Entscheidungsdatum: 11.07.2012
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2008 059 867.4-55
…
hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) in der Sitzung vom 11. Juli 2012 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Mayer, die Richterin Kirschneck sowie die Richter Dipl.-Ing. Kleinschmidt und Dipl.-Ing. Musiol
beschlossen:
1. Der Antrag der Anmelderin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verworfen.
2. Die Beschwerde der Anmelderin gilt als nicht eingelegt.
I.
Die am 1. Dezember 2008 von den inländischen Bevollmächtigten der US-Amerikanischen Anmelderin beim Deutschen Patent- und Markenamt (i. F. DPMA) eingereichte Patentanmeldung 10 2008 059 867.4 mit der Bezeichnung "Objektverfolgungssystem" ist durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 04 W vom 16. März 2010 zurückgewiesen worden. Der Beschluss ist den Inlandsvertretern der Anmelderin gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Die Vertreter haben seinen Empfang mit Eingangsstempel vom 22. März 2010 bestätigt.
Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2011, eingegangen beim DPMA per Fax am selben Tag, hat die Anmelderin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 123 PatG beantragt. Mit gleichem Fax ist am 24. Januar 2011 außerdem die Beschwerde der Anmelderin gegen den Zurückweisungsbeschluss vom 16. März 2010 sowie eine Einzugsermächtigung für die Beschwerdegebühr in Höhe von 200,-- € beim DPMA eingegangen.
Die Anmelderin trägt zur Begründung ihres Antrages im Wesentlichen Folgendes vor.
Der Antrag sei fristgemäß innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses beantragt worden. Die Anmelderin sei erst am 23. November 2010 auf den Verfall des Schutzrechts aufmerksam geworden, als sie versucht habe, mittels ihres Zahlungsdienstes die entsprechenden Jahresgebühren zu zahlen.
Bei der Anmelderin handle es sich um eine H… Company, die von der Firma I… V… in B…, W…, U… (i. F. Firma I. V.) kontrolliert werde. Gemäß Auftrag des Direktors der Patententwicklung der Firma I. V., Herrn H… (i. F. Herr H.), habe die von der Anmelderin beauftragte US-amerikanische Kanzlei F… & L… LLP (i. F. Kanzlei F. & L.) die Inlandsvertreter der Anmelderin instruiert, das vorliegende Patent sowie vier weitere Patente der Anmelderin beim DPMA anzumelden. Sämtliche Entscheidungen betreffend die Anmeldung, Aufrechterhaltung und Verteidigung der fünf Schutzrechte oblägen Herrn H. von der Firma I. V.. Ansprechpartner der Inlandsvertreter in der US-amerikanischen Kanzlei F. & L. sei die dort seit 21 Jahren, insbesondere seit 7 Jahren im Portfoliomanagement beschäftigte Rechtsanwaltssekretärin bzw. Paralegal Frau B… (i. F. Frau B.), die seit März 2009 u. a. zur Bearbeitung der genannten Patentanmeldungen unter Leitung der erfahrenen Anwälte B1… und K… (i. F. Anwälte B. und K.) eingeteilt gewesen sei.
Im April 2009 habe bei der Firma I. V. Unschlüssigkeit über die Aufrechterhaltung u. a. der o. g. fünf Patentanmeldungen bestanden. Es sei deshalb beschlossen worden, weitere Kosten bis zur endgültigen Entscheidung zu vermeiden. Entsprechend habe Frau B. von Herrn H. Weisungen zur Umsetzung dieser Maßnahmen erhalten, die diese unglücklicherweise dahin interpretiert habe, dass es sich bereits um die Entscheidung zur Aufgabe der Patentanmeldungen handle und sie entsprechende Weisungen an die lokalen Anwälte weiterleiten solle. Frau B. sei weiterhin gebeten worden, Herrn H. darüber zu unterrichten, wenn der Verfall einzelner Fälle auftreten sollte. Den Erhalt dieser Anweisungen des Herrn H. habe Frau B. mit Rück-E-Mail vom 24. April 2009 bestätigt und am selben Tag zwei E-Mails an die Inlandvertreter der Anmelderin abgesandt. Die erste E-Mail habe folgenden Text enthalten "Our client is in the process of reviewing its intellectual property assets. As a result, please do not incure any unnecessary costs associated with these applications until you receive further notice from us.", die zweite E-Mail die Passage "Please be advised that our client has requested that the above-referenced applications be allowed to go abandoned. Therefore, we request that any work on these applications be discontinued and that no further costs being cured in connection with their prosecution."
Die Inlandsvertreter hätten den Erhalt der zweiten E-Mail am 27. April 2009 bestätigt. Diese Bestätigung habe Frau B. am selben Tag Herrn H. mitgeteilt.
Daraufhin hätten die Inlandsvertreter die Akten der Patentanmeldungen geschlossen und ein Abschlussschreiben mit Datum vom 4. Mai 2009 abgesandt, worin sie mitgeteilt hätten, dass keine weiteren Schritte unternommen und insbesondere keine weitere Amtspost in Bezug auf die Patentanmeldungen an die Kanzlei F. & L. weitergeleitet werden würde.
Basierend auf der Fehlannahme, dass die Firma I. V. den Verfall der Patentanmeldungen wünsche, seien die Inlandsvertreter nicht instruiert worden, die Patentanmeldungen zu überwachen und typische Ereignisse wie Endfristen mitzuteilen. Entsprechend sei auch die Firma I. V. nicht von der Kanzlei F. & L. hinsichtlich der Stati der Patentanmeldungen, insbesondere nicht über die Zurückweisungsbeschlüsse und Beschwerdefristen, unterrichtet worden, obwohl die Patentanmeldungen von der Firma I. V. als lebend geführt worden seien. Die Firma I. V. habe daher nicht, wie geplant, die Verfahren fortführen können. Letztlich habe ein Missverständnis zwischen der Firma I. V. und der Kanzlei F. & L. dazu geführt, dass Firma I. V. nicht rechtzeitig über die Stati der Patentanmeldung und den drohenden Verfall informiert gewesen sei. Frau B. sei ausführlich geschult und ständig durch die beiden Anwälte überwacht worden. Entschuldbares menschliches Versehen habe dazu geführt, dass Frau B. bei der unmittelbaren Umsetzung der Mandanteninstruktion an die Inlandsvertreter übersehen habe, dass es ein spezielles Prozedere gebe, wie mit Schutzrechten umgegangen werden solle, die für einen möglichen Verfall vorgesehen seien. Dadurch sei es unterlassen worden, den Inlandsvertretern mitzuteilen, dass Bericht über Endfristen erfolgen müsse, weil tatsächlich noch keine Endentscheidung über das Schicksal der Patentanmeldungen stattgefunden habe.
Der Senat hat die Anmelderin in einem Zwischenbescheid vom 19. Januar 2012 auf die mangelnde Erfolgsaussicht des Wiedereinsetzungsantrags sowie bestehende Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der Zweimonatsfrist des § 123 Abs. 2 Satz 1 PatG hingewiesen.
Mit Schriftsatz vom 16. April 2012 hat die Anmelderin angekündigt, dass sie dem Wiedereinsetzungsantrag keine weiteren Argumente hinzuzufügen habe und um Entscheidung im schriftlichen Verfahren gebeten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen und verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zwar gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 PatG statthaft. Die Anmelderin hat die einmonatige Frist zur Einlegung der Beschwerde (§ 73 Abs. 2 Satz 1 PatG) gegen den die Patentanmeldung 10 2008 059 867.4 zurückweisenden Beschluss der Prüfungsstelle vom 16. März 2010 sowie die mit der Beschwerdefrist gleichlaufende Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr (§ 6 Abs. 1 Satz 1 PatKostG) versäumt. Der Beschluss ist der Anmelderin ausweislich des von den Inlandsvertretern zurückgeschickten Empfangsbekenntnisses am 22. März 2010 zugestellt worden, die Beschwerde und die Einzugsermächtigung zur Zahlung der Beschwerdegebühr (§ 1 Nr. 4 i. V. m. § 2 Nr. 4 PatKostZV) gingen jedoch erst verspätet am 24. Januar 2011 beim DPMA ein. Die Versäumung dieser Frist hat nach gesetzlicher Vorschrift einen Rechtsnachteil zur Folge. Eine verspätet eingelegte Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen ist, bzw. gilt sie im Fall der Versäumung auch der Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr als nicht eingelegt (§ 6 Abs. 2 PatKostG).
Es ist jedoch nicht schlüssig dargetan und glaubhaft gemacht, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung fristgemäß innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses beantragt worden ist (§ 123 Abs. 2 Satz 1 PatG). Der Wiedereinsetzungsantrag ist daher unzulässig und war zurückzuweisen.
Das Hindernis zur Einhaltung der Frist fällt weg, wenn der Säumige oder sein Vertreter bei Anwendung der zuzumutenden Sorgfalt nicht mehr gehindert ist, die säumige Handlung vorzunehmen, wenn also das Fortbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet anzusehen ist. Im Fall der Unkenntnis vom Ablauf einer Frist fällt das Hindernis weg, wenn die Säumnis bei Beachtung der zu erwartenden Sorgfalt hätte erkannt werden können (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., § 123 Rdn. 27). Die Kenntnis des Vertreters, sowohl die des inländischen als auch die eines ausländischen Vertreters (vgl. Schulte, a. a. O., § 123 Rdn. 83), steht dabei der Kenntnis der Partei bzw. des Beteiligten gleich (§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Vorliegend hätte die Anmelderin bzw. die sie kontrollierende Firma I. V. bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt bereits zu einem früheren Zeitpunkt als dem 23. November 2010 erkennen können, dass die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss des DPMA versäumt worden ist.
Nach dem Vortrag der Anmelderin hat die Rechtsanwaltssekretärin Frau B. in der von der Anmelderin beauftragten US-amerkanischen Kanzlei F. & L. die von der die Anmelderin kontrollierenden Firma I. V. im April 2009 beschlossenen Maßnahmen, vorerst weitere Kosten mit der vorliegenden sowie mit vier weiteren Patentanmeldungen bis zur endgültigen Entscheidung über deren Fortführung zu vermeiden, irrtümlich als endgültige Aufgabe der betreffenden Patentanmeldungen interpretiert. Daher seien die Inlandsvertreter nicht instruiert worden, die Patentanmeldungen zu überwachen und Endfristen mitzuteilen. Infolgedessen sei die Firma I. V. nicht von der Kanzlei F. & L. über den Ablauf der Beschwerdefrist und den drohenden Verfall der Patentanmeldungen informiert worden und habe erst bei dem Versuch am 23. November 2010, die Jahresgebühren für die Patentanmeldungen zu zahlen, von dem Verfall der Schutzrechte erfahren. Dieser Irrtum der Rechtsanwaltssekretärin mag entschuldbar bzw. als das Verschulden einer Dritten der Anmelderin nicht zuzurechnen sein.
Unabhängig von dem behaupteten Irrtum der Frau B. hätte die Anmelderin aber gleichwohl bereits Monate vor dem 23. November 2010 Kenntnis von dem Verlust der Patentanmeldung erlangen können. Denn weiterhin ist vorgetragen, dass Herr H. Frau B. in der Kanzlei F. & L. außerdem gebeten habe, ihn darüber zu unterrichten, wenn der Verfall einzelner Schutzrechte auftreten sollte. Ob Frau B. diese Bitte bzw. Anweisung ebenfalls missverstanden und nicht an die Inlandsvertreter weitergeleitet hat, wird nicht behauptet und geht auch nicht aus dem Vorbringen der Anmelderin hervor. Von den beiden E-Mails, die Frau B. am 24. April 2009 an die Inlandsvertreter geschickt haben soll, sind nur Ausschnitte zitiert, nicht aber der gesamte Text. Ausgeführt wird nur, dass die Inlandsvertreter keine Instruktion zur Weiterleitung typischer Ereignisse, wie Endfristen, hatten, nicht aber, dass sie keine Kenntnis von der Weisung hatten, der Anmelderin den endgültigen Verfall der Patentanmeldungen mitzuteilen. Sollte Frau B. aber diese Weisung an die Inlandsvertreter weitergegeben haben, hätten - bei der vorauszusetzenden anwaltlichen Sorgfalt - die Inlandsvertreter die amerikanische Kanzlei F. & L. und diese wiederum die Firma I. V. nach Eintritt der Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses, d. h. nach Ablauf der Beschwerdefrist am 22. April 2010, über den Verfall der Patentanmeldung informieren müssen. Eine gewisse Bearbeitungs- und Übermittlungsdauer von ca. einem Monat eingerechnet, wäre das Hindernis demnach spätestens Ende Mai 2010 entfallen, so dass mit dem am 24. Januar 2011 eingegangenem Wiedereinsetzungsantrag die Zweimonatsfrist des § 123 Abs. 2 Satz 1 PatG in jedem Fall überschritten worden ist. Hiervon wäre im Übrigen auch für den Fall auszugehen, dass Frau B. die Bitte des Herrn H. nicht weitergegeben haben sollte. Insoweit ist es zu den allgemeinen Sorgfaltspflichten eines beauftragten patentanwaltlichen Vertreters zu zählen, auch dann, wenn ein Schutzrecht gewollt durch Untätigkeit aufgegeben werden soll, die Mandantschaft von sich aus, ohne besonderen Auftrag über den Abschluss des patentamtlichen Verfahrens und den endgültigen Verfall des Schutzrechts zu informieren (vgl. BPatGE 15, 42; Schulte, a. a. O., § 123 Rdn. 101).
2. Nachdem der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde und zur Zahlung der Beschwerdegebühr zurückzuweisen war (Ziffer 1. des Tenors), gilt demzufolge die am 24. Januar 2011 verspätet eingegangene Beschwerde der Anmelderin gegen den Zurückweisungsbeschluss vom 16. März 2010 wegen der ebenfalls am 24. Januar 2011 per Einzugsermächtigung verspätet gezahlten Beschwerdegebühr als nicht eingelegt (§ 6 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 PatKostG und § 73 Abs. 2 Satz 1 PatG).