Entscheidungsdatum: 29.11.2012
Der 27 Jahre alte Soldat wurde zum August 2006 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine auf 12 Jahre verlängerte Dienstzeit wird mit Ablauf des September 2016 enden. Er wurde regelmäßig befördert, zuletzt im März 2010 zum Feldwebel. Im Mai 2007 war er zur ... in D. versetzt worden. Von dort aus war er im Rahmen seiner Ausbildung zum Militärkraftfahrlehrer unter anderem an das ...zentrum ... in U. kommandiert.
Der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 17. Oktober 2012 und die Auskunft aus dem Zentralregister vom 15. Oktober 2012 verweisen auf das seit dem 30. Juni 2011 rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Ul. vom 2. Mai 2011. Durch diese Entscheidung wurde der Soldat wegen eigenmächtiger Abwesenheit nach § 15 Abs. 1, §§ 12, 14a Abs. 1 WStG zu einem zur Bewährung ausgesetzten Strafarrest von zwei Monaten verurteilt. Dieses Urteil betrifft den Sachverhalt, der auch Gegenstand des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ist.
Das gerichtliche Disziplinarverfahren war nach Anhörung des Soldaten mit Verfügung des Befehlshabers des Wehrbereichskommandos ... vom 20. Dezember 2010 eingeleitet und zugleich bis zum rechtskräftigen Abschluss des sachgleichen Strafverfahrens vorläufig ausgesetzt worden. Der Anhörung der Vertrauensperson hatte der Soldat zuvor widersprochen. In der Einleitungsverfügung waren folgende Vorwürfe erhoben worden:
"1. Sie verließen am 19. April 2010 Ihre Einheit, die ...kompanie ... D. in ... D. und blieben ihr ohne Genehmigung Ihres Disziplinarvorgesetzten bis zum 02. Mai 2010 fern.
2. An einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 27. April 2010 und 03. Mai 2010 trugen Sie in die Kopie des Gesprächsnachweises über Krankmeldung von standortfremden Soldaten vom 27. April 2010 in der Zeile 'kzH bis' handschriftlich das Datum '30/04/10' ein, obwohl sich auf dem Durchschlag in Ihrer G-Kartei (Original) keine Eintragung in dieser Zeile befindet und Sie von Oberstabsarzt F. im Sanitätszentrum L. am 27. April 2010 lediglich für eine Woche den Status 'Marsch, Sport und Gelände nach eigenem Ermessen' erhalten hatten.
3. Diese manipulierte Kopie des Gesprächsnachweises legten Sie am 03. Mai 2010 im Sanitätszentrum L., wo letztendlich die Manipulation bemerkt wurde, in der Anmeldung bei der Auszubildenden W. vor, um damit zu erreichen, dass ein Fernschreiben an Ihre Einheit verschickt würde mit der Mitteilung 'kzH' bis 30.04.2010."
Schlussgehör wurde dem Soldaten am 4. Mai 2011 gewährt. Am selben Tag forderte die Wehrdisziplinaranwaltschaft einen Auszug aus dem Disziplinarbuch und eine Auskunft über die Dienstbezüge des Soldaten an. Am 24. Mai 2011 fragte sie bei der Staatsanwaltschaft nach dem Sachstand des sachgleichen Strafverfahrens an und bat um Überlassung der Akten. Nach dem Eingang eines mit Rechtskraftvermerk versehenen Urteils im sachgleichen Strafverfahren bei der Wehrdisziplinaranwaltschaft am 8. Juli 2011 bat diese die Staatsanwaltschaft am 10. August 2011 um Übersendung der Ermittlungsakte und holte am selben Tage eine Entscheidung der Einleitungsbehörde über die Einreichung der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht ein.
Mit Anschuldigungsschrift vom 10. August 2011 hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Soldaten folgenden Sachverhalt als Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 7, 13, 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2. SG unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SG zur Last gelegt:
"1. Der Soldat verließ am 19. April 2010 seine Einheit, das ...zentrum ... U. in ... U. und blieb ihr ohne Genehmigung seines Disziplinarvorgesetzten bis zum 02. Mai 2010 fern.
2. An einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 27. April 2010 und 03. Mai 2010 trug der Soldat in die Kopie des Gesprächsnachweises über Krankmeldung von standortfremden Soldaten vom 27. April 2010 in die Zeile 'kzH bis' handschriftlich das Datum '30/04/10' ein, obwohl sich auf dem Durchschlag in seiner G-Kartei (Original) keine Eintragung in dieser Zeile befindet und er von Oberstabsarzt F. im Sanitätszentrum L. am 27. April 2010 lediglich für eine Woche den Status 'Marsch, Sport und Gelände nach eigenem Ermessen' erhalten hatte.
3. Diese manipulierte Kopie des Gesprächsnachweises legte der Soldat am 03. Mai 2010 im Sanitätszentrum L., wo letztendlich die Manipulation bemerkt wurde, in der Anmeldung bei der Auszubildenden W. vor, um damit zu erreichen, dass ein Fernschreiben an seine Einheit verschickt würde mit der Mitteilung 'kzH' bis 30.04.2010."
Die 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat mit Urteil vom 15. Dezember 2011 gegen den in der Hauptverhandlung durch einen Wahlverteidiger vertretenen Soldaten wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von drei Jahren und zusätzlich eine Kürzung seiner Dienstbezüge in Höhe von 1/20 für die Dauer von 18 Monaten verhängt.
Ihrer Entscheidung legt die Kammer die sie nach § 84 Abs. 1 WDO bindenden Sachverhaltsfeststellungen des rechtskräftigen Strafurteils des Amtsgerichts Ul. zugrunde, die wie folgt lauteten:
"Der Angeklagte ist seit 1. Oktober 2004 für die Dauer von 12 Jahren Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Er verrichtet seinen Dienst bei der ...kompanie ... in D.. Als Feldwebel ist er derzeit Fahrlehrer im Praktikum.
Im Anschluss an einen einwöchigen Urlaub zog sich der Angeklagte am 11. April 2010 bei einem Fußballspiel eine Knieverletzung zu. Es war ihm deshalb nicht möglich, am Montag, den 12. April 2010 seinen Dienstort beim ...zentrum in U. aufzusuchen, wohin er seit Februar 2010 als Feldwebel abkommandiert worden war. Der Angeklagte begab sich deshalb am 12. April 2010 zu dem seinem Heimatort R. nächstgelegenen Sanitätsbereich, dem Sanitätszentrum in L.. Dort wurde er vom zuständigen Truppenarzt wegen seiner Sportverletzung bis einschließlich 18. April 2010 mit der Empfehlung KzH krankgeschrieben. In dieser Zeit hielt sich der Angeklagte in seiner Wohnung in R. auf.
Wegen einer Beziehungskrise trank der Angeklagte insbesondere am 18. April 2010 übermäßig Alkohol. Deshalb war er am 19. April 2010 nicht in der Lage, erneut den Truppenarzt in L. aufzusuchen. Erst am 20. April 2010 stellte er sich dort vor. Dabei erhielt er vom Truppenarzt OSA Dr. F. keine KzH-Empfehlung mehr, sondern wurde ab 20. April 2010 lediglich bis zum 27. April 2010 vom Marsch-, Sport- und Geländedienst befreit.
Obwohl dem Angeklagten bewusst war, dass er aufgrund der Beurteilung des Arztes seinen Dienst bei seiner Einheit, dem ...zentrum U. antreten musste, blieb er in der Folgezeit bis zum 2. Mai 2010 an seinem Wohnort in R., ohne sich bei seiner Einheit zu melden. Während dieser Zeit befand er sich noch wegen seiner gescheiterten Beziehung in einem schlechten psychischen Zustand und trank vermehrt Alkohol. Erst am 3. Mai 2010 suchte der Angeklagte erneut das Sanitätszentrum L. auf. Dabei legte er den ihm am 20. April 2010 ausgehändigten Gesprächsnachweis des OSA Dr. F. vor, den er nachträglich selbst mit einer KzH-Empfehlung versehen hatte, und fragte ob seine Einheit, das ...zentrum U. am 24. April 2010 von seiner Krankschreibung mit KzH-Empfehlung unterrichtet worden sei. Auf diese Weise wollte der Angeklagte seine unerlaubte Abwesenheit in der Zeit vom 19. April 2010 bis zum 2. Mai 2010 verschleiern."
Einen Lösungsbeschluss rechtfertigende Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen habe die Kammer nicht. Der Soldat habe durch die eigenmächtige Abwesenheit vorsätzlich seine Pflicht zum treuen Dienen aus § 7 SG verletzt. Die Abänderung des ärztlichen Gesprächsnachweises und das Ansinnen, dies seiner Einheit zur Kenntnis zu geben, verletze vorsätzlich die Wahrheitspflicht des § 13 Abs. 1 SG. Zugleich liege darin ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 1 SG. Als Vorgesetzter hafte der Soldat für das Dienstvergehen nach § 10 Abs. 1 SG verschärft.
Die Kriminalstrafe schließe eine schwerere Maßnahme als eine Bezügekürzung nicht aus. Das eigenmächtige Fernbleiben stelle ein schwerwiegendes Versagen im Kernbereich der Dienstpflichten dar. Vor allem ein Vorgesetzter büße hierdurch erheblich an Vertrauen bei seinen Vorgesetzten ein und beeinträchtige sein Ansehen und seine Autorität gegenüber Untergebenen. Regelmäßig sei bei kürzerer eigenmächtiger Abwesenheit auf eine Dienstgradherabsetzung, bei länger dauernder oder wiederholter eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht auf Entfernung aus dem Dienstverhältnis zu erkennen. Das Fehlverhalten sei nicht während einer Freistellung vom militärischen Dienst während einer Ausbildung zum Dienstzeitende erfolgt und wiege daher auch nicht leichter. Der Soldat habe sich in einer schwierigen persönlichen Lage befunden. Im militärischen Dienstverhältnis seien aber längere lehrgangs- oder einsatzbedingte Trennungszeiten hinzunehmen, die persönliche Beziehungen mehr als in anderen Berufen üblich belasteten. Eine Dienstgradherabsetzung würde dazu führen, dass die mit hohem auch finanziellem Aufwand verbundene Ausbildung des Soldaten zum Militärkraftfahrer umsonst gewesen wäre. Das Fehlen des Soldaten habe sich im Dienstbetrieb wegen des Zusammenhanges mit seiner Erkrankung nicht ausgewirkt. Zu seinen Gunsten sprächen Reue, Unrechtseinsicht und das Geständnis sowie die bisherigen dienstlichen Leistungen. Daher könne von der Dienstgradherabsetzung abgesehen und ein längeres Beförderungsverbot verhängt werden. Dies sei allerdings zur weiteren Pflichtenmahnung mit einer längeren Kürzung der Dienstbezüge zu verbinden.
Gegen das Urteil hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft zu Ungunsten des Soldaten beschränkt auf das Disziplinarmaß Berufung eingelegt. Sie greift im Einzelnen die Bemessungserwägungen an und will die Verhängung einer schärferen Maßnahme erreichen.
Den Beteiligten ist durch gerichtliche Verfügung vom 15. November 2012 Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Frage gegeben worden, ob eine Verletzung des § 97 Abs. 3 WDO Anlass zu einer Aufhebung des Urteils und eine Zurückverweisung an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung gibt. Der Anregung des Verteidigers, nach § 120 WDO durch Beschluss zu entscheiden, ist der Bundeswehrdisziplinaranwalt auf ausdrückliche Nachfrage nicht entgegen getreten.
Die zulässige Berufung (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO) führt zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung, weil ein schwerer Mangel des Verfahrens vorliegt (§ 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO). Die Entscheidung ergeht nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung (§ 120 Abs. 1 WDO) in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 WDO).
1. Ein schwerer Mangel des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO liegt zwar nicht darin, dass das Truppendienstgericht dem Soldaten keinen Pflichtverteidiger nach § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO bestellt hat.
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers kommt nicht in Betracht, wenn der angeschuldigte Soldat bereits einen Wahlverteidiger bestellt und dieser das Mandat nicht niedergelegt hat (Beschluss vom 31. August 2005 - BVerwG 2 WDB 4.05 - NZWehrr 2006, 39).
Hier ist in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht für den Soldaten ein zuvor von ihm bevollmächtigter Verteidiger aufgetreten. Von der Möglichkeit, sein Wahlmandat niederzulegen und die Beiordnung als Pflichtverteidiger zu beantragen, hat er keinen Gebrauch gemacht. Unerheblich ist, dass das Mandat erst kurz vor der Hauptverhandlung erteilt worden ist. Der Wahlverteidiger hätte eine Vertagung beantragen müssen, wenn ihm eine sachgerechte Vorbereitung auf die Hauptverhandlung nicht möglich gewesen wäre. Dies lag hier allerdings schon deshalb fern, weil der Verteidiger den Soldaten bereits im sachgleichen Strafverfahren verteidigt hatte.
2. Ein schwerer Mangel des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO liegt aber darin, dass der Vorsitzende der Truppendienstkammer es unterlassen hat, den Wehrdisziplinaranwalt nach § 99 Abs. 3 Satz 1 WDO aufzufordern, dem Soldaten rechtliches Gehör nach § 97 Abs. 3 WDO zu gewähren (vgl. Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 97 Rn. 13).
Das Unterbleiben einer Aufforderung nach § 99 Abs. 3 Satz 1 WDO zur Beseitigung eines vorgerichtlichen Verfahrensmangels in der Form eines den Anforderungen des § 97 Abs. 3 WDO nicht genügenden abschließenden Gehörs begründet einen schweren Mangel des gerichtlichen Verfahrens, der in Ermangelung einer Aufforderungsmöglichkeit durch den Senat gemäß § 121 Abs. 2 WDO bzw. § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO zwingend zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts führt (Beschluss vom 21. Dezember 2011 - BVerwG 2 WD 26.10 - juris Rn. 27 m.w.N.).
Eine unterbliebene Schlussanhörung durch den Wehrdisziplinaranwalt stellt einen schweren Mangel des vorgerichtlichen Verfahrens in der Form der Nichtbeachtung einer vom Gesetzgeber als zwingend ausgestalteten Verfahrensvorschrift dar. Die in § 97 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 WDO zwingend vorgesehene Gewährung des Schlussgehörs dient der Sicherstellung eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens, in dem der Soldat nicht bloßes Objekt des Verfahrens ist, sondern aktiv eigene Rechte einschließlich desjenigen, weitere Ermittlungen zu beantragen (§ 97 Abs. 3 Satz 2 WDO), geltend machen kann. Die Norm ist deshalb keine bloße Ordnungsvorschrift.
Die Verfahrensgrundrechte des Soldaten reduzieren das dem Vorsitzenden der Truppendienstkammer gemäß § 99 Abs. 3 WDO eingeräumte Ermessen. Dieser hätte von der hiernach bestehenden Möglichkeit der Aufforderung zur Mängelbeseitigung Gebrauch machen müssen, weil nach der Schlussanhörung am 4. Mai 2011 durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft weiter ermittelt wurde, ohne dass dem Soldaten Gelegenheit gegeben wurde, zu den Ergebnissen dieser weiteren Ermittlungen Stellung zu nehmen.
a. Nimmt der Wehrdisziplinaranwalt nach einer als Schlussanhörung im Sinne des § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO vorgesehenen Vernehmung erneut Ermittlungen auf, so hat er den Soldaten nach dem (endgültigen) Abschluss dieser Ermittlungen erneut - nunmehr abschließend - zu hören (so Beschluss vom 12. April 2006 - BVerwG 2 WDB 3.05 - Buchholz 450.2 § 97 WDO 2002 Nr. 1; ebenso Dau, a.a.O. § 97 Rn. 15): Das ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, der in § 97 Abs. 3 Satz 1 WDO die Pflicht zur Schlussanhörung zeitlich an den Abschluss der Ermittlungen knüpft. Nur dann ist sichergestellt, dass der Soldat vor der abschließenden Entscheidung der Einleitungsbehörde auch zu allen vorherigen (wesentlichen) Ermittlungshandlungen Stellung nehmen und sein Recht nach § 97 Abs. 3 Satz 2 WDO, weitere Ermittlungen zu beantragen, effektiv ausüben kann. Durch § 97 Abs. 3 WDO soll sichergestellt werden, dass der Soldat unmittelbar vor der abschließenden Ermessensentscheidung der Einleitungsbehörde, die entweder zur Verfahrenseinstellung (§ 98 Abs. 2 WDO) oder zur Anschuldigung (§ 99 Abs. 1 Satz 1 WDO) führt, zu dem ihm bekannt zu gebenden wesentlichen Ermittlungsergebnis abschließend Stellung nehmen und dabei auch alles das vorbringen kann, wozu er bisher wegen der andauernden Ermittlungen noch nichts sagen konnte oder aus taktischen Erwägungen nichts sagen wollte. Damit und mit dem daran anknüpfenden Recht, weitere Ermittlungen beantragen zu dürfen (§ 97 Abs. 3 Satz 2 WDO), soll der Soldat auf die nachfolgende Entscheidung der Einleitungsbehörde effektiv Einfluss nehmen können. Das stellt eine Ausprägung des Grundsatzes dar, dass der Soldat nicht zum bloßen Objekt des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gemacht werden darf.
b. Diesen Anforderungen genügte das Ermittlungsverfahren nicht.
Der Sachstand im sachgleichen Strafverfahren wurde erst nach der Gewährung des sogenannten Schlussgehörs am 4. Mai 2011 ermittelt. Auch erst danach wurde das vor dem Schlussgehör gesprochene Strafurteil rechtskräftig. Die Anschuldigungsschrift verweist auf die bindenden Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils, wertet das Ergebnis der weiteren Ermittlungen mithin in rechtlicher Hinsicht aus, ohne dass sich der Soldat hierzu äußern konnte. Auch in tatsächlicher Hinsicht hat sich in der Folge der weiteren Ermittlungen ein neuer Gesichtspunkt ergeben: Die Einleitungsverfügung warf dem Soldaten noch vor, seiner Einheit, der ...kompanie ... in D., ohne Genehmigung des Disziplinarvorgesetzten ferngeblieben zu sein. Die Anschuldigungsschrift wirft ihm dagegen vor, er sei seiner Einheit, dem ...zentrum Militärkraftfahrlehrer in U., ohne Genehmigung des Disziplinarvorgesetzten ferngeblieben. Damit wird eine Feststellung in den Entscheidungsgründen des zwischenzeitlich rechtskräftig gewordenen Strafurteils ausgewertet, nach der der Soldat sich an seinem Dienstort beim ...zentrum in U. hätte melden müssen.
Vor diesem Hintergrund war die Anhörung vom 4. Mai 2011 im Hinblick auf Wortlaut und Zweck des § 97 Abs. 3 WDO nicht ausreichend und hätte wiederholt werden müssen. Die Anschuldigungsschrift stellt auf die Bindungswirkung der Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils ab, ohne dass der Soldat Gelegenheit hatte, sich hierzu und zum Erfordernis eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens wegen desselben Sachverhaltes oder der Angemessenheit einer konkreten Disziplinarmaßnahme neben der verhängten Strafe zu äußern oder auf sonstige Umstände hinzuweisen, die für die Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens oder die Vorlage einer Anschuldigungsschrift relevant sein könnten. Da die Einheit in U., bei der der Soldat seinen Dienst nach der Anschuldigungsschrift hätte antreten müssen, deutlich weiter von seinem Wohnort in R. entfernt ist als die in der Einleitungsverfügung genannte Einheit in D. hätte er auch Gelegenheit erhalten müssen, dazu Stellung zu nehmen, ob sich hieraus für die Einschätzung des Gewichts der Pflichtverletzung und damit auch für die Frage nach einer Einstellung gemäß § 98 Abs. 2 WDO relevante Gesichtspunkte ergeben.
Nach Auskunft des Bundeswehrdisziplinaranwaltes hat aber nach dem 4. Mai 2011 keine weitere Anhörung durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft oder den durch diese beauftragten Disziplinarvorgesetzten stattgefunden.
c. Dieser Mangel ist trotz der Beschränkung des Rechtsmittels auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme entscheidungserheblich, weil er die Grundlage der Bemessungsentscheidung erschüttert.
Da der Soldat im Rahmen eines ordnungsgemäßen Schlussgehörs nach § 97 Abs. 3 Satz 2 WDO das Recht hat, weitere Ermittlungen zu beantragen, hat die ordnungsgemäße Gewährung des Schlussgehörs Bedeutung für die Aufklärung der für die Schuldfeststellungen relevanten Tatsachen. Der Soldat kann durch seinen Vortrag im Rahmen des Schlussgehörs Einfluss auf die Entscheidung der Einleitungsbehörde über die Einreichung einer Anschuldigungsschrift und ihren Inhalt nehmen und damit auch auf den rechtlichen Rahmen der Tatsachenfeststellungen des Truppendienstgerichts. Damit wirkt sich der Verfahrensmangel auch auf die Feststellungen aus, die für den Senat verbindliche Grundlage seiner Bemessungsentscheidung sind. Unter Verletzung wesentlicher rechtsstaatlicher Verfahrensrechte des Soldaten zustande gekommene Schuldfeststellungen können nicht Grundlage einer Bemessungsentscheidung durch den Senat sein.
3. Angesichts dieses schwerwiegenden Mangels macht der Senat von der Möglichkeit nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO Gebrauch, die Sache unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd zurückzuverweisen. Für eine Zurückverweisung an ein anderes Truppendienstgericht besteht keine Veranlassung.
Die Entscheidung darüber, ob der Senat bei Vorliegen eines schweren Verfahrensmangels ungeachtet dessen in der Sache selbst entscheidet oder ob er das Urteil der Truppendienstkammer aufhebt und die Sache an eine andere Kammer desselben Truppendienstgerichts oder eines anderen Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverweist, steht nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO in seinem Ermessen. Bei der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens kommt dem Normzweck regelmäßig eine entscheidende Bedeutung zu. Das Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 WDO) steht einer Zurückverweisung hier schon deshalb nicht entgegen, weil diese zur Sicherstellung des Anspruchs auf ein faires rechtsstaatliches Disziplinarverfahren (speziell zum gerichtlichen Wehrdisziplinarverfahren BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Juni 2000 - 2 BvR 993/94 - ZBR 2001, 208) unvermeidbar ist und sich die Verfahrensbeteiligten, deren Interessen das Beschleunigungsgebot dient, nicht gegen eine Zurückverweisung ausgesprochen haben. Einen Verzicht auf das Schlussgehör hat der Soldat nicht erklärt. Der Senat selbst hat keine Möglichkeit, auf die Nachholung des unterbliebenen Schlussgehörs hinzuwirken. Da eine Mängelbeseitigung von Gesetzes wegen nur im ersten Rechtszug vorgesehen ist, ist die Sache zurückzuverweisen, damit der Vorsitzende der nun zuständigen Truppendienstkammer gemäß § 99 Abs. 3 WDO verfährt (vgl. Urteil vom 8. Dezember 2010 - BVerwG 2 WD 24.09 - BVerwGE 138, 263 = Buchholz 449.7 § 27 SGB Nr. 4, jeweils Rn. 22).