Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 06.06.2012


BPatG 06.06.2012 - 26 W (pat) 24/11

Markenbeschwerdeverfahren "Vionade/VION" – mittelbare Verwechslungsgefahr - gedankliche Verbindung -


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
26. Senat
Entscheidungsdatum:
06.06.2012
Aktenzeichen:
26 W (pat) 24/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 307 66 451

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 29. Februar 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Fuchs-Wissemann sowie des Richters Reker und des Richters am Landgericht Hermann

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 32 des Deutschen Patent- und Markenamtsamts vom 28. Mai 2009 und 8. Februar 2011 aufgehoben, soweit der Widerspruch gegen die Eintragung der Marke 307 66 451 für die Waren der Klasse 29 zurückgewiesen worden ist. Insoweit wird auf Grund des Widerspruchs die Löschung der Marke 307 66 451 angeordnet.

Gründe

I

1

Gegen die Eintragung der Marke 307 66 451

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Vionade,

3

die nach einer im Verlauf des Widerspruchsverfahrens auf Grund eines weiteren Widerspruchs erfolgten rechtskräftigen Teillöschung noch für die Waren der Klassen

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„29: Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; Eier; Speiseöle und -fette;

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30: Reis, Tapioka, Sago; Mehle und Getreidepräparate, Brot, feine Backwaren und Konditorwaren; Honig, Melassesirup; Hefe, Backpulver; Salz, Senf; Essig, Saucen (Würzmittel); Gewürze;

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31: Land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse sowie Samenkörner, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; lebende Tiere; Sämereien, lebende Pflanzen und natürliche Blumen; Futtermittel, Malz"

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eingetragen ist, ist Widerspruch erhoben aus der für die Waren der Klassen

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„18: Leder und Tierfelle; Regenschirme;

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29: Fleisch, Wurst, Fisch, Geflügel und Wild; Weichtiere und Krustentiere; Fleischextrakte; konserviertes Fleisch; Eier, Gallerten (Gelees), Konfitüren, Kompotte, Speiseöle und -fette; Produkte aus Trockenobst und gekühltem Obst, Gemüse und Milchprodukten, alle diese Produkte in Form von schmackhaften Snacks, ausgenommen Schokolade, Produkte auf der Grundlage von Kakao und Süßwaren; keines dieser Produkte zur Verwendung in Bezug auf oder in Form von Schokoladenprodukten, Produkten aus Schokolade oder Süßwaren;

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30: Kaffee, Kaffeeersatzmittel, Tee, Reis, Tapioka, Sago, Zucker; Tortillas, Brötchen für Burger, Brotüberzüge, Brotbackteig, Semmelmehl und Sandwiches, lediglich zur Verwendung als pikante Snacks und Salzgebäck, ausgenommen Waffeln, Produkte auf der Grundlage von Waffeln sowie andere Mehle und Präparate aus Getreide, Brot und feine Backwaren; Speiseeis; Honig, Melassesirup; Hefe; Backpulver, Salz, Senf, Essig, Soßen (Würzmittel), Gewürze, Kühleis; keines dieser Produkte zur Verwendung in Bezug auf Schokoladenerzeugnisse, Schokoladenprodukte oder andere Süßwaren;

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31: Land-, garten- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse, sowie Samenkörner (soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind); lebende Tiere; frisches Obst und Gemüse; Sämereien; Futtermittel, Malz; nicht verarbeitete gesalzene und ungesalzene Nüsse;

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35: Landwirtschaftliche Beratung, insbesondere auf dem Gebiet der Marketing- und Unternehmensstrategie; Vermittlungsdienste für sowie Abschluss von Handelsangelegenheiten für Dritte; Werbung, Werbevermittlung, Werbeberatung, Verteilung von Waren zu Werbezwecken; Marketing, Marktforschung und -analyse; Vergabe von Franchise-Lizenzen in Bezug auf Unterstützung bei der Nutzung oder Verwaltung eines Handelsunternehmens im Lebensmittelbereich; Einzelhandelsdienstleistungen; Warenversorgung für Einzelhandelsdienstleister; Vermittlung von wirtschaftlichem Know-how für Vertriebssysteme im Einzelhandel; Verkauf von Waren; keine dieser Dienstleistungen in Bezug auf Schokoladenerzeugnisse, Schokoladenprodukte oder andere Süßwaren;

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39: Lagerung, Verpackung, Transport und Verkauf von Waren; keine dieser Dienstleistungen und/oder Produkte zur Verwendung in Bezug auf Schokoladenerzeugnisse, Schokoladenprodukte oder andere Süßwaren;

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42: Dienstleistungen eines medizinischen, bakteriologischen und/oder chemischen Labors; wissenschaftliche und industrielle Forschung; keine dieser Dienstleistungen in Bezug auf Schokoladenerzeugnisse, Schokoladenprodukte oder andere Süßwaren;

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44: Viehzucht; Dienstleistungen auf dem Gebiet der Veterinärmedizin und der Landwirtschaft

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eingetragenen, prioritätsälteren Gemeinschaftsmarke 003830007

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VION.

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Mit Beschlüssen vom 28. Mai 2009 und vom 8. Februar 2011 hat die Markenstelle für Klasse 32 des Deutschen Patent- und Markenamts den Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, dass zwischen den beiderseitigen Marken keine Verwechslungsgefahr i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG bestehe. Zwar sei das Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke mit dem der jüngeren Marke weitgehend identisch und dementsprechend hohe Anforderungen seien an den Abstand der Kollisionszeichen zu stellen. Den erforderlichen Abstand halte die angegriffene Marke gegenüber der Widerspruchsmarke jedoch in jeder Richtung ein.

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Gegen diese Entscheidung wendet sich die Widersprechende mit ihrer Beschwerde. Zur Begründung führt sie an, der Bestandteil "Vion" der jüngeren Marke "Vionade" präge deren Gesamteindruck, da er am Anfang des Wortes stehe. Dadurch fokussiere sich die Aufmerksamkeit des Verkehrs auf diesen Bestandteil. Die Endung "ade" der jüngeren Marke sei kennzeichnungsschwach, wodurch die ohnehin auf die Anfangssilbe gerichtete Aufmerksamkeit weiter verstärkt werde. Bei dieser Sachlage sei mit einer Verwechslung der Marken zu rechnen. in der mündlichen Verhandlung hat die Widersprechende ergänzend vorgetragen, dass für sie die weiteren Marken „VION FOOD“, „VIONDIS“ und „VIONIS“ eingetragen seien und dass sie auch die Bezeichnung „VION GROUP“ benutze.

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Die Widersprechende hat in der mündlichen Verhandlung am 29. Februar 2012 beantragt,

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die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 32 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 28. Mai 2009 und 8. Februar 2011 aufzuheben, soweit der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 003830007 und ihre Erinnerung gegen die Zurückweisung des Widerspruchs zurückgewiesen worden sind, und die Löschung der Marke 307 66 451 anzuordnen.

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Hilfsweise hat sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde angeregt.

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Mit Schriftsatz vom 20. März 2012 hat sie ihren Widerspruch auf die Waren der Klasse 29 beschränkt.

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Die Markeninhaberin ist zur mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger und auch ansonsten ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen und hat auch sonst keine Erklärung abgegeben.

II

25

Die gemäß § 66 Abs. 1, 2 MarkenG zulässige Beschwerde ist begründet.

26

Zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke besteht im Bereich der identischen Waren der Klasse 29, gegen die sich Widersprechende nach der zulässigen und wirksamen Beschränkung ihres Widerspruchs nunmehr allein noch wendet, die Gefahr von Verwechslungen im Sinne von § 9 Absatz 1 Nr. 2 MarkenG.

27

Die Frage der Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der zueinander in Wechselbeziehung stehenden Faktoren der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke zu beurteilen, wobei insbesondere ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Marken durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. z. B. EuGH GRUR 1998, 387, 389, Nr. 22 - Sabèl/Puma; GRUR 2008, 343, 345, Nr. 48 - Il Ponte Finanziaria; BGH GRUR 2008, 903, Nr. 10 - SIERRA ANTIGUO; GRUR 2010, 1103, 1106, Nr. 37 - Pralinenform II).

28

Hiervon ausgehend besteht zwischen den beiderseitigen Marken trotz Warenidentität auch bei zu Gunsten der Widersprechenden unterstellter erhöhter Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zwar nicht die Gefahr unmittelbarer Verwechslungen nach dem Klang- und Schriftbild, weil die Marken sowohl in klanglicher als auch in schriftbildlicher Hinsicht in ihrem maßgeblichen Gesamteindruck nach ihrer Buchstaben- und Silbenzahl so deutliche Unterschiede aufweisen, dass der Verkehr sie - auch bei Zugrundelegung des eher unsicheren Erinnerungsbildes - sicher auseinanderhalten kann. Insoweit kann ergänzend auf die zutreffenden Ausführungen in den angegriffenen Beschlüssen verwiesen werden, denen gegenüber die Ausführungen der Widersprechenden in der Beschwerde nicht zu überzeugen vermögen.

29

Zwischen den beiderseitigen Marken besteht jedoch unter Berücksichtigung des unwidersprochen gebliebenen ergänzenden Sachvortrags der Widersprechenden im Beschwerdeverfahren die Gefahr von Verwechslungen i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG durch gedankliche Verbindung.

30

Bei dieser Form der Verwechslungsgefahr erkennen die beteiligten Verkehrskreise  zwar die Unterschiede der Marken, werten jedoch einen in beiden Marken übereinstimmend enthaltenen Bestandteil als Stammzeichen des Inhabers der älteren Marke, messen diesem die maßgebliche Herkunftsfunktion bei und unterliegen deshalb einer Fehlvorstellung über die betriebliche oder konzernmäßige Herkunft der Marken und der damit bezeichneten Waren und Dienstleistungen (BGH GRUR 2000, 886, 887 - Bayer/BeiChem; GRUR 2009, 484, 487 - Metrobus).

31

Für die Annahme einer Verwechslungsgefahr durch gedankliche Verbindung der Marken ist neben dem Vorhandensein eines übereinstimmenden Elements in beiden Marken Voraussetzung, dass diesem Bestandteil ein Hinweischarakter auf den Inhaber der älteren Marke zukommt. Für die Annahme einer gedanklichen Verbindung spricht vor allem der Umstand, dass der Inhaber der älteren Marke im Verkehr bereits mit dem entsprechenden Wortstamm mehrerer eigener entsprechend gebildeter Serienmarken aufgetreten ist (EuGH a. a. O. Nr. 46 - Il Ponte Finanziaria; BGH GRUR 2002, 547 - BANK 24). Die Annahme eines Stammbestandteils von Serienmarken kann aber auch durch andere Umstände nahegelegt sein, wie z. B. durch dessen Verwendung als Firmenkennzeichnung (BGH GRUR 1989, 350, 352 - Abbo/Abo) sowie dadurch, dass es sich bei dem Stammbestandteil um einen mit erhöhter Kennzeichnungskraft ausgestatteten Bestandteil handelt (BGH GRUR 1996, 267, 269 - AQUA; GRUR 1998, 1027, 1028 - Boris/BORIS BECKER) oder dass sonstige Umstände, wie z. B. die Art der abweichenden Merkmale, den Schluss auf eine gleiche betriebliche oder konzernmäßige Herkunft der Marken aufdrängen (BPatG GRUR 1997, 287, 289 f. - INTECTA/tecta).

32

Im vorliegenden Fall besteht die Gefahr einer gedanklichen Verbindung der angegriffenen Marke mit der Widerspruchsmarke deshalb, weil die Widersprechende - wie sie in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen hat - das mit der Widerspruchsmarke identische Wort „VION“ auch als kennzeichnenden Bestandteil ihres Unternehmens und ihrer Firmengruppe innerhalb der Bezeichnung „VION GROUP“ und damit als Firmenkennzeichnung benutzt. Diese Tatsache sowie der Umstand, dass es sich bei dem der Widerspruchsmarke in der angegriffenen Marke hinzugefügten Bestandteil „-ade“ um eine typische Wortendung handelt, begründen bei ansonsten identischen Wortanfängen die Gefahr, dass die beteiligten Verkehrskreise bei einer Benutzung der Marken für die identischen Waren der Klasse 29 einer Fehlzuordnung der angegriffenen Marke und der damit gekennzeichneten Waren zu dem Unternehmen oder der Firmengruppe der Widersprechenden unterliegen werden. Bei dieser Sachlage war der Beschwerde der Widersprechenden im beantragten Umfang stattzugeben und die Löschung der angegriffenen Marke für die Waren der Klasse 29 anzuordnen.

33

Für die von der Widersprechenden nur hilfsweise beantragte Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand danach keine Veranlassung.

34

Auch für eine Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens auf einen der Verfahrensbeteiligten gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 MarkenG liegen keine Gründe vor, sodass es bei der gesetzlichen Kostenfolge des § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG verbleibt, wonach jeder Beteiligte die ihm erwachsenen Kosten selbst trägt.