Entscheidungsdatum: 15.09.2010
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. März 2010, soweit es den Angeklagten A. betrifft, im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung und mit vorsätzlicher Körperverletzung schuldig ist.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt teilweise vertreten wird.
Die Revision hat nur insoweit Erfolg, wie sie sich gegen die Nichtverurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlich begangener vorsätzlicher Körperverletzung wendet; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bezog der Angeklagte wiederholt von dem Geschädigten P. Heroin, das er sowohl zum Eigenbedarf als auch zum Weiterkauf verwendete. Am 20. Mai 2009 fehlte ihm das Geld für den Heroinankauf, weshalb er und der nicht revidierende Mitangeklagte, der heroinabhängige R., sich entschlossen, den Geschädigten und dessen Lebensgefährtin, die Geschädigte M., in ihrer Wohnung zu überfallen. Sie erhofften sich, unter Drohung mit einem von R. mitgeführten Taschenmesser und dem eventuellen Einsatz eines vom Angeklagten mitgeführten Paares Handschellen, an Heroin und Geld zu kommen (UA S. 9). Der Angeklagte, der zur Tatzeit keine Betäubungsmittel konsumierte, wollte das Heroin für R. und zum Weiterverkauf. Gegen 20 Uhr trafen die Angeklagten bei den Geschädigten ein. Nach einem kurzen Gespräch packte R. den Geschädigten, hielt ihm das Taschenmesser an den Hals und rief: "Ich will alles, wehr dich nicht, sonst stech' ich dich ab!". Zeitgleich nahm der Angeklagte die Geschädigte M. in den "Schwitzkasten" und zerrte sie zu einem Stuhl, an dem er sie mit den Handschellen fesselte. Der Angeklagte rief wiederholt: "wehrt euch nicht, dann passiert euch nichts" (UA S. 10).
Beide Geschädigte wehrten sich gleichwohl heftig: P. zog R. zu Boden und floh nach einem kurzen Kampf in den Flur und sodann - verfolgt von R. - ins Schlafzimmer. Die Geschädigte M. wiederum wehrte sich zunächst heftig gegen ihre Fesselung, zog dann den Stuhl hinter sich her und konnte sich schließlich - ohne dass der Angeklagte dies verhindern konnte - befreien und in die Küche rennen. Dort packte sie ein großes Messer und richtete es gegen den Angeklagten, der sich mit einem vorgehaltenen Stuhl vor ihr schützte.
Währenddessen hatte auch P. im Schlafzimmer ein Messer ergriffen und stach damit in Richtung R. Daraufhin fasste R. die rechte Hand des Geschädigten und stach ihm - einem spontanen Entschluss folgend - mehrfach in die linke Körperseite. Während der Geschädigte zu Boden sank, lief R. in den Flur. Dort begegnete ihm der Angeklagte. Ihm folgte die Geschädigte M., die den Angeklagten einen Brocken Heroin zuwarf und beide unter Vorhalt des Messers zwang, das Haus zu verlassen (UA S. 11).
P. wurde schwer verletzt, musste wieder belebt werden und ist seitdem körperlich wie psychisch stark beeinträchtigt. Die Geschädigte M. trug Nackenschmerzen infolge des "Schwitzkastens" davon. Ihre psychische Belastung dauert an (UA S. 12).
2. Das Landgericht hat diesen Sachverhalt hinsichtlich der Beteiligung des Angeklagten A. als gemeinschaftlich begangene besonders schwere räuberische Erpressung (§§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 StGB) in Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung (§§ 239, 22, 23 StGB) gewertet.
a) Während es den Mitangeklagten R. ausgehend von dessen spontanem Tatentschluss darüber hinaus wegen versuchten Totschlages und gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat, vermochte die Kammer bei dem Angeklagten A. nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass der gemeinsame Tatplan eine Verletzung des Geschädigten mit dem Messer umfasste. Die Kammer gewann angesichts der Vorbereitung und des Ablaufs der Tat eine hinreichend sichere Überzeugung nur dahingehend, dass die Angeklagten eine Bedrohung und Einschüchterung der Geschädigten vorgesehen hatten. Wenn die Angeklagten eine Verletzung oder gar Tötung der Geschädigten von vornherein einkalkuliert hätten, hätten sie sich stärker als mit einem normalen Taschenmesser und einem Paar Handschellen bewaffnet. Auch der Ablauf der Tat deute eher darauf hin, dass die Angeklagten davon ausgegangen seien, dass Drohungen und Einschüchterungen ausreichen würden, um die Geschädigten zur "freiwilligen" Herausgabe zu bewegen und dass das Tatgeschehen unvorhergesehen eskaliert sei, als R. sich spontan und ohne dass A. dies mitbekam und billigte, dazu entschlossen habe, das Messer zum Stechen einzusetzen.
b) Die Strafe hat das Landgericht dem Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB entnommen. Zwar sprächen die Erfüllung von zwei Straftatbeständen des bewährungsbrüchigen Angeklagten, sein Vertrauensbruch gegenüber den Geschädigten, in deren geschützten Lebensbereich er eingedrungen sei, wie auch die erheblichen andauernden psychischen Beeinträchtigungen der Geschädigten gegen die Annahme eines minder schweren Falles. Einen solchen hat das Landgericht letztlich aber für gegeben erachtet, weil der - wenn auch "halbherzig" - geständige Angeklagte die Tat glaubhaft bereue, er nur geringfügig vorbestraft, relativ jung und - wenngleich nicht drogenabhängig - so doch "ins Drogenmilieu abgerutscht" sei. Der in Deutschland aufgewachsene Angeklagte müsse auch mit einer Ausweisung in die Türkei rechnen und habe zur Überführung des Mittäters R. beigetragen. Die Beute sei gering gewesen.
3. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten A. eingelegten Revision zu Recht, dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen tateinheitlich begangener vorsätzlicher Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB zum Nachteil der Geschädigten M. verurteilt hat. Im Übrigen aber hält der Schuldspruch rechtlicher Überprüfung stand.
a) Soweit die Staatsanwaltschaft die Nichtverurteilung des Angeklagten A. wegen versuchten Totschlages und gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten P. rügt, lässt die dieser Bewertung zugrunde liegende Beweiswürdigung der Kammer keinen Rechtsfehler erkennen.
Wie schon der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat, steht es der Schlussfolgerung der Kammer nicht entgegen, dass - worauf die Staatsanwaltschaft in ihrer Revision abstellt - der Mitangeklagte dem Geschädigten zunächst das Messer an den Hals gehalten und dabei ausgerufen hatte, die Geschädigten sollten sich nicht wehren, sonst werde er sie abstechen. Wenn die Kammer dies im Rahmen der erfolgten Gesamtwürdigung lediglich als verabredetes Bedrohungsszenario wertet, widerspricht dies weder Denkgesetzen noch der Würdigung der sonstigen Tatumstände. Es spricht vielmehr für die Wertung der Kammer, dass R. das Messer tatsächlich erst dann einsetzte, als sich der Geschädigte seinerseits mit einem Messer bewaffnete und in R.'s Richtung stach.
b) Die Feststellungen des Landgerichts begründen jedoch zusätzlich den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB in Form der körperlichen Misshandlung der Geschädigten M. Dies hat die Kammer, wie von der Staatsanwaltschaft gerügt, übersehen.
Das Festhalten der Geschädigten im "Schwitzkasten" stellt unter den gegebenen Umständen ein unangemessenes, übles Behandeln dar, das das körperliche Wohlbefinden der Geschädigten nicht nur unerheblich beeinträchtigte (vgl. BGHSt 14, 269, 271). Hierbei weisen die Art der Behandlung wie auch der Umstand, dass die Geschädigte Nackenschmerzen davon trug, darauf hin, dass es sich nicht um eine ganz unerhebliche Einwirkung handelte.
Die mangels Strafantrages der Geschädigten gemäß § 230 StGB erforderliche Annahme des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung wurde seitens der Strafverfolgungsbehörde im Rahmen des Revisionsverfahrens erklärt.
4. Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst geändert, da ergänzende Feststellungen nicht zu erwarten sind. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen. Der insoweit geständige Angeklagte hätte sich nicht anders gegen den schon vom Anklagevorwurf umfassten Sachverhalt verteidigen können. Da die Körperverletzung auch als Nötigungsmittel diente, steht sie zur besonders schweren räuberischen Erpressung und der versuchten Freiheitsberaubung in Tateinheit.
5. Die gegen die Strafzumessung des Landgerichts erhobenen Einwendungen der Revision bleiben erfolglos. Die vorgenommene Bestimmung des Strafrahmens und die Bemessung der Strafe halten rechtlicher Prüfung stand.
a) Die Kammer hat bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB vorliegt, die in Betracht kommenden erschwerenden Umstände und Milderungsgründe rechtsfehlerfrei gegeneinander abgewogen (vgl. hierzu BGHR StGB § 250 Abs. 2 Gesamtbetrachtung 2). Ihre Wertung ist daher hinzunehmen.
b) Die Schuldspruchänderung zieht keine Änderung des Strafausspruchs nach sich. Der Senat schließt aus, dass der Tatrichter bei zutreffender rechtlicher Würdigung des festgestellten Sachverhalts zu einer höheren Strafe gelangt wäre.
Rissing-van Saan Appl Krehl
Eschelbach Ott