Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 28.04.2010


BPatG 28.04.2010 - 26 W (pat) 27/10

Markenbeschwerdeverfahren – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Zahlung der Erinnerungsgebühr – Verstoß gegen Büroanweisung – kein Organisationsverschulden – kein Verschulden und kein zurechenbares Verschulden der anwaltlichen Vertreter


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
26. Senat
Entscheidungsdatum:
28.04.2010
Aktenzeichen:
26 W (pat) 27/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2008 011 984.5

hier: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 28. April 2010 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fuchs-Wissemann sowie die Richter Reker und Lehner

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 21 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Januar 2010 aufgehoben.

2. Die Widersprechende wird in die Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr wiedereingesetzt.

Gründe

I

1

Gegen die Eintragung der Marke 30 2008 011 984.5

2

Lipo Dermilax

3

für die Waren

4

„03: Kosmetika

5

 21: kosmetische Geräte

6

 25: Mieder“

7

ist Widerspruch erhoben worden aus der für die Waren der Klassen 03 und 05

8

„Wasch- und Bleichmittel; Putz-, Polier-, Fettentfernungs- und Schleifmittel; Seifen; Parfümerien; ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer; Zahnputzmittel; pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für medizinische Zwecke; Babykost; Pflaster, Verbandmaterial; Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Desinfektionsmittel; Mittel zur Vertilgung von schädlichen Tieren; fungizide, Herbizide“

9

eingetragenen prioritätsälteren Marke 30103853

10

Lipoderm .

11

Die Markenstelle für Klasse 21 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mit Beschluss vom 15. April 2009 wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen.

12

Die Widersprechende hat gegen den ihr am 14. Mai 2009 zugestellten Beschluss am 8. Juni 2009 Erinnerung eingelegt, jedoch die Erinnerungsgebühr nicht entrichtet. Auf den diesbezüglichen Hinweis der Markenstelle vom 17. Juni 2009 hat die Widersprechende am 11. August 2009 unter gleichzeitiger Zahlung der Erinnerungsgebühr Wiedereinsetzung in die versäumte Zahlungsfrist beantragt.

13

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags hat sie vorgetragen, die Versäumung der Zahlungsfrist beruhe auf dem Versehen eines in der Kanzlei ihrer anwaltlichen Vertreter langjährig tätigen, geschulten und zuverlässigen Sachbearbeiters, der sowohl die Vorfrist als auch die Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr im Fristenkalender der Anwaltskanzlei gestrichen habe, obwohl die Erinnerungsgebühr zum Zeitpunkt der Streichung der Frist weder überwiesen worden noch dem vorbereiteten Erinnerungsschriftsatz eine Einzugsermächtigung beigefügt oder eine solche vorbereitet worden war. Zur Glaubhaftmachung ihres Sachvortrags haben die Vertreter der Widersprechenden der Markenstelle zwei eidesstattliche Versicherungen von bei ihnen angestellten, in der Sache tätig gewordenen Sachbearbeitern vorgelegt.

14

Die Markenstelle hat den Wiedereinsetzungsantrag der Widersprechenden mit Beschluss vom 20. Januar 2010 zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Antrag sei zwar zulässig, insbesondere in rechter Form und Frist gestellt. Auch die versäumte Handlung sei fristgerecht nachgeholt worden. Der Antrag sei jedoch nicht begründet, weil sich aus den vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen nicht schlüssig ergebe, dass die Widersprechende ohne eigenes Verschulden oder ohne ein ihr zurechenbares Verschulden ihrer Bevollmächtigten verhindert war, die Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr einzuhalten. Es sei nicht erkennbar, dass die federführende Rechtsanwältin im vorliegenden Fall, wie dies nach der vorgetragenen Büroorganisation sonst innerhalb der Kanzlei üblich und notwendig sei, den zuständigen Sachbearbeiter angewiesen habe, eine Einzugsermächtigung vorzubereiten und von einer der zuständigen, zeichnungsberechtigten Partnerinnen unterschreiben zu lassen. Vielmehr sei nach dem Sachvortrag im Wiedereinsetzungsantrag lediglich am 4. Juni 2009 eine Sekretärin damit beauftragt worden, den Erinnerungsschriftsatz während der urlaubsbedingten Abwesenheit der bearbeitenden Rechtsanwältin an das Patentamt zu übermitteln. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Erinnerungsschriftsatz, der bereits in der 23. Kalenderwoche fertig gestellt gewesen sei, erst in der 24. Kalenderwoche abgesandt werden sollte, in der die bearbeitende Rechtsanwältin Urlaub gehabt habe und die Frist zur Einlegung der Erinnerung abgelaufen sei. Auf Grund der dargelegten Büroorganisation und des dargelegten Bearbeitungsablaufs im vorliegenden Fall müsse davon ausgegangen werden, dass wegen des Ausbleibens der sonst üblichen Weisung der bearbeitenden Rechtsanwältin an den Sachbearbeiter bzw. die Sachbearbeiterin von diesem bzw. dieser keine Einzugsermächtigung vorbereitet worden sei, was zur Versäumung der Zahlungsfrist geführt habe. Nicht nachvollziehbar sei auch der Vortrag der Widersprechenden, die Einzugsermächtigung sei zunächst nicht vorbereitet worden, weil die Erinnerungsbegründung vor dem Urlaub der in der Sache tätigen Rechtsanwältin noch nicht fertig gestellt werden konnte; denn die Vorbereitung der Einzugsermächtigung sei nicht abhängig vom Vorliegen einer Erinnerungsbegründung. Die Einzugsermächtigung habe von der zuständigen Sachbearbeiterin schon vor dem Urlaub erstellt und den Unterschriftsberechtigten vorgelegt werden müssen, um die Einhaltung der Zahlungsfrist sicherzustellen. Jedenfalls habe aber die bearbeitende, selbst nicht zur Unterzeichnung der Einzugsermächtigung befugte Rechtsanwältin die Akte am 4. Juni 2009 vorliegen gehabt, weil sie den Erinnerungsschriftsatz an diesem Tage unterzeichnet habe. Sie habe zu diesem Zeitpunkt - auch ohne Rücksprache mit dem Sachbearbeiter - die Zahlung der Erinnerungsgebühr anweisen können und müssen. Weiterhin sei auch nicht dargelegt worden, weshalb der Sachbearbeiter die Vorfrist und die Frist zur Entrichtung der Erinnerungsgebühr gestrichen habe, obwohl die Entrichtung der Gebühr zum Zeitpunkt der Streichung der Fristen noch nicht veranlasst war. Schließlich fehle es auch an einem Vortrag dazu, ob und wie der die Sache bearbeitende Anwalt die Mitarbeiter beaufsichtige bzw. stichprobenartig überwache.

15

Gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags wendet sich die Widersprechende mit der Beschwerde. Sie ist weiterhin der Ansicht, sie habe die Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr ohne eigenes Verschulden und ohne Verschulden ihrer anwaltlichen Vertreter versäumt. Es handele sich vorliegend um den klassischen Fall des sorgfältig ausgewählten und bewährten Büroangestellten, der mit der übertragenen Aufgabe hinreichend vertraut gewesen sei, dem jedoch im Einzelfall ein Fehler, nämlich das Streichen der Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr trotz fehlender Vorbereitung und Übermittlung einer Einzugsermächtigung, unterlaufen sei. Ein eigenes Verschulden der bearbeitenden Rechtsanwältin sei nicht gegeben, da diese die gebotene Sorgfalt eingehalten habe. Die Ausgangskontrolle für fristwahrende Schriftsätze und Zahlungen dürfe auf zuverlässiges Büropersonal übertragen werden. Die einzuhaltenden Fristen zur Einlegung der Erinnerung und zur Zahlung der Erinnerungsgebühr seien im Fristenkalender ordnungsgemäß und eigenständig entsprechend den allgemeinen Büroanweisungen notiert worden. Dass die bearbeitende Rechtsanwältin den Sachbearbeiter nicht angewiesen habe, die Erinnerungsgebühr im Zusammenhang mit der Einreichung des Erinnerungsschriftsatzes zu zahlen, sei unerheblich, da es auch ausgereicht hätte, die Erinnerungsgebühr nach Absendung des Erinnerungsschriftsatzes fristgerecht einzuzahlen und die Markensachbearbeiter generell angewiesen seien, sich bei Gebührenzahlungsfristen eine Einzugsermächtigung unterzeichnen zu lassen. Zur Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts haben die Vertreter der Widersprechenden eine weitere eidesstattliche Versicherung vorgelegt. Kausal für die Versäumung der Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr sei allein, dass der zuständige Kanzleisachbearbeiter nicht nur die notierte Frist zur Einlegung der Erinnerung, sondern zugleich die gesondert notierte Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr im Fristenkalender gestrichen habe, obwohl dem Erinnerungsschriftsatz keine Einzugsermächtigung für die betreffende Gebühr beigefügt war. Dieses Versehen sei der Widersprechenden angesichts der ausreichenden Büroorganisation nicht zuzurechnen.

16

Die Widersprechende beantragt sinngemäß,

17

den Beschluss der Markenstelle vom 20. Januar 2010 aufzuheben und sie in die versäumte Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr wiedereinzusetzen.

II

18

Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden ist unter Berücksichtigung des ergänzenden Beschwerdevorbringens sowie der weiteren, im Beschwerdeverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung begründet.

19

Der Wiedereinsetzungsantrag der Widersprechenden ist aus den bereits im Beschluss der Markenstelle zutreffend dargestellten Gründen zulässig. Zutreffend hat die Markenstelle auch bereits festgestellt, dass die versäumte Handlung in der dafür bestimmten Frist nachgeholt worden ist. Bei Einbeziehung der im Beschwerdeverfahren ergänzend vorgelegten Glaubhaftmachungsunterlagen hat der Wiedereinsetzungsantrag auch in der Sache Erfolg. Der gesamte glaubhaft gemachte Sachvortrag lässt nunmehr erkennen, dass die Widersprechende die Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr ohne eigenes Verschulden und ohne ein ihr zurechenbares Verschulden ihrer anwaltlichen Vertreter versäumt hat.

20

Die von der Widersprechenden beauftragten Rechtsanwälte durften die Notierung und Überwachung der Frist für die Zahlung der Erinnerungsgebühr auf in ihrer Kanzlei tätige, hinreichend ausgebildete und zuverlässige Mitarbeiter übertragen (BGH GRUR 2008, 837, 838, Nr. 10 - Münchner Weißwurst). Sie haben diesbezüglich vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass die mit der Fristennotierung und –überwachung beauftragten Mitarbeiter entsprechend geschult waren und bisher lange Jahre zuverlässig tätig geworden sind.

21

Die Vertreter der Widersprechenden haben auch dargelegt und glaubhaft gemacht, dass in ihrer Kanzlei eine generelle Büroanweisung bestand und besteht, nach der für Fristen - auch Zahlungsfristen - im Fristenkalender eine Frist- und eine Vorfristnotierung durch den Sachbearbeiter zu erfolgen hat und eine Frist erst dann gestrichen werden darf, wenn die vorzunehmende Prozesshandlung erledigt ist. Damit haben sie ihren Organisations- und Überwachungspflichten Genüge getan.

22

Kausal für die Versäumung der Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr ist nach dem gesamten, glaubhaft vorgetragenen Ablauf die Tatsache gewesen, dass ein Sachbearbeiter in der Kanzlei der Vertreter entgegen der ausdrücklichen generellen Büroanweisung für die Handhabung von Fristensachen die zutreffend gesondert notierte Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr gestrichen hat, obwohl er hätte erkennen können und müssen, dass der Erinnerungsschrift eine Einzugsermächtigung oder ein sonstiger Zahlungsauftrag für die Erinnerungsgebühr nicht beilag. Er hätte entsprechend den vorgetragenen und glaubhaft gemachten allgemeinen Büroanweisungen die separat notierte Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr nicht streichen dürfen, solange die Zahlung dieser Gebühr aus den Akten nicht ersichtlich war. Dieses Verschulden des Kanzleisachbearbeiters muss sich die Widersprechende jedoch angesichts der, was die Behandlung von Fristensachen betrifft, nicht zu beanstandenden Organisation des Kanzleibetriebs ihrer Vertreter nicht zurechnen lassen.

23

Dass die die Sache bearbeitende Rechtsanwältin keine ausdrückliche Anweisung zur Vorbereitung einer Einzugsermächtigung erteilt hat, ist entgegen der Ansicht der Markenstelle nicht kausal für die Fristversäumung gewesen, da die Erstellung einer Einzugsermächtigung und die Prüfung, ob eine solche Ermächtigung rechtzeitig erstellt und unterzeichnet wurde, nach der insoweit zulässigen Büroorganisation Sache des hiermit beauftragten Kanzleimitarbeiters war. Dieser hätte auch beim Ausbleiben einer anwaltlichen Anweisung zur Erstellung eines Zahlungsbelegs nämlich auf Grund der Eintragungen im Fristenkalender noch feststellen können, dass die Zahlung bisher nicht erfolgt war, wenn er die Zahlungsfrist nicht versehentlich gestrichen hätte. Bei dieser Sachlage ist die Widersprechende in die Frist zur Zahlung der Erinnerungsgebühr wiedereinzusetzen und das Erinnerungsverfahren vor der Markenstelle fortzusetzen.