Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 10.11.2015


BPatG 10.11.2015 - 20 W (pat) 28/13

(Patentbeschwerdeverfahren – "Blattgut" – grundsätzlich kommt Verfahrensansprüchen ein anderer Schutzbereich zu als Vorrichtungsansprüchen – zum Rechtsschutzbedürfnis an einem Vorrichtungsanspruch - grundsätzliche Zulässigkeit neben dem Verfahrensanspruch – freie Wahl der Anspruchskategorie durch Patentanmelder – kein Erfordernis der Darlegung eines Rechtsschutzbedürfnisses für die Beanspruchung eines Patents in mehreren Patentkategorien)


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsdatum:
10.11.2015
Aktenzeichen:
20 W (pat) 28/13
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Blattgut

Verfahrensansprüchen kommt grundsätzlich ein anderer Schutzbereich zu als Vorrichtungsansprüchen. Selbst für den Fall, dass die Fassung des Vorrichtungsanspruchs dem Verfahrensanspruch im Hinblick auf die Gesamtheit der Merkmale inhaltlich nichts hinzufügt, hat der Patentanmelder ein Rechtsschutzbedürfnis an einem solchen Vorrichtungsanspruch, der deshalb neben dem Verfahrensanspruch grundsätzlich zulässig ist (so auch BPatG Beschluss vom 16. Dezember 1987 – 31 W (pat) 5/87; BPatGE 29, 177; BPatG, Beschluss vom 17. August 1998 – 20 W (pat) 41/97 – Elektronische Programmzeitschrift; BPatGE 40, 219). Die Entscheidung BGH X ZB 21/94 - Handhabungsgerät (GRUR 1998, 130) betraf einen nicht verallgemeinerungsfähigen Fall, in dem das Rechtsschutzbedürfnis deshalb verneint wurde, weil sich der geltend gemachte Verfahrensanspruch nach Art einer bloßen Bedienungsanleitung in der bestimmungsgemäßen Verwendung der beanspruchten Vorrichtung erschöpfte. Diese Voraussetzung muss im Einzelfall positiv festgestellt werden.

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Patentanmeldung 101 20 904.5

hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) am 10. November 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. Mayer, den Richter Dipl.-Ing. Musiol, die Richterin Dorn und den Richter Dipl.-Ing. Albertshofer

beschlossen:

1. Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 07 D des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. November 2011 wird aufgehoben und die Sache zur weiteren Behandlung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

1

Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle für IPC-Klasse G 07 D - hat die Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Verfahren und Vorrichtung für die Bearbeitung von Blattgut“ durch Beschluss vom 29. November 2011 zurückgewiesen. Der Zurückweisung lagen die Patentansprüche 1 bis 26 vom 23. November 2009, eingegangen am selben Tag, zugrunde.

2

Zur Begründung hat die Prüfungsstelle ausgeführt, dass für das vorliegende Verfahren die BGH-Entscheidung X ZB 21/94 – Handhabungsgerät  maßgeblich sei, da das Patentbegehren gleichzeitig auf einen Vorrichtungsanspruch und auf einen auf die Wirkungsweise der Vorrichtung bezogenen Verfahrensanspruch gerichtet sei. Einen über den Vorrichtungsanspruch 16 hinausgehenden sachlichen Gehalt weise der Verfahrensanspruch 1 hier nicht auf, ein solcher werde von der Anmelderin auch nicht dargelegt. Eine logisch überzeugende Begründung, warum die BGH-Entscheidung „Handhabungsgerät“ bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden unbeachtlich zu sein habe, habe die Rechtsprechung bisher nicht gegeben. Das hier in Rede stehende Patentbegehren müsse daher entsprechend den Vorgaben in der Entscheidung „Handhabungsgerät“ mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses als nicht gewährbar bewertet werden. Die Anmelderin habe an diesem nicht gewährbaren Patentbegehren festgehalten und somit die Mängel nicht beseitigt.

3

Hiergegen richtet sich die am 27. Dezember 2011 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Beschwerde der Anmelderin vom selben Tag, mit der sie ihre Anmeldung weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie unter Hinweis auf die Entscheidungen BGH X ZB 5/04 – Mikroprozessor sowie BPatG 19 W (pat) 55/09 vorgetragen, dass keine rechtlichen Bedenken gegen die Nebenordnung eines Verfahrens und einer Vorrichtung, welche die gleichen Merkmale aufwiesen, bestünden, außerdem sei sie nicht verpflichtet, ein Rechtsschutzbedürfnis darzulegen.

4

Die Anmelderin beantragt sinngemäß,

5

den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 07 D des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. November 2011 aufzuheben und das nachgesuchte Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:

6

Patentansprüche 1 bis 26 vom 23. November 2009, eingegangen am selben Tag,

7

Beschreibung Seiten 1 bis 3 vom 23. November 2009, eingegangen am selben Tag, und Seiten 4 bis 16 vom Anmeldetag (27. April 2001),

8

Zeichnungen (Figuren 1 bis 4, 5a, 5b, 6 bis 8) vom Anmeldetag (27. April 2001).

9

Auf den Hinweis des Senats, dass er eine Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt in Erwägung ziehe, hat die Anmelderin ihren Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen.

10

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

11

„Verfahren für die Bearbeitung von Blattgut, insbesondere von Wertpapieren wie Banknoten, Schecks usw., bei dem verschiedene Gruppen von Blattgut (BN), die von jeweils mindestens einem Trennmittel (TK) voneinander getrennt sind, nacheinander bearbeitet werden, wozu das Blattgut und die Trennmittel (TK) vereinzelt werden, um jedes Stück Blattgut und jedes Trennmittel (TK) einzeln zu bearbeiten, dadurch gekennzeichnet, daß jedes Trennmittel (TK) sowie mindestens die zugehörige Gruppe von Blattgut von der Vereinzelung zurückgehalten und anschließend für die Vereinzelung freigegeben werden, wobei die Freigabe für die Vereinzelung des Trennmittels (TK) sowie der zugehörigen Gruppe von Blattgut erfolgt, wenn die Bearbeitung aller Stücke von Blattgut einer zuvor bearbeiteten Gruppe von Blattgut (BN) vollständig abgeschlossen ist.“

12

Der geltende Patentanspruch 16 lautet:

13

„Vorrichtung für die Bearbeitung von Blattgut, insbesondere von Wertpapieren wie Banknoten,  Schecks usw., mit einer Eingabeeinheit (110) zur Aufnahme verschiedener Gruppen von Blattgut (BN), die von jeweils mindestens einem Trennmittel (TK) voneinander getrennt sind, um nacheinander bearbeitet zu werden, einem Vereinzeler (111), welcher das Blattgut und die Trennmittel (TK) vereinzelt, um jedes Stück Blattgut und jedes Trennmittel (TK) einzeln an ein Transportsystem (120) zu übergeben, welches die Banknoten und Trennmittel (TK) durch eine Sensoreinheit (112) führt und gesteuert durch eine Steuereinheit (140), welche die Signale der Sensoreinheit (112) auswertet, Ausgabeeinheiten (130 bis 139) zuführt, dadurch gekennzeichnet, daß vor dem Vereinzeler (111) eine Rückhalteeinheit (S, 21, 31, 41, 50, 71, 81) vorhanden ist, welche jedes Trennmittel (TK) sowie zumindest die folgende Gruppe von Blattgut von der Vereinzelung zurückhält und gesteuert durch die Steuereinheit (140) für die Vereinzelung freigibt, wobei die Steuereinheit (140) überwacht, ob die Bearbeitung aller Stücke von Blattgut einer zuvor bearbeiteten Gruppe von Blattgut (BN) vollständig abgeschlossen ist, und daß die Rückhalteeinheit (S, 21, 31, 41, 50, 71, 81) die Vereinzelung des Trennmittels (TK) durch den Vereinzeler (111) freigibt, nachdem die Steuereinheit (140) die vollständige Bearbeitung festgestellt hat.“

14

Wegen der geltenden Unteransprüche sowie der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

15

Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG).

16

1. Die Nebenordnung des auf ein Verfahren für die Bearbeitung von Blattgut gerichteten Patentanspruchs 1 zu dem auf eine Vorrichtung für die Bearbeitung von Blattgut gerichteten Patentanspruch 16 ist nicht zu beanstanden. Insbesondere kann der Anmelderin nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte Anspruchsfassung abgesprochen werden.

17

1.1. Die Prüfungsstelle ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass für eine Patentanmeldung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Rechtsschutzbedürfnis erforderlich ist (vgl. BGHZ 54, 181, 184 – Fungizid; BGHZ 73, 183, 186f. – Farbbildröhre; BGH GRUR 1998, 130 – Handhabungsgerät; BGH GRUR 2006, 748, 749 – Mikroprozessor).

18

Dabei ist es nicht Aufgabe des Anmelders, das für die Patentanmeldung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis darzulegen. Dieses folgt vielmehr regelmäßig bereits aus der Anmeldung selbst, mit der ein anderweitig nicht zu erreichender Schutz des Anmelders für die angemeldete Erfindung herbeigeführt werden soll (BGH a. a. O. – Mikroprozessor; Benkard, Patentgesetz, 11. Aufl., § 1 Rn. 74f.). Denn das Gesetz gewährt dem Erfinder oder seinem Rechtsnachfolger den öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Erteilung des Patents für die Erfindung in dem gesetzlich geregelten Patenterteilungsverfahren, so dass dieser die Erteilung des Patents grundsätzlich in der Ausgestaltung verlangen kann, die der gegebenen patentfähigen Lehre entspricht (BGH a. a. O. – Fungizid; BGH a. a. O. – Mikroprozessor).

19

Lässt sich die Erfindung in mehrere Kategorien einordnen, hat der Anmelder das Recht, unter den in Betracht kommenden Anspruchsformen jede Kategorie zu wählen, die er wünscht (BGH a. a. O. – Fungizid; BGHZ 95, 295, 297 – borhaltige Stähle; Benkard a. a. O., § 34 Rn. 74). Dabei berühren inhaltliche Übereinstimmungen im Schutzbereich der Ansprüche untereinander – von Fällen missbräuchlicher Anmeldungen abgesehen – das Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich nicht (BGH a. a. O., 187 – Farbbildröhre; BGH a. a. O. – Handhabungsgerät; BGH a. a. O., 750 – Mikroprozessor). Auch für den Fall, dass die Fassung des Vorrichtungsanspruchs dem Verfahrensanspruch im Hinblick auf die Gesamtheit der Merkmale inhaltlich nichts hinzufügt, hat der Patentanmelder ein Rechtsschutzbedürfnis an einem solchen Vorrichtungsanspruch, der deshalb neben dem Verfahrensanspruch grundsätzlich zulässig ist (BPatG Beschluss vom 16. Dezember 1987 – 31 W (pat) 5/87; BPatGE 29, 177; BPatG, Beschluss vom 17. August 1998 – 20 W (pat) 41/97 – Elektronische Programmzeitschrift; BPatGE 40, 219). Denn wegen der unterschiedlichen Reichweiten der beiden Patentkategorien (§ 9 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 PatG) ist eine mögliche Erleichterung einer künftigen Rechtsverfolgung nicht auszuschließen (BPatG GRUR 1988, 901, 902 – Ultraschalluntersuchung m. w. N.; BPatG, Beschluss vom 16.02.2011 – 19 W (pat) 55/09; BPatG, Beschluss vom 28.01.2013 – 19 W (pat) 8/11). Im Übrigen sind der Verfahrensanspruch und der Vorrichtungsanspruch auch getrennt auf Patentfähigkeit zu prüfen und jeder der beiden Ansprüche kann im Verlauf der weiteren Entwicklung im Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren ein unterschiedliches Schicksal nehmen (BGH a. a. O., 749 – Mikroprozessor).

20

Aus diesen Gründen kommt Verfahrensansprüchen grundsätzlich ein anderer Schutzbereich zu als Vorrichtungsansprüchen.

21

1.2. Die Beanspruchung eines Patents mit mehreren Patentansprüchen in mehreren Patentkategorien kann aus Gründen eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses nur dann ausnahmsweise als unzulässig angesehen werden, wenn an der Patenterteilung in dem angestrebten Umfang im Einzelfall aus besonderen Gründen keinerlei Interesse des Anmelders erkennbar ist (BGH a. a. O., 184 – Fungizid; BGH a. a. O. – Mikroprozessor), wobei dieses fehlende Interesse durch die Erteilungsbehörde positiv festgestellt worden sein muss; auf bloße Zweifel an einem schutzwürdigen Interesse kann die Versagung der Patenterteilung nicht gestützt werden (Benkard a. a. O., § 1 Rn. 74f.).

22

Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

23

1.2.1 In der Entscheidung des BGH „Handhabungsgerät“ (a. a. O.), die von der Prüfungsstelle zur Begründung herangezogen worden ist, wurde es der dortigen Anmelderin wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses versagt, den Erfindungsgegenstand gleichzeitig durch einen Vorrichtungsanspruch und durch einen auf die Wirkungsweise der Vorrichtung bezogenen Verfahrensanspruch schützen zu lassen, weil sich der Verfahrensanspruch nach Art einer bloßen Bedienungsanleitung in der bestimmungsgemäßen Verwendung der in einem nebengeordneten Anspruch beschriebenen Vorrichtung erschöpfte. Diese Entscheidung betraf einen nicht verallgemeinerungsfähigen Fall, in dem der BGH an die Feststellung des Inhalts eines neben einem Vorrichtungsanspruch geltend gemachten Verfahrensanspruchs gebunden war (BGH a. a. O., 750 – Mikroprozessor).

24

Dieser Sonderfall liegt hier jedoch nicht vor. Denn ersichtlich erschöpft sich das hier beanspruchte Verfahren gemäß Patentanspruch 1 nicht nach Art einer Bedienungsanleitung in der bestimmungsgemäßen Verwendung der beanspruchten Vorrichtung gemäß Patentanspruch 16. Das beanspruchte Verfahren wird mithin nicht schon durch den Schutz der beanspruchten Vorrichtung erfasst.

25

Der geltende Patentanspruch 1 mit eingefügter Merkmalsgliederung lautet:

26

1. Verfahren für die Bearbeitung von Blattgut, insbesondere von Wertpapieren wie Banknoten, Schecks usw., bei dem verschiedene Gruppen von Blattgut (BN), die von jeweils mindestens einem Trennmittel (TK) voneinander getrennt sind, nacheinander bearbeitet werden:

27

2. Jedes Trennmittel (TK) sowie mindestens die zugehörige Gruppe von Blattgut wird von der Vereinzelung zurückgehalten und

28

3. anschließend für die Vereinzelung freigegeben, wenn die Bearbeitung aller Stücke von Blattgut einer zuvor bearbeiteten Gruppe von Blattgut (BN) vollständig abgeschlossen ist;

29

4. das Blattgut und die Trennmittel (TK) werden vereinzelt, um jedes Stück Blattgut und jedes Trennmittel (TK) einzeln zu bearbeiten.

30

Der Vorrichtungsanspruch 16 mit eingefügter Merkmalsgliederung lautet:

31

1. Vorrichtung für die Bearbeitung von Blattgut, insbesondere von Wertpapieren wie Banknoten, Schecks usw. aufweisend:

32

2. Eine Eingabeeinheit (110) zur Aufnahme verschiedener Gruppen von Blattgut (BN), die von jeweils mindestens einem Trennmittel (TK) voneinander getrennt sind, um nacheinander bearbeitet zu werden,

33

3. eine Sensoreinheit (112),

34

4. Ausgabeeinheiten (130 bis 139),

35

5. ein Transportsystem (120),

36

5.1 welches das Blattgut (BN) und die Trennmittel (TK) durch die Sensoreinheit (112) führt und

37

5.2 den Ausgabeeinheiten (130 bis 139) zuführt,

38

6. einen Vereinzeler (111),

39

6.1 welcher das Blattgut und die Trennmittel (TK) vereinzelt,

40

6.2 und jedes Stück Blattgut und jedes Trennmittel (TK) einzeln an ein Transportsystem (120) übergibt,

41

7. eine Rückhalteeinheit (S, 21, 31, 41, 50, 71, 81), die vor dem Vereinzeler (111) angeordnet ist, welche jedes Trennmittel (TK) sowie zumindest die folgende Gruppe von Blattgut von der Vereinzelung zurückhält,

42

8. eine Steuereinheit (140),

43

8.1 welche die Signale der Sensoreinheit (112) auswertet,

44

8.2 überwacht, ob die Bearbeitung aller Stücke von Blattgut einer zuvor bearbeiteten Gruppe von Blattgut (BN) vollständig abgeschlossen ist,

45

8.3 feststellt, dass die vollständige Bearbeitung abgeschlossen ist,

46

8.4 dann die Rückhalteeinheit ansteuert, dass diese die Vereinzelung des Trennmittels (TK) durch den Vereinzeler (111) freigibt, und

47

8.5 die Transporteinheit (120) so ansteuert, damit diese das Blattgut und die Trennmittel (TK) den Ausgabeeinheiten (130 bis 139) zuführt.

48

Der Merkmalsvergleich zeigt, dass das Verfahren des Patentanspruchs 1 offensichtlich wesentlich weiter gefasst ist. So ist insbesondere nicht auszuschließen, dass im Hinblick auf mögliche künftige technische Entwicklungen, die zugunsten der Anmelderin zu berücksichtigen sind (Benkard a. a. O., § 34 Rn. 76 m. w. N.), das Verfahren des Patentanspruchs 1 auch mit anderen als den im Patentanspruch 16 aufgeführten Mitteln ausführbar ist. Dies betrifft insbesondere die Ausgestaltung der Mittel, die feststellen, wann „die Bearbeitung aller Stücke von Blattgut einer zuvor bearbeiteten Gruppe von Blattgut vollständig abgeschlossen ist“ (Anspruch 1, Merkmal 3). Auch fehlen im beanspruchen Verfahren Maßnahmen, die die Vorrichtung durchführt, z. B.

49

- Übergeben von Blattgut und Trennmitteln einzeln an ein Transportsystem (siehe Anspruch 16, Merkmal 6.2),

50

- welches das Blattgut und die Trennmittel durch die Sensoreinheit führt (Anspruch 16, Merkmal 5.1).

51

Der auf ein Verfahren gerichtete Patentanspruch 1 ist auf ein allgemeines Prinzip ausgerichtet, das über die Arbeitsweise der Vorrichtung gemäß Anspruch 16 hinausgeht, so dass die beanspruchte Vorrichtung nur eine Möglichkeit aufzeigt, wie das Verfahren in einer Vorrichtung umgesetzt werden kann. Daher kommt dem Verfahrensanspruch und dem Vorrichtungsanspruch jeweils ein unterschiedlicher Schutzbereich zu. Von einer bloßen „Betriebsanleitung“ der im Patentanspruch 16 beschriebenen Vorrichtung durch die Angaben im Verfahrensanspruch 1 kann hier also nicht die Rede sein, so dass die der BGH-Entscheidung „Handhabungsgerät“ zugrundeliegende Voraussetzung nicht vorliegt.

52

1.2.2 Ferner kann die Beanspruchung eines Patents in mehreren Patentkategorien aus Gründen eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses dann als unzulässig angesehen werden, wenn der Anmelder mit einem der kumulierten Patentansprüche keinen weitergehenden Schutz erreichen kann als den, den er mit der Gewährung der anderen Patentansprüche bereits erhält (BGH a. a. O., 749 – Mikroprozessor).

53

Hierfür bestehen vorliegend ebenfalls keine Anhaltspunkte, da, wie unter Ziffer 1.2.1 ausgeführt, die Gegenstände des Verfahrens- und des Vorrichtungsanspruchs unterschiedliche Schutzbereiche aufweisen. Bloße Übereinstimmungen im Schutzbereich der Ansprüche untereinander berühren aus o. g. Gründen das Rechtsschutzbedürfnis nicht, solange der Erteilungsantrag nicht auf eine mehrfache Patentierung ein und desselben Gegenstands gerichtet wird (BGH a. a. O., 750 – Mikroprozessor), wovon hier keine Rede sein kann.

54

2. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage kann vorliegend ferner dahingestellt bleiben, ob der elektronisch erstellte und signierte Beschluss des DPMA möglicherweise an Wirksamkeitsmängeln leidet (vgl. BPatG, Beschluss vom 12.05.2014 – 20 W (pat) 28/12, BlPMZ 2014, 355 – u. a. im Hinblick auf das Erfordernis einer signierten Urschrift in der elektronischen Akte).

55

3. Der Senat hat davon abgesehen, in der Sache selbst zu entscheiden. Wie aus der Amtsakte ersichtlich ist, hat die Prüfungsstelle des Deutschen Patent- und Markenamts noch nicht abschließend geprüft, ob der Anmeldungsgegenstand die Patentierungsvoraussetzungen nach §§ 1 bis 5 PatG erfüllt. Im Patenterteilungsverfahren ist die Sache im Falle der Aufhebung der patentamtlichen Entscheidung regelmäßig zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen, wenn dieses – wie hier – eine Erstbewertung des Standes der Technik unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit noch nicht vorgenommen hat (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG).

56

4. Die Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr beruht auf Billigkeitserwägungen (§ 80 Abs. 3 PatG).

57

Der angefochtene Beschluss enthält keine Begründung dazu, warum im vorliegenden Fall die in der von der Prüfungsstelle herangezogenen BGH-Entscheidung „Handhabungsgerät“ zugrundeliegende Voraussetzung für die Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses vorliegen soll, nämlich, dass es sich beim Verfahren nach Patentanspruch 1 ausschließlich um ein auf die Wirkungsweise der Vorrichtung des Patentanspruchs 16 bezogenes Verfahren handelt. In den Gründen des angefochtenen Beschlusses finden sich zu diesem Punkt auf Seite 5 im 3. Absatz lediglich die folgenden pauschalen Ausführungen:

58

„Auch die Anmelderin geht davon aus, dass bei Betrieb der mit dem Patentanspruch 16 beanspruchten Vorrichtung, veranlasst durch die Steuereinheit, die in der Vorrichtung vorhandenen Einheiten, welche im Wesentlichen durch ihre Funktion umrissen sind, das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ausführen. Einen über den Vorrichtungsanspruch 16 hinausgehenden sachlichen Gehalt weist der Verfahrensanspruch 1 nicht auf und wird auch von der Anmelderin nicht dargelegt. Mit dem Patentbegehren wird – von der Anmelderin unbestritten und bestätigt – gleichzeitiger Patentschutz für eine Vorrichtung und für ein auf die Wirkungsweise der Vorrichtung gerichtetes Verfahren angestrebt.“

59

Auf Seite 6 im ersten Absatz heißt es hierzu weiter:

60

„Denn der Verfahrensanspruch 1 umschreibt lediglich die durch den  bestimmungsgemäßen Gebrauch vorgegebene Funktionsweise der mit seinen gegenständlichen Merkmalen in dem Patentanspruch 16 gekennzeichneten Vorrichtung. Verfahrensanspruch 1 enthält nichts, was über den sachlichen Gehalt des Patentanspruchs 16 hinausgeht. Es handelt sich bei dem Verfahrensanspruch um ein Arbeitsverfahren, das sich auf die Wirkungsweise der Vorrichtung bezieht, d. h. auf den verfahrensmäßigen Funktionsablauf, der sich beim Betrieb der Vorrichtung einstellt.“

61

Aus diesen Ausführungen lässt sich jedoch nicht nachvollziehbar und konkret entnehmen, wie die Prüfungsstelle zu diesem Ergebnis gekommen ist. Eine nachvollziehbare und vollständige Begründung hierzu fehlt. Der Hinweis auf das fehlende Bestreiten bzw. das Bestätigen der Anmelderin ist im Amtsermittlungsverfahren unbehelflich. Weder die Beteiligte noch der erkennende Senat sind daher in der Lage, die tragenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung zweifelsfrei zu erkennen. Der Beschluss leidet somit an einem wesentlichen Begründungsmangel, der eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr aus Billigkeitsgründen rechtfertigt (BPatGE 20, 157; Schulte, Patentgesetz, 9. Aufl., § 73 Rn. 139, 143 m. w. N.).