Entscheidungsdatum: 03.08.2010
…
betreffend die Marke 301 33 973
hat der 24. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 3. August 2010 unter Mitwirkung des Richters Viereck als Vorsitzenden, des Richters Eisenrauch und der Richterin Kortge
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 23. August 2005 und vom 20. Februar 2007 insoweit aufgehoben, als der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 506 469 bezüglich der Waren „Klasse 18: Lederwaren und Lederimitationen, Koffer und Reisetaschen, Reisekoffer, Gepäckstücke, Handkoffer, Sportreisetaschen, Taschen, Handtaschen, Kulturtaschen, Freizeittaschen, Aktentaschen, soweit in Klasse 18 enthalten; Dokumentenkoffer, Kosmetikkoffer, Dokumentenmappen, Brieftaschen und Geldbörsen“ und der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 1246164 bezüglich der Waren der jüngeren Marke in Klasse 14 zurückgewiesen worden ist.
In diesem Umfang wird die Marke 301 33 973 gelöscht.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
I.
Die am 5. Juni 2001 angemeldete Wortmarke
Stradivari
ist am 18. Juni 2002 unter der Nr. 301 33 973 für die Waren
„Klasse 03:
Seifen, Parfümerien, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer, Zahnpflegemittel;
Klasse 14:
Edelmetalle oder Legierungen sowie daraus hergestellte oder damit plattierte Waren, soweit in Klasse 14 enthalten; Juwelierwaren, Schmuckwaren, Edelsteine, Uhren und Zeitmessinstrumente, Gold und Silberwaren, Armbänder, soweit in Klasse 14 enthalten, Schlüsselanhänger in Lederetuis, Gegenstände aus Goldimitat, soweit in Klasse 14 enthalten; Krawattenhalter- und -nadeln, Manschettenknöpfe, Ringe, Modeschmuck;
Klasse 18:
Lederwaren und Lederimitationen, Koffer und Reisetaschen, Reisekoffer, Gepäckstücke, Handkoffer, Sportreisetaschen, Taschen, Handtaschen, Kulturtaschen, Freizeittaschen, Aktentaschen, soweit in Klasse 18 enthalten; Dokumentenkoffer, Kosmetikkoffer, Tragebehältnisse für Bekleidung, Krawattenfutterale, Dokumentenmappen, Brieftaschen und Geldbörsen, Regenschirme, Sonnenschirme, Spazierstöcke, Teile und Bestandteile für alle vorstehend genannten Waren, soweit in Klasse 18 enthalten“
in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen und am 19. Juli 2002 veröffentlicht worden.
Gegen die Eintragung der vorgenannten Marke hat die Widersprechende aus zwei prioritätsälteren Gemeinschaftsmarken Widerspruch erhoben, nämlich
1. aus der Marke Nr. 506 469 (angemeldet am 9. April 1997 und eingetragen am 19. November 1998)
geschützt für
„18
Handtaschen, Geldbörsen, Brieftaschen, Aktentaschen, Handkoffer, Reisekoffer, Regenschirme, Sonnenschirme, Markisen, Spazierstöcke, Peitschen, Pferdegeschirre und Sattlerwaren;
24
Handtücher, Bettlaken, Tischwäsche, Tagesdecken für Betten, Decken, Taschentücher, Tischdecken, Vorhänge, Gardinen und Webstoffe;
25
Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen“
2. aus der - hinsichtlich des Zeichens der ersten Widerspruchsmarke sehr ähnlichen - Marke Nr. 1 246 164 (angemeldet am 19. Juni 1999 und eingetragen am 22. September 2000), die für die Waren
„03
Wasch- und Bleichmittel; Putz-, Polier-, Fettentfernungs- und Schleifmittel; Seifen; Parfümerien; ätherische Öle, Haarwässer; Zahnputzmittel;
14
Edelmetalle und deren Legierungen sowie daraus hergestellte oder damit plattierte Waren; Juwelierwaren, Edelsteine; Uhren und Zeitmessinstrumente;
16
Papier und Waren aus Papier, Pappe (Karton) und Waren aus Pappe (Karton); Formblätter, Zeitungen und Zeitschriften, Bücher, Buchbinderartikel; Photographien; Schreibwaren, Klebstoffe für Papier- und Schreibwaren, Künstlerbedarfsartikel; Pinsel; Schreibmaschinen und Büroartikel, ausgenommen Möbel; Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate); Spielkarten; Drucklettern; Druckstöcke“
registriert ist.
Beide Widersprüche sind jeweils auf alle Waren der Widerspruchsmarken gestützt, wobei jedoch der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 506 469 sich nur gegen die Waren der Klasse 18 der angegriffenen Marke und der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 1 246 164 sich nur gegen die Waren der Klassen 3 und 14 der angegriffenen Marke richtet.
Die mit einer Markenprüferin im gehobenen Dienst besetzte Markenstelle für Klasse 3 des DPMA hat mit Beschluss vom 23. August 2005 beide Widersprüche zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die beiden Widerspruchsmarken enthielten den Wortbestandteil jeweils nur in einer dermaßen verfremdeten Form, dass dieser kaum mehr beachtet würde. Der Gesamteindruck der Widerspruchsmarken werde vielmehr durch die Bildelemente geprägt; eine Verwechslungsgefahr scheide somit mangels hinreichender Markenähnlichkeit aus.
Nachdem die Widersprechende gegen den Beschluss Erinnerung eingelegt hatte, hat die Markeninhaberin mit Eingabe vom 25. November 2005, die am nächsten Tag beim DPMA eingegangen ist, zu beiden Widerspruchsmarken die Einrede der Nichtbenutzung erhoben.
Die mit einer Beamtin im höheren Dienst besetzte Markenstelle für Klasse 3 des DPMA hat eine Verwechslungsgefahr ebenfalls verneint und die Erinnerung mit Beschluss vom 20. Februar 2007 zurückgewiesen. Die beiderseitigen Marken könnten sich - eine Benutzung der Widerspruchsmarken in der Gemeinschaft unterstellt - zwar teilweise, nämlich hinsichtlich der Waren „Koffer“, „Handtaschen“, „Aktentaschen“ sowie „Seifen“, „Parfümerien“, „Juwelierwaren“ und „Uhren“, auf identischen Waren begegnen und die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken sei mangels entgegenstehender Anhaltspunkte als durchschnittlich zu bewerten. Jedoch werde der hiernach gegenüber den Widerspruchsmarken zu fordernde deutliche Markenabstand von der angegriffenen Marke noch eingehalten. Der Gesamteindruck der Widerspruchsmarken werde durch den Wortbestandteil „Stradivarius“ geprägt, weshalb sich die beiden Markenwörter „Stradivari“ und „Stradivarius“ gegenüberstünden. Diese unterschieden sich aber wegen der unterschiedlichen Wortendungen sowohl in klanglicher als auch schriftbildlicher Hinsicht erheblich. Andere Arten von Verwechslungsgefahr seien nicht ersichtlich. Daher komme es auf die Frage, ob eine Benutzung der Widerspruchsmarken in der Gemeinschaft ausreichend glaubhaft gemacht worden sei, nicht mehr an.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie ist der Auffassung, die Markenstelle habe zu Unrecht eine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG verneint. Sie habe zwar zutreffend festgestellt, dass die Kollisionsmarken als „Stradivarius“ und „Stradivari“ gegenübergestellt werden könnten, jedoch übersehen, dass die beteiligten Verkehrskreise nicht in der Lage seien, diese beiden Worte auseinanderzuhalten. Die Endung eines Wortes werde weniger beachtet und die Wortendung „-us“ sei zudem verbraucht. Die Wörter „Stradivarius“ und „Stradivari“ stimmten zudem in Sprechrhythmus und Betonung überein. Einer klanglichen Verwechslungsgefahr werde ferner nicht durch einen abweichenden Sinngehalt entgegengewirkt. Die Vergleichswörter „Stradivarius“ und „Stradivari“ erzeugten ein übereinstimmendes und klares Erinnerungsbild. Da der Name des Geigenbauers im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren in keiner Weise beschreibend sei, werde die Gefahr von Verwechslungen hierdurch noch verstärkt.
Darüber hinaus hat die Widersprechende Unterlagen vorgelegt, die die Bekanntheit der Widerspruchsmarken im Sinne von Art. 9 Abs. 1 c) Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMV) belegen sollen. Derzeit existierten weltweit 515 „Stradivarius“-Geschäfte, davon 254 außerhalb Spaniens. Die Widersprechende ist der Auffassung, dass die Widerspruchsmarken aufgrund ihrer Bekanntheit für Bekleidung, Schuhwaren und Kopfbedeckungen einen erweiterten Schutz beanspruchen könnten. Daraus folge, dass die angegriffene Marke insgesamt, insbesondere auch hinsichtlich der mit ihr beanspruchen Waren der Klasse 3, löschungsreif sei.
Die Widersprechende beantragt (sinngemäß),
die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 23. August 2005 sowie vom 20. Februar 2007 aufzuheben und die angegriffene Marke zu löschen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung kann eine markenrechtliche Ähnlichkeit der Vergleichsmarken nicht festgestellt werden. Es müsse bereits bezweifelt werden, dass ein entscheidungserheblicher Teil der maßgeblichen Verkehrskreise die Widerspruchsmarken als grafisch gestaltete Wiedergaben des Wortes „Stradivarius“ erkenne. Sofern dies dennoch der Fall sein sollte, wäre festzustellen, dass die Vergleichszeichen in klanglicher Hinsicht gut auseinander zu halten seien. Die angegriffene Marke ende auf dem markanten, hellen Vokal „i“, wohingegen die Widerspruchsmarken mit einem dunklen Vokal „u“, gefolgt vom Zischlaut „s“, schlössen. Auch eine schriftbildliche Ähnlichkeit der Vergleichsmarken müsse verneint werden, da die bis zur Unleserlichkeit grafisch verfremdete Schrift der Widerspruchszeichen keine Entsprechung in der angegriffenen Marke finde. Eine Übereinstimmung im Sinngehalt liege ebenfalls fern. Der Wortbestandteil „Stradivarius“ der Widerspruchsmarken stelle ein reines Fantasiewort dar, so dass auch in begrifflicher Hinsicht keine Verwechslungsgefahr zu befürchten sei.
Die Widersprechende hat in Ergänzung ihrer bereits im patentamtlichen Erinnerungsverfahren vorgelegten Benutzungsunterlagen, welche die Jahre 2001 bis 2005 betreffen, in der mündlichen Verhandlung zwei weitere eidesstattliche Versicherungen des A… (Geschäftsführer des Vorstands der Widersprechenden) vom 30. Juli 2010 vorgelegt. Beiden eidesstattlichen Versicherungen sind in Bezug genommene Warenabbildungen angeheftet, die einerseits Handtaschen und Gürtel und andererseits Armreife und Armbanduhren zeigen. Aus den eidesstattlichen Versicherungen selbst ergibt sich, dass die Widersprechende im Zeitraum von 2006 bis 2010 in der Gemeinschaft - mit Schwerpunkt in Spanien - durch den Verkauf von Taschen und Gürtel, die mit einer der Widerspruchsmarken gekennzeichnet waren, jährlich zwischen … und … Euro und durch den Verkauf entsprechend gekennzeichneter Schmuckwaren und Uhren jährlich zwischen … und … Euro umgesetzt hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Widersprechenden ist zulässig. In der Sache hat sie auch teilweise Erfolg.
Zwischen den beiden Widerspruchsmarken und der angegriffenen Marke besteht jedenfalls in begrifflicher Hinsicht teilweise eine markenrechtlich beachtliche unmittelbare Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG, die im vorstehend tenorierten Umfang gemäß § 125 b Nr. 1 und Nr. 4 MarkenG i. V. m. §§ 43 Abs. 2 Satz 1, 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zur Teillöschung der angegriffenen Marke 301 33 973 „Stradivari“ führt. Im Übrigen hat die Markenstelle die Widersprüche aus den Gemeinschaftsmarken 506 469 und 1246164 zu Recht zurückgewiesen.
1. Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 506 469
Der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 506 469 richtet sich nur gegen die Waren der Klasse 18 der angegriffenen Marke, weshalb eine gegebenenfalls bestehende Verwechslungsgefahr nicht zur Löschung der angegriffenen Marke in einem weitergehenden Umfang führen kann.
Im Übrigen gilt, dass die Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend vorzunehmen ist. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen den Beurteilungsfaktoren der Warenidentität oder -ähnlichkeit, der Markenidentität oder -ähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft einer Widerspruchsmarke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder der Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (vgl. u. a. EuGH GRUR Int. 2000, 899, 901 (Nr. 40) „Marca/Adidas“; GRUR 2005, 1042, 1044 (Nr. 27) „THOMSON LIFE“; GRUR 2006, 237, 238 (Nr. 18 f.) „PICASSO“; BGH GRUR 2005, 513, 514 „MEY/Ella May“; GRUR 2006, 859, 860 (Nr. 16) „Malteserkreuz“; GRUR 2008, 905, 906 (Nr. 12) „Pantohexal“; GRUR 2009, 772, 776 (Nr. 5) „Augsburger Puppenkiste“; GRUR 2010, 729, 731 (Nr. 23) „MIXI“).
a) Im Zusammenhang mit der Frage nach der Ähnlichkeit der vorliegend betroffenen Waren muss die von der Inhaberin der angegriffenen Marke am 26. November 2005 nach § 125 b Nr. 4 MarkenG i. V. m. § 43 Abs. 1 MarkenG erhobene Einrede der Nichtbenutzung beachtet werden, die dazu führt, dass auf Seiten der Widerspruchsmarke nur solche Waren berücksichtigt werden dürfen, für die die Benutzung der Marke in der Gemeinschaft glaubhaft gemacht worden ist (§ 125 b Nr. 4 i. V. m. § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG und Art. 15 GMV). Die Einrede ist zulässig, da die Widerspruchsmarke 506 469 am 26. November 2005 bereits 5 Jahre eingetragen war und sich daher außerhalb der so genannten Benutzungsschonfrist befand.
Die Widersprechende ist jedoch ihrer Obliegenheit, für die beanspruchten Waren eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke 506 469 in der Gemeinschaft im mittlerweile maßgeblichen Fünfjahreszeitraum - Juli 2005 bis Juli 2010 -, wie er sich aus § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG ergibt, glaubhaft zu machen, nur teilweise, nämlich in Bezug auf die Waren „Handtaschen“ und „Gürtel“ nachgekommen. Aus den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen (eidesstattliche Versicherungen vom 30. Juli 2010 mit angehefteten Warenabbildungen) ergibt sich, dass die Widersprechende in den Jahren 2006 bis 2010, die den wesentlichen Teil des relevanten Benutzungszeitraums abdecken, in der Gemeinschaft - mit Schwerpunkt Spanien - mit „Handtaschen“ und „Gürtel“ jeweils Umsätze in Höhe von jährlich mindestens … Euro erzielt hat.
Die für die Waren „Handtaschen“ und „Gürtel“ glaubhaft gemacht Benutzung der Widerspruchsmarke wird auch in Bezug auf Umfang und räumlicher Verteilung den Anforderungen an eine ernsthafte Benutzung in der Gemeinschaft gerecht. Der Umstand, dass eine Benutzung der Marke wohl überwiegend in Spanien stattgefunden hat, ist vorliegend nicht problematisch. Angesichts der mit „Handtaschen“ und „Gürtel“ in beachtlicher Höhe im zweistelligen Millionenbereich erzielten jährlichen Umsätze, kann eine ernsthaften Benutzung in der Gemeinschaft im Sinne von Art. 15 GMV nicht in Frage gestellt werden. Dahingestellt bleiben kann deshalb, ob die Rechtsprechung des EuGH, wonach es für die „Bekanntheit“ einer Gemeinschaftsmarke im Sinne von Art. 9 Abs. 1 c) GMV ausreichend ist, wenn die Marke im gesamten Gebiet eines Mitgliedstaates bekannt ist (vgl. EuGH GRUR 2009, 1158, 1159 (Nr. 29) „PAGO/Tirolmilch“), hier entsprechend herangezogen werden kann.
Unschädlich ist ferner, dass die Widerspruchsmarke in der glaubhaft gemachten Benutzungsform geringfügig von der Form abweicht, in der sie eingetragen ist. Nach § 125 b Nr. 4 MarkenG i. V. m. Art. 15 Abs. 1 Satz 2 a) GMV wird hierdurch eine ernsthafte Benutzung der Widerspruchsmarke nicht in Frage stellen, da durch die vorhandene Abweichung die Unterscheidungskraft der Marke nicht beeinflusst worden ist.
Die Benutzung der Widerspruchsmarke ist jedenfalls für die Erzeugnisse „Handtaschen“ und „Gürtel“ glaubhaft gemacht worden. Somit kann eine rechtserhaltende Benutzung der Gemeinschaftsmarke 506 469 im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG für die registrierten Waren „Handtaschen“ und „Sattlerwaren“ - unter diesen Oberbegriff fallen Gürtel - bejaht werden.
b) Neben einer hochgradigen, bis zur Warenidentität reichenden Warenähnlichkeit im Bereich der relevanten Warenklasse 18 kann allerdings nur von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen werden. Für einen erhöhten Schutzumfangs fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten. Die seitens der Widersprechenden vorgelegten Unterlagen reichen nicht aus, eine gesteigerte Kennzeichnungskraft zu belegen.
Die Widersprechende stützt ihre Behauptung einer gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke 506 469 im Wesentlichen darauf, dass es sich bei dieser um eine in der Gemeinschaft „bekannte“ Marke handele. Als Belege führt sie hierzu hohe Umsatzzahlen und Werbeaufwendungen sowie vor allem den Umstand an, dass es weltweit 515 ‚„Stradivarius“-Geschäfte’ gebe, von denen 254 außerhalb Spaniens existierten. Die Widersprechende irrt jedoch insoweit, als sie meint, dass damit (d. h. mit der Verwendung als Unternehmenskennzeichen) zwangsläufig auch eine Steigerung der markenrechtlichen Kennzeichnungskraft verbunden wäre. Diese Überlegung mag vielleicht bei Dienstleistungsmarken zutreffen (vgl. BGH GRUR 2008, 616, 618 (Nr. 16) „AKZENTA; GRUR 2009, 484, 487 (Nr. 29) „Metrobus“); auf die für Waren registrierten Widerspruchsmarken kann dagegen aufgrund einer etwaigen erhöhten Bekanntheit des identischen, parallel existierenden Unternehmenskennzeichens „Stradivarius“ nicht ohne weiteres auf eine Stärkung der markenrechtlichen Kennzeichnungskraft geschlossen werden. Die Benutzung einer eingetragenen Marke stärkt nur dann die markenrechtliche Kennzeichnungskraft - und wirkt nebenbei bemerkt auch nur dann rechtserhaltend -, wenn diese Benutzung der Hauptfunktion einer Marke entspricht, nämlich dem Verkehr die Ursprungsidentität einer bestimmten Ware, für die sie eingetragen ist, dadurch zu garantieren, dass sie es ihm ermöglicht, diese Ware von Waren anderer Herkunft zu unterscheiden (vgl. BGH GRUR 2003, 428, 430 „BiG BERTHA“ GRUR 2006, 150, 151 (Nr. 9) „NORMA“; GRUR 2008, 616, 617 (Nr. 10) „AKZENTA“). Hierzu muss die Marke in funktioneller Verbindung mit der Ware benutzt werden (vgl. Ströbele/Hacker, MarkenG, 9. Aufl., § 26 Rn. 16). Die vorgelegten Unterlagen liefern dagegen fast keine Belege (z. B. in Form von Warenfotografien, Etiketten oder Prospekten), aus denen auf eine markenmäßige Kennzeichnung von Waren geschlossen werden könnte. Auch die dem DPMA vorgelegten zahlreichen Veröffentlichungen aus Modezeitschriften zeigen keine funktional-markenmäßige Verbindung der Marken mit den abgebildeten Waren; dem entspricht wiederum der Text der eidesstattlichen Versicherung vom 6. Februar 2006, der lediglich aussagt, dass in ‚„Stradivarius-Geschäften“ die angegebenen Umsätze erzielt worden seien.
c) Ausgehend von einer hochgradigen Warenähnlichkeit (und zum Teil auch Warenidentität) im Bereich der Klasse 18 und einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist ein deutlicher Markenabstand erforderlich, um eine Gefahr von Verwechslungen zu vermeiden. Die angegriffene Marke hält jedoch zumindest in begrifflicher Hinsicht den notwendigen Abstand nicht ein.
Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist maßgeblich auf den von den Kollisionsmarken hervorgerufenen Gesamteindruck unter Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente abzustellen. Insoweit kommt es entscheidend darauf an, wie die Marken auf den Durchschnittsverbraucher der jeweiligen Waren wirken, der eine Marke regelmäßig als Ganzes wahrnimmt (vgl. EuGH GRUR Int. 1999, 734, 736 (Nr. 25) „Lloyd“; GRUR Int. 2004, 843, 845 (Nr. 29) „MATRATZEN“; BGH GRUR 2006, 60, 62 (Nr. 17) „coccodrillo“; GRUR 2008, 903, 904 (Nr. 18) „SIERRA ANTIGUO“). Hierbei ist auch relevant, dass sich die beiderseitigen Waren nicht an den Fachverkehr richten, sondern an Durchschnittsverbraucher, deren Aufmerksamkeit nicht durchweg hoch ist.
Jedenfalls besteht - wie die Widersprechende zu Recht ausgeführt hat - eine hochgradige begriffliche Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Marken. Der Begriff „Stradivari“ steht für den bekannten italienischen Geigenbaumeister Antonio Giacomo Stradivari und/oder für die von ihm in den Jahren 1680 bis 1725 gebauten Violinen, Bratschen und Celli. Das besonders hohe Maß an begrifflicher Ähnlichkeit rührt vorliegend daher, dass zur Bezeichnung der Person des Geigenbauers auch der latinisierte Name „Antonius Stradivarius“ geläufig ist und oft auch die von ihm hergestellten, im einzelnen bekannten Instrumente entsprechende Bezeichnungen - wie z. B. „Bennett Stradivarius“ , „ ex Arma Senkrah Stradivarius“ oder „Lady Tennant Stradivarius“ - erhalten haben (vgl. im Internet unter WIKIPEDIA, Die freie Enzyklopädie, „http:// de.wikipedia.org/wiki/Antonio_Stradivari“). Die Wörter „Stradivari“ und „Stradivarius“ stellen somit nahezu synonym gebrauchte Bezeichnungen dar.
Rechtsbeständig sind die angegriffenen Beschlüsse dagegen insoweit, als die Markenstelle den Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 506 469 hinsichtlich der Waren „Tragebehältnisse für Bekleidung“, „Krawattenfutterale“, „Regenschirme“, „Sonnenschirme“ und „Spazierstöcke“ zurückgewiesen hat. Hierbei handelt es sich um Gegenstände einer jeweils eigenen Gattung, die mangels hinreichender Warenähnlichkeit zu den Widerspruchswaren „Handtaschen“ und „Sattlerwaren“ eine Verwechslungsgefahr nicht begründen können.
Dahingestellt bleiben kann vorliegend, ob auch eine Ähnlichkeit der Kollisionsmarken in klanglicher Hinsicht eine Verwechslungsgefahr begründen könnte. Eine solche Feststellung ist nicht notwendig, da für die Bejahung einer markenrechtlich beachtlichen Verwechslungsgefahr die Ähnlichkeit in einem Wahrnehmungsbereich ausreichend ist (EuGH GRUR 1998, 387, 390 (Nr. 23) „Sabèl/Puma“; BGH GRUR 2006, 60, 62 (Nr. 17) „coccodrillo“; GRUR 2008, 803, 804 (Nr. 21) „HEITEC“; GRUR 2010, 235, 236 (Nr. 18) „AIDA/AIDU“; BPatG GRUR 2010, 78 - Xxero/Zero).
2. Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 1 246 164
Der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 1 246 164 richtet sich ausschließlich gegen die Waren der Klassen 3 und 14 der angegriffenen Marke; dieser hat jedoch nur hinsichtlich der Waren der Klasse 14 Erfolg.
a) Bezüglich der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG gelten die oben unter Abschnitt 1. genannten Kriterien in gleicher Weise.
Die Widersprechende ist ihrer Obliegenheit, für die beanspruchten Waren eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke 1 246 164 in der Gemeinschaft im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum - Juli 2005 bis Juli 2010 - glaubhaft zu machen, wiederum nur teilweise, nämlich nur in Bezug auf „Juwelierwaren“ und „Uhren“, nachgekommen. Aus den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen (eidesstattliche Versicherungen vom 30. Juli 2010 mit angehefteten Warenabbildungen) ergibt sich, dass die Widersprechende in den Jahren 2006 bis 2010, die den wesentlichen Teil des relevanten Benutzungszeitraums abdecken, in der Gemeinschaft - mit Schwerpunkt Spanien - mit „Juwelierwaren“ und „Uhren“ jeweils Umsätze in Höhe von jährlich mindestens … Euro erzielt hat.
Hinsichtlich der räumlichen Verteilung der Benutzung in der Gemeinschaft und der glaubhaft gemachten Benutzungsform der Widerspruchsmarke 1 246 164 gilt das oben unter Abschnitt 1. Ausgeführte entsprechend auch hier.
Die Benutzung der Widerspruchsmarke ist jedenfalls für die Erzeugnisse „Juwelierwaren“ und „Uhren“ glaubhaft gemacht worden. Somit kann eine rechtserhaltende Benutzung der Gemeinschaftsmarke 1 246 164 im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 3 MarkenG für die registrierten Erzeugnisse „Juwelierwaren“ und „Uhren“ bejaht werden.
b) Zur Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke 1 246 164 gilt wiederum das oben unter Abschnitt 1. Ausgeführte entsprechend.
c) Ausgehend von einer hochgradigen Warenähnlichkeit (und zum Teil auch Warenidentität) im Bereich der Klasse 14 und einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist auch hier ein deutlicher Markenabstand erforderlich, um eine Gefahr von Verwechslungen zu vermeiden. Die angegriffene Marke hält jedoch in entsprechender Weise (vgl. oben) jedenfalls in begrifflicher Hinsicht den notwendigen Abstand nicht ein.
d) Entgegen der Auffassung der Widersprechenden gibt es jedoch keinen Grund wegen des Widerspruchs aus der Gemeinschaftsmarke 1 246 164 die angegriffene Marke über die Warenklasse 14 hinaus zu löschen. Dies verbietet sich bereits deshalb, weil sich zwischen „Juwelierwaren“ und „Uhren“ einerseits und den angegriffenen Waren „Parfümerien“, „Mittel zur Körper- und Schönheitspflege“ andererseits keine markenrechtlich relevante Ähnlichkeit feststellen lässt. Die Ähnlichkeit von Waren lässt sich nicht mit etwaigen im Mode- und Luxusgüterbereich bisweilen feststellbaren Vermarktungsstrategien und Lizenzpraktiken begründen (vgl. BGH GRUR 2004, 594, 596 re. Sp. „Ferrari-Pferd“; GRUR 2006, 941, Nr. 12, 14 „TOSCA BLU“). Eine an sich bestehende (absolute) Warenunähnlichkeit - wie sie im vorliegenden Zusammenhang gegeben ist - kann mit einer solchen Praxis, die auf der Erfahrung beruht, dass sich die positiven Assoziationen, welche bekannte, als exklusiv geltende Marken erwecken, auch für völlig andere Produkte nutzbar machen lassen, nicht überwunden werden. Selbst wenn man den Begriff der einander ergänzenden Waren nicht nur in einem funktionalen Sinn versteht, sondern in den Bereichen der Mode, der Juwelierwaren und der Produkte für die Pflege des äußeren Erscheinungsbildes auch auf ein ästhetisches Ergänzungsverhältnis abstellt, kann im vorliegenden Zusammenhang nicht von einer Warenähnlichkeit ausgegangen werden (vgl. EuG GRUR-RR 2007, 347, Nr. 35 bis 37 „TOSCA BLU“; BPatG, Beschl. vom 23. Februar 2010, 24 W (pat) 87/08 - Noor).
Auch durch die Erteilung von z. B. Vermarktungsrechten zum Zweck der Verkaufsförderung bleibt der Warenähnlichkeitsbereich grundsätzlich unberührt. Ein Ausnahmefall, in dem der Verkehr bei funktionsverwandten Produkten nicht nur von einem Image-, sondern auch von einem Know-how-Transfer ausgeht, liegt hier ersichtlich nicht vor. Voraussetzung für die Bejahung einer Warenähnlichkeit zwischen Mode/Bekleidungsstücken, Juwelierwaren und Produkten für die Pflege des äußeren Erscheinungsbildes wäre, dass die eine Ware für die Verwendung der anderen so unentbehrlich oder wichtig ist, dass die Verbraucher es als üblich und normal empfinden, die fraglichen Erzeugnisse zusammen zu benutzen, und dass sie die Vermarktung dieser Waren unter derselben Marke als gängig ansehen, was normalerweise impliziert, dass die jeweiligen Hersteller oder Händler der Produkte großteils dieselben sind (vgl. EuG GRUR-RR 2005, 344, Nr. 63 „SISSI ROSSI“). Diese Voraussetzungen sind aber hier nicht gegeben.
Im Übrigen gilt, dass eine gänzlich fehlende Ähnlichkeit der Waren nicht durch die anderen Tatbestandsmerkmale der Verwechslungsgefahr ausgeglichen werden kann (EuGH GRUR 1998, 922 „Canon“; vgl. auch: Ströbele/Hacker, MarkenG, a. a. O., § 9 Rn. 27, 57 m. w. N.).
e) Ohne Bedeutung ist ferner, dass sich die Widersprechende im Zusammenhang mit der Widerspruchsmarke 1 246 164 allgemein auf deren Bekanntheit in der Gemeinschaft beruft. Darin ist offensichtlich die Geltendmachung des Löschungsgrundes nach § 9 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG (unlautere Rufausbeutung) zu sehen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Regelung des § 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG in der seit 1. Oktober 2009 geltenden Fassung zwar über § 125 b Nr. 1 und Nr. 4 MarkenG grundsätzlich zulässt, einen Widerspruch aus einer Gemeinschaftsmarke auch - was die Widersprechende nunmehr in der Beschwerde versucht - auf diesen Tatbestand zu stützen. Diese Möglichkeit ist aber im vorliegenden Widerspruchsverfahren nicht gegeben, da die angegriffene Marke vor dem 1. Oktober 2009 angemeldet wurde. Daher gilt vorliegend nach der Übergangsregelung des § 165 Abs. 2 MarkenG die alte, bis 30. September 2009 geltende engere Fassung des § 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, die den Missbrauchstatbestand des § 9 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG gerade ausklammert.
3. Für eine Entscheidung, einer der beiden Beteiligten aus Billigkeitsgründen die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§ 71 Abs. 1 MarkenG), bestand kein Anlass.