Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 19.07.2010


BPatG 19.07.2010 - 20 W (pat) 81/05

Patentbeschwerdeverfahren – Beschwerde gegen nicht unterschriebenen Zurückweisungsbeschluss ist zulässig aber gegenstandslos - ohne Unterschrift ist kein wirksamer Beschluss ergangen


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsdatum:
19.07.2010
Aktenzeichen:
20 W (pat) 81/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 102 34 085.4-31

hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 19. Juli 2010 durch den Richter Dipl.-Ing. Kleinschmidt als Vorsitzenden, den Richter Dipl.-Phys. Dr. Hartung, die Richterin Werner sowie den Richter Dipl.-Ing. Gottstein

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird festgestellt, dass in dem Verfahren über die Patentanmeldung 102 34 085.4-31 bisher kein Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts ergangen und deswegen die Beschwerde der Patentanmelderin gegenstandslos ist.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr in der vollen Höhe von 200,- € wird angeordnet.

Gründe

I.

1

Die Anmelderin hat am 26. Juli 2002 beim Deutschen Patent- und Markenamt eine Patentanmeldung eingereicht mit der Bezeichnung „Verfahren zur Analyse von Farbabweichungen von Bildern mit einem Bildsensor“. Geltend gemacht wurden insg. 12 Patentansprüche.

2

Die Amtsakte enthält als Blatt 49 das Formblatt P 2704.0, 1.95, das oben rechts die Überschrift trägt: „Zurückweisung einer Patentanmeldung“. Abschnitt I. dieses Formblattes hat die Überschrift „I. Beschluß“. Dieser Abschnitt enthält - teils als Vordruck, teils als handschriftliche Ergänzung des Vordrucks - folgende Angaben:

3

„Die Patentanmeldung der K… Aktiengesellschaft in …

4

betreffend Verfahren zur Analyse von Farbabweichungen von Bildern mit einem Bildsensor

5

wird auf Grund § 48 des Patentgesetzes zurückgewiesen“

6

Unten links unterhalb dieser Angaben lautet der Vordruck: „An den Schluss der Gründe ist zu setzen:“ . Darunter folgt u. a.:

7

„2. Bezeichnung der Prüfungsstelle, Name und Hausruf des Prüfers wie nebenstehend.“

8

Auf derselben Höhe rechter Hand sind in dem Formular folgende Worte vorgedruckt:

9

„München, den ________________________________

10

(ggf. Datum der Anhörung)

11

Prüfungsstelle 11._________ / für Klasse ____________“

12

Auf der Zeile von „München, den …“ ist handschriftlich das Datum „29. April 2005“ eingetragen. Die Worte „Prüfungsstelle 11.“ sind handschriftlich gestrichen und hinter den Worten „für Klasse …“ ist handschriftlich die Bezeichnung „H04N“ eingetragen.

13

Unter dem Abschnitt I. folgt der Abschnitt II., zu dem das Formular linksbündig folgenden Vordruck enthält:

14

„II. An Gruppenleiter zur Kenntnisnahme“

15

Auf derselben Zeile folgt rechtsbündig folgender Vordruck:

16

„_________________________________

17

Unterschrift des Prüfers, Hausruf“

18

Über der durchgehenden Linie dieses Vordrucks steht die Unterschrift des Prüfers, dessen Name unterhalb der durchgehenden Linie auch als Stempeldruck wiedergegeben ist.

19

Auf Abschnitt II. folgt - immer noch auf Bl. 49 der Amtsakte - Abschnitt III. mit der Überschrift „III. Verfügung“. Dieser Abschnitt ist ausweislich des Formulars für Verfügungen eines Bürosachbearbeiters oder eines Sachbearbeiters vorgesehen.

20

Auf Blatt 49 der Amtsakte folgen 5 Blatt maschinenschriftlicher Begründungstext, Bl. 50 bis 54 der Amtsakte, der auf der oberen Hälfte von Bl. 54 mit folgendem Satz endet:

21

„Auf die im Übersendungsschreiben enthaltene Rechtsmittelbelehrung wird hingewiesen.“

22

Darunter ist die Seite leer.

23

Bl. 55 bis 60 der patentamtlichen Akte sind als Ausfertigung von Bl. 49 bis 54 angelegt, enthalten jedoch keine vollständige Abschrift. Denn die Angabe in Abschnitt I. auf Bl. 49 der Amtsakte, wonach die Anmeldung aufgrund von § 48 PatG zurückgewiesen werden sollte, wurde nicht übernommen. Unter dem Ende des Textes für eine Beschlussbegründung am Ende der Ausfertigung, Bl. 59 der Amtsakte, ist der Name des Prüfers, dessen Name bereits auf Bl. 49 der Amtsakte erscheint, maschinenschriftlich vermerkt. Der Prüfer hat die Ausfertigung jedoch weder an dieser Stelle noch an einer anderen unterschrieben. Unterschrieben hat die Ausfertigung lediglich die ausfertigende Regierungsangestellte.

24

Eine weitere Ausfertigung entsprechend Bl. 55 bis 60 der Amtsakte ist der Anmelderin zugestellt worden. Diese hat daraufhin Beschwerde eingelegt und zugleich die Beschwerdegebühr entrichtet.

25

Mit richterlichem Bescheid vom 8. Juli 2010, Bl. 33 ff. der Gerichtsakte, ist die Anmelderin darauf hingewiesen worden, dass sich die bei der Amtsakte befindlichen Unterlagen möglicherweise nicht als wirksam erlassener Beschlusstext qualifizieren ließen und der Senat deswegen unter Umständen entscheiden müsse wie erkannt. Daraufhin hat die Anmelderin mit Schriftsatz vom 9. Juli 2010, Bl. 41 der Gerichtsakte, den ursprünglich gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen und beantragt, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden.

II.

26

Die Beschwerde ist zulässig, aber gegenstandslos.

27

1. Die Beschwerde ist zulässig, denn das Patentamt hat mit der Zustellung einer Beschlussausfertigung entsprechend Bl. 55 bis 60 der Amtsakte bei der Patentanmelderin den Anschein erweckt, als sei unter dem 29. April 2005 ein wirksamer Beschluss ergangen. Schon ein solcher Anschein hat für die Patentanmelderin eine formelle Beschwer begründet, die sie nur im Wege der Einlegung einer Beschwerde beseitigen konnte.

28

2. Die Beschwerde ist jedoch gegenstandslos, weil in dem Verfahren über die Patentanmeldung 102 34 085.4-31 bisher kein Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts ergangen ist.

29

Dass das Patentamt einen wirksamen Beschluss erlassen hat, kann nur in Form einer inhaltlich vollständigen und im Übrigen körperlich einheitlichen und durchgehenden Beschlussurkunde belegt werden, die am Ende des Beschlusstextes die Unterschrift des Prüfers trägt und sich bei der Amtsakte befinden muss. Eine solche Urkunde lässt sich in der Amtsakte nicht feststellen.

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2.1 Der auf Blatt 49 der patentamtlichen Akte in den Abschnitten I. und II. des Formblattes P 2704.0 enthaltene Text hat weder für sich genommen noch zusammen mit dem sich anschließenden Begründungstext auf Bl. 50 bis 54 der Amtsakte den rechtlichen Charakter einer Beschlussurkunde. Zwar ist Abschnitt I. auf Bl. 49 der Amtsakte mit dem Wort „Beschluss“ überschrieben und enthält - u. a. - die Wortfolge

31

„Die Patentanmeldung der K… Aktiengesellschaft in …

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betreffend Verfahren zur Analyse von Farbabweichungen von Bildern mit einem Bildsensor

33

wird auf Grund § 48 des Patentgesetzes zurückgewiesen

34

….“

35

Aber der Prüfer hat weder diese Tenorierung noch die auf Bl. 50 bis 54 der Amtsakte folgende Beschlussbegründung unterschrieben, sodass schon deswegen keine förmliche Entscheidung des Deutschen Patent- und Markenamts vorliegt.

36

Die in Abschnitt II. über dem Vordruck „Unterschrift des Prüfers, Hausruf“ befindliche Unterschrift des Prüfers kommt deswegen nicht als Unterschrift unter der im Vordruck von Abschnitt I. vorgesehenen Tenorierung in Betracht, weil diese Unterschrift nach dem Konzept des Formulars nicht mehr zu Abschnitt I. gehört, sondern zu Abschnitt II.. Abschnitt II. ist als eine Verfügung des Prüfers gestaltet, mit der die Vorlage der Akte beim zuständigen Gruppenleiter angeordnet wird. Eine etwa bestehende Unterzeichnung von Abschnitt II. durch den Prüfer kann nicht gleichzeitig als Unterschrift unter den vorangegangenen Abschnitt I. gelten. Denn ein Zurückweisungsbeschluss im patentrechtlichen Anmeldungsverfahren, zu dem der Abschnitt I. einen Bestandteil beisteuern soll, hat eine grundsätzlich andere Rechtsnatur als die im Abschnitt II. vorgesehene Verfügung. Ein Zurückweisungsbeschluss ist ein nach außen gerichteter individueller Rechtssetzungsakt, muss und soll also Außenwirkung entfalten. Dagegen ist eine Verfügung für den behördeninternen Geschäftsgang bestimmt, kann und soll also gerade keine Außenwirkung entfalten.

37

2.2 Die bei der Amtsakte befindliche Beschlussausfertigung auf den Seiten 55 bis 60 hat nur die Rechtsnatur einer amtlichen Abschrift, mit deren Erteilung amtlicherseits stillschweigend behauptet wird, dass sich ein gleichlautender und wirksamer Beschluss bei der Amtsakte befindet. Eine solche Abschrift kann nicht an die Stelle des eigentlichen Beschlusses treten.

38

2.3 Da bei dieser Sach- und Rechtslage das Zustandekommen eines wirksamen Zurückweisungsbeschlusses bereits daran scheitert, dass der zuständige Prüfer die bei der Amtsakte befindlichen Entscheidungstexte an keiner Stelle unterschrieben hat, kam es für den vorliegenden Fall nicht mehr auf die Frage an, unter welchen Voraussetzungen Abschnitt I. des Formblattes P 2704.0 in der Fassung 1.95 überhaupt dazu geeignet ist, Bestandteil eines wirksamen Zurückweisungsbeschlusses zu werden.

39

3. Neben dem vorliegenden Beschwerdeverfahren sind dem Senat inzwischen drei weitere bekannt, in denen das Formblatt P 2704.0 der Anlass für Feststellungen des Bundespatentgerichts über form- und verfahrensfehlerhafte Beschlüsse des Patentamts war (Beschluss des Bundespatentgerichts vom 10. März 2008, 11 W (pat) 4/08, Leitsätze veröffentlicht in CIPR 2008, 71, vollständig veröffentlicht in der Entscheidungssammlung des Gerichts auf www.bundespatentgericht.de, Beschluss des Bundespatentgerichts vom 17. Dezember 2002, 23 W (pat) 48/01, sowie Beschluss des erkennenden Senats vom 27. Juli 2009, 20 W (pat) 65/04).

40

Der Senat nimmt das zum Anlass, gegenüber dem Patentamt seine Anregung aus seinem Beschluss vom 27. Juli 2009, 20 W (pat) 65/04, zu wiederholen, das Patentamt möge, bitte, Formulare entwickeln und einsetzen, mit denen zum einen sichergestellt wird, dass die Prüferin oder der Prüfer einen in sich geschlossenen vollständigen Beschlusstext einschließlich Datum, Rubrum, Tenor und Gründe unterschreibt und zu den Akten reicht und diese Beschlussurkunde sowohl von jeder Verfügung als auch von jedem Verfügungsformular physisch klar getrennt wird. Zum anderen wiederholt der Senat gegenüber dem Patentamt seine Anregung, Formulare zu entwickeln, die die Erstellung vollständiger und auch sonst korrekter Beschlussausfertigungen sicherstellen. Dass es bei Verwendung des Formulars P 2704.0 zu jede Art von Übertragungsfehlern kommen kann, zeigt sich erneut am vorliegenden Fall. Denn hier hat die ausfertigende Mitarbeiterin des Deutschen Patent- und Markenamts mit der Erstellung der Ausfertigung zum einen die Existenz einer wirksamen Beschlussurkunde behauptet, die es tatsächlich mangels Unterschrift des Prüfers nicht gab. Zum anderen hat sie es unterlassen, die tatsächlich existierende Angabe des Prüfers über die gesetzliche Grundlage der Zurückweisung - § 48 PatG - in die Ausfertigung zu übernehmen.

41

Wenn - wie hiermit erneut angeregt wird - der das Verfahren abschließende Beschluss des Patentamts als eine inhaltlich vollständige und im Übrigen körperlich durchgehende und einheitliche Urkunde zur Akte genommen werden würde, die von jeder Verfügung und von jedem Verfügungsformular auch physisch klar getrennt wäre, könnten Photokopien der Beschlussurkunde für die Ausfertigungen verwandt werden, die dann zuverlässig mit dem Originalbeschluss übereinstimmen würden.

42

4. Angesichts der vorstehenden Feststellungen ist es recht und billig, gemäß § 80 Abs. 3 PatG die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen. Mit der Zustellung einer Beschlussausfertigung, der kein Beschluss zugrundelag, hat das Patentamt den Anstoß zu einem Beschwerdeverfahren gegeben, das - entgegen der prozessualen Funktion des Beschwerdeverfahrens - nicht zu einer abschließenden Entscheidung in der Sache durch das Patentgericht führen konnte, sondern nur zu einer Fortsetzung des patentamtlichen Verfahrens.

43

Zur klarstellenden Abgrenzung zu dem Fall der Zahlung eines Betrages ohne Rechtsgrund, für dessen Erstattung in Teil A Nr. 301 500 Kostenverzeichnis zu § 2 Abs. 1 DPMA-Verwaltungskostenverordnung eine Gebühr von 10,- € vorgesehen ist, wird festgestellt, dass die Patentanmelderin im vorliegenden Fall die Beschwerdegebühr schon deswegen mit Rechtsgrund gezahlt hat, weil die Beschwerdeerhebung als solche zulässig war. Das wurde bereits oben unter 1. festgestellt. Dass die Beschwerde wegen eines schweren Verfahrensfehlers auf Seiten des Patentamts in der Sache gegenstandslos ist, lässt die Zulässigkeit der Beschwerde unberührt. Das Patentamt muss daher die Patentanmelderin die Beschwerdegebühr in der vollen Höhe von 200,- € erstatten.