Entscheidungsdatum: 23.11.2011
In der Beschwerdesache
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betreffend die Marke 305 37 549
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 23. November 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie des Richters Reker und der Richterin Dr. Schnurr
beschlossen:
Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Juli 2011 wird aufgehoben.
I.
Gegen die für Waren und Dienstleistungen der Klassen 16, 35 und 39 eingetragene Wort-Bildmarke 30537549
war Widerspruch erhoben worden aus der prioritätsälteren, für Waren und Dienstleistungen der Klassen 21, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 3, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45 eingetragenen Wort-/Bildmarke 30348717
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Mit Beschluss vom 30. August 2006 hatte die Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts den Widerspruch zurückgewiesen.
Im Erinnerungsverfahren hat die Inhaberin der jüngeren Marke im Juli 2010 die Einrede der Nichtbenutzung erhoben. Die Widersprechende und Erinnerungsführerin hat am 24. Juni 2011 mitgeteilt, dass sich die Parteien wie aus der anliegenden Vereinbarung ersichtlich geeinigt hätten und sie selbst die Vereinbarung nach Erhalt der Originale gegenzeichnen werde. Das per Telefax übermittelte Vertragsdokument datiert vom 23. Juni 2011 und lässt die Unterschrift des Verfahrensbevollmächtigten der Inhaberin der jüngeren Marke erkennen. Der Vertragstext enthält keine Regelung zur Verteilung der Verfahrenskosten.
Ohne auf diese an sie am 4. Juli 2011 versandten Dokumente einzugehen, hat die Inhaberin der jüngeren Marke mit Schriftsatz vom 6. Juli 2011, der der Widersprechenden mit Schreiben von Donnerstag, dem 14. Juli 2011 übersandt worden ist, die Markenstelle um eine Entscheidung der Sache gebeten und moniert, ein von der Widersprechenden unterzeichneter Vergleich existiere bis heute nicht.
Daraufhin hat die Markenstelle mit Beschluss von Dienstag, den 19. Juli 2011 die Erinnerung zurückgewiesen und der Widersprechenden die Kosten des Verfahrens auferlegt. Diese Kostenentscheidung, so die Markenstelle, entspreche der Billigkeit, da die Widersprechende auf die zulässig erhobene Einrede der Nichtbenutzung hin den Widerspruch ohne ernsthaften Versuch der erforderlichen Glaubhaftmachung der Benutzung weiterverfolgt habe.
Einen Tag später hat die Widersprechende, die ihren Widerspruch inzwischen zurückgenommen hat, der Markenstelle die von beiden Parteien unterzeichnete Einigungsvereinbarung übersandt. Diese trägt das Datum des 23. Juni 2011.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Widersprechende gegen die Entscheidung der Markenstelle, ihr vom Regelfall des § 63 Abs. 1 S. 3 MarkenG abweichend sämtliche Kosten des Widerspruchs- und Erinnerungsverfahrens aufzuerlegen.
Die Widersprechende beantragt sinngemäß,
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Juli 2011 aufzuheben.
Die Markeninhaberin hat in der Beschwerdeinstanz bislang keinen Antrag gestellt.
II.
Die gem. § 66 Abs. 1, 2 MarkenG zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Einer Aufrechterhaltung der angefochtenen Kostenentscheidung steht die zwischen den Parteien getroffene Einigungsvereinbarung vom 23. Juni 2011 entgegen. Zur Überzeugung des Senats haben auch am 19. Juli 2011 die Voraussetzungen zum Erlass der angefochtenen Kostenentscheidung nicht vorgelegen.
Eine isolierte Anfechtung der Kostenentscheidung des Deutschen Patent- und Markenamts mit der Beschwerde ist statthaft. § 99 Abs. 1 ZPO ist insoweit nicht anwendbar (vgl. Kirschnek, Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., Rn. 9 zu § 71; Kirchner Mitt. 1968, 147 ff. m. w. N.; BPatGE 10, 311, 312; 12, 193, 195).
Das Gesetz geht davon aus, dass – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens – grundsätzlich jeder Beteiligte die ihm entstandenen Kosten selbst trägt, § 63 Abs. 1 S. 3 MarkenG (vgl. Kirschneck, Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., Rn. 3 zu § 63.). Abweichungen von diesem Grundsatz können aus Billigkeitsgründen geboten sein, § 63 Abs. 1 S. 1 MarkenG, sind hier jedoch nicht veranlasst.
Für die Aufrechterhaltung einer Kostenentscheidung in der Beschwerdeinstanz fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, sofern, wie hier, die Parteien untereinander bereits eine die Kostenfrage umfassende Einigung in der Sache getroffen haben. Mit der Einigungsvereinbarung vom 23. Juni 2011 hat die Widersprechende eine inzwischen von beiden Parteien unterzeichnete Privaturkunde i. S. d. § 416 ZPO i. V. m. § 82 MarkenG vorgelegt, die - ungeachtet des Zeitpunktes ihrer Entstehung - zwischen den Vertragspartnern die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit begründet (vgl. BGH WM 1987, 938 - 939; BGH NJR 2002, 3164; KG OLGZ 77, 487; Schlesw NZM 2002, 176). In dieser Vereinbarung haben die Parteien zur Erledigung dieses Verfahrens abschließende Regelungen getroffen. Da die Vereinbarung keine gesonderte Bestimmung zur Verteilung der Verfahrenskosten enthält, ist sie gem. §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont dahingehend auszulegen, dass es nach dem Willen der Parteien bei dem Grundsatz verbleiben sollte, dass jeder Beteiligte die ihm erwachsenen Kosten selbst trägt, § 63 Abs. 1 S. 1 MarkenG. Diese Auslegung entspricht der Vorschrift des § 63 Abs. 1 S. 3 MarkenG, nach welcher diese Art der Kostenteilung zur Anwendung kommt, soweit eine Bestimmung über die Kosten nicht getroffen wird. Einer zusätzlichen, von diesem Grundsatz abweichenden Kostenentscheidung bedarf es nicht. Schon aus diesem Grunde ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Darüber hinaus hat es bereits am 19. Juli 2011 nicht der Billigkeit entsprochen, der Widersprechenden die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Denn zu diesem Zeitpunkt hat die Widersprechende nicht mit dem Erlass einer verfahrensbeendenden Entscheidung durch die Markenstelle rechnen müssen. Und es entspricht nicht der Billigkeit, einer Partei die gesamten Verfahrenskosten mit der Begründung aufzuerlegen, diese habe auf eine zulässige Einrede der Nichtbenutzung ihren Widerspruch ohne ernsthaften Versuch einer Glaubhaftmachung der Benutzung ihrer Marke weiterverfolgt (vgl. hierzu Knoll, Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl. Rn. 15 zu § 71; BPatG MA 1975, 331, 332; MA 1976, 500 f.; BPatG Mitt. 1981, 43; BPatGE 22, 211, 212 f; 29, 44, 47; 38, 102, 104 f. - bonjour; BPatG GRUR 1996, 981, 982 – ESTAVITAL; (vgl. BGH GRUR 1972, 600, 601 - Lewapur; GRUR 1996, 399, 401 - Schutzverkleidung; BPatGE 23, 224, 227), sofern aus Sicht der Widersprechenden Einigungsverhandlungen bereits erfolgreich beendet sind.
Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte der Inhaberin der jüngeren Marke im Juni 2011 die Einigungsvereinbarung unterzeichnet und die Widersprechende dieses Dokument per Telefax der Markenstelle mit dem Hinweis auf eine entsprechende Einigung beider Parteien übermittelt hatte, hat für den Erlass einer Kostenentscheidung aus Sicht der Widersprechenden kein Anlass mehr bestanden. Denn der im Text dieser Vereinbarung geäußerte, übereinstimmende Parteiwille hat, wie ausgeführt, einer der Regelung des § 63 Abs. 1 S. 3 MarkenG entsprechenden Kostenteilung entsprochen. Dass die Markenstelle gleichwohl noch eine Entscheidung in der Sache treffen könnte, hat die Widersprechende nach Aktenlage frühestens in Erwägung ziehen müssen, als sie den Schriftsatz der Gegenseite vom 6. Juli 2011 zusammen mit dem Anschreiben der Markenstelle von Donnerstag, den 14. Juli 2011 erhalten hat. Vor Erlass der angefochtenen Kostenentscheidung am folgenden Dienstag, den 19. Juli 2011 hat sie unter Berücksichtigung der üblichen Postlaufzeiten jedoch keine Gelegenheit erhalten, sich zur Sache zu äußern. Rechtliches Gehör zu diesem Begehren der Gegenseite und der Frage einer Einigung hätte ihr indes gewährt werden müssen, Art. 103 Abs. 1 GG, § 59 Abs. 2 MarkenG. Das Begehren der Gegenseite nach einer Entscheidung der Markenstelle hat die Widersprechende nach Aktenlage überraschen müssen, denn der Verfahrensbevollmächtigte der Inhaberin der jüngeren Marke hatte die Einigungsvereinbarung zu diesem Zeitpunkt bereits unterzeichnet; und nach dem Vortrag der Widersprechenden waren sich die Parteien mündlich bereits einig geworden. Möglicherweise war auch die vom 23. Juni 2011 datierende Einigungsvereinbarung bereits von beiden Parteien unterzeichnet, als der Widersprechenden der Schriftsatz der Gegenseite vom 6. Juli 2011 zugegangen ist. Die Frage einer Einigung hätte die Markenstelle vor Erlass einer verfahrensbeendenden Entscheidung mit negativer Kostenfolge für die Widersprechende klären müssen.
Hinzu kommt, dass es die Markenstelle der Widersprechenden durch ihre Entscheidung vom 19. Juli 2011 auch verwehrt hat, nach erfolgversprechend bis zur Unterschriftsreife geführten Einigungsverhandlungen im Rahmen eines abschließenden Sachvortrags ggf. weitere Benutzungsunterlagen vorzulegen. Dies wäre auch unter Wahrung der in Benutzungsfragen gebotenen Neutralitätspflicht der Markenstelle leicht dadurch möglich gewesen, dass sie beispielsweise den Schriftsatz vom 6. Juli 2011 der Widersprechenden „mit Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme bis zum….“ übersandt und die selbst gesetzte Frist eingehalten hätte.
Angesichts dessen kann dahinstehen, ob der Widersprechenden am 19. Juli 2011 auch deshalb kein Verstoß gegen die ihr obliegende prozessuale Sorgfaltspflicht vorzuwerfen gewesen ist, weil sie bereits zusammen mit der im April 2006 verfassten Widerspruchsbegründung Belege zur Akte gereicht hat, die zumindest teilweise den hier maßgeblichen Benutzungszeitraum des § 43 Abs. 1 S. 2 MarkenG von November 2006 bis November 2011 betreffen. Ob sich diese Unterlagen dazu eignen, einen nicht von vornherein völlig untauglichen Versuch der Glaubhaftmachung zu unternehmen (vgl. Knoll, Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., Rn. 15 zu § 71; Anl. 7, 9 und 36 zum Schriftsatz der Widersprechenden vom 4. April 2006), - was einer Auferlegung sämtlicher Verfahrenskosten auf die Widersprechende ebenfalls entgegenstünde - bedarf in diesem Zusammenhang keiner abschließenden Entscheidung.
Aus diesen Gründen hat die Beschwerde Erfolg.
Für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG besteht schließlich keine Veranlassung.