Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 04.06.2014


BPatG 04.06.2014 - 26 W (pat) 514/13

Markenbeschwerdeverfahren – "my Stadtwerk (Wort-Bild-Marke)" – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
26. Senat
Entscheidungsdatum:
04.06.2014
Aktenzeichen:
26 W (pat) 514/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2012 034 235.3

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie der Richter Reker und Dr. Himmelmann

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. Januar 2013 aufgehoben.

Gründe

I

1

Die Anmelderin hat die Bildmarke

Abbildung

2

für die Waren und Dienstleistungen

3

39 (Leitklasse) Energie- und Wasserversorgung, nämlich Anlieferung und Verteilung von Strom, Gas, Wasser, Wärme und Kälte; Beförderung von Personen mit Omnibussen, Kraftfahrzeugen, U-Bahnen und Straßenbahnen im Rahmen des öffentlichen Nahverkehrs sowie als Sonderfahrten; Dienstleistungen von Verkehrsbüros; Auskünfte über Transportangelegenheit, insbesondere Fahrplaninformationen

4

9 maschinell oder elektronisch lesbare Kundenkarten, insbesondere mit Rabattpunktesammel- und Geldkartenfunktion

5

16 Blöcke (Papier- und Schreibwaren); Broschüren; Bücher; Druckereierzeugnisse; Eintrittskarten; Etiketten, nicht aus Textilstoffen; Fahnen und Wimpel aus Papier; Fahrkarten; Fahrpläne; Fahrscheinhefte; Formblätter; Kalender; Magazine (Zeitschriften); Notizbücher; Papiertaschentücher; Plakate aus Papier und Pappe; Postkarten; Prospekte; Radiergummis; Schilder aus Papier und Pappe; Schreibgeräte; Schriften (Veröffentlichungen); Stempel; Transparente (Papier- und Schreibwaren); Veröffentlichungen (Schriften); Werbeplakate; Zeitungen

6

35 Vermittlung, Organisatorische und betriebswirtschaftliche Beratung und Abschluss von Strom-, Gas-, Wasser-, Wärme- und Kältebezugsverträgen, Telekommunikationsverträgen sowie von Kraft-Wärme-Kopplungs-(KWK) und Beleuchtungsverträgen für Dritte, organisatorische und betriebswirtschaftliche Beratung im Energiebereich (soweit in Klasse 35 enthalten), insbesondere Unternehmens-und Organisationsberatung im Energiebereich einschließlich Energie- und Kostenmanagement für Industrie und Gewerbe, Dienstleistungen bei der Betriebskostenerfassung und –abrechnung für Strom, Gas, Wasser, Wärme und Kälte soweit in Klasse 35 enthalten; Werbung; Herausgabe von Werbetexten; Marketing; Öffentlichkeitsarbeit; Online-Werbung; Plakatanschlagwerbung; Planung und Gestaltung von Werbemaßnahmen; Preisermittlung von Waren und Dienstleistungen; Rundfunkwerbung; Verbreitung von Werbeanzeigen; Vermietung von Reklameflächen und Leuchtelementen innerhalb von Bahnhöfen, Haltestelle und Busstationen, innerhalb und außerhalb von Fahrzeugen, besonders Omnibussen, Waggons, Triebwagen, U-Bahn-Zügen; Zusammenstellung von Daten in Computerdatenbanken; Kundengewinnung und –pflege durch Versandwerbung (Mailing); Sponsoring in Form von Werbung; Verteilung von Werbemitteln aller Art

7

36 Finanzierung von Energieversorgungsanlagen, Ausgabe von maschinell oder elektronisch lesbaren Kundenkarten mit Rabattpunktesammel- und Geldkartenfunktion, Gebäude- und Grundstücksverwaltung, finanzielles Sponsoring

8

37 Bau und Reparatur von Anlagen (Kraftwerken, Heizkraftwerken und Photovoltaikanlagen) zur Strom-, Wärme- und Kälteerzeugung, von Anlagen (Brunnen) zur Trinkwassergewinnung, von Anlagen (Leitungsnetzen) der Strom-, Gas-, Wasser-, Wärme- und Kälteverteilung und von Anlagen der Haustechnik für Kunden; Förderung von Trinkwasser durch Brunnenanlagen, Bau und Reparatur von Windkraftanlagen, KWK-Anlagen, Telekommunikationsnetze und Wärmepumpenanlagen

9

38 Telekommunikation; Bereitstellen von Informationen im Internet, insbesondere von Publikationen, Verlags- und Druckereierzeugnissen, Zeitschriften und Büchern jeweils in elektronischer Form; Übermittlung von elektronischen Nachrichten

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40 Erzeugung von Strom, Gas, Wärme, Biogas (Vergärung von Bioabfall) und Kälte; Dienstleistungen im Bereich der Abfallwirtschaft, nämlich Vernichtung von Müll und Abfall, Verbrennung von Müll und Abfall, Trennung von Müll- und Abfallstoffen, Sortieren von Müll- und Abfallstoffen, Müll- und Abfallrecycling, Kompostierung von Abfall und Müll

11

41 Betrieb eines Clubs, insbesondere für Kinder, Kinderbetreuung; Organisation und Durchführung von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen/Aktivitäten; Erziehung; Ausbildung, Unterhaltung, Herausgabe einer Kundenzeitung

12

42 technische Planung von Anlagen (Kraftwerken, Heizkraftwerken) zur Strom-, Wärme- und Kälteerzeugung, von Anlagen (Brunnen) zur Trinkwassergewinnung, von Anlagen (Leitungsnetzen) der Strom-, Gas-, Wasser-, Wärme- und Kälteverteilung und von Anlagen der Haustechnik für Kunden und Telekommunikationsnetze, KWK-Anlagen und Wärmepumpenanlagen

13

43 Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen

14

beim Deutschen Patent- und Markenamt zur Eintragung in das Markenregister angemeldet.

15

Die Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung zurückgewiesen, weil der angemeldeten Marke für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehle (§ 37 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG).

16

Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, die angemeldete Marke enthalte mit der Angabe „my Stadtwerk“ eine beschreibende Sachaussage. Der Begriff „Stadtwerke“ bezeichne verschiedene kommunale Unternehmen und sei als betriebliche Herkunftsangabe ungeeignet.  Auch die Wortabfolge „my Stadtwerk“ mit der Bedeutung „mein Stadtwerk“ weise insgesamt nur einen beschreibenden, die Waren und Dienstleistungen anpreisenden Begriffsgehalt und keine Unterscheidungskraft auf. Die Bildbestandteile der angemeldeten Marke stellten lediglich übliche werbegrafische Gestaltungen ohne eigenen Aussagehalt bzw. bloße sog. Eyecatcher dar, die den Schutz der angemeldeten Marke ebenfalls nicht begründen könnten.

17

Dagegen wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde. Sie ist der Ansicht, der Wortbestandteil „my Stadtwerk“ der angemeldeten Marke rege zum Nachdenken an, gehe über den Aussagegehalt seiner einzelnen Wortbestandteile hinaus und weise in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen keinen beschreibenden Begriffsgehalt auf. Ferner trügen die Bildbestandteile der angemeldeten Marke maßgeblich zu deren Unterscheidungskraft bei.

18

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

19

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. Januar 2013 aufzuheben.

II

20

Die gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässige Beschwerde ist begründet. Der angemeldeten Marke fehlt für die in der Anmeldung aufgeführten Waren und Dienstleistungen nicht jegliche Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG).

21

Unterscheidungskraft im Sinne dieser Bestimmung weisen Marken auf, die die Eignung besitzen, die beanspruchten Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden; denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH GRUR 2008, 608, 610 - EUROHYPO; BGH GRUR 2006, 850, 854 - FUSSBALL WM 2006). Nur soweit die Eignung zur Erfüllung der Herkunftsfunktion bejaht werden kann, besteht eine Rechtfertigung dafür, die allgemeine Wettbewerbsfreiheit dadurch einzuschränken, dass eine Angabe oder ein Zeichen der ungehinderten allgemeinen Verwendung vorenthalten und zu Gunsten eines Einzelnen monopolisiert wird (EuGH GRUR Int. 2004, 631, 634 - Dreidimensionale Tablettenform I). Die Unterscheidungskraft fehlt insbesondere Zeichen, die für die fraglichen Waren und/oder Dienstleistungen nur eine unmittelbare beschreibende Bedeutung haben oder einen engen sachlichen Bezug zu diesen aufweisen (BGH a. a. O. - FUSSBALL WM 2006).

22

Die Schutzfähigkeit von kombinierten Wort-Bild-Marken kann durch bildliche Ausgestaltungen und Zusätze begründet werden. Das setzt allerdings voraus, dass sie charakteristische Gestaltungselemente aufweisen, in denen der Verkehr einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft sehen kann (BGH GRUR 2008, 710 - VISAGE). Beim Zusammentreffen schutzfähiger mit schutzunfähigen Markenbestandteilen ist es im Rahmen der Beurteilung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht erforderlich, dass der schutzfähige Teil in der Kombinationsmarke dominiert. Der schutzfähige und damit schutzbegründende Markenteil muss jedoch tatsächlich so hervortreten, dass er noch als eigenständiger betrieblicher Herkunftshinweis aufgefasst werden kann (EuGH GRUR 2006, 229 - BioID). Da es für die Schutzfähigkeit einer angemeldeten Marke auf deren Gesamtheit ankommt, kann selbst die Verbindung von ausschließlich schutzunfähigen Markenbestandteilen eintragungsfähig sein, wenn die Bestandteile, die für sich gesehen nicht unterscheidungskräftig sind, in ihrer Kombination über eine hinreichende Unterscheidungskraft verfügen (EuGH GRUR 2004, 943 – SAT.2; BGH GRUR 2011, 65 – Buchstabe T mit Strich).

23

Bei Anlegung dieses rechtlichen Maßstabs fehlt der angemeldeten Marke für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht jegliche Unterscheidungskraft. Zwar weist ihr Wortbestandteil „my Stadtwerk“ für die mit der Anmeldung beanspruchten Waren und Dienstleistungen entgegen der Ansicht der Anmelderin keine Unterscheidungskraft auf. Insoweit hat bereits die Markenstelle zutreffend dargelegt, dass es sich bei dem Begriff „Stadtwerk“ um die im Verkehr übliche und dem deutschen Durchschnittsverbraucher bekannte Bezeichnung für (irgend)ein kommunales Unternehmen handelt, das für die Grundversorgung der Bevölkerung mit u. a. Wasser und Gas sowie die Abwasser- und Abfallentsorgung  zuständig ist, und dass das ihm vorangestellte englische Wort „my“ mit der dem normal informierten deutschen Durchschnittsverbraucher bekannten Bedeutung „mein“ ein werbeüblicher, den Verkehr persönlich ansprechender, jedoch nicht auf ein einzelnes Unternehmen hinweisender Begriff ist (ebenso: BPatG PAVIS PROMA 30 W (pat) 85/10 – MYPILOT; 28 W (pat) 72/12 – MySpass; 27 W (pat) 16/12 - my bed; 26 W (pat) 122/09 – mykaraokeradio), und dass auch die Verbindung dieser beiden für sich genommen nicht unterscheidungskräftigen Wortbestandteile selbst der Unterscheidungskraft i. S  d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entbehrt, weil sie sich in einer anpreisenden Sachaussage erschöpft.

24

Jedoch kann der angemeldeten Marke insgesamt unter Einbeziehung ihrer Bildbestandteile entgegen der Ansicht der Markenstelle nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden. Zwar ist es auch in der Werbung nicht unüblich, Wörter in Anführungszeichen zu setzen und in Sprechblasen wiederzugeben. Der Gesamteindruck der angemeldeten Marke wird aber nicht allein durch diese Bildelemente geprägt, sondern erhält sein besonderes Gepräge durch die Kombination zweier unterschiedlicher Schriftarten und -größen in Verbindung mit den zuvor genannten Bildelementen, wobei sich die unterschiedlichen Schriftarten auch dahingehend auswirken, dass sich die Anführungszeichen am Beginn und am Ende der Wortfolge „my Stadtwerk“ in ihrer Art und Größe deutlich voneinander unterscheiden. Hierdurch entsteht ein über die bloße Zusammenfügung der einzelnen Wort- und Bildelemente hinausgehender Gesamteindruck der angemeldeten Marke, der sich einzuprägen vermag und noch als geeignet erscheint, die beanspruchten Waren und Dienstleistungen ihrer betrieblichen Herkunft nach zu kennzeichnen und zu unterscheiden. Bei dieser Sachlage kann der angemeldeten Marke nicht jegliche Unterscheidungskraft i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG abgesprochen werden.

25

Die angemeldete Marke besteht auch nicht ausschließlich aus Zeichen und Angaben, die zur Bezeichnung der Art, Beschaffenheit, Bestimmung, geografischen Herkunft oder sonstiger Merkmale der Waren und Dienstleistungen dienen können (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG). Nach der Rechtsprechung des EuGH verfolgt § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG das im Allgemeininteresse liegende Ziel, dass Zeichen oder Angaben, die Merkmale der beanspruchten Waren oder Dienstleistungen beschreiben können, von allen frei verwendet werden können. Solche Zeichen oder Angaben dürfen deshalb nicht aufgrund einer Eintragung nur für ein Unternehmen monopolisiert werden (vgl. EuGH GRUR 1999, 723, 725 - Chiemsee; GRUR 2004, 146, 147 - DOUBLEMINT; GRUR 2004, 674, 676 - Postkantoor; GRUR 2004, 680, 681 - BIOMILD). Dem Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG unterfallen aber nur Zeichen und Angaben, die Merkmale der Waren oder Dienstleistungen beschreiben.

26

Der Wortbestandteil „Stadtwerk“ der angemeldeten Marke bezeichnet aber weder die Art, die Beschaffenheit, die Bestimmung noch die geografische Herkunft der mit der Anmeldung beanspruchten Waren und Dienstleistungen. Er bezeichnet auch kein sonstiges Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen. Unter sonstigen Merkmalen im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG  sind alle Angaben und Zeichen zu verstehen, die für den Warenverkehr wichtige und für die umworbenen Abnehmerkreise irgendwie bedeutsame Umstände mit Bezug auf die Ware/Dienstleistung beschreiben (BGH GRUR 1996, 770, 771 – MEGA). Diese Voraussetzung ist aber nur bei der Beschreibung von Umständen erfüllt, welche sich auf die angemeldeten Waren/Dienstleistungen selbst beziehen, nicht aber im Falle von Angaben, die die Waren/Dienstleistungen nur mittelbar betreffen, wie z. B. bei Angaben über Vertriebsmodalitäten und Vertriebsstätten (BGH GRUR 1999, 988 – HOUSE OF BLUES; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 10. Auflage, § 8 Rdn. 370). Da es sich bei dem Begriff „Stadtwerk“ um eine Bezeichnung über die Art der Angebots- und Vertriebsstätte handelt, die  nichts über die Merkmale der darunter fallenden Waren und Dienstleistungen aussagt, steht der Eintragung der angemeldeten Marke das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG schon wegen dieses Markenbestandteils nicht entgegen.

27

Darüber hinaus ist auch der durch die besondere Kombination der einzelnen Wort- und Bildelemente vermittelte Gesamteindruck der angemeldeten Marke aus den zuvor bereits zu § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG dargelegten Gründen derartig, dass die angemeldete Marke nicht mehr ausschließlich aus beschreibenden Zeichen und Angaben bestehend zu bewerten ist. Der Beschwerde der Anmelderin war daher stattzugeben.