Entscheidungsdatum: 08.12.2010
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 20. April 2010 mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zum objektiven Tatgeschehen - aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lockte der Angeklagte am 24. August 2009 seine ehemalige Lebensgefährtin, die sich einige Zeit zuvor von ihm getrennt hatte, unter einem Vorwand in sein Apartment, das sich in einem im Übrigen unbewohnten Haus befand. Als sie dieses nach kurzer Zeit wieder verlassen wollte, hinderte er sie daran, verschloss die Tür und packte sie kräftig an ihren Haaren. Zugleich drückte er ihr ein Teppichmesser an den Hals, um damit mögliche Gegenwehr zu verhindern, und drohte sie umzubringen. Er fügte ihr dabei eine ca. 1 cm lange Schnittwunde an der rechten Halsseite zu.
In der Folgezeit fesselte er die Geschädigte an Händen und Füssen mit Kabelbinder bzw. Klebeband, kündigte an, ihr die Pulsadern aufzuschneiden, was er dadurch unterstrich, dass er ihr mit dem Messer zwei 1,2 cm bzw. 18 cm lange Schnittwunden am linken Handgelenk bzw. am rechten Innenarm zufügte. Dabei verlangte er von ihr, sie solle ihm die Wahrheit sagen, da sie ihn zwei Monate lang über den Fortbestand ihrer Beziehung im Ungewissen gelassen hatte. Das Opfer, das infolgedessen an Magenkrämpfen litt, empfand Todesangst vor dem Angeklagten, der während der gesamten Zeit das Teppichmesser in der Hand hielt und seine Macht durch mehrfache Schläge mit der flachen Hand auf dessen Kopf demonstrierte. Um die Geschädigte vollends einzuschüchtern, zerschnitt er schließlich mit dem Teppichmesser ihr T-Shirt und ihren BH. Der Aufforderung, Jeans und Slip ebenfalls auszuziehen, kam sie aus Angst vor dem Angeklagten nach.
Danach beruhigte sich die Situation zunächst, als es der auf dem Bett sitzenden Geschädigten gelang, den Angeklagten in ein Gespräch zu verwickeln, in dessen Verlauf dieser das Messer griffbereit auf einen neben dem Bett befindlichen Hocker ablegte. Schließlich begann der Angeklagte, der in diesem Moment den Entschluss gefasst hatte, mit der Geschädigten auch gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr auszuüben, diese zu küssen und später auch zu streicheln. Sie forderte den Angeklagten mehrfach auf, dies zu unterlassen. Dies hielt ihn nicht davon ab, die Geschädigte, die aufgrund der vorherigen Drohungen und Gewalttätigkeiten eingeschüchtert war und auch angesichts nicht vorhandener Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten keine Gegenwehr leistete, seitlich den Rücken ihm zugewandt, auf das Bett zu legen und so für einige Minuten ungeschützten, für die Geschädigte schmerzhaften Geschlechtsverkehr durchzuführen, ohne dass es hierbei allerdings zum Samenerguss kam.
Insgesamt hielt der Angeklagte die Geschädigte, die ihn schließlich auf dem Weg in ihre Wohnung im Hausflur abschütteln konnte, mehr als 10 Stunden in seiner Gewalt.
2. Das Landgericht ist ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass die angenommenen Tatbestände der schweren Vergewaltigung, Körperverletzung, gefährlichen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und der Bedrohung in Tateinheit stehen. An einer Verurteilung wegen besonders schwerer Vergewaltigung hat es sich gehindert gesehen, weil es an einer finalen Verknüpfung zwischen dem Einsatz des Teppichmessers und dem erzwungenen Geschlechtsverkehr fehle.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Beweiswürdigung des Landgerichts, das einen Entschluss des Angeklagten zur Erzwingung des Geschlechtsverkehrs erst nach dem Beiseitelegen des Messers angenommen hat, beanstandet und in erster Linie eine Verurteilung auch wegen besonders schwerer Vergewaltigung erstrebt, hat Erfolg.
1. Dabei kann dahinstehen, ob die von der Revision beanstandeten Mängel in der Beweiswürdigung gegeben sind. Denn auch auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen erweist sich das Urteil als rechtsfehlerhaft. Die Kammer hat mit ihrem Schuldspruch den Unrechtsgehalt der von ihr festgestellten Tat nicht ausgeschöpft und ist somit ihrer Kognitionspflicht nicht nachgekommen.
a) So hat das Landgericht nicht erörtert, ob sich der Angeklagte der Geiselnahme (§ 239b StGB) schuldig gemacht hat. Nach den Feststellungen bemächtigte sich der Angeklagte der Geschädigten zwar zunächst nicht, um sie - wie später geschehen - zur Duldung des Geschlechtsverkehrs zu nötigen. Soweit er aber während des andauernden psychischen Herrschaftsverhältnisses über das Tatopfer später den Entschluss fasste, mit diesem auch gegen dessen Willen den Geschlechtsverkehrs auszuüben (UA S. 14), könnte er objektiv und subjektiv die von ihm geschaffene Lage zu einer (qualifizierten) Nötigung mittels konkludenter Todesdrohung genutzt haben (§ 239b Abs. 1 2. Halbs. StGB). Hiermit hätte sich das Landgericht schon mit Blick auf die Annahme des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB auseinandersetzen müssen (vgl. BGH NStZ 2008, 209).
b) Auch hätte sich das Landgericht gedrängt sehen müssen, bei einer Prüfung der Voraussetzungen des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB die Frage einer (konkludenten) Drohung mit dem auf einem Hocker abgelegten Teppichmesser zu erörtern. Die Ausführungen der Kammer legen nahe, dass sie diese Möglichkeit des "Verwendens" einer Waffe bzw. gefährlichen Werkzeugs nicht gesehen hat (UA S. 30). Dies kommt aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedenfalls dann in Betracht, wenn der Täter aufgrund der Nähe zum Tatopfer diesem jederzeit ohne Weiteres mit dem Messer Verletzungen beibringen kann (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 7, NStZ 2001, 369; Beschluss vom 14. Dezember 2005 - 2 StR 439/05; s. aber auch BGH NStZ 2000, 254) und das Tatopfer wegen seiner fortbestehenden Angst vor dem gefährlichen Werkzeug den ungewollten Geschlechtsverkehr über sich ergehen lässt. Dass diese Voraussetzungen gegeben sind, lässt sich dem angefochtenen Urteil zwar nicht hinreichend sicher entnehmen, doch spricht einiges dafür, dass der Angeklagte im Zuge der Annäherung an das Tatopfer noch Zugriff auf das auf dem Hocker abgelegte Messer hatte, sich dessen auch bewusst war und auch das Opfer gerade wegen des in Reichweite befindlichen Messers den Geschlechtsverkehr ohne weitere Gegenwehr über sich ergehen ließ.
c) Schließlich enthält der festgestellte Sachverhalt mehrere Nötigungen, die über das hinausgehen, was zur Verurteilung wegen Vergewaltigung und Freiheitsberaubung erforderlich war (UA S. 13: Abgenötigtes Telefonat mit der Schwester der Angeklagten; erzwungenes Ausziehen des Tatopfers) und die deshalb nicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz von den §§ 177, 239 StGB verdrängt werden (vgl. BGH NStZ 2008, 209).
d) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte im Laufe des Geschehens mehrere Körperverletzungen begangen, die nicht sämtlich von der erfolgten Verurteilung wegen Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung erfasst sein können: die durch das Messer verursachte Schnittwunde an der rechten Halsseite (UA S. 9), die Fesselung und Knebelung des Tatopfers mit in das Fleisch schneidenden Kabelbindern bzw. Klebeband (UA S. 9, 10; vgl. BGH NStZ 2007, 404), mehrfache Schläge auf den Kopf (UA S. 10, 12), die mit dem Messer zugeführten Schnittwunden am linken Handgelenk und am rechten Innenarm (UA S. 10) sowie die durch Aufregung und Todesangst hervorgerufenen Magenkrämpfe (vgl. BGHSt 48, 34, 36 f.).
2. Die Annahme des Landgerichts, die nach seiner rechtlichen Würdigung verwirklichten Straftatbestände stünden untereinander im Verhältnis der Tateinheit, hält jedenfalls ohne nähere Erläuterung rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn die Freiheitsberaubung als Dauerstraftat kann die Tatbestände der schweren Vergewaltigung und der gefährlichen Köperverletzung nicht zu einer Tat verklammern (vgl. BGH NStZ 2008, 209). Auch die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit liegt nicht nahe (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2003 - 2 StR 267/03). Sollten allerdings die Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen Geiselnahme nach § 239b StGB festgestellt werden können, käme insoweit die Annahme von Tateinheit in Betracht (vgl. BGH NStZ 2008, 209).
3. Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben. Jedoch können die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten werden; denn sie sind von den dargelegten Rechtsfehlern nicht betroffen. Weitere Feststellungen kann der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter treffen, wenn sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Rissing-van Saan Appl Schmitt
Krehl Ott