Entscheidungsdatum: 09.05.2018
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 30. August 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen und formellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Der Rüge einer Verletzung der §§ 169, 174 Abs. 1 GVG i.V. m. § 338 Nr. 6 StPO liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Am 9. August 2017, dem 1. Verhandlungstag, beantragte die Vertreterin der Nebenklägerin, für deren Vernehmung die Öffentlichkeit auszuschließen. Aufgrund eines daraufhin gefassten Beschlusses der Strafkammer wurde die Nebenklägerin sodann unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen und noch am selben Tag entlassen. Am darauffolgenden Verhandlungstag setzte das Landgericht die Beweisaufnahme durch weitere Beweiserhebungen fort, bevor die Nebenklägerin „nochmals in den Zeugenstand gebeten wurde“. Sie wurde wiederum unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen, ein erneuter Beschluss zum Ausschluss der Öffentlichkeit erging nicht. Am 4. und letzten Verhandlungstag stellte das Landgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe zum Nachteil der Nebenklägerin vorläufig ein.
2. Die Rüge des Angeklagten, die zweite Zeugenvernehmung der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung sei entgegen §§ 169, 174 Abs. 1 GVG unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt worden, ohne dass zuvor ein Gerichtsbeschluss gefasst und verkündet worden sei, hat Erfolg.
a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Der Angeklagte hat alle hierfür erforderlichen Verfahrenstatsachen vorgetragen, die das Revisionsgericht in die Lage versetzen, allein anhand des Rügevorbringens das Vorhandensein des behaupteten Verfahrensfehlers festzustellen, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind (vgl. Gericke, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 344, Rn. 38 m. Nachweisen zur Rspr.). Es war insoweit nicht gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO geboten, in der Revisionsbegründung zum denkgesetzlichen Ausschluss des Beruhens des Urteils auf dem behaupteten Verfahrensverstoß vorzutragen, insofern darauf hinzuweisen, dass das Landgericht das Verfahren hinsichtlich zweier Tatvorwürfe vorläufig nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hatte, und deshalb (gegebenenfalls) pauschal mitzuteilen, dass sich die zweite Vernehmung jedenfalls auch auf die zur Verurteilung gelangten Fälle bezog (vgl. aber BGHR StPO § 338 Nr. 6 Ausschluss 5 für den Fall eines Teilfreispruchs; hiergegen Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl. 2018, § 338, Rn. 50b).
Dass das Verfahren im Hinblick auf weiterreichende Tatvorwürfe eingestellt worden war, lässt sich den Urteilsgründen entnehmen (UA S. 64); insoweit war der Angeklagte nicht gehalten, dies in seiner Revisionsbegründung noch einmal ausdrücklich zu erwähnen. Aber auch eines Hinweises auf den Vernehmungsgegenstand der zweiten Vernehmung bedurfte es - jedenfalls hier - nicht. Aus den Urteilsgründen, die der Senat aufgrund der Sachrüge zur Kenntnis genommen hat, ergibt sich, dass der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch aus Angaben der Nebenklägerin zu nicht zur Verurteilung gelangten Tatvorwürfen gebildet hat. Die gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwürfe betrafen eine Reihe von sexuellen Nötigungen bzw. Vergewaltigungen der Nebenklägerin während einer einzigen Nacht, die der Angeklagte in Abrede gestellt hat. Das Landgericht hat sich bei seiner Verurteilung im Wesentlichen auf die Angaben der als glaubwürdig angesehenen Nebenklägerin gestützt, die „das von ihr erlebte Geschehen zunächst bei ihrer ersten polizeilichen und anschließend bei ihrer Nachvernehmung sowie in der Hauptverhandlung gleichbleibend und widerspruchsfrei geschildert“ habe. Dabei hat das Landgericht auch hinsichtlich der nicht zur Aburteilung gelangten Geschehnisse auf die Angaben der Nebenklägerin gestützte Feststellungen getroffen. Es liegt bei einer solchen Verfahrenskonstellation auf der Hand, dass Angaben zu den eingestellten Tatvorwürfen grundsätzlich auch für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin insgesamt und damit auch für die Verurteilungsfälle Bedeutung erlangen (können); dies zeigt sich hier konkret etwa in dem landgerichtlichen Hinweis auf die Schilderung von Details durch die Nebenklägerin, die die Strafkammer als Zeichen für ihre Glaubwürdigkeit angesehen hat und die sich auch auf eingestellte Tatvorwürfe bezogen. Deshalb waren Ausführungen in der Revisionsbegründung zum Vernehmungsgegenstand der zweiten Zeugenvernehmung entbehrlich.
b) Die Rüge ist auch begründet. Das landgerichtliche Urteil ist auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind (§ 338 Nr. 6 StPO).
Die zweite Zeugenvernehmung der Nebenklägerin ist entgegen §§ 169, 174 Abs. 1 GVG unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt worden, ohne dass hierüber - wie sich dem Protokoll entnehmen lässt (§ 274 StPO) - ein Gerichtsbeschluss gefasst und verkündet worden ist. Der vor Beginn der Erstvernehmung am 9. August 2017 gefasste Beschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit entfaltete für den Öffentlichkeitsausschluss bei der weiteren Vernehmung am nächsten Verhandlungstag keine Wirkung mehr, da er nur bis zur Beendigung der Vernehmung galt. Ist wie hier eine Vernehmung abgeschlossen und die Zeugin entlassen worden, so ist dann, wenn sie nach zwischenzeitlich durchgeführter weiterer Beweisaufnahme nochmals vernommen werden soll, für den Ausschluss der Öffentlichkeit grundsätzlich ein neuer Beschluss erforderlich (vgl. BGH StV 2008, 126, 127; NStZ 1992, 447).
Der Verstoß gegen die Regeln über die Öffentlichkeit führt grundsätzlich zur Aufhebung des Urteils. Ein Ausnahmefall, in dem nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Einfluss eines Verfahrensfehlers auf das Urteil denkgesetzlich ausgeschlossen werden kann (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 2014, 391 mwN), liegt nicht vor. Selbst wenn Gegenstand der zweiten Zeugenvernehmung der Nebenklägerin lediglich die später eingestellten Tatvorwürfe gewesen sein sollten, ergibt sich - wie oben bereits ausgeführt - gleichwohl aus den Urteilsgründen, dass der Tatrichter seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch aus Angaben der Nebenklägerin zu nicht zur Verurteilung gelangten Tatvorwürfen gebildet hat. Insoweit sah sich der Senat auch nicht veranlasst, dienstliche Erklärungen zum Gegenstand der zweiten Vernehmung der Nebenklägerin einzuholen.
Schließlich ist ein Beruhen des Urteils auf dem fehlenden Gerichtsbeschluss über den Öffentlichkeitsausschluss auch nicht deshalb denkgesetzlich ausgeschlossen, weil sich aus den Urteilsgründen und dem Protokoll das Vorliegen der Voraussetzungen eines zwingend vorgeschriebenen Ausschlusses der Öffentlichkeit gemäß § 171b Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 GVG ergibt und damit das Fehlen eines gerichtlichen Beschlusses eine bloße Förmlichkeit wäre, die den Bestand des Urteils nicht gefährden könnte. Dies setzte nämlich voraus, dass sich der in der Hauptverhandlung am 9. August 2017 erst- und einmalig angebrachte Antrag der Nebenklägerin auf Ausschließung der Öffentlichkeit nicht nur auf die unmittelbar bevorstehende, sondern auch - ohne Kenntnis des dann bestehenden Vernehmungsgegenstandes - auf etwaige weitere Zeugenvernehmungen der Nebenklägerin bezogen hätte. Davon aber ist vorliegend bei einer zweiten, hier an eine weitere Beweiserhebung anknüpfenden Zeugenvernehmung nicht ohne Weiteres auszugehen. Es versteht sich auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Anlass für die erneute Zeugenvernehmung nicht mit den herkömmlichen Mitteln des Revisionsrechts rekonstruierbar ist, jedenfalls nicht von selbst, dass auch in einer weiteren, auf bestimmte Themenkomplexe ausgerichteten Vernehmung wieder Umstände zur Sprache kommen, deren Erörterung schutzwürdige Interessen der Zeugin verletzen könnten. Insoweit ist - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nicht davon auszugehen, dass ein einmalig angebrachter Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit weitere mögliche Zeugenvernehmungen erfasst.
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