Entscheidungsdatum: 15.11.2018
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Marke 30 2012 010 307
hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Knoll, der Richterin Kriener und des Richters Dr. Nielsen
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Markeninhaberin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 18. Mai 2016 in der Hauptsache aufgehoben und der Widerspruch aus der Unionsmarke 008 257 271 zurückgewiesen.
I.
Die am 20. Januar 2012 angemeldete Bezeichnung
NUTRIVIT
ist am 20. Februar 2012 unter der Nr. 30 2012 010 307 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister für verschiedene Waren der Klassen 29, 30 und 32 eingetragen worden. Sie genießt u. a. Schutz für die nachfolgenden Waren:
Klasse 29: Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; tiefgefrorenes, konserviertes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Fruchtmus; Eier; Milch und Milchprodukte; Speiseöle und -fette;
Klasse 32: Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken.
Gegen die Eintragung der am 23. März 2012 veröffentlichten Marke hat der Inhaber der prioritätsälteren, am 9. Januar 2010 unter der Unionsmarkennummer 008 257 271 für die nachfolgenden Waren
Klasse 5: Nahrungsergänzungsmittel für medizinische Zwecke; mineralische Nahrungsergänzungsmittel, Nahrungsergänzungsmittel auf der Basis von Aminosäuren und/oder Mineralien und/oder Spurenelementen; Vitaminpräparate; diätetische Substanzen für medizinische Zwecke, Diätnahrungsmittel für medizinische Zwecke; Diätgetränke für medizinische Zwecke; Mittel auf Eiweißgrundlage für medizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für nichtmedizinische Zwecke; diätetische Substanzen für nichtmedizinische Zwecke; Diätnahrungsmittel und Diätgetränke für nicht-medizinische Zwecke auf der Basis von Fetten, Fettsäuren, unter Beigabe von Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen; Diätetische Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel für nicht-medizinische Zwecke auf der Basis von Kohlenhydraten, Ballaststoffen, unter Beigabe von Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen.
Klasse 29: Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel für nicht-medizinische Zwecke auf der Basis von Eiweißen.
eingetragenen Unionsmarke
Nutrifit
am 22. Juni 2012 Widerspruch erhoben, beschränkt auf die oben genannten Waren der Klasse 29 und 32 der angegriffenen Marke.
Die Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss eines Beamten des gehobenen Dienstes vom 18. Mai 2016 auf den Widerspruch aus der Unionsmarke 008 257 271 die Löschung der angegriffenen Marke im beantragten Umfang angeordnet. Zur Begründung ist ausgeführt, dass bei durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und hochgradiger Zeichenähnlichkeit im Zusammenhang mit den angegriffenen Waren Verwechslungsgefahr bestehe, auch wenn auf Seiten der Widerspruchsmarke nur die Ware „Nahrungsergänzungsmittel“ berücksichtigt werden könne. Die Inhaberin der angegriffenen Marke habe mit Schriftsatz vom 19. März 2015 die Einrede der Nichtbenutzung erhoben. Da die Widerspruchsmarke (eingetragen am 12. Januar 2010) zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke (am 23. März 2012) noch nicht länger als 5 Jahre im Register eingetragen gewesen sei, sei die undifferenziert erhobene Nichtbenutzungseinrede nur nach der Alternative des § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG zulässig. Der Widersprechende habe die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für die Ware „Nahrungsergänzungsmittel“ für diesen Zeitraum, nämlich für die letzten fünf Jahre vor der Entscheidung über den Widerspruch (Mai 2011 bis Mai 2016), ausreichend glaubhaft gemacht. Hierzu habe er eine von ihm unterschriebene Eidesstattliche Versicherung vom 14. August 2015 vorgelegt, die unter anderem Angaben über die Umsätze enthalte, die in den Jahren 2010 bis 2014 in Deutschland mit entsprechend gekennzeichneten Waren erzielt worden seien. Die Widerspruchsmarke weise einen normalen Schutzumfang auf. Zwar sei der in ihr enthaltene Wortbestandteil „Nutri“ an den Begriff „Nutrition“ angelehnt, der in der Medizin bzw. in der englischen Sprache „Ernährung“ bedeute. Der Begriff gehöre aber nicht zum englischen Grund- oder Aufbauwortschatz und werde deswegen von den angesprochenen Verbrauchern nicht verstanden. Darüber hinaus sei der Wortbestandteil „Nutri“ mit dem weiteren Wortbestandteil „fit“ zu einem normal kennzeichnungskräftigen Kunstwort verschmolzen. Soweit die Inhaberin der angegriffenen Marke darauf hinweise, dass eine Vielzahl von Marken eingetragen sei, die gleichfalls das Wortelement „Nutri“ enthielten, führe dies nicht zu einer Schwächung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, da hierfür die Übereinstimmung der Widerspruchsmarke mit Drittmarken in nur einem Wortelement nicht ausreichend sei. Die zu vergleichenden Waren seien nach allgemeiner Auffassung und unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren ähnlich. Die zu vergleichenden Zeichen seien in schriftbildlicher und in klanglicher Hinsicht hochgradig ähnlich. Bei der Wiedergabe in Versalien unterschieden sich diese nur im jeweils drittletzten Buchstaben, wobei diese beiden Buchstaben in ihrer Umrisscharakteristik in etwa gleich breit wirkten. In Kleinbuchstaben weise die jüngere Marke zwar im Buchstaben „f“ gegenüber der älteren Marke eine zusätzliche Oberlänge auf. Da die ältere Marke aber ihrerseits zwei anderweitige Oberlängen aufweise, falle dieser Umstand weniger ins Gewicht. In klanglicher Hinsicht stimmten die Vergleichsmarken in der Vokalfolge sowie in der Folge der Konsonanten mit Ausnahme der jeweils drittletzten Buchstabens überein. Dabei sei zu beachten, dass diese abweichenden Konsonanten gleich oder jedenfalls sehr ähnlich ausgesprochen würden.
Hiergegen wendet sich die Inhaberin der angegriffenen Marke mit ihrer Beschwerde. Die eidesstattliche Versicherung des Widersprechenden sei widersprüchlich und reiche nicht aus, um die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke im relevanten Zeitraum glaubhaft zu machen. Der Widersprechende stütze sich allein auf seine eigenen Angaben zu den Umsätzen in den Jahren 2010 bis 2014. Zugleich stammten die Etiketten und Rechnungen, die der Eidesstattlichen Versicherung beigefügt gewesen seien, aus dem Jahr 2015, weshalb es zweifelhaft sei, ob die Unterlagen überhaupt dem Zeitraum zuzuordnen seien, auf den sich die Eidesstattliche Versicherung beziehe. Der Widerspruchsmarke komme nur eine deutlich unterdurchschnittliche Kennzeichnungskraft zu. Es seien zahlreiche Marken für Dritte eingetragen, die denselben Anfangsbestandteil („Nutri“) enthielten und für die hier relevanten Waren Schutz beanspruchten. Zudem erlange die Widerspruchsmarke erst in der Zusammenschreibung der beiden beschreibenden Teile „Nutri" (= Ernährung) und „fit" (= leistungsfähig, gesund) ihre Eigenprägung, so dass sich ihr Schutzumfang allein hierauf beschränke. Angesichts dieser Kennzeichnungsschwäche reiche schon die kleine Abweichung der jüngeren Marke ohne weiteres aus, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen (vgl. BPatG 28 W (pat) 149/04 – Mineralfit/ Mineral Vital; 30 W (pat) 180/03 – proVitae/pro vitalis; 25 W (pat) 177/98 – Netto 62). Weiterhin sei keine relevante Warenähnlichkeit gegeben. Nach der Rechtsprechung des EuG und der Amtspraxis des EUIPO sowie des DPMA sei eine Ähnlichkeit zwischen „Nahrungsergänzungsmitteln“ und „alkoholfreien Getränken“ regelmäßig zu verneinen. Das BPatG habe wiederholt eine Verwechslungsgefahr im Zusammenhang mit den Vergleichswaren „Nahrungsergänzungsmittel“ einerseits und „Sirupe, Milchprodukte, diätetische Lebensmittel und Lebensmittel für nichtmedizinische Zwecke“ sowie Waren der Klasse 32 andererseits verneint (vgl. BPatG 25 W (pat) 30/08 – Müller-Burzler/Müller; 30 W (pat) 10/08 – Zucar/Suga). In Anbetracht der Vermarktung der mit der Widerspruchsmarke gekennzeichneten Produkte durch den Widersprechenden sei es nicht deren Hauptzweck, den Durst zu löschen, sondern die Konsumenten mit Vitaminen und Proteinen zu versorgen, wohingegen die Getränke der Inhaberin der angegriffenen Marke zum Durstlöschen bzw. zum Genießen bestimmt seien. Darüber hinaus würden sich die Vergleichswaren nach der Art der betrieblichen Herkunft und den Vertriebswegen unterscheiden, da der Widersprechende als Verkäufer von Nahrungsergänzungsmitteln auftrete und diese nur über Apotheken und einen eigenen Onlineshop anbiete, während die Inhaberin der angegriffenen Marke hauptsächlich Fruchtsäfte, Erfrischungsgetränke und Sirupe in Supermärkten vertreibe. Schließlich wende der Verkehr im Zusammenhang mit Nahrungsergänzungsmitteln einen relativ hohen Grad an Aufmerksamkeit auf, da die entsprechenden Waren für die Gesundheit bestimmt seien, wohingegen es sich bei den Waren der jüngeren Marke um solche des täglichen Bedarfs handle, denen der Verbraucher allenfalls durchschnittliche Aufmerksamkeit zukommen lasse. Schließlich bestehe auch keine Ähnlichkeit zwischen den Vergleichszeichen. Der übereinstimmende Zeichenbestandteil „NUTRI“ habe als Anlehnung an das Wort „Nutrition“ (Ernährung) für die jeweils beanspruchten Waren nur geringe Unterscheidungskraft. Daher würden beide Zeichen durch den Bestandteil „FIT“ bzw. „VIT“ geprägt. Das Wort „Fit“ nehme Bezug auf den gesundheitlichen bzw. körperlichen Zustand einer Person wohingegen der Zeichenbestandteil „VIT“ eine Anlehnung an das lateinische Wort „VITA“ (Leben) sei. Somit bestehe ein deutlicher begrifflicher Unterschied. In schriftbildlicher Hinsicht bestehe nur insoweit eine Ähnlichkeit, als der erste Zeichenbestandteil identisch sei. In klanglicher Hinsicht sei anzumerken, dass der jeweils zweite Bestandteil der Zeichen unterschiedlich ausgesprochen werde, wodurch sich trotz der Identität des ersten Wortbestandteiles trotzdem noch ein klanglicher Unterschied zwischen den beiden Marken ergebe.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt sinngemäß,
den Beschluss der Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts vom 18. Mai 2016 aufzuheben und den Widerspruch aus der Unionsmarke 008 257 271 zurückzuweisen.
Der Widersprechende beantragt,
die Beschwerde der Markeninhaberin zurückzuweisen.
Der Widersprechende ist der Auffassung, dass die Verwechslungsgefahr zu bejahen sei, insbesondere sei die Widerspruchsmarke rechtserhaltend benutzt worden. Die vom Bundesgerichtshof im Hinblick auf die rechtserhaltende Benutzung einer Marke aufgestellten Anforderungen würden vorliegend ohne Weiteres erfüllt (vgl. BGH I ZR 178/16 – Glückskäse). Auch eine sehr geringe Benutzung sei ausreichend, wenn sie kontinuierlich erfolge. Bei der Frage der Warenähnlichkeit sei zu beachten, dass die Hersteller von Säften oder Trinkjoghurts im Zusammenhang mit entsprechenden Produkten ein gesundheitsförderndes Image pflegten. Insofern seien die Übergänge zwischen diesen Produkten und Nahrungsergänzungsmitteln fließend. Dies gelte insbesondere für das Produkt des Widersprechenden, das in einem Gebinde vertrieben werde, das auch einen Fruchtsaft oder einen Frühstücksdrink enthalten könne. Nachdem die Vergleichszeichen klanglich identisch seien, könne kein Zweifel am Vorliegen der Verwechslungsgefahr bestehen.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 21. Juni 2018 darauf hingewiesen, dass die vom Widersprechenden glaubhaft gemachten Umsätze bezogen auf den Gesamtmarkt für Nahrungsergänzungsmittel in der Europäischen Union ausgesprochen gering seien. Insofern spreche unter Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls vieles dafür, dass die Unionswiderspruchsmarke nicht rechtserhaltend benutzt worden sei.
Der Widersprechende ist dem entgegengetreten. Zunächst vertreibe er die mit der Unionswiderspruchsmarke gekennzeichneten Nahrungsergänzungsmittel nicht nur in Deutschland, sondern auch „an ausländische Anbieter“ wie die Internetapotheke „DocMorris“ mit Sitz in den Niederlanden. Er führe zwar nur ein kleines Unternehmen, vertreibe jedoch hoch spezialisierte Produkte, die „es nicht an jeder Ecke gebe“, was bei der Frage der rechtserhaltenden Benutzung berücksichtigt werden müsse. Der Widersprechende verfüge weiterhin über ein abgestimmtes Markenportfolio, dessen Marken jeweils in der Wortendung „fit“ übereinstimmten. Deswegen sei auch der (weit höhere) Umsatz zu berücksichtigen, der mit dieser Markenfamilie erzielt werde. Das einheitliche Markenkonzept dürfe dem Widersprechenden nicht zum Vorwurf gemacht werden. Der Umsatz sei zudem nur ein Gesichtspunkt, der bei der Frage der rechtserhaltenden Benutzung zu berücksichtigen sei. So seien nach ständiger Rechtsprechung auch kleinere Umsätze (mindestens … Euro) als rechtserhaltend anzusehen, wenn die Benutzung sich über fünf Jahre dauerhaft erstreckt habe. Die im Hinweis des Senats vom 21. Juni 2018 geäußerte Rechtsauffassung führe im Ergebnis systemwidrig zu unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben im Zusammenhang mit nationalen Marken und Unionsmarken. Wegen der Abkehr des Senats von der ständigen Rechtsprechung werde die Zulassung der Rechtsbeschwerde angeregt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss der Markenstelle für Klasse 30 vom 18. Mai 2016, auf die Schriftsätze der Beteiligten, die schriftlichen Hinweise des Senats vom 14. Februar 2018 und vom 21. Juni 2018, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2018 und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die nach § 64 Abs. 6 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 66 Abs. 1 Satz 1 MarkenG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke hat in der Sache Erfolg. Die Widersprechende hat auf die im Beschwerdeverfahren in zulässiger Weise erhobene Nichtbenutzungseinrede der Inhaberin der angegriffenen Marke gemäß § 125 b Nr. 4 i. V. m. § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke in dem maßgeblichen Benutzungszeitraum nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG für keine der für die Widerspruchsmarke eingetragenen Waren glaubhaft gemacht. Mangels berücksichtigungsfähiger Waren auf Seiten der Widerspruchsmarke i. S. d. § 125 b Nr. 4 i. V. m. § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG kann der Widerspruch schon deshalb – unabhängig von der Frage der Verwechslungsgefahr nach der Registerlage – keinen Erfolg haben. Der Beschluss der Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts für Klasse 30 war daher aufzuheben und der Widerspruch zurückzuweisen, § 43 Abs. 2 Satz 2 MarkenG.
1. Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat im Verfahren vor dem DPMA mit Schriftsatz vom 19. März 2015 und im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 8. August 2016 die Einrede der Nichtbenutzung erhoben. Die gemäß § 125b Nr. 4 i. V. m. § 43 Abs. 1 MarkenG pauschal bzw. undifferenziert erhobene Einrede der Nichtbenutzung ist als zulässige Einrede nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG auszulegen, wobei sich die Beurteilung, ob eine Unionswiderspruchsmarke rechtserhaltend benutzt worden ist, nach Art. 18 UMV richtet (früher Art. 15 GMV). Das DPMA hat im Beschluss vom 18. Mai 2016 zutreffend darauf hingewiesen, dass die Widerspruchsmarke zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Eintragung der angegriffenen Marke noch nicht länger als 5 Jahre eingetragen war, so dass der Widersprechende die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG nur für den Zeitraum von 5 Jahren vor der hier getroffenen Entscheidung vom 15. November 2018, also für den Zeitraum vom 15. November 2013 bis zum 15. November 2018 glaubhaft zu machen hat (vgl. zur Auslegung der undifferenziert erhobenen Einrede der Nichtbenutzung, soweit diese nur für den Benutzungszeitraum nach § 43 Abs. 1 Satz 1 MarkenG unzulässig ist, die ausführliche Senatsentscheidung 25 W (pat) 6/11 – Yosaja/ YOSOI = GRUR 2016, 286, dort Leitsatz 1).
Der Widersprechende hat für diesen Zeitraum Benutzungsunterlagen vorgelegt, nämlich eine von ihm selbst abgegebene Eidesstattliche Versicherung vom 14. August 2015 nebst Abbildungen von Etiketten und Rechnungen. Er macht geltend, mit als „Nutrifit“ gekennzeichneten Waren (nämlich Nahrungsergänzungsmitteln), in Deutschland im Jahr 2013 insgesamt einen Umsatz von … Euro und im Jahr 2014 insgesamt einen Umsatz von … Euro erzielt zu haben. In der Eidesstattlichen Versicherung sind weiterhin für die Jahre 2010 bis 2012 Umsätze genannt, die jährlich zwischen von … Euro und … Euro liegen. Soweit die der Eidesstattlichen Versicherung beigefügten Unterlagen wie Etiketten und Rechnungen nicht den Zeitraum 2013 bis 2014 betreffen, sondern das Jahr 2015, geht der Senat weder von einem gedanklichen Widerspruch noch von einer inhaltlich unrichtigen Eidesstattlichen Versicherung aus, da der Widersprechende ausweislich seiner Erklärung Etiketten und Rechnungskopien „aus dem entscheidungserheblichen Zeitraum“ beigefügt hat, zu dem – wie oben dargelegt – auch das Jahr 2015 zählt. Es ist dabei nicht zu verkennen, dass im maßgeblichen Benutzungszeitraum bestenfalls Umsätze in einer Größenordnung von insgesamt … Euro glaubhaft gemacht worden sind (… Euro plus … Euro), woraus sich im Benutzungszeitraum ein durchschnittlicher jährlicher Gesamtumsatz von lediglich… Euro ergibt. Wird dabei noch berücksichtigt, dass der für das Jahr 2013 an Eides Statt versicherte Umsatz im Wesentlichen außerhalb des maßgeblichen Benutzungszeitraumes liegt, der erst am 15. November 2013 beginnt, ergibt sich für den gesamten Benutzungszeitraum ein glaubhafter Gesamtumsatz von deutlich unter … Euro bzw. ein durchschnittlicher Jahresumsatz von … Euro. Trotz der bereits im Hinweis vom 21. Juni 2018 geäußerten Bedenken des Senats, dass die rechtserhaltende Benutzung der Unionswiderspruchsmarke angesichts der bislang glaubhaft gemachten (geringen) Umsätze fraglich sei, hat der Widersprechende bis zur mündlichen Verhandlung vom 15. November 2018 keine weiteren Umsätze für Waren, die mit der Unionswiderspruchsmarke gekennzeichnet sind, vorgetragen oder glaubhaft gemacht.
Die vorgelegten Benutzungsunterlagen mögen im Zusammenhang mit der Ware „Nahrungsergänzungsmittel“ insgesamt zwar ausreichen, um für den relevanten Benutzungszeitraum eine Scheinbenutzung in Bezug auf eine nationale Marke auszuschließen. In Anbetracht der kontinuierlichen Benutzung der Marke „Nutrifit“ seit dem Jahr 2010 kann zu Gunsten des Widersprechenden davon ausgegangen werden, dass die Benutzungshandlungen eine gewisse wirtschaftliche Relevanz haben und nicht nur symbolischer Art sind bzw. zu dem Zweck vorgenommen wurden, die Marke um ihrer selbst willen zu erhalten. Damit könnten grundsätzlich die Anforderungen an eine rechtserhaltende Benutzung im Sinne von § 26 Abs. 1 MarkenG für eine nationale Marke gerade noch erfüllt sein (vgl. hierzu Ströbele/ Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 26 Rn. 9 ff.). Vorliegend handelt es sich bei der Widerspruchsmarke aber um eine Unionsmarke, so dass die Frage der rechtserhaltenden Benutzung nach Art. 15 GMV (jetzt Art. 18 UMV) zu beurteilen ist, wobei grundsätzlich eine Benutzung in der Gemeinschaft bzw. in der Union erforderlich ist. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist bei der Benutzung einer Unionsmarke in nur einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union die Anerkennung einer rechtserhaltenden Benutzung zwar nicht ausgeschlossen, da die Grenzen der Hoheitsgebiete der Mitgliedsstaaten bei der Beurteilung der Benutzung außer Betracht zu lassen sind (EuGH GRUR 2013, 182 Rn. 44 – ONEL/ OMEL; MarkenR 2014 385 Rn. 29 ff. – Walzertraum; zustimmend: BGH GRUR 2013, 925 Rn. 41 – VOODOO). Nachdem aber das Gebiet, in dem die Marke benutzt wird, nur einer der Faktoren ist, die in die Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Benutzung einzubeziehen sind, wird teilweise gefordert, dass die Benutzung in diesem beschränkten Gebiet intensiv und umfangreich erfolgt sein muss (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O. § 125b Rn. 41 – 45 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; für die Ware „Milchcooler und Milch Container“ sind Umsätze zwischen … und … Euro als nicht besonders hoch, aber noch ausreichend angesehen worden: BPatG 30 W (pat) 23/16 und 30 W (pat) 51/16; die beiden Entscheidungen sind über die Homepage des Bundespatentgerichts öffentlich zugänglich). Der EuGH hat in der oben genannten Entscheidung ONEL/OMEL darauf hingewiesen, dass bei einer Benutzung der Unionsmarke in nur einem Mitgliedsstaat, die insgesamt für die Bejahung einer ernsthaften Benutzung in der Union nicht ausreicht, die Möglichkeit besteht, die Unionsmarke in eine nationale Marke umzuwandeln (a. a. O. Rn. 51) und damit hinreichend deutlich klargestellt, dass eine geringfügige, territorial beschränkte Benutzung (auch wenn diese nicht lediglich zum Schein erfolgt) kein unionsweites Verbietungsrecht begründen soll.Im vorliegenden Fall ist bei der Abwägung aller relevanten Umstände zu berücksichtigen, dass die Unionswiderspruchsmarke nur in einem begrenzten Gebiet der Europäischen Union benutzt wird und die mit ihr erzielten Umsätze vor dem Hintergrund des gesamten Marktes für Nahrungsergänzungsmittel in der Europäischen Union ausgesprochen gering sind. Allein in Deutschland werden mit Nahrungsergänzungsmitteln jährlich Umsätze von mehr als einer … Euro erzielt (auf die mit dem Senatshinweis vom 21. Juni 2018 übersandten Unterlagen wird insoweit Bezug genommen). Zudem hat der Widersprechende auch auf Hinweis des Senats keine Tatsachen glaubhaft gemacht, die belegen könnten, dass er ernsthaft bemüht ist, seinen sehr geringen Marktanteil zu steigern. Die mit der eidesstattlichen Versicherung vom 14. August 2015 allein für das Inland glaubhaft gemachten Umsatzzahlen von 2010 bis 2014 belegen vielmehr, dass die relativ geringen Umsatzzahlen stark rückläufig sind (von … Euro im Jahr 2010 auf nur noch … Euro im Jahr 2014). Soweit der Widersprechende in seiner Stellungnahme zum Hinweis des Senats vom 21. Juni 2018 behauptet, dass er mit der Unionswiderspruchsmarke gekennzeichnete Waren auch „an ausländische Anbieter“ vertrieben habe, steht dies im Widerspruch zu seiner Eidesstattlichen Versicherung vom 14. August 2015. Der Senat geht aber auch insoweit nicht davon aus, dass die Eidesstattliche Versicherung unrichtig ist. Vielmehr zeigt die vom Widersprechenden im Schriftsatz vom 6. August 2018 vorgelegte Anlage, auf die er sich insoweit beruft (Screenshot der Internetapotheke DocMorris, Anlage 1, Bl. 86 d. A.), ausweislich der deutschen Sprache und der inländischen Servicetelefonnummer der Internetseite, dass sich das Angebot an inländische Abnehmerkreise richtet. Insoweit trägt der Widersprechende mit der gebotenen prozessualen Vorsicht nur vor, dass er die Ware „an ausländische Anbieter vertreibe“. Bei der Prüfung der Frage, wo relevante Umsätze erzielt werden, kommt es aber zuerst auf den Sitz der Kunden an und nicht auf den Sitz von einzelnen Zwischenhändlern oder Online-Vertriebsplattformen. Anderenfalls wäre die rechtserhaltende Benutzung von Marken zu verneinen, wenn die entsprechenden Produkte zwar bestimmungsgemäß in der Union abgesetzt werden, der Vertrieb aber (z. B. zur Steuerersparnis) über eine außereuropäische Internetseite erfolgt.
Entgegen der Rechtsauffassung des Widersprechenden sind bei der Prüfung der rechtserhaltenden Benutzung weitere Marken, deren Inhaber gleichfalls der Widersprechende ist, nicht zu berücksichtigen. Unabhängig davon, dass er nicht vorgetragen hat, welche Umsätze mit diesen Marken im relevanten Benutzungszeitraum erzielt wurden, bezieht sich der Benutzungszwang auf die Marke, aus der der Widerspruch erhoben worden ist, und nicht auf eine – nach Auffassung des Inhabers zusammengehörige – „Markenfamilie“. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Benutzung von Serienmarken im Einzelfall im Rahmen der Gesamtbetrachtung aller tatsächlichen Umstände im Zusammenhang mit der Benutzung einer Widerspruchsmarke berücksichtigt werden müsse, so steht vorliegend einer solchen Betrachtungsweise entgegen, dass die Marken, aus denen die „Markenfamilie“ bestehen soll, nur in einem für sich genommen nicht schutzfähigen Bestandteil übereinstimmen.
Dem Widersprechenden ist darin zuzustimmen, dass neben den erzielten Jahresumsätzen, dem getätigten Werbe- und Vertriebsaufwand und dem territorialen Absatzgebiet auch die Art des gekennzeichneten Produkts zu berücksichtigen ist. Soweit Waren oder Dienstleistungen betroffen sind, die sich an einen hoch spezialisierten Abnehmerkreis richten, können auch bei Unionsmarken vergleichsweise niedrige Umsätze ausreichen, um eine rechtserhaltende Benutzung zu bejahen. Insoweit ist es angezeigt, die vom Widersprechenden glaubhaft gemachten Umsätze mit dem Volumen des Gesamtmarkts entsprechender Produkte zu vergleichen. In diesem Zusammenhang weist aber nichts darauf hin, dass die vom Widersprechenden vertriebenen Produkte gegenüber sonstigen Nahrungsergänzungsmitteln anderer Anbieter in irgendeiner Art und Weise speziell oder besonders sein könnten. Hierzu hat der Widersprechende nach dem Hinweis des Gerichts vom 21. Juni 2018 nichts Substantiiertes vorgetragen. Ausweislich der Anlage 1 vertreibt der Widersprechende sein Produkt als „Nutrifit Kakao Flüssig“. Auf den Etiketten der Produkte, die der Eidesstattlichen Versicherung des Widersprechenden vom 14. August 2015 beigefügt sind, wird neben dem hohen Eiweißgehalt bzw. dem niedrigen Gehalt an Kohlehydraten der Getränke (u. a.) die Geschmacksrichtung hervorgehen. Damit entspricht das Produkt üblichen Nahrungsergänzungsmitteln, die nicht nur im Fachhandel, sondern auch in Supermärkten und Discountern vielfältig angeboten werden. Folgerichtig hat der Widersprechende im Zusammenhang mit der Frage der Warenähnlichkeit selbst vorgetragen, dass seine Produkte in Gebinden vertrieben würden, die auch einen Fruchtsaft oder einen Frühstücksdrink enthalten könnten, weshalb seine Produkte gegenüber (gewöhnlichen) Fruchtsäften oder Trinkjoghurts anderer Hersteller hochgradig ähnlich seien.
Insoweit führt die Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls dazu, dass eine rechtserhaltende Benutzung der Unionswiderspruchsmarke als nicht glaubhaft gemacht anzusehen ist.
2. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung war vom Widersprechenden mit Schriftsatz vom 6. August 2018 beantragt worden. Mit Telefax vom 14. November 2018, eingegangen bei Gericht am 14. November 2018, hat der Widersprechende auf die Durchführung der auf den folgenden Tag anberaumten mündlichen Verhandlung „verzichtet“. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung erschien aber aus Gründen der Sachdienlichkeit veranlasst, § 69 Nr. 1 und Nr. 3 MarkenG, was den Beteiligten seitens des Gerichts mit Telefax vom 14. November 2018 mitgeteilt wurde (Bl. 103/105 d. A.).
3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht veranlasst, da der Ausgang des Verfahrens im Wesentlichen von der tatrichterlichen Bewertung der glaubhaft gemachten Umstände im Zusammenhang mit der rechtserhaltenden Benutzung der Unionswiderspruchsmarke abhängig war. Der Senat ist dabei im Bewertungsmaßstab von der Rechtsprechung der anderen Senate des Bundespatentgerichts, des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs – wie oben dargelegt – nicht abgewichen.