Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 08.05.2012


BPatG 08.05.2012 - 24 W (pat) 545/10

Markenbeschwerdeverfahren – "W15 (Wort-Bild-Marke)/e15 (Wort-Bild-Marke/Gemeinschaftsmarke)" – Dienstleistungsidentität und –ähnlichkeit – zur Kennzeichnungskraft - klangliche Verwechslungsgefahr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
24. Senat
Entscheidungsdatum:
08.05.2012
Aktenzeichen:
24 W (pat) 545/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2008 029 412.4

hat der 24. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2012 durch die Vorsitzende Richterin Werner sowie die Richterin Dr. Schnurr und den Richter am Oberlandesgericht Heimen

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Juli 2010 insoweit aufgehoben, als darin der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 003057312 zurückgewiesen worden ist.

2. Wegen des Widerspruchs aus der Gemeinschaftsmarke 003057312 wird die Löschung der angegriffenen Marke 30 2008 029 412 angeordnet.

3. Soweit die Widersprechende mit ihrer Beschwerde den Beschluss der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 14. Juli 2010 insoweit angegriffen hat, als darin auch der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 001082387 zurückgewiesen worden ist, ist die Beschwerde derzeit gegenstandslos.

Gründe

I.

1

Die Wort-Bildmarke mit der Registernummer 30 2008 029 412

Abbildung

2

ist am 6. Mai 2008 angemeldet und am 21. August 2008 für die Dienstleistungen der Klassen

3

"(37) Dienstleistungen von Bauträgern, nämlich Durchführung von Bauvorhaben;

4

(42) Dienstleistungen von Architekten/Architekturbüros; Dienstleistungen von Ingenieuren"

5

in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden. Die Eintragung ist am 26. September 2008 veröffentlicht worden.

6

Hiergegen ist von der Widersprechenden aus ihrer unter der Registernummer 3057312 am 5. August 2004 eingetragenen Gemeinschaftsmarke

Abbildung

7

(Farbe: weiß, orange)

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Widerspruch erhoben worden, die u. a. als Kennzeichen für die Dienstleistungen der Klasse 42

9

"(42) Dienstleistungen eines Innenarchitekten, Dienstleistung eines Möbeldesigners, Designkonzepte für die Inneneinrichtung und deren Umsetzung"

10

Schutz beansprucht.

11

Dieselbe Widersprechende hat Widerspruch erhoben aus ihrer Gemeinschaftswortmarke Nr. 1082387

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e15

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die seit dem 21. Februar 2001 für die Waren und Dienstleistungen der Klassen 20, 27 und 42 eingetragen ist.

14

In einem Beschluss vom 14. Juli 2010 hat die Markenstelle für Klasse 42 – besetzt mit einem Beamten des gehobenen Dienstes - beide Widersprüche zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass jedenfalls zwischen den angegriffenen architektur-, ingenieur- und bauträger-spezifischen Dienstleistungen einerseits und den innenarchitektur- und designkonzeptspezifischen Dienstleistungen der Widerspruchsmarken andererseits eine hochgradige, jedenfalls aber beachtliche Ähnlichkeit, bestehe, die angegriffene Marke jedoch den dadurch gebotenen Abstand in jeder marken-rechtlich relevanten Richtung, also auch der in klanglicher Hinsicht, hinreichend einhalte. Hinsichtlich der Buchstaben- und Ziffernbestandteile gelte es zu berücksichtigen, dass der Buchstabe "e" (bzw. die Versalie "E") die gebräuchliche Abkürzung für "Energie" darstelle und dementsprechend auf den Gebiet der Innen-/ Architektur kennzeichnungsschwach sei. Weiter sei zu berücksichtigen, dass es sich um ausgesprochene Kurzzeichen handele, bei denen einzelne Abweichungen erfahrungsgemäß stärker auffallen würden.

15

Gegen den Beschluss des DPMA hat die Widersprechende – gestützt auf ihre beiden Widerspruchsmarken – am 23. August 2010 Beschwerde eingelegt.

16

Sie trägt vor, beide Widerspruchsmarken würden jeweils durch den Bestandteil "e15" geprägt, die Anmeldemarke werde durch die Angabe "W15" geprägt. Auch bei der Kürze der gegenüberstehenden Zeichen sei eine klangliche Verwechslungsgefahr gegeben. Zwischen den beiden Wort-Bildmarken bestehe zudem auch eine bildliche Verwechslungsgefahr.

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Die Widersprechende beantragt,

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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 14. Juli 2010 aufzuheben und die Löschung der Marke Nr. 30 2008 029 412 anzuordnen.

19

Der Markeninhaber hat sich nicht geäußert.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

21

Die gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 MarkenG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat hinsichtlich des Widerspruches aus der Gemeinschaftsmarke Nr. 3057312 auch in der Sache Erfolg, weil zwischen den Kollisionszeichen eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr besteht und dementsprechend die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen ist, §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 125b, 165 Abs. 2 MarkenG i. V. m. § 42 MarkenG a. F.

22

Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend vorzunehmen. Dabei sind zunächst - und zwar unabhängig von einander - Feststellungen zur Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, zur Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen sowie zur Ähnlichkeit der Vergleichszeichen zu treffen. Bei einer abschließenden Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass die vorgenannten Faktoren in einem Verhältnis der Wechselwirkung zu einander stehen, so dass ein geringerer Grad des einen Faktors durch einen höheren Grad eines anderen Faktors ausgeglichen werden kann (st. Rspr.; vgl. z. B. EuGH GRUR 1998, 387, 389 (Nr. 22) - Sabèl/Puma; GRUR 2008, 343, 345 (Nr. 48) - Il Ponte Finanziaria Spa/HABM; BGH GRUR 2008, 905, 905 (Nr. 12) - Pantohexal). Weiter ist auf den Standpunkt eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Adressaten der betroffenen Art von Waren oder Dienstleistungen abzustellen (EuGH GRUR 2004, 943 - SAT.2; GRUR Int. 1999, 734 - Lloyd; BGH GRUR 2000, 506 - ATTACHÉ/TISSERAND).

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Davon ausgehend umfassen die vorliegend angesprochenen Verkehrskreise auch den Endverbraucher und demnach die allgemeinen Verkehrskreise; im Bereich der Klasse 42 sind die zur Beurteilung stehenden Vergleichsdienstleistungen hochgradig ähnlich bis identisch. Die Dienstleistungen der angegriffenen Marke im Bereich der Klasse 37 sind mit den von der Widerspruchsmarke Nr. 3057312 beanspruchten Vergleichsdienstleistungen in Klasse 42 jedenfalls durchschnittlich ähnlich.

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Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke 3057312 ist durchschnittlich. Zwar kann der Großbuchstabe "E" z. B. im Baubereich für "Energie" stehen, wobei die Abkürzung üblicherweise als Grossbuchstabe verwendet wird, während der Kleinbuchstabe "e", der hier für die Widerspruchsmarke durch die Eintragung als Wort-/Bildmarke bindend vorgegeben ist, eher für "elektrisch/elektronisch" steht. Hinsichtlich der hier interessierenden Dienstleistungen aus den Klassen 37 und 42 lässt sich allein daraus keine markenrechtlich relevante Einschränkung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke für diesen Bereich ableiten. Weitere Umstände, die eine Schwächung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke bewirken könnten, sind nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Bei infolgedessen durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke und gleichzeitiger Identität bzw. durchschnittlicher Ähnlichkeit der Vergleichsdienstleistungen muss die jüngere Marke einen deutlichen Abstand zu der prioritätsälteren Widerspruchsmarke halten.

25

Diese Anforderung erfüllt die angegriffene Marke nicht, vielmehr kommt sie der Widerspruchsmarke jedenfalls klanglich verwechselbar nahe.

26

Die Frage der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift-)Bild, im Klang oder in der Bedeutung zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können (st. Rspr., z. B.: BGH, BGHZ 139, 340, 347 - Lions; GRUR 2008, 903 - SIERRA ANTIGUO; GRUR 2009, 1055 - airdsl). Für die Bejahung der Zeichenähnlichkeit reicht dabei regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche; es genügt daher, wenn die Zeichen einander entweder im (Schrift-)Bild oder im Klang oder in der Bedeutung ähnlich sind (st. Rspr.: BGH, a. a. O. - Lions; GRUR 2004, 783, 784 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX; GRUR 2006, 60 - coccodrillo; GRUR 2008, 803 - HEITEC; BGH, GRUR 2009, 1055 - airdsl; GRUR 2011, 824 - Kappa).

27

Bei Kombinationsmarken wie hier geht die Rechtsprechung von dem Grundsatz aus, dass der Verkehr sich eher am Wortbestandteil als am Bildbestandteil zu orientieren pflegt (vgl. Fezer MarkenG § 14, Rn. 464; st. Rspr.: BGH GRUR 1966, 499, 500 – Merck; 1989, 425, 427 – Herzsymbol; 1992, 48, 50 – frei öl; 1996, 198 – Springende Raubkatze; 2002, 167, 169 – Bit/Bud; 2003, 712, 714 – Goldbarren; 2004, 775, 776 – EURO 2000; 2004, 778, 779 – URLAUB DIREKT; 2005, 419, 423 – Räucherkate; 2006, 60, 62 – coccodrillo; s. auch BPatG GRUR 2003, 530, 533 – Waldschlößchen; 2004, 954, 957 – CYNARETTEN/Circanetten; 2007, 596, 598 – La Martina; 2008, 174, 178 – EUROPOSTCOM; s. auch OLG Köln GRUR 2002, 264, 266 – DONA/PROGONA). So verhält es sich hier: Der graphische Bestandteil der Widerspruchsmarke, ein Rechteck in orange-roter Farbe, ist lediglich eine einfache geometrische Grundform in einer werbeüblichen Signalfarbe und erschöpft sich in seiner Funktion als farbiger Hintergrund zur Hervorhebung der in weiß gehaltenen Schrift. Demgegenüber ist der Wortbestandteil "e15" in der Widerspruchsmarke gut wahrnehmbar und der einzige Zeichen-Bestandteil, der auf den ersten Blick in üblicher Weise als Herkunftskennzeichen in Erscheinung tritt. Selbiges gilt für die angegriffene Marke. Ihr Hauptbildbestandteil wird vom Verkehr als Abwandlung einer schematischen (bau-)technischen Zeichnung aufgefasst und wird als solche für die beanspruchten Dienstleistungen lediglich als illustrierend und sachlich beschreibend wahrgenommen.

28

Mithin stehen sich klanglich die jeweiligen Wortbestandteile "e15" und "W15" gegenüber, die phonetisch in Anzahl der Silben, der Vokalfolge und in den beiden letzten Silben identisch sind. Der einzige klangliche Unterschied besteht in den Anfangsbuchstaben "E" und - phonetisch - "We". Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Wortanfang gewöhnlich mit besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen wird, reicht dieser eine Unterschied nicht aus, um eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen. Dafür ist die klangliche Nähe zwischen diesen beiden Buchstaben zu groß.

29

Eine nach dem Klang zu bejahende Verwechslungsgefahr kann dann ausnahmsweise unbeachtlich sein, wenn dem einen oder auch beiden Zeichen ein ohne Weiteres erkennbarer konkreter Begriffsinhalt zukommt (BGH, GRUR 2003, 1044 – Kelly; GRUR 2004, 240, 241 – MIDAS/medAS; auch BGH, GRUR 2008, 715 - idw; GRUR 2008, 719 – idw Informationsdienst Wissenschaft; GRUR 2010, 235 – AIDA/AIDU; BGH, GRUR 2011, 824 - Kappa) und der Begriff deshalb wegen seines jedermann geläufigen Sinngehalts rasch erfasst wird und als allgemein verständliches Wort mit einem anderen, der Umgangssprache nicht entlehnten Kennzeichen nicht verwechselt werden kann. Die Rechtsprechung geht aufgrund der Sprech- und Hörgewohnheiten des Verkehrs von dem Erfahrungssatz aus, dass bestehende Abweichungen der Kollisionszeichen in der begrifflichen Zeichenwirkung es dem Verkehr erleichtern, verbleibende klangliche Unterschiede wesentlich schneller zu erfassen (BGH GRUR 1992, 130, 132 – Bally/BALL). Für diesen Erfahrungssatz gibt es vorliegend keinen Anknüpfungspunkt, da ein rasch erfassbarer Begriffsinhalt keinem der beiden Markenzeichen zugeordnet werden kann.

30

Eine nach dem Klang zu bejahende Identität oder Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen kann im Ausnahmefall auch durch Abweichungen in der bildlichen Gestaltung in einem Maße aufgewogen werden, dass in der Gesamtschau eine Zeichenähnlichkeit und damit eine Verwechslungsgefahr ausscheidet. Eine solche Wirkung kommt nach der Rechtsprechung (zuletzt: BGH, Urt. v. 20.01.2011, Az: I ZR 31/09, MarkenR 2011, 364 ff. – Kappa) lediglich dann in Betracht, wenn die mit den Zeichen gekennzeichneten Waren regelmäßig nur auf Sicht gekauft werden. Davon kann hier, da es sich bei den Leistungen von Architekten und Ingenieuren regelmäßig um Dienste höherer Art handelt, nicht ausgegangen werden.

31

Die angegriffene Marke ist deshalb wegen klanglicher Verwechslungsgefahr mit der Widerspruchsmarke Nr. 3057312 zu löschen.

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Soweit sich die Beschwerde gegen die Zurückweisung des  Widerspruches aus der weiteren Marke Nr. 1082387 richtet, ist sie derzeit (d. h. vorbehaltlich einer erfolgreichen - fristgebundenen - Eintragungsbewilligungsklage nach § 44 MarkenG) gegenstandslos.

33

Für die Auferlegung von Verfahrenskosten besteht kein Anlass.