Entscheidungsdatum: 29.08.2012
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2011 002 234
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 29. August 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs Wissemann sowie der Richter Reker und Hermann
beschlossen:
Auf die Beschwerde wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 32 Deutschen Patent- und Markenamtes vom 28. Februar 2012 aufgehoben und der Widerspruch zurückgewiesen.
I
Gegen die Eintragung der für die Waren
Klasse 32: Biere, Mineralwässer, kohlensäurehaltige Wässer, andere alkoholfreie Getränke, Fruchtgetränke, Fruchtsäfte, Sirupe und andere Präparate zur Zubereitung von Getränken.
Klasse 33: Alkoholische Getränke (ausgenommen Biere)
angemeldeten Wortmarke 30 2011 002 234
Viquell
ist aus der für die Waren
Klasse 29: Konserviertes, getrocknetes Obst und Gemüse; Fruchtgallerten (Fruchtgelees), Konfitüren, Fruchtmus; Eier, Milch und Milchprodukte; Speiseöle und -fette.
Klasse 30: Kaffee, Tee, Kakao, Zucker, Reis, Tapioka, Sago, Kaffeeersatzmittel; Mehle und Getreidepräparate einschließlich Cerealienriegel; Brot, feine Backwaren und Konditorwaren, Pralinen mit und ohne Füllung sowie alle übrigen Schokoladewaren, Bonbons, Fruchtgummi, Kaugummi (ausgenommen für medizinische Zwecke) und andere Zuckerwaren, Speiseeis; Honig, Melassesirup; Hefe, Backpulver, Salz, Senf, Essig, Saucen (Würzmittel), Gewürze, Kühleis.
Klasse 32: Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken.
eingetragenen prioritätsälteren Wortmarke 306 40 402
LIVELL
Widerspruch erhoben worden.
Die Markenstelle für Klasse 32 des Deutschen Patent- und Markenamts hat auf den Widerspruch aus der Marke 306 40 402 die Marke 30 2011 002 234 gelöscht, weil die Gefahr der Verwechslung nach den Bestimmungen der §§ 42 Abs. 2, 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG bestehe. Auf Grund der zumindest hochgradigen Warenähnlichkeit bzw. Warenidentität bedürfe es, um Verwechslungen auszuschließen, eines großen Markenabstands, welcher hier nicht gegeben sei, denn es bestehe zwischen den Marken selbst hohe Übereinstimmung. In schriftbildlicher Hinsicht zeigten sich im Vergleich Übereinstimmungen bezüglich der identischen Endung auf "ELL" und des jeweils zweiten Buchstabens "I". Auch sei die Wortlänge bis auf die Abweichung in einem Buchstaben nahezu gleich. Klanglich falle im Vergleich die hervortretende gleiche Vokalabfolge "I" und "E" auf. Hinzu komme, dass der Doppellaut "QU" in der angegriffenen Marke als "KW" ausgesprochen werde und das "V" in der vorliegenden Widerspruchsmarke als "W". Auch sei der zweisilbige Sprechrhythmus gleich. Unter weiterer Berücksichtigung des Umstandes, dass im Getränkesektor oftmals mündliche Bestellungen in räumlich lauter Umgebung abgegeben werden, sei davon auszugehen, dass die vorhandenen klanglichen Übereinstimmungen durchaus Verwechslungen verursachten, wobei sich auch aus begrifflicher Hinsicht nichts Entgegenstehendes ergebe.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde. Sie meint, Verwechselungsgefahr bestehe nicht, da die Zeichen klanglich und schriftbildlich unterschiedlich seien und der Begriffsgehalt zudem die Zeichen auseinanderführe. Auf den Schriftsatz vom 29. Mai 2012 wird ergänzend verwiesen. Die Anmelderin beantragt,
den angegriffenen Beschluss aufzuheben und den Widerspruch zurückzuweisen.
Die Widersprechende beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie vertieft ihre Ansicht, die Zeichen seien verwechselbar; auf den Schriftsatz vom 22. August 2012 wird verwiesen.
II.
Die gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässige Beschwerde der Anmelderin ist begründet, weil zwischen den Kollisionsmarken entgegen der Ansicht der Markenstelle keine Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.
Für die Frage der Verwechslungsgefahr i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist von dem allgemeinen kennzeichenrechtlichen Grundsatz einer Wechselwirkung zwischen allen in Betracht zu ziehenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der zu beurteilenden Marken, der Warennähe und der Kennzeichnungskraft der älteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. BGH GRUR 2004, 594, 596 - Ferrari-Pferd; GRUR 2005, 437, 438 - Lila-Schokolade; GRUR 2005, 513, 514 - MEY/Ella May). Der Schutz der älteren Marke ist dabei aber auf die Fälle zu beschränken, in denen die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der älteren Marke, insbesondere ihre Hauptfunktion zur Gewährleistung der Herkunft der Waren oder Dienstleistungen gegenüber den Verbrauchern, beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte (EuGH GRUR 2003, 55, 57 ff. [Rz. 51] - Arsenal Football Club plc; GRUR 2005, 153, 155 [Rz. 59] - Anheuser-Busch/Budvar; GRUR 2007, 318, 319 [Rz. 21] - Adam Opel/Autec).
Zutreffend ist die Markenstelle davon ausgegangen, dass die sich gegenüberstehenden Kollisionsmarken Schutz für teilweise identische und auch ähnliche Waren genießen. Die Markenstelle ist auch zutreffend von einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen. Es ist weiter davon auszugehen, dass sich die von den Marke beanspruchten Lebensmittel im Getränkebereich (Klassen 32, 33) an den allgemeinen, durchschnittlich informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher sowie den Lebensmittelfachhandel richten.
Den angesichts dessen erforderlichen, höheren Markenabstand halten die Vergleichszeichen zur Überzeugung des Senats ein, weil sie unter Berücksichtigung ihrer Kürze in klanglicher und schriftbildlicher Hinsicht keine ausreichende Ähnlichkeit aufweisen und der sofort erfassbare Begriffsinhalt der Anmeldemarke "-quell" dazu beiträgt, dass eine Verwechslungsgefahr zu verneinen ist.
In schriftbildlicher Hinsicht zeigen sich zwar im Vergleich die von der Markenstelle herausgearbeiteten Übereinstimmungen bezüglich der identischen Endung auf "ELL" und des jeweils zweiten Buchstabens "I" und der annähernd gleichen Buchstabenanzahl. Allerdings weist die Markeninhaberin in ihrem Schriftsatz vom 29. Mai 2012 zutreffend darauf hin, dass die Unterschiede von "V" und "QU" zu "L" und "V" nicht zu übersehen sind.
Darüber hinaus ist innerhalb der kurzen, sich gegenüberstehenden Markenwörter der phonetische Unterschied der Marken geeignet, ihren klanglichen Gesamteindruck so sehr zu verändern, dass weder mit einem Verhören noch mit sonstigen Verwechslungen in klanglicher Hinsicht gerechnet werden muss, auch wenn sich die Marken nicht unmittelbar begegnen, sondern es auf das eher unsichere Erinnerungsbild ankommt. Hier stehen sich klanglich WIEKWELL und LIWELL gegenüber, was als klanglicher Unterschied angesichts der Kürze der beiderseitigen Marken nicht unbemerkt bleiben kann.
Schließlich führt im Markenvergleich der feststellbare und im Allgemeinverkehr weithin bekannte Bedeutungsgehalt des zweiten Teils "quell" der jüngeren Marke letztlich dazu, dass der Verkehr die beiden Markenwörter begrifflich, aber auch in schriftbildlicher und klanglicher Hinsicht selbst in der Erinnerung deutlich voneinander zu unterscheiden vermag (vgl. hierzu BGH NJW-RR 92, 175 - Bally/Ball; BGHZ 28, 320, 323 f. - Quick/Glück). Auch wenn es für die Frage, ob Übereinstimmungen im Wort- oder Klangbild von Marken durch deren abweichenden Begriffsgehalt so reduziert werden, dass eine Verwechslungsgefahr zu verneinen ist, grundsätzlich keines besonderen Bezugs des betreffenden Begriffs zu den beanspruchten Waren oder Dienstleistungen bedarf (vgl. BGH GRUR 2010, 235, 236, Nr. 21 - AIDA/AIDU; EuG GRUR Int. 2003, 1017, 1019 - BASS-PASH; BGH a. a. O. - Bally/Ball), führt hier das Vorliegen dieses Bezuges zu Getränken dazu, dass sich der Bedeutungsgehalt des Zeichenbestandteils unmittelbar aufdrängt, ohne dass es einer zergliedernden Betrachtung bedürfte.
Da auch für eine Verwechslungsgefahr in anderen Richtungen keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich sind, war auf die Beschwerde der Markeninhaberin der Beschluss aufzuheben und der Widerspruch zurückzuweisen.
Zu einer Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens auf eine der Verfahrensbeteiligten (§ 71 Abs. 1 S. 1 MarkenG) haben weder die Sach- und Rechtslage noch das Verhalten der Verfahrensbeteiligten Anlass gegeben.