Entscheidungsdatum: 09.06.2016
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 25. September 2015 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) in den Fällen 1 bis 16 und 23 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall 29 der Urteilsgründe und
c) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Nötigung in 29 Fällen, davon in 12 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Generalbundeanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 26. Februar 2016 u.a. ausgeführt:
"1. Hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Zeugen H. und S. (Fälle 1 bis 16 der Urteilsgründe) könnte Verfolgungsverjährung eingetreten sein. Die richterliche Durchsuchungsanordnung vom 25. März 2014 (SA Bd. I Bl. 130) bezog sich nur auf die Taten zum Nachteil des Nebenklägers K. und konnte daher keine Verjährungsunterbrechung hinsichtlich der Taten zum Nachteil dieser Zeugen herbeiführen. Die Existenz dieser weiteren Geschädigten gelangte erst durch den - nach Akteneinsicht übersandten - Schriftsatz des Verteidigers vom 7. Oktober 2014 (SA Bd. II Bl. 292 ff.) zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden. Eine Unterbrechungshandlung hinsichtlich dieser Taten liegt aber in der Anordnung der sachbearbeitenden Staatsanwältin vom 30. Januar 2015 (SA Bd. II Bl. 339), dem Verteidiger erneut Akteneinsicht zu gewähren, denn aus den Umständen wird klar ersichtlich, dass die dem Verteidiger gewährte Akteneinsicht zur Information des Beschuldigten über Existenz, Inhalt und Umfang des Ermittlungsverfahrens dienen sollte und auch tatsächlich gedient hat (vgl. BGH NStZ 2008, 214). Der Verfügung der sachbearbeitenden Staatsanwältin vom 10. Oktober 2014 (SA Bd. II Bl. 296), die durch die Akteneinsicht zur Kenntnis des Verteidigers gebracht wurde, war dabei eindeutig zu entnehmen, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft nunmehr auch auf die zum Nachteil der weiteren Geschädigten begangenen Straftaten erstreckte. Da sich die Wirkung der im Katalog des § 78c Abs. 1 Satz 1 StGB vorgesehenen Unterbrechungshandlungen jeweils auf die einzelne Tat im prozessualen Sinn bezieht, stünde der Umstand, dass dem Angeklagten bereits die Einleitung des Ermittlungsverfahrens zum Nachteil des Nebenklägers bekannt gegeben worden war, einer Unterbrechungswirkung dieser Übersendungsverfügung nach § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nicht entgegen.
Den Urteilsfeststellungen lässt sich aber nicht eindeutig entnehmen, ob die relevanten Taten jeweils vor dem 31. Januar 2010 begangen wurden, die Verfolgungsverjährung zum Zeitpunkt der ersten in Betracht kommenden Unterbrechungshandlung also bereits eingetreten war. Für die Taten zum Nachteil des Zeugen H. (Fälle 1 bis 12 der Urteilsgründe) werden jeweils Tatzeiten zwischen April 2009 und dem 15. Mai 2013 genannt, für die Taten zum Nachteil des Zeugen S. (Fälle 13 bis 16 der Urteilsgründe) Tatzeiten zwischen April 2009 und dem Ende des Jahres 2011 (soweit diese Jahreszahl bei den Feststellungen zu Fall 13 der Urteilsgründe, UA S. 9, fehlt, liegt ein offensichtliches Schreibversehen vor, wie ein Vergleich mit den Feststellungen zu den weiteren Fällen dieser Serie zeigt). Auch unter ergänzender Berücksichtigung der weiteren Erwägungen der Strafkammer zur zeitlichen Eingrenzung der Taten (UA S. 17 f.) lässt sich keine eindeutige Zuordnung der abgeurteilten Taten zum verjährten oder nicht verjährten Zeitraum vornehmen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass bei einer erneuten Hauptverhandlung insoweit ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung in diesen Fällen zulassen.
2. Die Feststellungen zu den Fällen 18 bis 23 der Urteilsgründe (UA S. 12) tragen lediglich die Verurteilung wegen fünf und nicht wegen sechs Taten; es werden nämlich eine Tat im Jahr 2009 und jeweils zwei Taten in den Jahren 2010 und 2011 aufgeführt. Zu der weiteren Tat (die sich laut zugelassener Anklageschrift im Zeitraum Januar bis August 2012 ereignet haben soll, vgl. SA Bd. III Bl. 434) fehlen jegliche näheren Feststellungen. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lassen sich keine ausreichenden Feststellungen ergänzen; […] Auch insoweit ist aber nicht auszuschließen, dass die erforderlichen Feststellungen bei einer erneuten Hauptverhandlung nachgeholt werden können.
3. Die Aufhebung der Schuldsprüche zu den erwähnten Taten entzieht den Einzelstrafen in diesen Fällen und damit dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Unabhängig hiervon bestehen gegen die Strafzumessung in den Fällen 1 bis 16 und 29 der Urteilsgründe rechtliche Bedenken. Die Strafkammer, die rechtsfehlerfrei in allen Fällen von einer Verwirklichung des Regelbeispiels nach § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB ausgegangen ist, hat den Strafrahmen des § 240 Abs. 4 Satz 1 StGB angewendet, den sie wegen eines Täter-Opfer-Ausgleichs in Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB gemildert hat. Bei der Erörterung, ob Umstände vorliegen, welche die Indizwirkung des Regelbeispiels entfallen lassen könnten, hat die Strafkammer indes den vertypten Strafmilderungsgrund des § 46a StGB unberücksichtigt gelassen. Das ist rechtsfehlerhaft, denn das Vorliegen derartiger vertypter Strafmilderungsgründe kann nach ständiger Rechtsprechung bei der Strafrahmenwahl Anlass geben, jedenfalls im Zusammenhang mit den allgemeinen Strafmilderungsgründen (wenn diese hierfür allein nicht ausreichen) trotz Vorliegen eines Regelbeispiels einen besonders schweren Fall zu verneinen und die Strafe dem Regelstrafrahmen zu entnehmen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. Juli 2000 - 4 StR 271/00 - m.w.N., insoweit in NStZ 2000, 592 u.a. nicht abgedruckt). Es ist nicht völlig auszuschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts zur Anwendung des Regelstrafrahmens des § 240 Abs. 1 StGB und im Ergebnis zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre.
In den Fällen 17 bis 28 der Urteilsgründe kann sich der Rechtsfehler im Ergebnis dagegen nicht ausgewirkt haben. Zwar hat die Strafkammer auch in diesen Fällen den nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 240 Abs. 4 Satz 1 StGB angewendet (UA S. 20). Dieser entspricht indes dem nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB, der nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB anzuwenden gewesen wäre. […]"
Dem tritt der Senat bei. Soweit die Strafkammer von einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Monat ausgegangen ist und die Möglichkeit der Verhängung einer Geldstrafe nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 EGStGB unberücksichtigt gelassen hat (vgl. Senat, Urteil vom 17. März 2015 - 2 StR 379/14, BGHR EGStGB Art. 12 Abs. 1 Geldstrafe 1), schließt der Senat aus, dass der Strafausspruch hierauf beruht, da die Verhängung einer Geldstrafe offensichtlich ferngelegen hat.
Fischer Appl Eschelbach
Ott Zeng