Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 14.12.2011


BPatG 14.12.2011 - 26 W (pat) 577/10

Markenbeschwerdeverfahren – "MEMO/MOMO" – Warenähnlichkeit - zur Kennzeichnungskraft - keine unmittelbare Verwechslungsgefahr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
26. Senat
Entscheidungsdatum:
14.12.2011
Aktenzeichen:
26 W (pat) 577/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2008 044 414

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 14. Dezember 2011 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie des Richters Reker und der Richterin Dr. Schnurr

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1

Gegen die Eintragung der Marke 30 2008 044 414

2

MOMO_

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für die Ware

4

„Klasse 33: Weine“

5

ist Widerspruch erhoben worden aus der für die Waren

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„Klasse 29:  Konserviertes, getrocknetes und gekochtes Obst und  Gemüse; Gallerten (Gelees), Fruchtmus; Eier, Milch und  Milchprodukte; Speiseöle und -fette;

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Klasse 30:  Reis, Tapioka, Sago; Mehle und Getreidepräparate; Brot;  Honig, Melassesirup; Hefe, Backpulver, Salz, Senf,  Essig, Saucen (Würzmittel), Gewürze, Kühleis;

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Klasse 32:  Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer  und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und  Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die  Zubereitung von Getränken“

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eingetragenen prioritätsälteren Marke 304 59 208

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_MEMO.

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Die Markenstelle für Klasse 33 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mit Beschluss vom 21. Oktober 2010 zurückgewiesen, weil zwischen den Kollisionszeichen nicht die Gefahr von Verwechslungen bestehe, §§ 43 Abs. 2, 42 Abs. 2 Nr. 1 und 9 Abs. 1 Nr. 1 und 2 MarkenG. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass die angegriffene Marke, ausgehend von einer zumindest durchschnittlichen Ähnlichkeit der von ihr beanspruchten Ware "Weine" und den Waren, für welche die Widerspruchsmarke Schutz genießt, den angesichts dessen gebotenen mittleren Zeichenabstand einhalte. Zwar stimmten die Kollisionszeichen klanglich in der Silbenzahl und im Konsonantengerüst überein. Der klangliche Gesamteindruck sei jedoch, bedingt durch den im ersten Konsonanten bestehenden Unterschied zwischen dem lang gesprochenen, geschlossenen "e" und dem kurzen, offenen "o" hinreichend unterschiedlich. Angesichts der Kürze der Vergleichszeichen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dem normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher die unterschiedlichen Bedeutungen der Markenwörter - Kurzwort für "Memorandum" einerseits bzw. Titel und Protagonist eines Kinderbuches andererseits - durchaus bekannt seien und das Auseinanderhalten zusätzlich erleichterten, reiche dieser Unterschied aus, um auch unter ungünstigen Übermittlungsbedingungen die Gefahr des Verhörens auszuschließen. Aufgrund der Kürze der Vergleichszeichen und der unterschiedlichen Begriffsgehalte reiche der Unterschied in den Buchstaben "e" und "o" auch schriftbildlich aus, um den durchschnittlichen Anforderungen an den Zeichenabstand zu genügen. Die Gefahr begrifflicher Verwechslungen oder eines gedanklichen In-Verbindung-Bringens der Marken bestehe ebenfalls nicht.

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Gegen diese Entscheidung wendet sich die Widersprechende mit ihrer Beschwerde. Sie hält die Abweichung der beiderseitigen Marken in nur einem Buchstaben zur Vermeidung von Verwechslungen weiterhin für nicht ausreichend und bezieht sich zur Begründung u. a. auf zwei Entscheidungen des HABM (Beschluss vom 23. Januar 2002, HABM R0566-/012-3 - TORTI/TOSTI; Beschluss vom 8. Januar 2003, HABM R0719-01-4 - MERRY/TERRY) sowie auf eine Entscheidung des 26. Senats vom 22. Februar 2010 (BPatG PAVIS PROMA 26 W (pat) 39/09 - TENGO/TANGO). Sie verweist ferner darauf, dass die Marken jeweils für Massenwaren bestimmt seien, die nicht mit großer Aufmerksamkeit erworben würden, und dass das Schriftbild der einzigen unterschiedlichen Buchstaben „e“ und „o“ große Ähnlichkeit aufweise, weshalb die Gefahr von schriftbildlichen Verwechslungen bestehe.

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Die Widersprechende beantragt sinngemäß,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 33 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 21. Oktober 2010 aufzuheben und die Löschung der Marke 30 2008 044 412 anzuordnen.

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Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Sie hält die klanglichen und schriftbildlichen Unterschiede zwischen den beiderseitigen Marken angesichts der ihrer Ansicht nach nur teilweise bestehenden und allenfalls entfernten Ähnlichkeit der Waren und der Kürze der beiderseitigen Marken für ausreichend, um die Gefahr von Verwechslungen auszuschließen.

II.

20

Die gemäß § 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässige Beschwerde der Widersprechenden ist unbegründet, weil zwischen den Kollisionsmarken keine Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.

21

Für die Frage der Verwechslungsgefahr i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist von dem allgemeinen kennzeichenrechtlichen Grundsatz einer Wechselwirkung zwischen allen in Betracht zu ziehenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der zu beurteilenden Marken, der Warennähe und der Kennzeichnungskraft der älteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. BGH GRUR 2004, 594, 596 - Ferrari-Pferd; GRUR 2005, 437, 438 - Lila-Schokolade; GRUR 2005, 513, 514 - MEY/Ella May). Der Schutz der älteren Marke ist dabei aber auf die Fälle zu beschränken, in denen die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der älteren Marke, insbesondere ihre Hauptfunktion zur Gewährleistung der Herkunft der Waren oder Dienstleistungen gegenüber den Verbrauchern, beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte (EuGH GRUR 2003, 55, 57 ff. [Rz. 51] - Arsenal Football Club plc; GRUR 2005, 153, 155 [Rz. 59] - Anheuser-Busch/Budvar; GRUR 2007, 318, 319 [Rz. 21] - Adam Opel/Autec).

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Die sich gegenüberstehenden Kollisionsmarken genießen keinen Schutz für identische Waren, sondern sind  für einander unähnliche sowie entfernt bzw. bestenfalls mittelgradig ähnliche Waren eingetragen. Die größte, nämlich mittelgradige Ähnlichkeit besteht dabei zwischen Weinen und Fruchtsäften, die – soweit Traubensäfte betroffen sind – aus den gleichen Herstellungsstätten stammen können, bzw. zwischen Weinen und Mineralwässern und kohlensäurehaltigen Wässern unter dem Gesichtspunkt einander ergänzender Waren, da Wein und Wasser zu Schorlen vermischt werden bzw. häufig gemeinsam und nebeneinander konsumiert werden (vgl. BGH GRUR 2001, 507, 508 – EVIAN/REVIAN; Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen, 15. Aufl. 2011, S. 323 m. w. N.).

23

Die Markenstelle ist zutreffend von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und davon ausgegangen, dass sich die von der Widerspruchsmarke beanspruchten Lebensmittel des täglichen Bedarfs an den allgemeinen, durchschnittlich informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher sowie den Lebensmittelfachhandel richten. Dieser bringt den Waren der Klasse 29, 30 und 32 beim Kauf eine allenfalls durchschnittliche Aufmerksamkeit entgegen, wohingegen der durch die Ware „Weine“ der angegriffenen Marke angesprochene interessierte Durchschnittskunde beim Kauf eine leicht gesteigerte Aufmerksamkeit walten lassen wird.

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Den angesichts dessen erforderlichen mittleren Markenabstand halten die Vergleichszeichen entgegen der Ansicht der Widersprechenden ein, weil sie unter Berücksichtigung ihrer Kürze in klanglicher Hinsicht keine ausreichende Ähnlichkeit aufweisen und ihre Ähnlichkeit im Schriftbild durch ihren sofort erfassbaren abweichenden Begriffsinhalt so reduziert wird, dass eine Verwechslungsgefahr zu verneinen ist.

25

Innerhalb der kurzen, sich gegenüberstehenden Markenwörter ist der phonetische Unterschied in den Vokalen der ersten, betonten Silben der Marken geeignet, ihren klanglichen Gesamteindruck so sehr zu verändern, dass weder mit einem Verhören noch mit sonstigen Verwechslungen in klanglicher Hinsicht gerechnet werden muss, auch wenn sich die Marken nicht unmittelbar begegnen, sondern es auf das eher unsichere Erinnerungsbild ankommt; denn – wie bereits die Markenstelle zutreffend dargelegt hat – handelt es sich bei dem Vokal „E“ um einen hellklingenden Laut, während der an gleicher Stelle in der angegriffenen Marke anzutreffende Vokal „O“ eine dunkle Klangfarbe aufweist. Dieser klangliche Unterschied kann angesichts der Kürze der beiderseitigen Marken nicht unbemerkt bleiben.

26

Auch in schriftbildlicher Hinsicht besteht zwischen den beiderseitigen Marken nicht die Gefahr von Verwechslungen i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG, wenngleich sich die Marken in dieser Hinsicht deutlich ähnlicher sind als in klanglicher Hinsicht; denn im Markenvergleich führt der lexikalisch feststellbare und im Allgemeinverkehr weithin bekannte Bedeutungsgehalt  der Widerspruchsmarke „MEMO“, die eine insbesondere im Wirtschaftsverkehr und im politischen Sprachgebrauch weithin verwendete Kurzform des Begriffs „Memorandum“ ist (vgl. Duden, Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim 2006), letztlich dazu, dass der Verkehr die beiden Markenwörter begrifflich, aber auch in schriftbildlicher und klanglicher Hinsicht selbst in der Erinnerung sowie unabhängig davon deutlich voneinander zu unterscheiden vermag, ob er die angegriffene Marke nach englischen oder deutschen Phonetikregeln oder gar als Kombination beider ausspricht (vgl. hierzu BGH NJW-RR 92, 175 - Bally/Ball; BGHZ 28, 320, 323 f. - Quick/Glück).

27

Darüber hinaus kommt auch der angegriffenen Marke ein im Verkehr weithin bekannter Begriffsgehalt zu, denn „MOMO“ bezeichnet den Titel eines Buches und die Protagonistin des 1973 erschienenen Romans „Momo“ von Michael Ende. U. a. durch die mehrfache Verfilmung dieses Romans in den Jahren 1986, 2000, 2001 und 2002, von welchem zusätzlich mehrere Hörspielfassungen und eine Opernfassung existieren, ist der Name bzw. Titel „Momo“ einem beachtlichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise bekannt.

28

Für die Frage, ob Übereinstimmungen im Wort- oder Klangbild von Marken durch deren abweichenden Begriffsgehalt so reduziert werden, dass eine Verwechslungsgefahr zu verneinen ist, bedarf es auch keines besonderen Bezugs des betreffenden Begriffs zu den beanspruchten Waren oder Dienstleistungen (vgl. BGH GRUR 2010, 235, 236, Nr. 21 - AIDA/AIDU; EuG GRUR Int 2003, 1017, 1019 - BASS-PASH; BGH a. a. o. - Bally/Ball).

29

Soweit sich die Widersprechende für ihre Auffassung, dass zwischen den Marken Verwechslungsgefahr bestehe, auf die Senatsentscheidung BPatG PAVIS PROMA 26 W (pat) 30/09 – TENGO/TANGO bezieht, verkennt sie die Unterschiede zwischen dem hiesigen Sachverhalt und demjenigen, der der von ihr zitierten Entscheidung zugrunde lag. Dort wurde die schriftbildliche Verwechslungsgefahr u. a. damit begründet, dass der Buchstabe „e“ und der im Vergleich hierzu um 180 Grad gedrehte Kleinbuchstabe „a“ erhebliche graphische Ähnlichkeiten aufwiesen, der - anders als im vorliegenden Fall - nicht durch einen abweichenden Begriffsgehalt der Marken entscheidungserheblich reduziert wurde, weil „TENGO“ in klanglicher Hinsicht der englischen Aussprache von „TANGO“ entspricht. Auch die übrigen von der Widersprechenden angeführten Vorentscheidungen sind für die Entscheidung des vorliegenden Falls unerheblich, weil es sich um völlig andere Marken handelt, bei denen zudem kein vergleichbar ausgeprägter Begriffsgehalt wie bei den einander hier gegenüberstehenden Marken „MOMO“ und „MEMO“ feststellbar ist.

30

Da auch für eine Verwechslungsgefahr in anderen Richtungen keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich sind, konnte die Beschwerde der Widersprechenden keinen Erfolg haben.

31

Zu einer Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens auf eine der Verfahrensbeteiligten (§ 71 Abs. 1 S. 1 MarkenG) haben weder die Sach- und Rechtslage noch das Verhalten der Verfahrensbeteiligten Anlass gegeben.