Entscheidungsdatum: 05.09.2018
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30. Januar 2017 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Betruges in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und den Angeklagten E. wegen Beihilfe zum Betrug zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Zudem hat das Landgericht festgestellt, dass gegen den Angeklagten M. nicht auf den Verfall von Wertersatz wegen eines Betrages in Höhe von 666.049,15 € erkannt werde, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen. Die jeweils auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben aus den vom Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften genannten Gründen ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Der ergänzenden Erörterung bedarf nur Folgendes:
1. Die Verfahrensrüge der Angeklagten, die Strafkammer sei seit dem 9. Hauptverhandlungstag aufgrund des – unzulässigen – Eintritts einer Ergänzungsschöffin (§ 192 Abs. 2, Abs. 3 GVG) in das Quorum nicht mehr vorschriftsmäßig besetzt gewesen, greift nicht durch.
a) Am 9. Verhandlungstag, dem 24. Oktober 2016, gab der Vorsitzende die krankheitsbedingte Verhinderung der Hauptschöffin bekannt. Diese habe telefonisch mitgeteilt, aufgrund eines grippalen Infekts nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen zu können, ein Attest werde nachgereicht. Aufgrund dieser Mitteilung ging der Vorsitzende davon aus, die Schöffin werde zumindest für diesen sowie einen weiteren Hauptverhandlungstermin am 27. Oktober 2016 nicht zur Verfügung stehen. Er stellte, nachdem er zuvor den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt hatte, die Verhinderung der Hauptschöffin fest und ordnete den Eintritt der Ergänzungsschöffin an. Zur Begründung führte er aus, es sei den für den heutigen Hauptverhandlungstag geladenen Auslandszeugen nicht zumutbar, erneut aus dem Ausland (zum Teil aus Afrika) anzureisen. Die für den nächsten Hauptverhandlungstag geladenen Auslandszeugen könnten nicht mehr rechtzeitig abgeladen werden. Die Hauptverhandlung wurde anschließend unter Mitwirkung der Ergänzungsschöffin fortgesetzt. Für die Hauptverhandlungstage am 24. und 27. Oktober 2016 waren unter anderen sieben Auslandszeugen aus Frankreich, England, Norwegen und Angola geladen, deren Einreise ins Bundesgebiet die Strafkammer teilweise durch die Beschaffung gültiger Aufenthaltstitel ermöglicht hatte. Neben diesen beiden Hauptverhandlungstagen stand der Strafkammer am 2. November 2016 noch ein weiterer Hauptverhandlungstermin zur Verfügung, um innerhalb der Dreiwochenfrist des § 229 Abs. 1 StPO die Hauptverhandlung fortzusetzen, nachdem die Strafkammer zuletzt am 13. Oktober 2016 verhandelt hatte.
b) Der Verfahrensrüge bleibt der Erfolg versagt. Die Feststellung des Verhinderungsfalles durch den Vorsitzenden erweist sich auf der Grundlage des revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs auch unter Berücksichtigung des grundrechtsgleichen Rechts der Angeklagten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) als vertretbar und damit nicht als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
aa) Nach § 192 Abs. 2, Abs. 3 GVG tritt ein zu der Hauptverhandlung zugezogener Ergänzungsschöffe in das Quorum ein, wenn ein zur Entscheidung berufener Schöffe an der weiteren Mitwirkung verhindert ist. Die Feststellung, ob ein Verhinderungsfall vorliegt, obliegt dem Vorsitzenden (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 544/15, BGHSt 61, 160, 162 mwN). Der Vorsitzende hat bei der Entscheidung einen Ermessenspielraum. Dieser umfasst auch den Zeitpunkt seiner Entscheidung (BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 544/15, BGHSt 61, 160, 162; Senat, Beschluss vom 14. Mai 1986 – 2 StR 854/84, NStZ 1986, 518, 519).
Eine zeitweise, sich prognostisch innerhalb der Frist des § 229 Abs. 1 StPO bewegende Verhinderung eines Spruchkörpermitglieds begründet nicht notwendig den Vertretungsfall (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2008 – 1 StR 322/08, StV 2010, 347, 348); sie schließt jedoch die Annahme einer Verhinderung auch nicht aus (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 229 Rn. 9; LR/Wickern, StPO, 26. Aufl., § 192 GVG Rn. 17; Börner, JR 2017, 16, 21). Bei der Wahl des Entscheidungszeitpunktes hat der Vorsitzende die widerstreitenden Interessen zwischen dem Prinzip des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) einerseits und den auf Beschleunigung und Konzentration gerichteten sonstigen Prozessmaximen anderseits zu berücksichtigen. Während das Prinzip des gesetzlichen Richters dafür streitet, die Hauptverhandlung zu unterbrechen und abzuwarten, ob sie noch fristgemäß unter Mitwirkung des erkrankten Spruchkörpermitglieds fortgesetzt werden kann, lassen es die Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime sachgerecht erscheinen, die Verhinderung baldmöglichst festzustellen, um die Hauptverhandlung ohne Zeitverzug fortzusetzen (BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 544/15, BGHSt 61, 160, 162 f.; MüKo-StPO/Kulhanek, § 192 GVG, Rn. 8; LR/Wickern, aaO, § 192 GVG Rn. 17). Die Entscheidung des Vorsitzenden bedarf daher substantiierter Erwägungen im Einzelfall. Dabei können neben dem – in Haftsachen in verstärktem Maße in den Blick zu nehmenden – Beschleunigungsgebot (Ventzke, NStZ 2016, 557, 558 f.) beispielsweise das auf eine effektive, zügige und für alle Verfahrensbeteiligten ressourcenschonende Durchführung der Hauptverhandlung gerichtete Konzentrationsgebot, die konkrete Planung der Beweisaufnahme sowie die Anzahl der (noch) geplanten Hauptverhandlungstermine (vgl. Schäfer, JR 2017, 38, 42) oder auch ein drohender Beweismittelverlust (BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 544/15, BGHSt 61, 160, 164) Bedeutung gewinnen. Bei der Entscheidung im Einzelfall ist jedoch stets das grundrechtsgleiche Recht des Angeklagten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Blick zu behalten.
Die Entscheidung des Vorsitzenden ist vom Revisionsgericht nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur darauf hin zu überprüfen, ob sie sich als unvertretbar und damit als objektiv willkürlich erweist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2002 – 5 StR 130/01, BGHSt 47, 220, 222; Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 544/15, BGHSt 61, 160, 161; Senat, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 2 StR 342/15, NStZ 2017, 491, 492; Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. § 192, Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., GVG § 192 Rn. 7; KK-StPO/Diemer, 7. Aufl., GVG § 192 Rn. 6; SSW-StPO/Rosenau, 3. Aufl., GVG, § 192 Rn. 12). Eingedenk des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs des Angeklagten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt Willkür in diesem Sinne nicht erst bei einer bewussten Fehlentscheidung, sondern bereits dann vor, wenn die mit der Verhinderungsfeststellung des Schöffen verbundene Bestimmung des gesetzlichen Richters grob fehlerhaft ist und sich so weit von der verfassungsmäßigen Garantie des gesetzlichen Richters entfernt, dass sie nicht mehr gerechtfertigt werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 3. März 1982 – 2 StR 32/82, BGHSt 31, 3, 5; Urteil vom 14. Dezember 2016 – 2 StR 342/15, aaO, jeweils mwN).
bb) Gemessen hieran offenbart die Entscheidung des Vorsitzenden keine Willkür. Sie lässt eine grundlegende Verkennung der grundrechtlichen Garantien nicht erkennen.
(1) Die tatsächlichen Voraussetzungen für die Feststellung einer Verhinderung der Schöffin lagen vor. Infolge der Erkrankung der Schöffin waren in ihrer Person „unabwendbare Umstände“ (§ 54 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 GVG) eingetreten, die ihrer weiteren Dienstleistung für die Hauptverhandlungstermine am 24. und 27. Oktober 2016 entgegenstanden. Über den angegebenen Hinderungsgrund hatte sich der Vorsitzende vor seiner Entscheidung eine zureichende Tatsachengrundlage verschafft und diese im Hauptverhandlungsprotokoll hinreichend dokumentiert (vgl. Senat, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 2 StR 342/15, aaO).
(2) Angesichts der prognostizierten Dauer der Verhinderung bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken mit Blick auf den Zeitpunkt der Entscheidung. In der konkreten Verfahrenssituation am 24. Oktober 2016 war die Entscheidung des Vorsitzenden, den Verhinderungsfall ohne Zuwarten festzustellen und die Hauptverhandlung sofort fortzusetzen, vertretbar.
Die Erkrankung der Schöffin war am 9. Verhandlungstag aufgetreten; ein Fall des § 229 Abs. 3 StPO lag mithin nicht vor (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 544/15, BGHSt 61, 160, 163). Eine Genesung der Schöffin war bis zum 2. November 2016, dem letzten Tag der Dreiwochenfrist nicht absehbar. Wenngleich der Haftbefehl gegen den Angeklagten M. seit dem 2. September 2016 unter Auflagen außer Vollzug gesetzt war, handelte es sich, wie allen Verfahrensbeteiligten bewusst war, um eine Haftsache, bei der zusätzlich Arresthypotheken in erheblichem Umfang ausgebracht waren. Die erneute Ladung und Anreise mehrerer Auslandszeugen hätte eine deutliche Verzögerung des Verfahrens zur Folge gehabt. Sie hätte zudem die insgesamt sieben betroffenen Auslandszeugen sowie die weiteren, für den 24. Oktober 2016 geladenen, inländischen Zeugen erheblich belastet. Sie barg die auf der Hand liegende Gefahr eines Beweismittelverlustes, da Zwangsmaßnahmen gegen Auslandszeugen nicht zur Verfügung stehen. Damit erweist sich die knappe und ohne Zuwarten getroffene Entscheidung des Vorsitzenden als nachvollziehbar und jedenfalls – auch unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Rechts des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter – als nicht grob fehlerhaft.
2. Auch die Strafaussprüche halten im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar hat die Strafkammer rechtsfehlerhaft zu Lasten beider Angeklagten bei der Bemessung der Einzelstrafen berücksichtigt, dass die Tatausführung „unter Ausnutzung des guten Rufes deutscher Waren und der deutschen Wirtschaft“ erfolgte und die Schädigung dieses guten Rufs zur Folge hatte. Denn die Urteilsgründe tragen weder die – eher fernliegende – Annahme, die Angeklagten hätten bei dem Export von angeblich hochwertigen Gebrauchtschuhen nach Übersee zum Kilopreis den guten Ruf von deutschen Waren und der deutschen Wirtschaft ausgenutzt, noch die Feststellung, dass dieser gute Ruf durch ihr Handeln geschädigt wurde. Die Schilderungen der Käufer, sie hätten der Integrität des deutschen Lieferanten vertraut, vermag ein – jenseits der Täuschung liegendes – „Ausnutzen“ auf Seiten der Angeklagten ebenso wenig zu belegen, wie das Einschreiten der deutschen Außenhandelskammer in N. die Schädigung des guten Rufes der deutschen Wirtschaft.
Angesichts der zahlreichen weiteren strafschärfenden Gesichtspunkte, der hohen Einzelschäden und der ohnehin moderaten Einzelstrafen zwischen zehn Monaten und zwei Jahren ist es jedoch auszuschließen, dass das Landgericht ohne diese Strafzumessungserwägung zu geringeren Einzelstrafen gekommen wäre. Die Bildung der Gesamtstrafe beim Angeklagten M. lässt keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler erkennen.
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RiBGH Prof. Dr. Krehl |
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