Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 06.05.2015


BGH 06.05.2015 - 2 StR 63/14

Strafzumessung: Eigene Verletzung und Deeskalation bei einer Schlägerei als bestimmender Strafzumessungsgrund


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
06.05.2015
Aktenzeichen:
2 StR 63/14
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend LG Wiesbaden, 30. August 2013, Az: 2234 Js 1005/12 KAP
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten P.    B.    wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 30. August 2013, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten P.    B.    und die Revision des Angeklagten S.     B.    werden verworfen.

4. Der Angeklagte S.     B.    hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten S.     B.    wegen Totschlags, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie jeweils tateinheitlich dazu wegen Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten P.    B.    wegen Beteiligung an einer Schlägerei zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Das Rechtsmittel des Angeklagten P.    B.    hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es - wie auch die Revision des S.     B.    - unbegründet.

I.

2

Das Landgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

3

Die Angeklagten sind Brüder. Am 1. Juni 2012 verursachte der Angeklagte P.    B.    mit dem PKW seines Bruders S.      einen Verkehrsunfall. Er beschädigte beim Ausparken vor seinem Wohnhaus das von der Lebensgefährtin des W.    A.    angemietete Kfz und fuhr davon, ohne etwas zu unternehmen. Nachdem diese einige Zeit später den Schaden bemerkt hatte, klingelte sie gemeinsam mit W.    und dessen Vater M.    A.    bei der Familie B.   , da sie vermutete, dass der Schaden durch das Fahrzeug des S.     B.    verursacht worden sei. P.    B.    war nicht zu Hause, S.     B.    erklärte, sein Bruder sei mit dem Wagen unterwegs, er wolle ihn benachrichtigen. Einige Zeit später traf - die Mietwagenfirma hatte auf der polizeilichen Aufnahme des Unfalls bestanden - die von der Lebensgefährtin des W.    A.    benachrichtigte Polizei ein, kurze Zeit danach kam auch P.    B.    dazu.

4

P.    B.    war über die Einschaltung der Polizei verärgert und machte M.    A.    Vorhaltungen, nachdem sich die Polizei entfernt hatte. Es kam zu einem Wortgefecht zwischen beiden Männern. Der Angeklagte S.     B.    versuchte - ebenso wie W.    A.    - seinen Bruder P.    mit Worten und Gesten zu beruhigen. Dies gelang jedoch nicht, P. regte sich weiter auf, er fasste M. A. plötzlich aggressiv an und zerrte an ihm. Daraufhin griff W.    A.    ein und versuchte, ihn von seinem Vater zu trennen. M.    A. versetzte P.    B.    einen Faustschlag, woraufhin sich S.     B.    ebenfalls einmischte. Es kam zu einer Rangelei zwischen dem Angeklagten P.    B.    und W.    A.    sowie S.     B.    und M.    A.    . Zudem kam in diesem Augenblick A.   A.   , Sohn des M.    A.   , hinzu und versuchte, die Beteiligten zu trennen. Es entstand ein Kampf zwischen W.   A.    und P.    B.    ; A.   und M.    A.    rangen mit S.      B.   .

5

A.   A.   brachte den Angeklagten S.     B.    mit dem Rücken zu Boden, während M.    A.    nicht mehr an der Auseinandersetzung beteiligt war. In diesem Moment stach S.     B.    mit einem Einhandmesser A.   A.   in den Unterschenkel, um sich zu befreien. Es kam zu einer Knochenfraktur des Wadenbeins, A.   A.   ließ von S.     B.    ab, der sich erhob und auf M.    A.    blickte. Der Angeklagte S.     B.    befand sich in einem hypomanen Zustand, erinnerte sich an Situationen, in denen er M.    A.    wie jetzt unterlegen gewesen war, und entschied sich, ihm in die Brust zu stechen. Der mit großer Wucht geführte Stich, bei dem der Angeklagte tödliche Verletzungen in Kauf nahm, traf das Opfer in der linken Brustkorbseite, es torkelte und brach zusammen. Anschließend wandte sich S.     B.    wieder A.   A.   zu, der den Messerstich gegen seinen Vater nicht mitbekommen hatte, und wollte auch ihn mit einem Stich in die Brust treffen. Dies gelang wie auch bei einem folgenden Vorstoß nicht, da A.   A.   diese Angriffe abwenden konnte und es nur zu Verletzungen des Arms kam.

6

An anderer Stelle kämpften W.    A.   und P.     B.    miteinander und tauschten Schläge aus. Es gelang W.    A.   , P.    B.    zu Boden zu bringen. Dies sah S.     B.   , der auf W.    A.    zulief und ihm drei Messerstiche in den Rücken versetzte, jedenfalls auch, weil er W.    A.    davon abhalten wollte, seinen Bruder erneut zu schlagen. Dies gelang, obwohl W.    A.   , der im Begriff war, seinem verletzten, erneut zusammengebrochenen Vater helfen zu wollen, zuvor von A.   A.   gewarnt worden war. S.     B.    ließ von seinem Opfer ab, das zu seinem Vater lief und dort zusammenbrach. Der Angeklagte P.    B.    erhob sich und nahm seinem Bruder das Tatmesser ab.

7

M.    A.    wurde unmittelbar danach ins Krankenhaus verbracht, wo er einen Tag später verstarb. A.   und W.    A.    wurden nach einigen Tagen Aufenthalt aus dem Krankenhaus entlassen.

8

Das Landgericht hat den Angeklagten S.     B.    wegen Totschlags sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (zum Nachteil von A.   bzw. W.    A.    ), jeweils tateinheitlich hierzu wegen Beteiligung an einer Schlägerei, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten P.    B.    wegen Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, die es zur Bewährung ausgesetzt hat.

II.

9

1. Die Revision des Angeklagten P.    B.    hat lediglich im Strafausspruch Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

10

a) Der Schuldspruch wegen Beteiligung an einer Schlägerei hält rechtlicher Nachprüfung stand.

11

Jedenfalls durch den Austausch von Schlägen zwischen dem Angeklagten P.    B.   und W.    A.    sowie dem Messerstich von S.     B.    gegen A.   A.   ist eine Schlägerei im Sinne von § 231 StGB entstanden; denn zu diesem Zeitpunkt lag eine mit gegenseitigen Tätlichkeiten verbundene Auseinandersetzung vor, an der mehr als zwei Personen aktiv mitwirkten (vgl. BGH NStZ 2014 mwN). Daran hat sich der Angeklagte P.    B.    - durch das Austeilen von Schlägen - in vorwerfbarer Weise beteiligt, worauf das Landgericht zu Recht abstellt.

12

Nach § 231 Abs. 1 StGB ist nicht strafbar, wer an der Schlägerei beteiligt war, ohne dass ihm dies vorzuwerfen ist (§ 231 Abs. 2 StGB). Das Landgericht ist insoweit davon ausgegangen, der Angeklagte habe nicht gerechtfertigt gehandelt, weil von ihm der erste Angriff ausgegangen sei (UA S. 74). Dies greift zwar zu kurz, weil das Landgericht damit allein auf die Handlung des Angeklagten, die die Schlägerei auslöste, abgestellt und nicht auch die weitere Entwicklung der Auseinandersetzung in seine Überlegungen einbezogen hat. Aber auch unter Berücksichtigung des weiteren Kampfgeschehens ergibt sich letztlich, dass der Angeklagte nicht gerechtfertigt oder entschuldigt gehandelt hat.

13

Von Bedeutung ist insoweit, dass W.    A.    in die Auseinandersetzung zwischen P.    B.    und seinem Vater M.    A.    eingriff, um die Beteiligten zu trennen. Es entwickelte sich ein Kampf zwischen ihm und P.    B.   , bei dem es zum Austausch von Schlägen kam.

14

Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Eingreifen des W.    A.    eine gerechtfertigte Nothilfehandlung zu Gunsten des von P.    B.    angegriffenen M.    A.    gewesen ist. Soweit es im Rahmen des weiteren Geschehens zu Schlägen des P.    B.    gekommen ist, handelt es sich um ein Vorgehen gegen rechtmäßige Handlungen des W.    A.   , das deshalb seinerseits nicht gerechtfertigt sein kann.

15

b) Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

16

Das Landgericht hat bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte im Zuge des Geschehens selbst verletzt worden ist. Es hat auch nicht gewürdigt, dass er nach den Übergriffen durch seinen Bruder S.     diesem das Messer weggenommen und dadurch A.    A.   , der im Begriff war, sich einen Baseballschläger sowie einen Teleskopschlagstock zur Verwendung im weiteren Kampfgeschehen zu besorgen, veranlasst hat, von weiteren Übergriffen Abstand zu nehmen. Dies sind bestimmende Strafzumessungsgründe, die in die konkrete Strafzumessung hätten einfließen müssen.

17

Dies gilt hinsichtlich der Wegnahme des Messers jedenfalls dann, wenn der Angeklagte, der seinem Bruder dadurch einen weiteren Messereinsatz objektiv unmöglich gemacht und dadurch zur Beendigung der Schlägerei beigetragen hat, gerade dies auch erreichen wollte. Der neue Tatrichter wird deshalb Feststellungen zu den Vorstellungen des Angeklagten zum Zeitpunkt der Messerwegnahme zu treffen haben.

18

Der Senat kann - angesichts einer mit Blick auf den geringen Tatbeitrag des Angeklagten und der fehlenden Voraussehbarkeit der Messerstiche hoch bemessenen Freiheitsstrafe nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei ordnungsgemäßer Strafzumessung zu einer für den Angeklagten günstigeren Straffestsetzung gelangt wäre.

19

2. Der Revision des Angeklagten S.     B.    bleibt der Erfolg versagt.

20

Dies gilt auch, soweit der Angeklagte zum Nachteil von W.    A.    wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Schlägerei verurteilt worden ist. Das Landgericht hat mit tragfähigen Erwägungen ausgeschlossen, dass der Angeklagte durch Nothilfe zu Gunsten seines Bruders P.     gerechtfertigt oder entsprechend § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB in einem Erlaubnistatbestandsirrtum gehandelt hat.

21

Nachvollziehbar ist es davon ausgegangen, dass ein mögliches Nothilfe recht angesichts des ursprünglich von P.    B.    ausgehenden Angriffs nicht zum Einsatz eines Messers berechtigt hätte und deshalb auch - die irrige Vorstellung von dem Bruder weiter drohenden Übergriffen nicht zur Annahme eines Erlaubnistatbestandsirrtums führen kann.

Fischer     

Krehl     

     Eschelbach

Ott     

RiBGH Zeng ist wegen

Urlaubs an der Unterschrift

gehindert.

Fischer