Entscheidungsdatum: 17.11.2010
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 27. November 2009 werden verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten der Rechtsmittel sowie die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 39 Fällen, davon in 25 Fällen in bandenmäßiger Begehungsweise, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren, den Angeklagten G.-R. wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 22 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch, insbesondere auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kannten sich die Angeklagten seit 1987 aus gemeinsamen Aktivitäten im Rotlichtmilieu. Beide konsumierten regelmäßig Kokain und traten bis zum Beginn der 1990er Jahre wiederholt strafrechtlich in Erscheinung. In der Folgezeit lebten sie zunächst straffrei. Der Angeklagte K. heiratete, ging einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach und stellte seinen Drogenkonsum weitgehend ein. Im Jahr 1997 begann er wieder, regelmäßig und steigernd Kokain zu konsumieren. Der Angeklagte G.-R. lebte seit 1993 als Zuhälter in Spanien und stellte mit Geburt seines Sohnes im Jahre 1996 für rund 10 Jahre seinen Kokainkonsum weitgehend ein.
In der Sache stellte das Landgericht fest: In den Jahren 1997 bis 1999 trieben die Angeklagten K. und G.-R. in 20 Fällen (Fälle II. 1-20) gemeinsam mit dem gesonderten verfolgten V. als Mitglieder einer Bande Handel mit jeweils bis zu 10.000 Ecstasy-Pillen. Ende der 1990er Jahre bezogen sie zusammen mit V. auf dem Seeweg 500 Gramm Kokain aus Kolumbien (Fall II. 26). Ab 2001 verbüßten der Angeklagte K. und V. wegen eines Betäubungsmitteldeliktes eine langjährige Haftstrafe in Spanien. Nach ihrer Entlassung in 2005 bzw. 2006 schlossen sie sich zunächst mit einem Niederländer namens "R." zusammen und bezogen Anfang 2007 in zwei Fällen Kokain aus Kolumbien in einer Größenordnung von etwa 500 Gramm zum Weiterverkauf (Fälle II. 27 und 28). In der Folgezeit schlossen sich die Angeklagten K. und G.-R., der ebenfalls bis 2005 eine mehrjährige Haftstrafe in Spanien verbüßt hatte, sowie V. mit dem Mitangeklagten S. zusammen. Sie bestellten in Kolumbien eine Lieferung von etwa 20 Kilogramm Kokain, die jedoch ausblieb (Fall II. 29). Im April 2007 verkaufte der Angeklagte K. zusammen mit S. und V. knapp ein Kilogramm Amphetamin-Zubereitung und ein Kilogramm Marihuana (Fall II. 30). Des Weiteren führte der Angeklagte K. in zwölf Fällen alleine (Fälle II. 31-38, 42, 45, 46 und 48), in zwei weiteren Fällen zusammen mit dem Mitangeklagten S. (Fälle II. 43 und 47) Drogengeschäfte durch, wobei er überwiegend mit Kokain ab einer Größenordnung von 100 Gramm bis in den Kilobereich, gelegentlich auch mit Amphetamin handelte.
2. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Das Landgericht hat nicht verkannt, dass die Straftaten der Angeklagten die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB erfüllen, die eine Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen beide Angeklagten ermöglichen würden. Es hat indes das Vorliegen eines Hangs zur Begehung erheblicher Straftaten i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB bei beiden Angeklagten rechtsfehlerfrei verneint. Die Kammer hat - anders als die Revisionsführerin meint - alle für die Frage des Vorliegens eines Hangs wesentlichen Gesichtspunkte einer umfassenden Würdigung unterzogen und insbesondere berücksichtigt, dass beide Angeklagte in der Lage waren, sich über einen längeren Zeitraum straffrei zu führen. Sie hat bedacht, dass ein dauerhafter Entschluss, Straftaten zu begehen, nicht erforderlich ist, sondern eine entsprechende, in der Persönlichkeit liegende Neigung auch bei Gelegenheitstaten zu bejahen sein kann (Rissing-van Saan/Peglau in: LK StGB 12. Aufl. § 66 Rn. 120; BGH NJW 1980, 1055; BGH bei Holtz MDR 1989, 682; MDR 1990, 97; NStZ-RR 2003, 107, 108; NStZ-RR 2010, 238, 239) und längere straffreie Zeiträume nicht zwingend gegen einen Hang sprechen (Rissing-van Saan/Peglau in: LK StGB 12. Aufl. § 66 Rn. 131).
Bei dem Angeklagten K. hat das Landgericht in Übereinstimmung mit der psychiatrischen Sachverständigen ausgeführt, dass die Biographie des Angeklagten seine Befähigung zu "alternativen Lebensstrategien" (UA S. 262) im Sinne eines straffreien Lebenswandels erkennen lasse. Dieser habe in der Zeit von 1990 bis 1997 gezeigt, dass er in der Lage sei, langfristige Bindungen einzugehen und sich über Jahre hinweg im Arbeitsleben erfolgreich zu integrieren. Gegen ihn sprächen zwar seine späteren, in der angefochtenen Entscheidung abgeurteilten Straftaten. Gegenwärtig sei bei ihm jedoch ein deutlicher Leidensdruck und ein Streben zurück zu einer sozial angepassten Lebensführung festzustellen, ein Umstand, der seiner Fixierung auf die Begehung schwerer Straftaten entgegenstehe.
Betreffend den Angeklagten G.-R. hat das Landgericht - abweichend von der psychiatrischen Sachverständigen - ebenfalls die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint. Das Landgericht hat die von der Sachverständigen zur Begründung der Gefährlichkeit herangezogenen negativen Prognosekriterien - der bis zu seiner Verhaftung erfolgte Drogenkonsum, die hohe Anzahl der Vorstrafen, die erhebliche Rückfallgeschwindigkeit, die den Vortaten zugrunde liegende Gewaltbereitschaft und die konsequente Einbettung des Angeklagten G.-R. in ein soziales Randmilieu mit Betätigung als Zuhälter - umfassend abgewogen. Es hat darauf abgestellt, dass es wie bei dem Angeklagten K. in der Biographie des Angeklagten G.-R. mehrjährige Phasen gegeben habe, in denen er seinen Drogenkonsum aufgegeben und sich dem Familienleben zugewandt habe, und dass die von der Sachverständigen als besonderes gewichtig angesehenen begangenen Gewaltdelikte bereits längere Zeit zurückliegen. Das Landgericht hat zudem zutreffend darauf hingewiesen, dass der Angeklagte G.-R. nach seiner letzten Haftentlassung im Jahre 2005 lediglich eine neue Straftat (Fall II. 29) begangen hat. Dass es bei seiner Bewertung zu dem Ergebnis gelangt ist, bei dem Angeklagten G.-R. könne keine eingeschliffene und bereits verfestigte Neigung zu schweren Straftaten, namentlich zu Betäubungsmitteldelikten, mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, ist nach alledem aus Rechtgründen nicht zu beanstanden.
3. Soweit das Landgericht die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB allein mit der Erwägung abgelehnt hat, die Gefahr der Begehung von Straftaten werde sich angesichts der Dauer der verhängten Freiheitsstrafen nicht realisieren, ist zwar keine rechtlich tragfähige Begründung. Maßgeblicher Zeitpunkt für die anzustellende Gefahrprognose ist derjenige der Hauptverhandlung (BGH NStZ-RR 2005, 370, 371; BGH StV 2006, 579). Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist jedoch zu entnehmen, dass bei beiden Angeklagten die Anordnung der Unterbringung gemäß § 64 StGB nicht in Betracht kommt. Seit ihrer Inhaftierung im März 2008 haben beide Angeklagte den Konsum illegaler Drogen aufgegeben. Nach den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen bestand bei dem Angeklagten G.-R. - anders bei dem Angeklagten K. - auch bei Tatbegehung keine Drogenabhängigkeit, so dass bereits das Vorliegen eines Hangs i.S.v. § 64 StGB jedenfalls bei ihm sicher auszuschließen ist. Bei beiden Angeklagten fehlt es zudem an dem für die Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB erforderlichen Symptomcharakter der abgeurteilten Taten, da das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in der von den Angeklagten vorgenommenen Größenordnung der Finanzierung ihres aufwändigen Lebensstils diente und ihr eigener Drogenkonsum hiervon unabhängig war.
Rissing-van Saan Fischer Schmitt
Eschelbach Ott