Entscheidungsdatum: 26.10.2011
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29. März 2011 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verbreitens kinderpornografischer Schriften in 22 Fällen und wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine auf die Rüge formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Zwar liegen die formellen Voraussetzungen des vom Landgericht angewendeten § 66 Abs. 2 StGB aF vor, dessen Änderung durch das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 zu keiner abweichenden Beurteilung zugunsten des Angeklagten führt (vgl. Art. 316e Abs. 2 EGStGB). Hingegen bestehen durchgreifende Bedenken gegen die Annahme der materiellen Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB insbesondere bei Beachtung der Maßgaben der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 ua - Rn. 172, NJW 2011, 1931, 1946) erlassenen Weitergeltungsanordnung, welche die Strafkammer bei Erlass der angefochtenen Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ist die Vorschrift des § 66 StGB verfassungswidrig und gilt nur vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber weiter. Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darf die Regelung der Sicherungsverwahrung nur nach Maßgabe einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab (Senat, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11; BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 192/11; Beschluss vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11).
Jedenfalls nach diesem Maßstab hat das Landgericht weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine daran anknüpfende zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet. Das Landgericht hat nicht näher dargelegt, auf welche konkreten "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern" (UA S. 52, 55) sich der Hang des Angeklagten bezieht und welche solcher Straftaten von ihm mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Damit genügen die Entscheidungsgründe nicht den Darstellungsanforderungen, die von der Rechtsprechung an die Beurteilung des Hangs und an die Gefährlichkeitsprognose gestellt werden, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfbarkeit der vom Tatrichter vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten zu ermöglichen (BGH, Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, NStZ 1995, 178; Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; Beschluss vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204; Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11).
Soweit die Strafkammer vor dem Hintergrund der Anlasstaten auf die fest verwurzelte pädophile Neigung des Angeklagten und auf eine verharmlosende Haltung zur Kinderpornografie abgestellt hat, deren Konsum ihn eigenen Angaben zufolge von sexuellen Übergriffen auf Kinder abgehalten habe, mag dies einen Hang zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach der Art und mit dem Gewicht der Anlasstaten gemäß § 184b Abs. 1 und 2 StGB belegen. Derartige Delikte des Umgangs mit Kinderpornografie, dessen Strafbarkeit nach dem gesetzlichen Regelungszweck des § 184b StGB darauf abzielt, der mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauchs von Kindern entgegenzuwirken (vgl. Fischer, StGB 58. Aufl., § 184b Rn. 2), sind allerdings nicht als ausreichend schwere (Sexual-)Straftaten anzusehen, auf die sich nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts der kriminelle Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF beziehen muss.
Für einen Hang des Angeklagten auch zu erheblichen Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern ließen sich zwar die vom Landgericht gewürdigten Vortaten anführen, zu denen auch Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 StGB zählten, die grundsätzlich "schwere Sexualstraftaten" im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darstellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11 und vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11). Die letzten dieser Taten lagen jedoch über zwölf Jahre zurück. Das darin vom Landgericht erkannte, aber ohne Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose erachtete "Abschwächen der Deliktsintensität" (UA S. 55, 59) hätte bereits bei der für das Vorliegen eines Hangs vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller konkreten Umstände berücksichtigt werden müssen, die für die Beurteilung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten maßgebend sind.
Bei einer sorgfältigen Gesamtwürdigung hätte es auch der Erörterung jener Gesichtspunkte bedurft, welche die sachverständig beratene Strafkammer insoweit rechtsfehlerfrei zur Begründung ihrer Überzeugung angeführt hat, dass die bei dem Angeklagten festgestellte Pädophilie keine Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit bewirkt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11 Rn. 6). Hierzu hat das Landgericht etwa die Fähigkeit des Angeklagten gezählt, sich über einen längeren Zeitraum weitgehend normgemäß zu verhalten und sich - in Bezug auf eine früher langjährig bestehende Alkoholproblematik und Nikotinsucht - auch einem starken inneren Verlangen zu widersetzen (UA S. 46 f.). Überdies hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Angeklagte sexuell nicht völlig auf Kinder fixiert sei, sondern sexuelle Kontakte in der Vergangenheit auch mit Erwachsenen gelebt habe. Zudem gehe es dem Angeklagten bei seinen Kontakten zu Kindern nicht ausschließlich um sexuelle Kontakte, vielmehr habe die nichtsexuelle Beschäftigung mit Kindern einen "Eigenwert" vor dem Hintergrund seiner schweren körperlichen Behinderung und der damit seit seiner Jugend einhergehenden Schwierigkeiten, Kontakte zu gleichaltrigen Personen herzustellen (UA S. 48). Die Erwähnung dieses Umstands steht allerdings in einem Kontrast zu dem nachfolgend im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose mehrfach als ungünstig angeführten Gesichtspunkt, dass der Angeklagte gegen die früher von ihm selbst erwogene Rückfallvermeidungsstrategie, den Kontakt zu Kindern überhaupt zu meiden, wiederholt verstoßen habe (UA S. 56 f.).
Die Urteilsgründe lassen darüber hinaus nicht hinreichend deutlich erkennen, inwieweit und aus welchen Gründen der gerichtliche Sachverständige, dessen Ausführungen auch nur vereinzelt gestreift werden, in seinem mündlich erstatteten Gutachten von seinem vorläufigen schriftlichen Gutachten abgewichen und zu einer geänderten Gefährlichkeitsprognose gelangt ist (UA S. 55).
Der Senat vermag nicht völlig auszuschließen, dass eine neue tatrichterliche Verhandlung noch zur Feststellung von Umständen führt, die bei Beachtung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden.
Fischer Appl Berger
Eschelbach Ott