Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 22.09.2015


BPatG 22.09.2015 - 24 W (pat) 48/13

Markenbeschwerdeverfahren – "JAM ON/JAM (IR-Marke)" – Warenidentität – zur Kennzeichnungskraft – begriffliche Verwechslungsgefahr


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
24. Senat
Entscheidungsdatum:
22.09.2015
Aktenzeichen:
24 W (pat) 48/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2011 045 921

hat der 24. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Metternich sowie der Richter Heimen und Schmid

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 8. August 2013 wird aufgehoben.

Wegen des Widerspruchs aus der international registrierten Marke IR 1 041 345 wird die Löschung der angegriffenen Marke 30 2011 045 921 angeordnet.

Gründe

I.

1

Gegen die am 18. August 2011 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) angemeldete, am 16. November 2011 für die Waren

2

Klasse 3: Haar-Gel, Haar-Pflegemittel, Kosmetika

3

eingetragene und am 16. Dezember 2011 veröffentlichte Wortmarke Nr. 30 2011 045 921

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JAM ON

5

ist Widerspruch erhoben worden von der Inhaberin der am 8. Juli 2010 eingetragenen, international registrierten Wortmarke Nr. IR 1 041 345

6

JAM

7

die für die folgenden Waren Schutz genießt:

8

Klasse 3: Seifen, Parfümerien, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer, Zahnputzmittel;

9

Klasse 14: Edelmetalle und deren Legierungen sowie daraus hergestellte oder damit platinierte Waren (soweit in Klasse 14 enthalten); Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edelsteine; Uhren und Zeitmessinstrumente.

10

Mit Beschluss vom 8. August 2013 hat die Markenstelle für Klasse 3 des DPMA den Widerspruch zurückgewiesen.

11

Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, trotz teilweise identischer, jedenfalls hochgradig ähnlicher Waren und unter Zugrundelegung einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke bestehe keine Verwechslungsgefahr. Die Vergleichszeichen unterschieden sich durch die unterschiedliche Wortlänge deutlich, die angegriffene Marke verfüge am Ende, auf dem hier auch die Betonung liege, über den Bestandteil „ON“, welcher der Widerspruchsmarke fehle. Der angesprochene Verkehr werde diesen Wortteil der angegriffenen Marke auch nicht weglassen oder nicht beachten. Die angegriffene Marke werde in ihrem Gesamteindruck durch keinen ihrer Bestandteile geprägt, sondern sie werde als zusammengehöriger Begriff aufgefasst werden, etwa im Sinne eines Haargels bzw. Mousse („Jam“ englisch für „Mus“), das man auftrage.

12

Die nach der Umschreibung der Widerspruchsmarke gemäß Schriftsatz vom 23. Juli 2013 in das Widerspruchsverfahren eingetretene nunmehrige Inhaberin der Widerspruchsmarke hat dagegen Beschwerde eingelegt.

13

Sie ist der Auffassung, die Widerspruchsmarke besitze durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Bei identischen und ähnlichen Waren genüge hier daher schon ein geringerer Grad an Zeichenähnlichkeit für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr. Die angegriffene Marke übernehme die Widerspruchsmarke in identischer Form, die Buchstabenfolge „JAM“ besitze in der jüngeren Marke eine auffällige und somit selbständige kennzeichnende Stellung. Der Bestandteil „ON“ in der angegriffenen Marke sei dagegen kennzeichnungsschwach, weil er in der übersetzten Bedeutung „auf“ lediglich einen Hinweis auf die Handhabung der beanspruchten Waren in Klasse 3 gebe, die allesamt auf die Haut bzw. Haare aufgetragen würden, der Bestandteil „JAM“ präge daher die angegriffene Marke. Zudem seien die Vergleichszeichen begrifflich identisch, zumindest hochgradig ähnlich, da der angesprochenen Verkehr die Angaben „JAM ON“ und „JAM“ i. S. v. „musizieren“ jeweils als Aufforderung zum „jammen“ verstehen könne.

14

Die Widersprechende hat beantragt,

15

den Beschluss der Markenstelle für Klasse 3 vom 8. August 2013 aufzuheben und die Löschung der Marke 30 2011 045 921 anzuordnen.

16

Die, wie mit Schriftsatz vom 31. August 2015 angekündigt, in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene Markeninhaberin hat beantragt,

17

die Beschwerde zurückzuweisen.

18

Sie ist der Auffassung, die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei geschwächt, weil die Buchstabenfolge „JAM“ das offizielle Länder-Kürzel für die Insel Jamaika sei und der Verkehr deshalb bei Waren der Klasse 3 lediglich annehme, dass die entsprechenden Waren im Zusammenhang mit diesem Land stünden, also z. B. aus Jamaika stammten oder dort hergestellt seien. Hinsichtlich der Zeichenähnlichkeit ist sie der Auffassung, dass die angegriffene Marke deutlich länger sei, insbesondere aus zwei Worten bestehe, so dass weder schriftbildlich noch klanglich eine Verwechslungsgefahr vorliege.

19

Begrifflich bestehe zwischen den Zeichen ebenfalls keine Ähnlichkeit, da die angegriffene Marke „JAM ON“ übersetzt „etwas fest aufsetzen“ oder im Sinne einer musikalischen Improvisation (to jam = musizieren, improvisieren) zu verstehen sei.

20

Die Buchstabenfolge „JAM“ nehme in der angegriffenen Marke auch keine selbständig kennzeichnende Stellung ein, vielmehr seien die beiden Bestandteile inhaltlich aufeinander bezogen, so dass ein einheitlicher Gesamteindruck entstehe, der einen anderen Bedeutungsgehalt habe als die Buchstabenfolge „JAM“ in Alleinstellung.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

22

Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Markenstelle hat den Widerspruch zu Unrecht zurückgewiesen, weil zwischen den Kollisionszeichen eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr besteht, §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 42, 43, 116 MarkenG.

23

1. Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. hierzu z. B. EuGH GRUR 2010, 933, Tz. 32 - BARBARA BECKER; GRUR 2010, 1098, Tz. 44 - Calvin Klein/HABM; BGH GRUR 2012, 64, Tz. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040, Tz. 25 - pjur/pure; GRUR 2013, 833, Tz. 30 – Culinaria/Villa Culinaria). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der Waren, die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (vgl. dazu EuGH GRUR 2008, 343, Tz. 48 - Il Ponte Finanziaria Spa/HABM; BGH GRUR 2012, 64, Tz. 9 - Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040, Tz. 25 - pjur/pure; siehe auch Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl., § 9, Rn. 41 ff. m. w. N.). Darüber hinaus können für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren relevant sein, wie u. a. etwa die Art der Ware, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.

24

a) Nach der maßgeblichen Registerlage können sich die Vergleichsmarken auf identischen Waren begegnen. Die für die angegriffene Marke geschützten Waren der Klasse 3 werden von dem Oberbegriff „Mittel zur Körper- und Schönheitspflege“, der für die Widerspruchsmarke eingetragen ist, vollständig umfasst.

25

b) Zu den durch diese Waren angesprochenen Verkehrskreisen zählen der jeweilige Fachverkehr sowie auch der allgemeine, angemessen aufmerksame Durchschnittsverbraucher, der entsprechende Waren des täglichen Bedarfs für private Zwecke nutzt.

26

c) Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in ihrer Gesamtheit ist durchschnittlich. Das der englischen Sprache zugehörige Wort „Jam“ bedeutet wörtlich übersetzt „Marmelade“ bzw. „Klemme, Stau, Gedränge missliche Lage“. Des Weiteren ist das Wort „Jam“ den inländischen Verkehrskreisen, worauf auch die Markeninhaberin zutreffend hingewiesen hat, als Bezeichnung für ein improvisierendes Musizieren vertraut (z. B. „Jam-Session“, vgl. auch PONS online, v. d. Markeninh. als Anl. Wg. 7 eingereicht). Anhaltspunkte für eine Schwächung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke liegen nicht vor. Weder die musikalische Bedeutung noch die Übersetzungen „Klemme, Stau, Gedränge“ besitzen im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Waren der Klasse 3, nämlich Mittel zur Körper- und Schönheitspflege eine beschreibende Bedeutung. Dies gilt ebenfalls für die Bedeutung „Marmelade“. Insbesondere haben weder die Recherchen des Senates noch der Vortrag der Markeninhaberin ergeben, dass die maßgeblichen Waren in einem insoweit relevanten Zusammenhang mit „Marmelade“ stehen, denn soweit ersichtlich werden weder Haarpflegeprodukte noch Kosmetika durch die Angabe „Marmelade“ beschrieben. Die vereinzelt geschilderte marmeladenartige Konsistenz von Mitteln zur Pflege/zum Styling von Haaren führt nicht zu einer relevanten Minderung der Kennzeichnungskraft, es handelt sich dabei um eine bloß assoziative Bildersprache aufgrund der ähnlichen haptischen Eigenschaften, die alle gelartigen Substanzen gemeinsam aufweisen, jedoch nicht um eine Merkmalsbeschreibung in Bezug auf Haargels und ähnliche Waren. Die Kennzeichnungskraft ist auch nicht deshalb geschwächt, weil die Buchstabenfolge „JAM“ für „Jamaika“ stehen kann. Im Bereich der hier in Rede stehenden Waren der Klasse 3 konnte der Senat keine Feststellungen treffen, dass diese mit dem Länderkürzel „JAM" als Hinweis auf den Herstellungsort etc. versehen werden. Zwar werden Buchstaben und Buchstabenkombinationen (z. B. „D“, „CH“, F“, “GB“, „USA“, „EU“) bei kosmetischen Waren etc. als Hinweis auf für das jeweilige Land/Gebiet geltende Deklarationen bzw. in der jeweiligen Sprache gefasste Anwendungshinweise verwendet. Der angesprochene inländische Verkehr wird die Angabe „JAM“ aber nicht als einen solchen Hinweis auffassen, weil nicht festgestellt werden kann, dass derartige Deklarationsangaben für kleinere und gleichzeitig weit entfernte Länder in relevantem Umfang verwendet werden und dem Durchschnittsverbraucher ohne Weiteres bekannt sind.

27

d) Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung hält die angegriffene Marke den erforderlichen Zeichenabstand zur Widerspruchsmarke nicht ein. Eine für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr relevante Zeichenähnlichkeit kann in klanglicher, schriftbildlicher oder begrifflicher Hinsicht bestehen, wobei es für die Annahme einer Verwechslungsgefahr grundsätzlich ausreicht, wenn zwischen den jeweiligen Vergleichsmarken nur in einer dieser Kategorien ausreichende Übereinstimmungen festzustellen sind (Ströbele/Hacker, Markengesetz, 11. Aufl., § 9, Rn. 254 m. w. N.). Dabei sind grundsätzlich die Vergleichsmarken als Ganzes gegenüberzustellen, da der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden und zergliedernden Betrachtungsweise zu unterziehen (Ströbele/ Hacker, Markengesetz, 11. Aufl., § 9, Rn. 237 m. w. N).

28

Die Vergleichszeichen weisen jedenfalls in begrifflicher Hinsicht eine relevante Zeichenähnlichkeit auf, die zur Bejahung der Verwechslungsgefahr führt. Der begrifflichen Verwechslungsgefahr steht hier auch nicht entgegen, dass die eher sloganartige gebildete angegriffene Marke eine gesamtbegriffliche Einheit bildet. Die Markeninhaberin weist in ihrem Schriftsatz vom 21. Mai 2015 im Ergebnis zutreffend darauf hin, dass der Bestandteil „ON“ in der angegriffenen Marke auf den vorderen Bestandteil „JAM“ bezogen ist und einen Handlungsaufruf vermittelt. Dieser Handlungsaufruf ist allerdings nicht auf die beanspruchten Waren i. S. v. „Marmelade auftragen“ beschränkt, sondern kann sich vielmehr auf jede Art der Bedeutung, welche die Vergleichszeichen haben können, beziehen. Auch die Widerspruchsmarke kann, wie bereits ausgeführt und auch von der Markeninhaberin dargelegt, vom angesprochen Verkehr als Bezeichnung für eine bestimmte Art des Musizierens aufgefasst werden. Das Wort „JAM“ kann dabei nicht nur als Substantiv, also als Bezeichnung für die Art des Musizierens, sondern naheliegend auch als Aufforderung verstanden werden, mit dem Musizieren zu beginnen oder fortzufahren. Mit dieser Bedeutung weist die Widerspruchsmarke nur einen sehr geringen Unterschied zur begrifflichen Bedeutung der angegriffenen Marke auf, deren Handlungsaufruf „JAM ON“ die Aussage „jamme (i. S. v. musiziere) weiter“ ausgedrückt. Die beiden Bedeutung „jamme“ bzw. „jamme weiter“ liegen jedoch so nah beieinander, dass von einer an Identität heranreichenden Zeichenähnlichkeit in begrifflicher Hinsicht auszugehen ist. Es kommt vorliegend auch nicht auf die von der Markeninhaberin angeführte Klammerwirkung (vgl. dazu u. a. EuGH, MarkenR 2014, 245 - BIMBO DOUGHNUTS/DOGHNUTS) an, da, wie bereits ausgeführt, beide Vergleichsmarken trotz der Unterschiede einen nahezu identischen Bedeutungsgehalt haben.

29

Auf die Frage, ob die Buchstabenfolge „JAM“ die angegriffene Marke prägt oder in dieser eine selbständig kennzeichnende Stellung innehat, kommt es daher nicht entscheidungserheblich an.

30

Bei der erforderlichen Gesamtabwägung aller im vorliegenden Einzelfall maßgeblichen Faktoren hält die angegriffene Marke bei Identität der gegenüberstehenden Waren des alltäglichen Bedarfes und durchschnittlicher Kennzeichnungskraft den gebotenen Zeichenabstand jedenfalls in begrifflicher Hinsicht nicht ein, so dass auf den Widerspruch die vollständige Löschung anzuordnen ist.

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2. Eine Auferlegung von Kosten aus Gründen der Billigkeit ist nicht veranlasst, § 71 Abs. 1 MarkenG.