Leggings, Hosenträger, Kopfbedeckungen, Schals, Schärpen, Krawatten, Anzüge, Korsetts, Mäntel, Mützen, Overalls, Pantoffeln, Parkas, Pullover, Regenmäntel, Sandalen, Schlafanzüge, Stiefel, Socken, Sportschuhe, Trikots, Sportbekleidung

10

eingetragenen Wortmarke 30 2012 001 465

11

Miss Merci

12

hat die Widersprechende am 8. Dezember 2012 aus ihrer seit 1964 für

13

Klasse 30: Kakao, Schokolade, Zuckerwaren

14

eingetragenen Marke

15

Merci

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Widerspruch eingelegt und dabei auf die Bekanntheit ihrer Marke hingewiesen.

17

Die Markenstelle hat den Widerspruch mit Beschluss vom 19. Februar 2014 zurückgewiesen und dies damit begründet, es könne von einer Bekanntheit der Widerspruchsmarke für die Waren „Klasse 30: Kakao, Schokolade, Zuckerwaren" als amtsbekannt ausgegangen werden. Anders als § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG setze der Löschungsgrund gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG zwar keine Ähnlichkeit der von der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke beanspruchten Waren voraus, aber eine Ähnlichkeit der Marken müsse vorliegen, die beim angesprochenen Publikum zu Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG, jedenfalls aber zu gedanklichen Verknüpfungen zwischen den Marken führe.

18

Mangels Markenähnlichkeit könne davon aber nicht ausgegangen werden.

19

Stelle man die angegriffene Marke „Miss Merci“ der Widerspruchsmarke „Merci“ in ihrer Gesamtheit gegenüber, verhindere der in der angegriffenen Marke vorangestellte von der Widerspruchsmarke abweichende Wortbestandteil „Miss“ unmittelbare Verwechslungen in klanglicher, schriftbildlicher und begrifflicher Hinsicht.

20

Entgegen der Auffassung der Widersprechenden könne keine Verwechslungsgefahr aufgrund einer Prägung der Vergleichsmarken durch den Wortbestandteil „Merci“ angenommen werden, denn dieser Bestandteil präge den Gesamteindruck der angegriffenen Marke nicht. Der vorangestellte Bestandteil „Miss“ trete nicht so in den Hintergrund, dass er zum Gesamteindruck nichts beitrage.

21

Der angesprochene Durchschnittsverbraucher habe auch deshalb keine Veranlassung, sich in der Wahrnehmung der Zeichen ausschließlich an dem übereinstimmenden Bestandteil „Merci“ zu orientieren, weil er davon ausgehen werde, dass es sich um einen einheitlichen Gesamtbegriff handle.

22

Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichsmarken scheide daher aus.

23

Es bestehe auch keine Verwechslungsgefahr durch gedankliches In-Verbindung-Bringen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 2. Hs MarkenG). Die Gefahr, dass die jüngere Marke wegen der Übereinstimmung in "Merci“ mit der Widerspruchsmarke gedanklich als ein davon abgeleitetes Serienzeichen in Verbindung gebracht werden könnte, sei zu verneinen, zumal nicht bekannt sei, dass die Widersprechende ähnlich gebildete Serienzeichen besitze.

24

Auch Verwechslungsgefahr durch Markenusurpation sei nicht gegeben, denn der Bestandteil „Merci“ habe keine selbstständig kennzeichnende Stellung, wodurch bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen werden würde, dass die fraglichen Waren zumindest aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammten. Hierfür müssten weitere besondere Umstände hinzutreten, die den Bestandteil als eine im Rahmen des Gesamtzeichens selbständige Kennzeichnung erscheinen ließen. Dies könne zwar bei einer Kombination mit einer bekannten Marke der Fall sein, jedoch stehe der Annahme einer selbstständig kennzeichnenden Stellung in diesem Sinne wiederum der gesamtbegriffliche Charakter der angegriffenen Marke entgegen.

25

Auch eine gedankliche Verknüpfung zwischen den Marken werde der Verbraucher nicht vornehmen. Selbst wenn ihn die angegriffene Marke an die Widersprechende erinnern sollte, werde er nur an deren typisches Betätigungsfeld (Schokolade) denken. Für den Verbraucher, der auf Kosmetika, Brillen, Schmuck oder Bekleidung u. a. die angegriffene Bezeichnung „Miss Merci“ sehe, liege es nicht nahe, dabei spontan an die Widerspruchsmarke „Merci“ zu denken.

26

Aber selbst wenn man von einer Verwechslungsgefahr oder von einer gedanklichen Verknüpfung ausgehen wollte, fehlten konkrete Anhaltspunkte, um ein Ausnutzen bzw. Beeinträchtigen der Unterscheidungskraft bzw. Wertschätzung der Widerspruchsmarke annehmen zu können (vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Aufl., § 14 Rn. 309). Ein Ausnutzen der Wertschätzung liege vor, wenn sich der Dritte in den Bereich der Sogwirkung der bekannten Marke begebe, um von ihrer Anziehungskraft, ihrem Ruf und ihrem Ansehen zu profitieren, und ohne jede finanzielle Gegenleistung und ohne dafür eigene Anstrengungen machen zu müssen, die wirtschaftlichen Anstrengungen des Markeninhabers zur Schaffung und Aufrechterhaltung des Images der Marke auszunutzen (vgl. EuGH, GRUR 2009, 756 – 763 – L´Oréal/Bellure). Die Widerspruchsmarke sei für Schokolade bekannt. Die mit ihr gekennzeichneten Produkte hätten aber keinen Prestigewert.

27

Dieser Beschluss wurde der Widersprechenden am 24. Februar 2014 zugestellt.

28

Die Widersprechende hat am 23. Mai 2014 Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, die Verwechslungstatbestände müssten klar getrennt werden.

29

Die Annahme, die neu eingetragene Marke "Miss Merci" nutze die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Widerspruchsmarke "Merci" nicht aus oder beeinträchtigte diese nicht, sei falsch. Die Widerspruchsmarke "Merci" sei eine bekannte Marke; die Qualitätspraline "Merci" genieße höchste Wertschätzung und habe einen hohen Prestigewert.

30

Die angegriffene Marke "Miss Merci" und die Widerspruchsmarke "Merci" seien verwechselbar ähnlich, weil das Publikum teils die Marken miteinander verwechseln - und zwar auch dann, wenn die Marken für verschiedene Produktbereiche verwendet würden - und teilweise jedenfalls annehmen werde, es gäbe zwischen dem Inhaber der angemeldeten Marke und der Inhaberin der Widerspruchsmarke eine wirtschaftliche Verflechtung.

31

Es bestehe partielle Identität, indem die Widerspruchsmarke vollständig in der angegriffenen Marke enthalten sei. Der Sinngehalt der Widerspruchsmarke gebe den Gedankeninhalt "Merci" wieder. Die angegriffene Marke bringe den gleichen Gedankeninhalt zum Ausdruck. Die Ergänzung durch das Wort "Miss" werde als rein beschreibend aufgefasst, so dass sie mit einer weiblichen Person in Verbindung gebracht werde, an die das Angebot gerichtet sei oder von ihr stamme. Der Sinngehalt der angegriffenen Marke konkretisiere die allgemeine Aussage der Widerspruchsmarke, ohne diese in ihrem kennzeichnenden Charakter zu verändern. „Miss“ werde stets als Ergänzung zum übrigen Namen aufgefasst, der dem verbleibenden Teil nicht seine selbständig prägende Stellung raube.

32

Verbraucher, die den Unterschied der Marken wahrnähmen, würden auch wahrnehmen, dass die Marken auf einander bezogen seien.

33

Die Übertragung des Wertes aus der Widerspruchsmarke "Merci" auf eine gleiche und/oder ähnliche Marke auf andere Produkte und somit die Möglichkeit, von diesem Wert zu profitieren und ihn durch eigene Verwendung zu beschädigen, also der "Transfer", liege vorliegend nahe. Auch würde eine Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft und der Wertschätzung der bekannten Marke eintreten.

34

Die Widersprechende beantragt sinngemäß,

35

den Beschluss der Markenstelle aufzuheben und dem Widerspruch stattzugeben.

36

Hilfsweise regt sie an, die Rechtsbeschwerde zuzulassen oder die Sache dem EuGH vorzulegen.

37

Demgegenüber beantragt der Inhaber des angegriffenen Zeichens,

38

die Beschwerde zurückzuweisen.

39

Er ist der Auffassung, die Markenstelle habe eine Verwechslungsgefahr zutreffend verneint.

II

40

Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache keinen Erfolg.

41

Es besteht auch nach Auffassung des Senats keine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr im Sinn von § 9 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 MarkenG.

42

Trotz der hohen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke für Schokoladeprodukte ist vorliegend keine Gefahr von Verwechslungen bzw. Ausnutzung des Rufs einer bekannten Marke gegeben.

43

Da keine Warenähnlichkeit gegeben ist, besteht weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Verwechslungsgefahr, wie die Markenstelle zutreffend ausgeführt hat. Hierauf kann zu Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden.

44

Es kann dem Beschwerdegegner auch nicht angelastet werden, den Ruf der Widerspruchsmarke auszunutzen oder zu beschädigen. Das französische Wort für „Danke“ wirkt in der Kombination mit „Miss“ im Umfeld von Waren ohne jeden Bezug zu Süßigkeiten oder anderen verzehrbaren Waren nicht als auf die Widerspruchsmarke bezogen.

45

Die Eintragung einer Marke ist auf den Widerspruch aus einer prioritätsälteren Marke nach § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 3 MarkenG aber nur zu löschen, wenn die angegriffene Marke geeignet ist, die Wertschätzung der Widerspruchsmarke zu beeinträchtigen bzw. unlauter auszunutzen.

46

Ein Ausnutzen der Wertschätzung der bekannten Marke, die mit dem Begriff der Rufausbeutung gleichzusetzen ist, liegt vor, wenn ein Dritter sich durch die Zeichenverwendung in die Sogwirkung der bekannten Marke begibt, um von deren Anziehungskraft, Ansehen und Ruf zu profitieren, ohne eine finanzielle Gegenleistung oder eigene Anstrengungen aufzuwenden (EuGH, Urteil vom 23.03.2010, GRUR 2010, 445 Rn. 102 – Google/Google France), mithin die Vorteile, den wirtschaftlichen Wert der Marke und die Anstrengungen des Inhaber der bekannten Marke zur Schaffung und Aufrechterhaltung des Markenimages ausnutzt (EuGH, Urteil vom 18.06.2009, GRUR 2009, 756 Rn. 41, 49 – L’Oréal/Bellure) und im Wege des Imagetransfers Assoziationen mit der bekannten Marke weckt und den fremden guten Ruf zugunsten der eigenen Vermarktung anzapft (BGH, Urteil vom 01.10.2009 - I ZR 134/07, GRUR 2010, 161 Rn. 33 – Gib mal Zeitung).

47

Hier erfolgt jedoch kein Imagetransfer. Bei den beanspruchten Waren denken die Verbraucher bei der Kombination „Miss Merci“ nämlich nicht an das für Pralinen bekannte Produktkennzeichen.

48

Eine gesteigerte Kennzeichnungskraft gilt nämlich nur für die Waren, für die eine durch intensive Benutzung gesteigerte Verkehrsgeltung feststellbar ist (BGH GRUR 2004, 239, 240 - Donline). Die Verkehrsgeltung strahlt dann allenfalls auf eng verwandte Waren aus, nimmt aber mit zunehmender Entfernung ab, so dass sie vorliegend kaum noch zum Tragen kommt. Eine erhöhte Kennzeichnungskraft kann nicht auf alle nur ähnlichen Waren, geschweige denn auf unähnliche Waren durchschlagen (vgl. BPatGE 41, 168 - Lignopol; BPatG GRUR 1997, 293, 294 - Green Point / Der grüne Punkt; Beschluss vom 8. November 2000 -28 W (pat) 7/00 Elle Due / Elle; vom 10. November 1998 - 24 W (pat) 145/97 - Pourelle / Elle).

49

Die Widerspruchsmarke ist das französische Wort für Danke und hat damit eine eigenständige Bedeutung, die ohne Zusammenhang mit Schokoladenprodukten vorherrscht und keinen Gedanken an die Widerspruchsmarke nahelegt.

50

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeit besteht kein Anlass (§ 71 Abs. 1 MarkenG).

51

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen. Der Senat hat nicht über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs über einen Einzelfall entschieden. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil nicht von Entscheidungen anderer Senate des Bundespatentgerichts oder anderer nationaler Gerichte abgewichen worden ist, sondern eine Einzelfallentscheidung anhand von tatsächlichen Gegebenheiten, insbesondere dem Sinngehalt von „Merci“ getroffen worden ist, die mit den tatsächlichen Gegebenheiten in anderen, von der Widersprechenden zur Stützung ihrer Rechtsauffassung angeführten Entscheidungen nicht vergleichbar sind.

52

Demgemäß kann der Senat auch dem EuGH keine Rechtsfrage vorlegen.