Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 15.03.2019


BVerwG 15.03.2019 - 20 F 7/17

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO
Entscheidungsdatum:
15.03.2019
Aktenzeichen:
20 F 7/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:150319B20F7.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OVG Lüneburg, 8. Mai 2017, Az: 14 PS 1/17, Beschlussvorgehend VG Hannover, 15. Februar 2017, Az: 10 A 1506/17

Gründe

I

1

Der Kläger begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren Einsicht in die vollständigen über ihn geführten Akten des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Beklagten.

2

Mit Verfügung vom 26. Oktober 2016 forderte das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren die Beklagte auf, die vollständige Patientenakte des Klägers vorzulegen, weil diese für die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts benötigt werde. Hierauf legte die Beklagte die angeforderten Unterlagen vor, diese jedoch teilweise nur mit Schwärzungen (Abdeckung von Textteilen).

3

Zu den Schwärzungen gab der Beigeladene unter dem 23. Dezember 2016 eine Sperrerklärung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ab, die er mit Schreiben vom 16. Januar 2017 geringfügig redaktionell korrigierte. Die Sperrerklärung beziehe sich auf Teile der elektronischen Dokumentation des Sozialpsychiatrischen Dienstes in S. Diese werde von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geführt, um unter anderem persönliche und telefonische Kontakte mit dem Klienten, aber auch mit Angehörigen und Personen aus dessen persönlichem und beruflichem Umfeld festzuhalten; insbesondere würden auch persönliche und telefonische Gespräche dokumentiert, in denen diese Personen Hinweise auf das Verhalten des Klienten gäben. In dem sechsseitigen Ausdruck der elektronischen Dokumentation seien die Namen der Kontakt aufnehmenden bzw. kontaktierten Personen und die Vermerke über den Inhalt der Gespräche in der Spalte "Bemerkung" geschwärzt, soweit der festgehaltene Inhalt des Gesprächs Rückschlüsse auf die Person des oder der Hinweisgebenden zulasse und damit deren Identifikation ermögliche. Diese teilweisen Schwärzungen seien zum Schutz des privaten Interesses von hinweisgebenden Personen an der Geheimhaltung ihrer Identität und der Gesprächsinhalte sowie des öffentlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit des Sozialpsychiatrischen Dienstes erforderlich. Demgegenüber müsse das private Interesse des Klägers an einer Akteneinsicht zurücktreten. Eine andere Ermessensbetätigung sei auch mit Blick auf die vom Kläger in Frage gestellte Richtigkeit der von Dritten gegebenen Hinweise nicht geboten. Der Informantenschutz sei grundsätzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Information. Es lägen zudem keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Angaben falsch seien oder die Informanten wider besseres Wissen oder leichtfertig gehandelt hätten.

4

Auf Antrag des Klägers legte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Februar 2017 das Verfahren dem Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung vor. Zur Begründung führte es aus, dass die in der Sperrerklärung bezeichneten Teile der Patientenakte entscheidungserheblich seien. Der Kläger habe einen verfassungsunmittelbaren grundsätzlichen Anspruch auf Einsicht in seine Krankenunterlagen. Dieser Anspruch gelte zwar nicht uneingeschränkt. Als entgegenstehende Rechtsgüter seien bei der Abwägung insbesondere die Persönlichkeitsrechte der behandelnden Ärzte und deren Interesse an der Vertraulichkeit ihrer Einträge in die Krankenakte, Persönlichkeitsrechte Dritter und ihr Interesse an der Vertraulichkeit von ihnen mitgeteilter Einschätzungen als auch denkbare ungünstige Auswirkungen auf das Dokumentationsverhalten der Ärzte oder das Verhalten des Klägers selbst zu berücksichtigen. Eine den grundrechtlichen Anforderungen genügende Ermittlung der zu berücksichtigenden Belange und die Abwägung zwischen ihnen seien ohne Kenntnis der geschwärzten Passagen nicht möglich. Entsprechendes gelte für den einfachrechtlichen Anspruch des Klägers auf Akteneinsicht aus § 32 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG) vom 16. Juni 1997 (Nds. GVBl. S. 272) in Verbindung mit § 16 Abs. 1 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes (NDSG) in der Fassung vom 29. Januar 2002 (Nds. GVBl. S. 22) und § 36 Satz 2 NPsychKG. Ob dieser Anspruch im konkreten Fall ausgeschlossen sei oder ob er gegebenenfalls ohne Vorlage der Unterlagen durch mündliche Auskunft erfüllt werden könne, sei ohne Kenntnis der geschwärzten Passagen nicht möglich.

5

Mit Beschluss vom 8. Mai 2017 hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts festgestellt, dass die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 23. Dezember 2016 in der Fassung vom 16. Januar 2017 rechtmäßig ist. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

6

Die zulässige Beschwerde ist nur zu einem geringen Teil begründet. Die Sperrerklärung ist in Bezug auf die letzten zwei Zellen rechtswidrig. Im Übrigen hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zutreffend entschieden, dass die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 23. Dezember 2016 in der Fassung vom 16. Januar 2017 rechtmäßig ist.

7

Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat das Vorliegen von Weigerungsgründen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO, die mit der Sperrerklärung für einzelne Felder in dem Ausdruck der elektronischen Dokumentation des Sozialpsychiatrischen Dienstes geltend gemacht wurden, unter Anlegung der zutreffenden rechtlichen Maßstäbe geprüft.

8

Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2017 - 20 F 16.17 - ZD 2018, 548 Rn. 6). Im Falle des Informantenschutzes tritt neben das grundrechtlich abgesicherte Interesse des Betroffenen, seine persönlichen Daten geheim zu halten, das öffentliche Interesse, die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben sicherzustellen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 10 f. m.w.N.). Sind Behörden bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auf Angaben Dritter angewiesen, dürfen sie zum Schutz des Informanten dessen Identität geheim halten (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2003 - 2 C 10.02 - BVerwGE 118, 10 <14>). Nicht jede öffentliche Aufgabe rechtfertigt indes die Annahme, Informationen von Seiten Dritter seien zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe unerlässlich. Die Aufgabe, auf die die behördlichen Ermittlungen ausgerichtet sind, muss vielmehr dem Schutz gewichtiger Rechtsgüter dienen (BVerwG, Urteil vom 30. April 1965 - 7 C 83.63 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 7 S. 11; Beschluss vom 1. August 2011 - 20 F 26.10 - juris Rn. 6). Der Sozialpsychiatrische Dienst der Beklagten erfüllt durch das Anbieten oder Vermitteln von Hilfen für Personen mit einer psychischen Krankheit, einer seelischen Behinderung oder mit Anzeichen für solche Krankheiten oder Behinderungen gemäß § 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1, § 6 NPsychKG ebenso wie bei der Prüfung einer Unterbringung gemäß § 13 NPsychKG öffentliche Aufgaben im Bereich des Schutzes der Bevölkerung vor konkreten Gesundheitsgefahren. Die Erfüllung dieser Aufgaben dient dem Schutz eines gewichtigen Rechtsgutes. Die Möglichkeiten der zuständigen Behörden, durch eigene Ermittlungen Kenntnis vom Hilfebedarf Betroffener zu erhalten, sind aus personellen Gründen beschränkt; eine effektive Gefahrenabwehr setzt Hinweise auf mögliche Gefahrensituationen durch Dritte voraus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. August 2011 - 20 F 23.10 - juris Rn. 9). Der Sozialpsychiatrische Dienst ist gerade auf die Mitwirkung von Personen aus dem Umfeld möglicherweise hilfebedürftiger Personen angewiesen, deren Mitwirkungsbereitschaft sinken würde, wenn ihr Verhältnis zu der betroffenen Person durch deren Kenntnis von dem Kontakt zum Sozialpsychiatrischen Dienst belastet wäre. Daher rechtfertigen die Aufgaben des Sozialpsychiatrischen Dienstes die Geheimhaltung der persönlichen Daten von Informanten.

9

Der beschließende Fachsenat hat sich durch Durchsicht des ihm im vollständigen Original vorliegenden Ausdrucks der elektronischen Dokumentation des Sozialpsychiatrischen Dienstes davon überzeugt, dass die Schwärzungen - wie in der Sperrerklärung angegeben - "Personen aus dem persönlichen/beruflichen Umfeld des Klägers" oder aber Gesprächsinhalte betreffen, die Rückschlüsse auf die Person des Hinweisgebenden zulassen und damit deren Identifikation ermöglichen. Es handelt sich damit um personenbezogene Daten, die bereits grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig sind. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts geht hiernach in Bezug auf die Schwärzungen auf Seite 1 bis Seite 5 Zelle 2 zutreffend davon aus, dass der geltend gemachte Weigerungsgrund vorliegt. Etwas anderes gilt allein im Hinblick auf die im Entscheidungsausspruch genannten zwei Zellen. Dort wird von einem Telefongespräch des Sozialpsychiatrischen Dienstes mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers berichtet; dieser Kontakt ist in der beigezogenen Verwaltungsakte bereits offen gelegt worden (Vermerk hierüber auf Blatt 43 der Beiakte). Auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in seinem Schreiben vom 19. Juni 2013 an den Sozialpsychiatrischen Dienst auf das Telefongespräch ausdrücklich hingewiesen. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum der Schutz personenbezogener Daten von Informanten einen Weigerungsgrund begründet. Der Prozessbevollmächtigte ist nicht als Informant über den Kläger tätig geworden, er hat vielmehr im Rahmen seines Mandates mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst verhandelt.

10

Soweit ein Weigerungsgrund besteht, ist auch die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Ermessensausübung nicht zu beanstanden. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat zutreffend ausgeführt, dass der Beigeladene in seiner Sperrerklärung eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten beruhende Ermessensentscheidung getroffen hat, die den rechtlichen Anforderungen genügt. Keine Bedenken bestehen auch dagegen, dass der Beigeladene den Einwänden des Klägers, die dieser gegen die (mutmaßliche) Richtigkeit der von Dritten gegebenen Hinweise erhoben hat, im Rahmen der Ermessensausübung keine Bedeutung zugemessen hat. Denn der Informantenschutz greift grundsätzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Mitteilung (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2014 - 20 F 10.13 - juris Rn. 8). Eine Behörde darf die Vertraulichkeit von Angaben Dritter auch dann wahren, wenn sich Hinweise eines Informanten nachträglich als unzutreffend erweisen. Anderes gilt nur, wenn wider besseres Wissen oder leichtfertig unzutreffende Behauptungen aufgestellt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. August 2011 - 20 F 23.10 - juris Rn. 10); hierfür gibt es allerdings auch nach Durchsicht der ungeschwärzten Unterlagen keinerlei Anhaltspunkte.

11

Von einer weitergehenden Begründung wird abgesehen, weil die Entscheidungsgründe Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten und elektronischen Dokumente nicht erkennen lassen dürfen (§ 99 Abs. 2 Satz 14 in Verbindung mit Satz 10 Halbs. 2 VwGO).

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.