Entscheidungsdatum: 04.03.2010
I.
Die Beteiligten streiten (noch) über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung einer Aktenvorlage, soweit sie einzelne Seiten aus der über den Kläger vom Beklagten geführten Personenakte betrifft.
Der Kläger begehrt in dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht von dem Beklagten Auskunft über alle zu seiner Person gespeicherten Daten sowie die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sammlung dieser Daten und ihrer teilweisen Weitergabe. Die vom Hauptsachegericht mit Beweisbeschluss vom 5. Mai 2006, ergänzt durch Beschluss vom 23. Oktober 2006, angeordnete Aktenvorlage verweigerte der Beigeladene mit Sperrerklärung vom 16. Oktober 2007 teilweise, indem er unter Geltendmachung von Geheimhaltungsgründen bestimmte Aktenteile nicht oder nur teilweise vorlegte. Zu den noch in Streit stehenden Seiten 71 bis 74 der Personenakte des Klägers heißt es in der Sperrerklärung, dass es sich um einen zusammenfassenden Erkenntnisvermerk handele; wenngleich in diesen Vermerk keine quellengeschützten Erkenntnisse eingeflossen seien, werde das Informationsaufkommen in dem angeführten Zeitraum präzise dargestellt und lasse Rückschlüsse auf die Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden zu. Obwohl Aktenstücke zu einzelnen der dargestellten Informationen vorgelegt worden seien, sei der Vermerk in seiner Gesamtheit trotz der verstrichenen Zeit in einer Weise geheimhaltungsbedürftig, dass eine Aktenvorlage unterbleibe. An anderer Stelle der Sperrerklärung heißt es, dass man von einer erwogenen Teilschwärzung wegen des Umfangs der Geheimhaltungsbedürftigkeit abgesehen habe. In dem auf Antrag des Klägers geführten Zwischenverfahren hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 13. Februar 2009 festgestellt, dass (unter anderem) die Verweigerung der Vorlage der Seiten 71 bis 74 der Personenakte des Klägers rechtswidrig sei. Die Blätter enthielten einen Vermerk mit einer Übersicht über Tätigkeiten des Klägers von 1985 bis 1994, die aus allgemein zugänglichen Quellen stammten und dem Kläger durch die geöffneten Teile der Akten ohnehin bekannt seien. Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes lasse der gesperrte Vermerk nicht zu. Ermessenserwägungen, die eine vollständige Zurückhaltung des Vermerks rechtfertigten, seien nicht erkennbar. Dem Beigeladenen bleibe unbenommen, gegebenenfalls durch Schwärzung bestimmter Anmerkungen erneut über die Aktenvorlage zu entscheiden. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat mit Recht festgestellt, dass die Entscheidung des Beigeladenen, die Vorlage der Seiten 71 bis 74 der Personenakte des Klägers insgesamt zu verweigern, rechtswidrig ist.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des betroffenen Landes oder dem Bund Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106 <127 f.>; BVerwG, Beschluss vom 7. November 2002 - BVerwG 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347 <348>), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (Beschlüsse vom 29. Juli 2002 - BVerwG 2 AV 1.02 - BVerwGE 117, 8 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 27, vom 25. Februar 2008 - BVerwG 20 F 43.07 - juris Rn. 10, vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 24.08 - juris Rn. 4 und vom 2. Juli 2009 - BVerwG 20 F 4.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54 Rn. 8).
1. Der beschließende Senat vermag auf der Grundlage der Sperrerklärung vom 16. Oktober 2007 nicht zu erkennen, dass diese Geheimhaltungsgründe eine generelle Verweigerung der Vorlage der in Rede stehenden Seiten rechtfertigen können. Sie enthalten einen zusammenfassenden Erkenntnisvermerk, der teilweise mit Organisationszeichen, Verfügungen und Namenszeichen versehen ist. Hinsichtlich der formalen Merkmale wäre ihre Zurückhaltung, namentlich eine Schwärzung, nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht zu beanstanden, weil sich daraus vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung ableiten lassen (Beschluss vom 23. März 2009 - BVerwG 20 F 11.08 - juris Rn. 9 m.w.N.). Dass Gleiches aber auf den gesamten Vermerk zuträfe, wie der Beigeladene geltend macht, ist nicht zu erkennen. Die Mehrzahl der dort angeführten Erkenntnisse über den Kläger geht auf veröffentlichte Äußerungen zurück bzw. beschränkt sich auf die bloße Mitteilung des Umstandes der Veröffentlichung oder des öffentlichen Auftretens. Ob die Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen stammen, wie der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts angenommen hat, oder ob Flugblätter und - mit der Beschwerde so bezeichnete - Zeitschriften extremistischer Personenzusammenschlüsse keine solchen Quellen sind, weil sie nur lokal und in geringer Stückzahl verbreitet würden, mag dahingestellt bleiben. Der Beigeladene hat in der Sperrerklärung jedenfalls ausdrücklich betont, dass in den Vermerk - was angesichts ihrer Herkunft ohne Weiteres plausibel ist - keine quellengeschützten Erkenntnisse eingeflossen seien. Daran muss er sich festhalten lassen. Es erscheint deshalb nicht verständlich, warum die Freigabe dieser Erkenntnisse gleichwohl die befürchteten Rückschlüsse auf die Informationszugänge der Verfassungsschutzbehörden zulassen soll. Dass der Beklagte überhaupt zur Informationsbeschaffung über den Kläger auch Flugblätter und Zeitschriften ausgewertet hat, ist nicht geheimhaltungsbedürftig, sondern ergibt sich bereits aus den geöffneten Teilen der Akten und ist im Übrigen vom Beklagten mit der Beschwerde selbst vorgetragen worden.
Dass nach den Angaben in der Sperrerklärung das Informationsaufkommen für einen bestimmten Zeitraum in dem Vermerk präzise dargestellt wird, begründet ebenfalls nicht dessen vollständige Sperrung. Der Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde ist gerade der Gegenstand des Auskunftsanspruchs. Eine Verweigerung der Offenlegung mit dem Argument, ansonsten wisse der Betroffene, welche Erkenntnisse der Verfassungsschutz über ihn gesammelt habe, liefe darauf hinaus, jede Offenlegung verweigern zu dürfen. Entscheidend ist vielmehr, sofern kein Quellenschutz in Rede steht, ob die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren würde, weil sie - wenn auch nur in einer Gesamtschau - Rückschlüsse auf deren Arbeitsweise zuließe. Unter diesem Aspekt kann auch der zu einem bestimmten Zeitpunkt bei der Behörde vorhandene Erkenntnisstand geheimhaltungsbedürftig sein, namentlich wenn die Gefahr bestünde, andernfalls eine geheimhaltungsbedürftige Art und Weise der Informationsbeschaffung aufzudecken. Dafür ist hier aber bislang nichts ersichtlich.
Rückschlüsse auf die Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden können sich allerdings ergeben, wenn die Information zwar nur in einer veröffentlichten Äußerung von dem oder über den Betroffenen besteht, etwa einem Zeitungsartikel, aber in bestimmter Weise bearbeitet worden ist, zum Beispiel durch Randnotizen, Hervorhebungen oder Unterstreichungen (vgl. Beschluss vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 9). Damit vergleichbar ist eine auszugsweise oder sinngemäße, auf das nach Ansicht der Verfassungsschutzbehörde Wesentliche reduzierte Wiedergabe einer solchen Äußerung, nicht hingegen eine Information, die sich in der bloßen Mitteilung des Umstands der Veröffentlichung erschöpft. Letzteres unterscheidet sich nicht substanziell davon, dass nur die - als solche regelmäßig nicht geheimhaltungsbedürftige - Veröffentlichung selbst unbearbeitet zur Akte genommen wird.
Für das Vorliegen von Geheimhaltungsgründen ist ferner von Bedeutung, ob es sich um Informationen handelt, die dem Betroffenen durch die geöffneten Teile der Akten ohnehin schon bekannt sind. So ist eine auszugsweise, auf das nach Ansicht der Verfassungsschutzbehörde Wesentliche reduzierte Wiedergabe einer Veröffentlichung nicht mehr geheimhaltungsbedürftig, wenn die durch entsprechende oder jedenfalls nahezu entsprechende Hervorhebungen bearbeitete Veröffentlichung selbst einschließlich der Hervorhebungen bereits zugänglich gemacht wurde. Das betrifft die auf Seite 73 der Personenakte angeführte Veröffentlichung, die der Beklagte in der Beschwerde erwähnt, sowie die Information auf Seite 74 im ersten Absatz. Nicht geheimhaltungsbedürftig sind schließlich Informationen über offenkundige Tatsachen wie etwa die Wahrnehmung von Führungsaufgaben in Verbänden oder Gewerkschaften.
2. Der Umstand, dass der Beigeladene in seiner Sperrerklärung auf eine genauere Differenzierung in dem vorstehend dargestellten Sinne verzichtet und den Vermerk insgesamt als geheimhaltungsbedürftig eingestuft hat, führt zugleich auf einen Ermessensfehler im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Die Vorschrift überlässt der obersten Aufsichtsbehörde die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Insofern ist die Vorschrift des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen eine prozessrechtliche Spezialnorm (stRspr, vgl. nur Beschluss vom 23. März 2009 a.a.O. Rn. 6 m.w.N.). Das bedeutet, dass der obersten Aufsichtsbehörde auch in den Fällen Ermessen zugebilligt ist, in denen das Fachgesetz der zuständigen Fachbehörde kein Ermessen einräumt. Die Sperrerklärung leidet demgemäß daran, dass der Beigeladene - auf der Grundlage seiner unzutreffenden Annahme, die Tatbestandsvoraussetzungen der Geheimhaltungsbedürftigkeit seien insgesamt erfüllt - das Ermessen unterschiedslos und damit in einer der Eigenart der zu treffenden Entscheidung nicht genügenden Weise ausgeübt hat, anstatt genauer zu prüfen, ob nicht eine teilweise Schwärzung der Seiten ausreicht, um den geltend gemachten Geheimhaltungsinteressen in Abwägung mit dem Interesse des Klägers hinreichend Rechnung zu tragen. In der Sperrerklärung hat der Beigeladene ausdrücklich angegeben, wegen des Umfangs der Geheimhaltungsbedürftigkeit von einer erwogenen Teilschwärzung abgesehen zu haben. Da er den Umfang der Geheimhaltungsbedürftigkeit unzutreffend bestimmt hat, ist auch die darauf beruhende Entscheidung, von einer teilweisen Offenlegung abzusehen, fehlerhaft.
3. Die Feststellung der teilweisen Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung hindert den Beigeladenen nicht, erneut eine Sperrerklärung abzugeben und dann bei der Einstufung als geheimhaltungsbedürftig und bei der Ermessensausübung nach den dargestellten Maßstäben und unter Berücksichtigung des Interesses des Klägers an effektivem Rechtsschutz zu differenzieren.