Entscheidungsdatum: 03.03.2014
Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Mai 2013 geändert. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
I
Der Kläger begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren Einsicht in die seinen Sohn betreffenden Akten des Kreisjugendamtes. Vor dem Familiengericht streitet er mit der von ihm zwischenzeitlich geschiedenen Kindesmutter über deren Ausübung des Umgangsrechts mit dem gemeinsamen Kind.
Den wiederholten Antrag auf Akteneinsicht lehnte das Jugendamt unter Hinweis auf das bestandskräftig abgeschlossene vorangegangene Verfahren ab. Der Kreisrechtsausschuss wies den Widerspruch entscheidungstragend wegen des entgegenstehenden Schutzes anvertrauter Sozialdaten nach § 65 Abs. 1 SGB VIII zurück. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Nachdem das Verwaltungsgericht mit der Eingangsverfügung den Beklagten zur vollständigen Vorlage der Akten aufgefordert hatte, gab das Ministerium des Inneren, für Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz als oberste Aufsichtsbehörde unter dem 17. Januar 2013 eine Sperrerklärung hinsichtlich bestimmter Aktenbestandteile ab. Diese Aktenteile - neben Schreiben und E-Mails der Kindesmutter und ihrer Eltern insbesondere Gesprächs- und Telefonnotizen des Jugendamtes - enthielten Sozialdaten im Sinne von § 67 Abs. 1 SGB X, die dem Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 SGB I unterlägen und folglich nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geheim gehalten werden könnten. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei die Geheimhaltungsbedürftigkeit der zurückgehaltenen Unterlagen gegen das Informationsinteresse des Klägers und die Erfordernisse der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung abzuwägen. Hiernach sei das Interesse des Klägers, die Kenntnis des Akteninhalts im familiengerichtlichen Verfahren dazu zu nutzen, unbegleitete Umgangskontakte der Mutter mit dem gemeinsamen Kind zu verhindern, nicht schutz- und unterstützungswürdig. Jedenfalls überwiege dieses Interesse nicht den Sozialdatenschutz und das Interesse der Kindesmutter und ihrer Eltern auf vertraulichen Umgang mit ihren Erklärungen gegenüber dem Jugendamt. Ohne Diskretion im Umgang mit diesen Akten sei die Funktionsfähigkeit des Jugendamts nicht gewährleistet. Schließlich sprächen auch die Erfordernisse einer gerichtlichen Sachaufklärung angesichts der Auswirkungen des Akteneinsichtsrechts nach § 100 VwGO nicht für eine uneingeschränkte Vorlage der Jugendamtsakte.
Auf Antrag des Klägers hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 16. Mai 2013 festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage rechtswidrig ist. Der Antrag sei zulässig. Ein Beweisbeschluss oder eine vergleichbare förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Akten sei entbehrlich, da die Akteneinsicht Streitgegenstand sei und Geheimhaltungsgründe geltend gemacht würden, die sich unmittelbar aus dem Inhalt der Akten ergäben. Die Verweigerung der Vorlage sei rechtswidrig. Die Durchsicht der zurückgehaltenen Aktenteile habe zwar ergeben, dass sie Sozialdaten im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB X enthielten und daher dem Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 SGB I unterfielen. Jedoch sei die Ermessensausübung fehlerhaft. Der Beigeladene habe die besondere Stellung des Klägers als Vater des Kindes, zu dem das Jugendamt die Akten führe, verkannt. Er sei insoweit jedenfalls kein außenstehender Dritter, sondern zumindest von der Mitwirkung des Jugendamts im familiengerichtlichen Umgangsrechtsstreit mitbetroffen. Hinzu komme, dass ihm als Kindesvater aus den familiengerichtlichen Verfahren der weitaus größte Teil des Inhalts der Jugendamtsakten zu seinem Sohn ohnehin bekannt sei und er sehr umfangreiche und detaillierte Kenntnis von den gesundheitlichen und sonstigen persönlichen Verhältnissen der Kindesmutter sowie von den Angaben ihrer Eltern erlangt habe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
II
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts die Rechtwidrigkeit der Vorlageverweigerung festgestellt. Eine Sachprüfung war ihm verwehrt. Denn der Antrag des Klägers ist - derzeit - unzulässig.
Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf Entscheidung des Fachsenat im selbständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung der Vorlage der in Rede stehenden Akten rechtmäßig ist, setzt grundsätzlich voraus, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen ordnungsgemäß bejaht hat. An einem hiernach in aller Regel erforderlichen Beweisbeschluss oder einer vergleichbaren förmlichen Äußerung des Verwaltungsgerichts zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits fehlt es. Das Verwaltungsgericht hat die Akten lediglich formularmäßig - ohne dokumentierte rechtliche Erwägungen - mit der Eingangsverfügung angefordert. Dieses Vorgehen wäre nur dann unschädlich, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind. Davon kann jedoch - entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts - nicht ausgegangen werden. Einer förmlichen Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit bedarf es zwar dann nicht, wenn die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten bereits Streitgegenstand des Verfahrens zur Hauptsache ist und die dortige Entscheidung von der - allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden - Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind (Beschlüsse vom 21. Januar 2014 - BVerwG 20 F 1.13 - juris Rn. 14, vom 19. April 2010 - BVerwG 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 4 und vom 22. Januar 2009 - BVerwG 20 F 5.08 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 53 Rn. 2, jeweils m.w.N.). Letzteres bedarf hier aber angesichts der Ausführungen im Widerspruchsbescheid der Darlegung durch das Gericht der Hauptsache.
Der Widerspruchsbescheid führt zwar aus, dass dem Akteneinsichtsbegehren des Klägers jedenfalls das besondere Weitergabeverbot für anvertraute Sozialdaten gemäß § 65 Abs. 1 SGB VIII entgegenstehe. Die Sperrerklärung zieht demgegenüber insoweit das allgemeine Sozialgeheimnis nach § 35 Abs. 1 SGB I heran. Auf diese Einordnung der Unterlagen, die sich - in Bezug auf den Schutz nach § 65 Abs. 1 SGB VIII zumindest auch - nach inhaltlichen Kriterien richtet, kommt es nach den Begründungserwägungen im Widerspruchsbescheid indessen dann nicht an, wenn der Kläger den Anspruch auf Einsicht in Akten, die das Jugendamt im Hinblick auf die Mitwirkung an einem familiengerichtlichen Verfahren (§ 2 Abs. 3 Nr. 6, § 50 SGB VIII) angelegt hat, allein vor den zuständigen Familiengerichten geltend machen kann. Mit dieser Rechtsauffassung, zu deren Stützung der Widerspruchsbescheid auf mehrere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen verweist (VG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 4 K 2344/12 - juris Rn. 20 und VGH München, Beschluss vom 2. Dezember 2011 - 12 ZB 11.1386 - juris Rn. 10), setzt das Verwaltungsgericht sich nicht auseinander. Aufgrund der Aufgabenverteilung zwischen Fachsenat und Gericht der Hauptsache kann das im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht nachgeholt werden. In dieser Situation kann der beschließende Senat nicht erkennen, dass die Kenntnis vom Inhalt der zurückgehaltenen Akten für die Entscheidung des Hauptsachegerichts zweifelsfrei rechtserheblich ist.
Eine nachvollziehbare Verlautbarung über die Entscheidungserheblichkeit ist schließlich nicht deswegen entbehrlich, weil der Beigeladene eine Sperrerklärung abgegeben hat und dabei das ihm nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO grundsätzlich zustehende Ermessen betätigt hat. Eine solche vorgreifliche Ermessensentscheidung genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht (Beschluss vom 31. August 2009 - BVerwG 20 F 10.08 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 55 Rn. 5).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.