Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 14.01.2013


BPatG 14.01.2013 - 20 W (pat) 29/10

Patentbeschwerdeverfahren – "Antriebssteuervorrichtung für eine elektrische Last" – zur unzulässigen Erweiterung einer Patentanmeldung


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsdatum:
14.01.2013
Aktenzeichen:
20 W (pat) 29/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 199 36 397.8-31

hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Mayer, die Richterin Kopacek sowie die Richter Dipl.-Ing. Gottstein und Dipl.-Ing. Albertshofer

beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Deutsche Patent- und Markenamt – Prüfungsstelle für Klasse H 03 K – hat in Sachen der am 3. August 1999 eingereichten Patentanmeldung, für welche die Priorität der japanischen Patentanmeldung 10-219069 vom 3. August 1998 in Anspruch genommen ist, den Hauptantrag in der Anhörung vom 24. März 2010 zurückgewiesen. Gleichzeitig hat die Prüfungsstelle die Erteilung eines Patents im Umfang des von der Anmelderin in der Anhörung eingereichten Hilfsantrags beschlossen.

2

Die Prüfungsstelle hat ihren Zurückweisungsbeschluss damit begründet, dass der Gegenstand des der Zurückweisung zugrunde liegenden Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag gegenüber dem bekannten Stand der Technik gemäß der Druckschrift EP 562 455 A1 nicht neu sei.

3

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin vom 28. Mai 2010, eingegangen am gleichen Tag. In der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin eine geänderte Fassung ihres Hauptantrags vorgelegt und beantragt,

4

den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 03 K des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. März 2010 im Hauptantrag aufzuheben und das Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:

5

Patentansprüche:

6

Patentansprüche 1 bis 12, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 14. Januar 2013

7

Beschreibung:

8

Beschreibungsseiten 1 bis 4, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 14. Januar 2013

9

Beschreibungsseiten 10 bis 42 vom 3. August 1999

10

Zeichnungen:

11

Figuren 1, 2, 5 bis 15 vom 17. August 1999

12

Figuren 3, 4 vom 24. März 2010.

13

Der nun geltende Patentanspruch 1 lautet:

14

„1. Antriebssteuervorrichtung für eine elektrische Last (11), mit:

15

einer elektrischen Energiequelle (15);

16

einer mit der elektrischen Energiequelle (15) gekoppelten Antriebssteuerschaltung (13), die auf ein Steuersignal, das eine jeweils gewünschte Antriebsart der Last (11) vorgibt, anspricht und die Last (11) über elektronische Schaltelemente (19 bis 24) entsprechend der gerade vorgegebenen Antriebsart elektrisch antreibt; und mit

17

einer Betriebsartänderungseinrichtung (16), mittels der die Betriebsart der Steuervorrichtung in Abhängigkeit vom Steuersignal zwischen einer Normalbetriebsart (C, D), während der die Antriebssteuerschaltung (13) die Last (11) antreibt, und einer Standbybetriebsart (A, D) mit verringertem Energieverbrauch umschaltbar ist,

18

dadurch gekennzeichnet,

19

dass die elektronischen Schaltelemente (19 bis 24) zum Antrieb der Last (11) direkt mit der elektrischen Energiequelle (15) verbunden sind,

20

dass eine mit der Energiequelle (15) gekoppelte, abschaltbare Energieversorgungsschaltung (14) vorgesehen ist, die der Antriebssteuerschaltung (13) eine Versorgungsspannung (VBL) zuführt; und

21

dass die Betriebsartänderungseinrichtung (16) während der Standbybetriebsart (A, D) die Energieversorgungsschaltung (14) abschaltet.“

22

Bezüglich des Wortlauts der abhängigen Ansprüche 2 bis 12 wird auf die Gerichtsakte, Blatt 34 bis 36, verwiesen.

23

Die Beschwerdeführerin hält die Antriebssteuervorrichtung für eine elektrische Last gemäß Anspruch 1 für zulässig und patentfähig.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

25

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg, da der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 Angaben enthält, die den Gegenstand der Anmeldung unzulässig erweitern (§ 38 PatG).

26

1. Gemäß dem Verbot der „reformatio in peius“ (vgl. BGH in Juris, X ZB 12/89 vom 12. Oktober 1989 - „Weihnachtsbrief“; vgl. Schulte, Patentgesetz, 8. Auflage, § 73 Rdn. 71) ist im vorliegenden Verfahren in der Sache lediglich über den (geänderten) Hauptantrag im Umfang der geltenden Ansprüche 1 bis 12 zu entscheiden. Die Anmelderin kann dabei ihren Hauptantrag mit gegenüber der Zurückweisung geänderten Ansprüchen weiterverfolgen. Dies ergibt sich aus dem im patentrechtlichen Erteilungsverfahren vor dem Patentamt und dem Bundespatentgericht geltenden Antragsgrundsatz, wonach der Anmelder den Inhalt seiner Anträge bestimmt (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., Einl. Rdn. 3, 6).

27

2. Die Anmeldung betrifft laut Ursprungsunterlagen eine Lastantriebssteuerung bzw. eine Lastansteuerungsregelvorrichtung, beispielsweise für Gebläse- und Ventilatormotoren bei Klimageräten in Kraftfahrzeugen, wobei es wünschenswert sei, den elektrischen Energieverbrauch während des Betriebs derartiger Motoren zu reduzieren (vgl. ursprüngliche Beschreibung S. 1, Z. 5 bis 18).

28

Die Anmeldung geht von bekannten Lastantriebssteuerungen aus, die einen Relaisschalter aufweisen, der zwischen einer Fahrzeugbatterie und einem Motor angeschlossen ist. Wenn das Klimagerät ausgeschaltet sei, schalte sich der Relaiskontakt in seine geöffnete Position, so dass die Energiezufuhr von der Batterie zu dem Motor ausgeschaltet werde. Bei dieser bekannten Lastantriebssteuerung sei es erforderlich, dass der Relaisschalter einen hohen Strombereich umfasse und dementsprechend groß und aufwendig sei (vgl. ursprüngliche Beschreibung S. 1, Z. 20 bis 31).

29

Ausgehend von diesem Problem stellt sich die Anmeldung die Aufgabe, eine Antriebssteuervorrichtung so weiterzubilden, dass die Betriebsartänderung mit möglichst geringem Schaltungsaufwand und entsprechend niedrigen Kosten realisiert werden könne (vgl. Beschreibung S. 2, 3. Abs. vom 14. Januar 2013, Blatt 38 der Gerichtsakte).

30

Zur Lösung der genannten Aufgabe lehrt der geltende Patentanspruch 1 eine Antriebssteuervorrichtung, deren Merkmale wie folgt gegliedert werden können:

31

1. Antriebssteuervorrichtung für eine elektrische Last (11), mit:

32

1.1 einer elektrischen Energiequelle (15);

33

1.2 einer mit der elektrischen Energiequelle (15) gekoppelten Antriebssteuerschaltung (13), die auf ein Steuersignal, das eine jeweils gewünschte Antriebsart der Last (11) vorgibt, anspricht und die Last (11) über elektronische Schaltelemente (19 bis 24) entsprechend der gerade vorgegebenen Antriebsart elektrisch antreibt; und mit

34

1.3 einer Betriebsartänderungseinrichtung (16), mittels der die Betriebsart der Steuervorrichtung in Abhängigkeit vom Steuersignal zwischen einer Normalbetriebsart (C, D), während der die Antriebssteuerschaltung (13) die Last (11) antreibt, und einer Standbybetriebsart (A, D) mit verringertem Energieverbrauch umschaltbar ist, dadurch gekennzeichnet,

35

1.4 dass die elektronischen Schaltelemente (19 bis 24) zum Antrieb der Last (11) direkt mit der elektrischen Energiequelle (15) verbunden sind,

36

1.5 dass eine mit der Energiequelle (15) gekoppelte, abschaltbare Energieversorgungsschaltung (14) vorgesehen ist, die der Antriebssteuerschaltung (13) eine Versorgungsspannung (VBL) zuführt; und

37

1.6 dass die Betriebsartänderungseinrichtung (16) während der Standbybetriebsart (A, D) die Energieversorgungsschaltung (14) abschaltet.

38

3. Als für die Beurteilung der Lehre der Anmeldung zuständigen Fachmann sieht der Senat einen Schaltungstechniker mit Fachhochschulausbildung an, der über besondere Kenntnisse von Schaltungen zur Lastantriebssteuerung, beispielsweise von Motoren verfügt.

39

4. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 unterscheidet sich grundlegend vom Gegenstand der bisherigen Fassungen des Patentanspruchs 1, die im Wesentlichen auf die Ausgestaltung der Betriebsartänderungseinrichtung gerichtet waren. Wie die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung selbst einräumt, findet sich der Anspruchswortlaut zwar weder in den ursprünglichen Ansprüchen noch in der ursprünglichen Beschreibung wortgetreu wieder, sie vertritt aber die Auffassung, dass sich der beanspruchte Gegenstand für den Fachmann aus den Ausführungsbeispielen nach den Figuren 2 bis 4 in Verbindung mit den ursprünglichen dazugehörigen Beschreibungsteilen unmittelbar und eindeutig ergebe.

40

Zwar kann die Anmelderin grundsätzlich ihre Anmeldung bis zur Patenterteilung ändern. Sie ist dabei auch nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche festgelegt, sondern kann bei der Neuformulierung der Patentansprüche auch auf Merkmale eines Ausführungsbeispiels zurückgreifen, solange deren Kombination in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellt, die der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49 – Drehmomentübertragungseinrichtung).

41

Zum Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung gehört in diesem Zusammenhang aber nur das, was den ursprünglich eingereichten Unterlagen "unmittelbar und eindeutig" zu entnehmen ist, nicht hingegen eine weitergehende Erkenntnis, zu der der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 – Xa ZR 124/07 – Fälschungssicheres Dokument).

42

Diese Voraussetzungen sind bei der vorgelegten Fassung des Anspruchs 1 nicht erfüllt.

43

Der Senat stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass der Fachmann aus der Figur 3, die als einzige ein Ausführungsbeispiel für die Antriebssteuerschaltung 13 nach der Figur 2 wiedergibt und der zugehörigen Beschreibung auf Seite 11, Zeilen 9 bis 24 unmittelbar und eindeutig entnehmen kann, dass eine Last 11 über elektronische Schaltelemente 19 bis 24 elektrisch angetrieben wird (Merkmal 1.2 teilw ) und die elektronischen Schaltelemente 19 bis 24 zum Antrieb der Last direkt mit der elektrischen Energiequelle (15) verbunden sind (Merkmal 1.4). Als weiteres erfindungswesentliches Merkmal weist die Antriebssteuerschaltung aber auch eine Bremsschaltung 25 auf (vgl. Figur 3, Bezz. 25), an deren Eingang das Betriebsartänderungssignal, bei dem es sich um das Ausgangssignal der Standbyschaltung 16 handelt und welches gemäß Figur 2 sowohl mit der Antriebssteuerschaltung 13 als auch mit der Energieversorgungsschaltung 14 verbunden ist, angelegt ist (vgl. Fig. 2, 3, 9; ursprüngliche Beschreibung, S. 10, Z. 15 bis 21, S. 12, Z. 5 bis 9). Für den Fall, dass das Betriebsartänderungssignal eine Standbybetriebsart darstellt, ersetzt die Bremsschaltung 25 die Steuerschaltung 17 (vgl. Fig. 3 Bezz. 17) bezüglich des Steuerns der elektronischen Bauelemente 22, 23 und 24 (vgl. ursprüngliche Beschreibung, S. 13, Z. 4 bis 8; S. 24, Z. 13 bis 23). Da die Bremsschaltung in diesem Fall dazu dienen soll, auf den Motor, der während der Standbybetriebsart beispielsweise einer durch Wind verursachten Drehkraft ausgesetzt ist, eine Bremskraft aufzubringen, die durch das auf Masse legen der Statorwicklungen llu, llv und llw generiert wird (vgl. S. 24, Z. 29 bis 34), kommt der Bremsschaltung eine funktionsentscheidende und damit erfindungswesentliche Rolle zu, so dass auf diese bei einem merkmalsmäßigen Rückgriff auf das Ausführungsbeispiel nicht verzichtet werden kann.

44

Für den Fachmann stellt somit der unter diesem Gesichtspunkt verallgemeinerte Gegenstand nach dem geltenden Patentanspruch 1 keine technische Lehre dar, die der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann. Der Gegenstand nach dem vorliegenden Patentanspruch 1 ist daher bereits aus diesem Grund gegenüber den ursprünglichen Unterlagen unzulässig erweitert.

45

Auch das Merkmal 1.6, wonach „die Betriebsartänderungseinrichtung (16) während der Standbybetriebsart (A, D) die Energieversorgungsschaltung (14) abschaltet“, kann zur Überzeugung des Senats den ursprünglichen Unterlagen so nicht entnommen werden.

46

Gemäß den Ausführungen in den ursprünglichen Unterlagen wird während der Standbybetriebsart nicht die Energieversorgungsschaltung 14, sondern die an die Antriebssteuerschaltung 13 angelegte elektrische Subspannung VBL zeitweilig abgeschaltet, wodurch die Steuerschaltung 17 deaktiviert wird (vgl. ursprüngliche Beschreibung S. 10, Z. 30 bis 34; S. 19, Z. 5 bis 11; S. 21, Z. 8 bis 17; S. 22, Z. 19 bis 22; S. 24, Z. 10 bis 13; Fig. 7). Dass die Energieversorgungsschaltung 14 nicht abgeschaltet wird, erkennt der Fachmann unmittelbar auch daran, dass bei dem Ausführungsbeispiel während der Standbybetriebsart von der Antriebssteuerschaltung 13 und der Energieversorgungsschaltung 14 ein Strom beispielsweise gleich oder kleiner als 1 mA verbraucht wird (vgl. ursprüngliche Beschreibung S. 11, Z. 1 bis 4).

47

Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die verbleibenden Merkmale des geltenden Anspruchs 1, deren verwendete Begriffe in den ursprünglichen Unterlagen teilweise nicht vorkommen (vgl. Merkmal 1.2, „Antriebsart“), für den Fachmann unmittelbar und eindeutig aus den ursprünglichen Unterlagen hervorgehen.

48

Der Gegenstand des Anspruchs 1 erweist sich somit als nicht zulässig. Anspruch 1 ist nicht gewährbar.

49

5. Mit dem Anspruch 1 fallen auch alle anderen Ansprüche, da aus der Fassung des Antrags und dem zu seiner Begründung Vorgebrachten sich für den Senat keine Zweifel an dem prozessualen Begehren ergeben, das Patent ausschließlich in der beantragten Fassung zu erteilen (BGH, Beschluss vom 27. Februar 2008 - X ZB 10/07, GRUR-RR 2008, 456, Tz. 22 – Installiereinrichtung, m. w. N.).

50

6. Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob die geltenden Patentansprüche in der Fassung nach Hauptantrag den Anforderungen an die §§ 3 und 4 PatG genügen.