Entscheidungsdatum: 09.04.2015
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 8. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Erstmals am Nachmittag des Tattages, dem 10. Dezember 2013, suchte der später Geschädigte den Angeklagten an seinem Arbeitsplatz auf und beleidigte ihn lautstark unter anderem als Zuhälter, den er 'Ticken" werde. Am Abend gegen 21 Uhr erschien er erneut und setzte seine Beleidigungen fort. Es entwickelte sich eine verbale Auseinandersetzung, im Rahmen derer sich nunmehr auch der Angeklagte beleidigend äußerte. Der Streit wurde durch das Erscheinen des Arbeitgebers des Angeklagten unterbrochen, der den Geschädigten zum Gehen aufforderte. Diesem gelang es jedoch noch, sich mit dem erheblich aufgebrachten Angeklagten zu einem klärenden Gespräch nach dessen Dienstende auf dem in der Nähe gelegenen Schützenplatz zu verabreden.
Um 21.45 Uhr begab sich der immer noch sehr verärgerte Angeklagte mit einem am Arbeitsplatz ergriffenen Döner-Messer in der Jacke zum verabredeten Platz. Er traf dort auf den Geschädigten, der sogleich seine Beschimpfungen fortsetzte und schließlich versuchte, mit beiden Fäusten auf den Angeklagten einzuschlagen. Dem Angeklagten gelang es auszuweichen. Er zog sogleich das mitgebrachte Messer und stach dem Geschädigten in den Oberschenkel, der daraufhin unmittelbar zur Flucht ansetzte. Der Angeklagte verfolgte ihn und versetzte ihm - seinen Tod billigend in Kauf nehmend - drei weitere Stiche und zwar in den Oberschenkel, in den Beckenkamm und in den Rücken. Der Geschädigte, der zwischendurch zu Boden gegangen war, rannte schließlich über die Fahrbahn der M. straße auf das Gebäude eines Finanzamts zu. Der Angeklagte verfolgte ihn weiter und stach ihm ein letztes Mal in den Oberschenkel.
Der Geschädigte lehnte sich nach Überquerung der M. straße und Erreichen des nur wenige Meter entfernten Gebäudes des Finanzamts an dessen Mauer. Er zog seine Hose herunter und hielt seine Hände auf die Wunden, aus denen er stark blutete. Er atmete nur noch röchelnd und war im Begriff, das Bewusstsein zu verlieren. Während dessen versuchte der Angeklagte ein am Halteplatz M. straße parkendes Taxi zu öffnen, was ihm aber nicht gelang, weil der Taxifahrer die Tür von innen verriegelte. In diesem Moment lief laut schreiend ein Busfahrer hinzu. Er sowie einige Taxifahrer eilten zu dem zwischenzeitlich bewusstlosen Geschädigten. Der Angeklagte entfernte sich zu Fuß.
2. Das Landgericht hat angenommen, der Versuch des Angeklagten, den Geschädigten zu töten, sei fehlgeschlagen, weshalb ein strafbefreiender Rücktritt im Sinne von § 24 Abs. 1 StGB nicht in Betracht komme. Spätestens als der Geschädigte das Gebäude des Finanzamts erreicht habe und ihm heraneilende Personen geholfen hätten, sei es dem Angeklagten nicht mehr möglich gewesen, weiter ungehindert auf den Geschädigten einzuwirken. Überdies habe der Angeklagte die für einen beendeten Versuch erforderlichen Rettungsbemühungen nicht unternommen. Es sei für ihn bereits aufgrund der dem Geschädigten zugefügten Stiche, dessen stark blutenden Wunden, seinem bereits röchelnden Atmen und der Tatsache, dass er gerade im Begriff war, das Bewusstsein zu verlieren, deutlich erkennbar gewesen, dass er alles Erforderliche getan habe, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Ein Rücktritt scheide schließlich auch mangels Vorliegens autonomer Motive aus, denn der Angeklagte habe den Tatort letztlich unfreiwillig verlassen.
II.
Die Feststellungen des Landgerichts tragen zwar die Annahme eines versuchten Totschlags durch den Angeklagten, nicht aber den Ausschluss eines strafbefreienden Rücktritts von diesem Versuch.
1. Schon die Annahme eines Fehlschlags des Versuchs hat keinen Bestand. Zwar ist das Landgericht im rechtlichen Ansatzpunkt zutreffend davon ausgegangen, dass ein fehlgeschlagener Versuch dann vorliegt, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2014 - 4 StR 105/14, NStZ-RR 2014, 240).
Entgegen der Auffassung der Strafkammer kam es hierbei aber nicht auf den Zeitpunkt an, als der Geschädigte bereits das Finanzamt erreicht hatte und ihm dort heraneilende Personen halfen. Zur Beurteilung eines möglichen Fehlschlags ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichthofs vielmehr auf das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung abzustellen (sogenannter Rücktrittshorizont; vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2014 - 4 StR 40/14, NStZ-RR 2014, 171, 172 mwN; Senatsbeschluss vom 2. Juli 2013 - 2 StR 91/13, NStZ 2013, 639, 640). Nur wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Aussetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 4 StR 346/12; NStZ 2013, 156, 157 f. mwN).
Letzte Ausführungshandlung war vorliegend der fünfte Messerstich, den der Angeklagte während der Flucht des Geschädigten in dessen Oberschenkel setzte. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte den Geschädigten anschließend weiter verfolgte, um ihn noch einmal zu stechen. Denn während der Geschädigte nach dem letzten Stich wenige Meter weiter in Richtung Finanzamt lief, versuchte der Angeklagte schon die Tür eines Taxis zu öffnen, um sich vom Tatort zu entfernen. Er hatte mithin die Tatausführung bereits abgebrochen, als der Geschädigte das Finanzamt erreichte und ihm heraneilende Personen zu Hilfe kamen, weshalb das Landgericht auf diese Umstände nicht abstellen durfte.
Dazu, ob der Angeklagte den Tötungsversuch als endgültig gescheitert ansah, als er nach seinem letzten Stich zur Flucht ansetzte, verhält sich das Urteil demgegenüber nicht.
2. Auch die Annahme eines beendeten Versuchs beruht auf der Anwendung eines unzutreffenden rechtlichen Maßstabs und wird letztlich von den Feststellungen nicht getragen.
a) Die Strafkammer hat bereits übersehen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein ausgeschlossen ist, wenn - wovon die Kammer ausgegangen ist - der Versuch fehlgeschlagen ist. Liegt ein Fehlschlag vor, scheidet ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aus; umgekehrt kommt es nur dann, wenn ein Fehlschlag nicht gegeben ist, auf die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an (vgl. Senatsbeschluss vom 2. November 2007 - 2 StR 336/07, NStZ 2008, 393 mwN; Senatsurteil vom 19. Mai 2010 - 2 StR 278/09, NStZ 2010, 690, 691 mwN).
b) Die Annahme eines beendeten Versuchs ist aber auch für sich genommen rechtlich nicht tragfähig.
Das Landgericht hat bei der Prüfung der Vorliegens eines beendeten Versuchs unter anderem auf den Zeitpunkt abgestellt, als der Geschädigte bereits das Finanzamt erreicht hatte, dort röchelnd atmete, stark blutete und im Begriff war, das Bewusstsein zu verlieren. Dies war rechtsfehlerhaft, denn auch bei der Beurteilung, ob der Tatversuch beendet ist, ist allein das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 3. Dezember 1982 - 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2008 - 3 StR 401/08, NStZ-RR 2009, 42). Ein Versuch ist mithin nur dann beendet, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung die tatsächlichen Umstände, die den Erfolgseintritt nahelegen, erkennt oder wenn er den Erfolgseintritt in Verkennung der tatsächlichen Ungeeignetheit der Handlung für möglich hält.
Das Vorstellungsbild des Angeklagten zu dem Zeitpunkt, als er nach dem letzten Stich den Angriff gegen den Geschädigten einstellte, lässt sich dagegen den Urteilsgründen nicht entnehmen. Soweit der Generalbundesanwalt meint, schon aus den objektiven Tatumständen, namentlich der Massivität und Gefährlichkeit der mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführten fünf Messerstiche, von denen zwei konkret lebensgefährlich waren, ergebe sich, dass der Angeklagte den Versuch für beendet, den Erfolgseintritt also zumindest für möglich gehalten hätte, lässt sich dies auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht mit hinreichender Sicherheit annehmen. Zwar wird sich in Fällen offenkundig besonders gefährlicher Tathandlungen, deren Erfolgseignung der Täter erkennt, seine Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolgseintritts oft schon aus den objektiven Umständen der Tat erschließen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2011 - 2 StR 458/10). Bei einem dynamischen Geschehen versteht sich dies aber nicht von selbst, insbesondere weil sich der Geschädigte hier noch nach dem dritten Stich auf dem Boden liegend aus der Umklammerung des Angeklagten lösen konnte, es ihm auch nach dem vierten Stich noch gelang, sich vom Boden zu erheben und über die Fahrbahn der M. straße zu laufen und er schließlich auch nach dem fünften Stich noch weiter zum Gebäude des Finanzamts lief.
Bei dieser Sachlage wäre es erforderlich gewesen, weitere Feststellungen, insbesondere zum Zustandsbild des Geschädigten sowie zur Erkennbarkeit der Verletzungsfolgen für den Angeklagten im Zeitpunkt des Ablassens von seinem Opfer zu treffen. Dies ist nicht geschehen. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12). Die Aufhebung erfasst dabei auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung.
3. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte das neue Tatgericht wiederum eine der Tat vorausgehende erhebliche Provokation durch den Geschädigten und eine aufgrund dessen anhaltende starke Erregung des Angeklagten feststellen, so wäre bei der Strafrahmenwahl zunächst die erste Alternative des § 213 StGB in den Blick zu nehmen, da eine Strafmilderung nach dieser Vorschrift - unabhängig von einer ansonsten vorzunehmenden Gesamtwürdigung - zwingend geboten ist, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen.
Fischer Cierniak Krehl
Ott Eschelbach