Entscheidungsdatum: 11.02.2015
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 199 83 824.0-55
…
hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) auf die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.Phys. Dr. Mayer, die Richter Dipl.Ing. Gottstein und Dipl.Ing. Kleinschmidt sowie die Richterin Dorn
beschlossen:
1. Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 01 Q des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. September 2010 wird aufgehoben und das nachgesuchte Patent mit der Bezeichnung „Oberflächenstückantenne für mehrerer Bänder und Kommunikationseinrichtung“ auf der Grundlage folgender Unterlagen erteilt:
Anmeldetag: 16. Dezember 1999
Priorität: 16. Dezember 1998, US 09/212,259
Patentansprüche: Patentansprüche 1 bis 7, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. Februar 2015
Beschreibung: Beschreibungsseiten 1 bis 16, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. Februar 2015
Zeichnungen: Figuren 1A, 1B, 2, 3, 4, 5A, 5B, 6A bis 6D, 7, 8 vom 19. September 2001, eingegangen am selben Tag.
2. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.
I.
Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle für Klasse H 01 Q - hat die Patentanmeldung mit der Bezeichnung „Gedruckte Multiplandoberflächenstückantenne“ durch Beschluss vom 29. September 2010 zurückgewiesen. Der Zurückweisung lagen die Patentansprüche 1 bis 8 vom 14. September 2010, eingegangen am selben Tag, zugrunde.
Zur Begründung hat die Prüfungsstelle ausgeführt, die in der Anmeldung offenbarte Erfindung, nämlich die Längenanpassung im Patentanspruch 1, sei nicht als patentfähiges Merkmal spezifiziert, wie dies § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG fordere. Des Weiteren spezifiziere der Anspruch 1 nicht, wie die Anpassungsbrücke zum Einstellen der Eingangsimpedanz der Antenne erfindungsgemäß geändert werden könne, so dass § 34 Abs. 4 PatG nicht erfüllt sei.
Hiergegen richtet sich die am 23. November 2010 eingelegte Beschwerde der Anmelderin, mit der sie ihre Anmeldung weiterverfolgt.
Der Bevollmächtigte der Anmelderin beantragt:
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 01 Q des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. September 2010 aufzuheben und das nachgesuchte Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen: Patentansprüche: Patentansprüche 1 bis 7, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. Februar 2015
Beschreibung: Beschreibungsseiten 1 bis 16, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 11. Februar 2015
Zeichnungen: Figuren 1A, 1B, 2, 3, 4, 5A, 5B, 6A bis 6D, 7, 8 (9 Blatt) vom 19. September 2001, eingegangen am selben Tag.
Ferner regt der Bevollmächtigte der Anmelderin die Rückzahlung der Beschwerdegebühr an, da er das rechtliche Gehör durch die Prüfungsstelle verletzt sieht.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
1. Oberflächenstückantenne für mehrere Bänder, umfassend: einen Zuführstift (325), einen Erdungsstift (335), einen auf ein erstes Frequenzband eingestellten ersten Oberflächenstückabschnitt (305), einen auf ein zweites, anderes Frequenzband eingestellten zweiten Oberflächenstückabschnitt (310), und mindestens einen in dem ersten und dem zweiten Oberflächenstückelement ausgebildeten Schlitz (340), gekennzeichnet durch eine zwischen dem Zuführstift und dem Erdungsstift angeordnete Anpassungsbrücke (330) zum Anpassen der Eingangsimpedanz der Antenne durch ein Ändern der Länge der Anpassungsbrücke.
Der nebengeordnete Patentanspruch 7 hat folgenden Wortlaut:
7. Kommunikationseinrichtung mit einer gedruckten Schaltplatte; und einem Substrat, auf dem eine Oberflächenstückantenne nach einem der Ansprüche 1 bis 6 befestigt ist, wobei das Substrat auf der gedruckten Schaltplatte befestigt ist.
Wegen der geltenden Unteransprüche 2 bis 6 sowie der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg, so dass der angefochtene Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent zu erteilen ist.
1. Der Anmeldegegenstand betrifft eine Oberflächenstückantenne für mehrere Bänder, die in tragbare Endgeräte eingebaut werden kann und die es den tragbaren Endgeräten erlaubt, innerhalb unterschiedlicher Frequenzbänder zu kommunizieren (vgl. Beschreibung vom 18. Juni 2001, S. 1, 2. Absatz). Da Größe und Gewicht von portablen Endgeräten fortlaufend einer weiteren Reduzierung unterworfen seien, bestehe eine Notwendigkeit für eine effiziente Miniatur-Einbauantenne, die auf multiple Frequenzbänder eingestellt werden könne, während sie gleichzeitig eine große Bandbreite in jedem dieser multiplen Frequenzbänder aufweise (vgl. Beschreibung vom 18. Juni 2001, S. 7, 3. Absatz).
Die vorstehende Aufgabe soll durch eine Oberflächenstückantenne für mehrere Bänder gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 gelöst werden.
Der geltende Patentanspruch 1 mit eingefügter Merkmalsgliederung lautet:
1. Oberflächenstückantenne für mehrere Bänder, umfassend:
M1 einen Zuführstift (325),
M2 einen Erdungsstift (335),
M3 einen auf ein erstes Frequenzband eingestellten ersten Oberflächenstückabschnitt (305),
M4 einen auf ein zweites, anderes Frequenzband eingestellten zweiten Oberflächenstückabschnitt (310), und
M5 mindestens einen in dem ersten und dem zweiten Oberflächenstückelement ausgebildeten Schlitz (340), gekennzeichnet durch
M6 eine zwischen dem Zuführstift und dem Erdungsstift angeordnete Anpassungsbrücke (330) zum Anpassen der Eingangsimpedanz der Antenne durch ein Ändern der Länge der Anpassungsbrücke.
Der Patentanspruch 1 ist zulässig, denn seine Merkmale sind den ursprünglichen Patentansprüchen 1, 16, 17, 22 und 23 (vgl. WO 00/36700 A1 und deutsche Anmeldeunterlagen vom 18. Juni 2001) als zur Erfindung gehörend offenbart.
Ebenso erweist sich der nebengeordnete Patentanspruch 7 als zulässig, der mit seinen Merkmalen auf den ursprünglichen Patentanspruch 11 (vgl. WO 00/36700 A1 und deutsche Unterlagen vom 18. Juni 2001) zurückgeht.
2. Die vorliegende Anmeldung richtet sich ihrem Inhalt nach an einen Diplomingenieur (FH) der Hochfrequenz- und Mikrowellentechnik, der mit der Entwicklung von Antennen beschäftigt ist, die in portable Kommunikationsgeräte zu integrieren sind.
3. Die Oberflächenstückantenne für mehrere Bänder nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist unzweifelhaft gewerblich anwendbar und gilt auch als neu gegenüber dem bisher bekannt gewordenen Stand der Technik nach den Druckschriften
D1 US 4,571,595
D2 JP 6-37531 A
D3 US 6,112,102
D4 QUASSIM K., “Inverted-F Antenna for Portable Handsets”, lEE Colloquium on Microwave Filters and Antennas for Personal Communication Systems, 3/1-3/6, 22. Feb. 1994
D5 WO 1996/027219 A1
D6 US 5,365,246 A
D7 RASINGER J., Die Strahlungsgekoppelte Doppelwinkel-Antenne: „Eine neuartige interne Antenne für mobile Funkgeräte“ Dissertation Institut für Nachrichtentechnik und Hochfrequenztechnik; Fakultät für Elektrotechnik; Technische Universität Wien, Juni 1990
D8 RASINGER, Josef, u. a.: „Interne Antennen für Schnurtelefone“: ntz Bd. 43, 1990, H. 5, S. 376-379
D9 DE 197 07 535 A1
D10 EP 0 616 734 B1
D11 GB 655 045 A
D12 BAO WANG; YUEN LO, “Microstrip antennas for dual-frequency operation,” Antennas and Propagation, IEEE Transactions on, vol. 32, no. 9, pp. 938-943, Sep. 1984
D13 Zl DONG LIU; HALL, P.S.; WAKE, D., “Dual-frequency planar inverted-F antenna,” Antennas and Propagation, IEEE Transactions on, vol. 45, no. 10, pp. 1451-1458, Oct. 1997, DOI: 10.1109/8.633849
D14 MACI, S.; GENTILI, G.B., “Dual-frequency patch antennas,” Antennas and Propagation Magazine, IEEE, vol. 39, no. 6, pp. 13-20, Dec. 1997
D15 EP 795 926 B1
D16 DE 195 12 003 B4.
Keine der vorstehenden Druckschriften beschreibt eine Oberflächenstückantenne für mehrere Bänder, bei der gemäß dem Merkmal M6 eine Anpassungsbrücke zwischen dem Zuführstift und dem Erdungsstift angeordnet ist und die Eingangsimpedanz der Antenne durch ein Ändern der Länge der Anpassungsbrücke angepasst wird.
3.1 Die Druckschrift D1 zeigt in den Figuren 1, 2 und 3 eine Oberflächenstückantenne für zwei Frequenzbänder (vgl. Bezeichnung). Die Antenne besteht aus zwei flächigen Abstrahlungselementen (first and second radiator elements 26, 28), die sich auf einer Schaltplatine (circuit board 12) erstrecken (M3 teilw. und M4 teilw. ) und von einer Grundfläche (ground plane 30) begrenzt werden (vgl. Sp. 2, Zeilen 64-67, Sp. 3, Z. 35-39 und Sp. 5, Z. 29-33).
Die Abstrahlungselemente sind, wie aus den Figuren 1 und 3 unmittelbar ersichtlich, zwischen einen Zuführungspunkt (feed point 24) (M1 teilw .) und die auf Erde gelegte gemeinsame Grundfläche (ground plane 30 mit Masse-Symbol) (M2 teilw .) geschaltet.
An den Zuführungspunkt ist eine variable Impedanz-Anpassschaltung angeschlossen, die schaltungstechnisch als variable Kapazität (variable capacitor 32) ausgeführt ist und die reaktiven Anteile des Leiters (conductor 18) mit umfasst (vgl. Sp. 3, Z. 12-14 und 40-45 sowie Sp. 6, Z. 1-3) (M6 teilw .). Über diese Impedanz-Anpassschaltung ist die Antenne mit einer Speiseschaltung (dual banding means) verbunden, welche Sendesignale auf zwei Frequenzbändern liefert (vgl. Sp. 2, Z. 4-10 und Sp. 6, Z. 4-9). Die beiden Frequenzbänder werden demnach mittels einer zusätzlichen externen Beschaltung erzeugt. Eine gesonderte Einstellung der Abstrahlungselemente auf die jeweilige Frequenz ist in der D1 dagegen genau so wenig angesprochen (M3 Rest und M4 Rest nicht realisiert), wie eine geschlitzte Ausführung der Abstrahlungselemente selbst (M5 nicht realisiert).
Auch lässt die D1 eine körperliche Ausgestaltung des Zuführungspunktes (feed point 24) als Zuführungsstift oder der Lokalisierung eines Erdungsstifts in der Grundfläche (ground plane 30) völlig offen (M1 Rest und M2 Rest nicht realisiert).
Im Gegensatz zum anmeldungsgemäßen Anpassen der Eingangsimpedanz der Antenne mittels einem Ändern der Länge der Anpassungsbrücke - was durch ein einfaches Ändern des Ortes des geerdeten Stabs erzielt wird - wird nach der Lehre der D1 die Impedanzanpassung über die Einstellung einer variablen Kapazität (variable capacitor 32), mithin einer elektronischen Beschaltung vorgenommen (M6 Rest nicht realisiert).
3.2 Soweit der im Verfahren befindliche Stand der Technik Impedanzanpassungsmaßnahmen in Bezug auf Antennen mit zwei oder mehreren flächigen Abstrahlelementen beschreibt (D6, D7, D9, D13 und D14), ist diesen gemeinsam, dass die Impedanzanpassung der jeweiligen Antennen durch eine geeignete Lokalisierung des Einkopplungspunkts vorgenommen wird (vgl. D6, Sp. 4, Z. 37-41; D7, S. 5, 3. Absatz; D9, Sp. 2, Z. 64 – Sp. 3, Z. 2; D13, S. 1451, rechte Spalte, Abschnitt II. ANTENNA GEOMETRY, 1. Absatz Mitte und D14, S. 18 linke Spalte, Absatz vor 4.4).
Die weiter im Verfahren befindlichen Druckschriften D2 - D5, D10 - D12, D15 und D16 kommen dem Anmeldegegenstand nicht näher, denn sie befassen sich entweder nicht mit Flächenantennen (D2 und D3 betreffen Spiral-Antennen) oder gehen über die Ausführung einer Flächenantenne mit einem Abstrahlungselement nicht hinaus. Soweit in diesem Zusammenhang Anpassungsmaßnahmen aufgezeigt werden, beschränken sich diese auf die Anpassung der Antenne durch Auswahl eines geeigneten Einkopplungspunkts (D4, S. 3/2, zweiter Absatz von unten; D12, S. 941, linke Spalte, zweiter Absatz von unten) bzw. durch Variieren der Länge und Breite des Streifenleiters (D15, Sp. 2, Z. 21-23; Sp. 6, Z. 9-10) oder durch Integration einer Induktivität in den Streifenleiter (D15, Sp. 3, Z. 49-51).
Die verbleibenden Druckschriften D5, D8, D10, D11 und D16 dagegen enthalten keinerlei konkrete Ausführungen von Impedanz-Anpassungsmaßnahmen.
4. Die mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Oberflächenstückantenne für mehrere Bänder beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da ein Anpassen der Eingangsimpedanz der Antenne mittels einem Ändern der Länge der Anpassungsbrücke, was letztlich durch ein einfaches Ändern des Ortes des geerdeten Stabs erzielt wird, aus dem Stand der Technik weder veranlasst noch angeregt wird.
5. Zusammen mit dem Patentanspruch 1 erweisen sich auch die auf diesen jeweils rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6, die die Oberflächenstückantenne für mehrere Bänder nach dem Patentenspruch 1 in nicht selbstverständlicher Weise weiterbilden, und die mit dem nebengeordneten Patentanspruch 7 beanspruchte Kommunikationseinrichtung mit der anmeldungsgemäßen Oberflächenstückantenne als patentfähig.
6. Die Prüfungsstelle hat ihren Zurückweisungsbeschluss unter anderem darauf gestützt, dass die in der Anmeldung offenbarte Erfindung, nämlich die Längenanpassung in dem der Zurückweisung zugrundeliegenden Patentanspruch 1, nicht als patentfähiges Merkmal spezifiziert sei, wie dies § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG fordere.
Gemäß § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG muss die Anmeldung einen oder mehrere Patentansprüche enthalten, in denen angegeben ist, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll. Aus dieser Vorschrift kann hingegen nicht abgeleitet werden, dass – wie die Prüfungsstelle im Beschluss dargelegt hat – die von der Anmelderin vorgelegte Anspruchsfassung bereits patentfähige Merkmale enthalten muss. Ein derartiger Sinngehalt ist im Gesetzeswortlaut nicht enthalten und stellt somit eine unzulässige Auslegung durch die Prüfungsstelle dar.
Da mit dem Anspruch 1 vom 14. September 2010 ein Anspruch in deutscher, nachvollziehbarer Sprache vorlag, der eine Vielzahl von Merkmalen aufweist, gab die Anmelderin hierdurch klar zu verstehen, was sie als Antragstellerin als patentfähig ansieht und wofür sie Schutz begehrt, so dass die Formvorschrift des § 34 Abs. 3 Nr. 3 PatG erfüllt ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Juli 2009 20 W (pat) 17/05, vom 15. April 2009 – 20 W (pat) 71/04 und vom 6. Mai 2013 – 20 W (pat) 3/10).
Die Prüfungsstelle hat den angefochtenen Beschluss des Weiteren unter Hinweis auf § 34 Abs. 4 PatG darauf gestützt, der der Zurückweisung zugrundeliegende Anspruch 1 spezifiziere nicht, wie die Anpassungsbrücke zum Einstellen der Eingangsimpedanz der Antenne erfindungsgemäß geändert werden könne.
Ein etwaiger Offenbarungsmangel kann darin jedoch entgegen der Annahme der Prüfungsstelle nicht gesehen werden. Denn § 34 Abs. 4 PatG fordert, dass die Erfindung in der Anmeldung (Unterstreichung hinzugefügt) so deutlich und vollständig zu offenbaren ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Diesen Anforderungen genügte die der Zurückweisung zugrundeliegende Anmeldung zweifellos, da sie sowohl in den Patentansprüchen 5 und 6 als auch der Beschreibung (vgl. Beschreibung vom 18. Juni 2001, Fig. 3 i. V. m. S. 11, 1. Absatz) ausreichend offenbart hat, mit welchen Maßnahmen die Impedanz angepasst werden soll.
Damit haben die in der Anmeldung enthaltenden Angaben dem fachmännischen Leser so viel an technischer Information vermittelt, dass er mit seinem Fachwissen und seinem Fachkönnen in der Lage war, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Anmeldungsunterlagen in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2011 – X ZR 1/09, GRUR 2011, 707 – Dentalgerätesatz; BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 – X ZR 51/06, GRUR 2010, 901 – Polymerisierbare Zementmischung; BGH, Urteil vom 13. Juli 2010 – Xa ZR 126/07, GRUR 2010, 916 Klammernahtgerät).
7. Die Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr entspricht hier wegen eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers der Billigkeit (§ 80 Abs. 3 PatG).
Die Prüfungsstelle hat den Antrag auf Anhörung (§ 46 PatG) in der in den Akten befindlichen Urschrift des angefochtenen Beschlusses mit der Begründung abgelehnt, dass sie darin keine Sachdienlichkeit mehr sehe. Die Anmelderin habe das zweimalige Angebot der Prüfungsstelle, in der gesetzten Frist einen Anhörungstermin zur Sachaufklärung zu vereinbaren, nicht angenommen. Auch die eindeutigen Hinweise auf einen erteilungsfähigen Hauptanspruch seien zweimal ignoriert worden. Dass die Anmelderin in einer Anhörung anders handeln würde, sei unlogisch, und der „vorbeugungshalber“ gestellte Antrag auf Anhörung unter diesen Rahmenbedingungen als reine Verzögerungstaktik zu interpretieren. Das verwaltungsrechtliche Gebot der Prozessökonomie der Patentämter stehe in diesem Fall im Widerspruch zur Sachdienlichkeit.
Die Urschrift dieses Beschlusses stimmt mit dem bei den Akten befindlichen Doppel der Beschlussausfertigung, die auch der Anmelderin übermittelt wurde, insoweit nicht überein, als es in Letzterer dazu noch weitergehend heißt (Abweichung unterstrichen): „Das verwaltungsrechtliche Gebot der Prozessökonomie bei dem allseits kritisierten Aktenstau der Patentämter steht in diesem Fall im Widerspruch zur Sachdienlichkeit.“
Aus dem Akteninhalt ist für den Senat nicht erkennbar, aus welchen Gründen Ausfertigung und Urschrift voneinander abweichen. Unabhängig vom Vorliegen dieser verfahrensfehlerhaften Abweichung vermag weder die in der Urschrift noch die in der Ausfertigung enthaltene Begründung der Prüfungsstelle die Ablehnung einer Anhörung zu rechtfertigen.
Eine Anhörung ist vor Änderung des § 46 Abs. 1 PatG durch Artikel 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Novellierung patentrechtlicher Vorschriften und anderer Gesetze des gewerblichen Rechtsschutzes vom 19. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3830), mit der eine Anhörung auf Antrag ab 1. April 2014 obligatorisch eingeführt wurde, schon dann als sachdienlich erachtet worden, wenn konkrete entscheidungserhebliche Sach- und Rechtsfragen zwischen Prüfungsstelle und Anmelder noch nicht abschließend geklärt sind und von der Anhörung Aufschluss darüber erwartet werden kann (Schulte/Rudloff-Schäffer, Patentgesetz, 9. Aufl., § 46 Rn. 12 m. w. N.) bzw. wenn der Anmelder durch Eingehen auf Einwände gezeigt hat, dass er an zielgerichteter Weiterführung des Verfahrens interessiert ist und eine mündliche Erörterung eine schnellere und bessere Klärung verspricht als die (weitere) schriftliche Auseinandersetzung (Senatsbeschluss vom 6. Mai 2013 20 W (pat) 3/10; Schulte/Rudloff-Schäffer, a. a. O. Rn. 11 m. w. N.).
Dies ist hier zu bejahen. Die Prüfungsstelle hat bei ihrer Ablehnung des Antrags auf Anhörung offensichtlich nicht berücksichtigt, dass die Anmelderin in ihrer Eingabe vom 14. September 2010 auf die Argumente der Prüfungsstelle insoweit eingegangen ist, als sie einen geänderten Anspruchssatz der Patentansprüche 1 bis 8 eingereicht hat und für den Fall, dass sich noch weitere Fragen ergeben sollten, – neben ihrem wiederholt gestellten Antrag auf Anhörung – gleichzeitig auch die Bereitschaft zu einer telefonischen Rücksprache signalisiert hat. Sie hat damit klar zum Ausdruck gebracht, dass sie an einer zielgerichteten Weiterführung des Verfahrens interessiert ist und noch Diskussionsbedarf zur Sachaufklärung sieht. Die Prüfungsstelle hat für diesen Fall offenbar (zunächst) selbst eine Anhörung für sachdienlich erachtet, da sie sowohl in ihrem Erstbescheid vom 13. November 2009 als auch in ihrem Zweitbescheid vom 26. April 2010 jeweils am Schluss ausgeführt hat: „Falls die Anmelderin noch Diskussionsbedarf zur Sachaufklärung sieht, hat sie in der gesetzten Frist telefonisch einen Anhörungstermin mit der Prüfungsstelle zu vereinbaren (§ 46 Abs. (1) PatG).“ An dieser Beurteilung der Sachdienlichkeit muss sie sich festhalten lassen.
Soweit die Prüfungsstelle ihre Ablehnung der Anhörung mit dem Hinweis begründet hat, die Anmelderin sei dem zweimaligen Angebot der Prüfungsstelle zur Durchführung einer Anhörung zwecks Sachaufklärung nicht nachgekommen, hat sie zum Einen übersehen, dass die Anmelderin ihren Antrag auf Anhörung mit Eingabe vom 14. September 2010 – nach der Aufforderung der Prüfungsstelle im Bescheid vom 26. April 2010, mit ihr in der gesetzten Frist telefonisch einen Anhörungstermin zu vereinbaren - erneut gestellt hat. Zum Anderen hat sie auch verkannt, dass es nicht dem Anmelder als Antragsteller obliegt, einen Anhörungstermin festzusetzen bzw. telefonisch mit der Prüfungsstelle zu vereinbaren. Vielmehr muss die Anberaumung einer Anhörung seitens der Prüfungsstelle erfolgen, wobei sie den Anmelder hierfür gemäß § 46 Abs. 1 PatG ordnungsgemäß laden muss (Schulte/Rudloff-Schäffer, a. a. O., § 46 Rn. 8, 10).
Der Umstand, dass die Anmelderin der zweimaligen Aufforderung der Prüfungsstelle nach einer telefonischen Terminabsprache nicht nachgekommen ist, kann daher nicht als Verzicht auf die Durchführung der beantragten Anhörung gewertet werden. Auch der Hinweis der Prüfungsstelle auf eine „reine Verzögerungstaktik“ geht vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen fehl.
Die von der Anmelderin nochmals mit der Eingabe vom 14. September 2010 beantragte Anhörung war daher bei objektiver Betrachtung sachdienlich und hätte von der Prüfungsstelle nicht unter Verweis auf „das verwaltungsrechtliche Gebot der Prozessökonomie“ abgelehnt werden dürfen. Das Unterlassen der sachdienlichen Anhörung stellt wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar. Dieser war für die Beschwerdeeinlegung auch ursächlich, so dass die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach § 80 Abs. 3 PatG gerechtfertigt erscheint.