Entscheidungsdatum: 26.09.2013
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 13. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zweifachen erpresserischen Menschenraubs jeweils in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Zu Recht rügt der Beschwerdeführer den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO, weil die gesetzliche Frist, in der das vollständige Urteil zu den Akten gebracht werden muss, nicht eingehalten worden ist (§ 275 Abs. 1 Satz 2 StPO).
I.
Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
An der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Erfurt nahmen als berufsrichterliche Mitglieder Vorsitzender Richter am Landgericht sowie Richter am Landgericht als beisitzender Richter und Berichterstatter teil. Das ausweislich des Protokollberichtigungsbeschlusses vom 5. April 2013 am 13. Dezember 2012 nach sieben Hauptverhandlungstagen verkündete Urteil ist zwar am 30. Januar 2013 und damit vor der am 31. Januar 2013 ablaufenden siebenwöchigen Urteilsabsetzungsfrist bei der Geschäftsstelle eingegangen. Es war jedoch nicht vollständig, weil es nur von Richter am Landgericht unterzeichnet worden ist. Die Unterschrift des Vorsitzenden hat Richter am Landgericht durch den Vermerk ersetzt: „Vorsitzender Richter am Landgericht wurde zum Vorsitzenden Richter am Thüringer Oberlandesgericht in Jena ernannt. Auf telefonische Nachfrage am 29. Januar 2013 teilte er mit, dass er aufgrund der Arbeitsbelastung im Senat unabkömmlich und zeitlich nicht in der Lage ist, das hiesige Urteil noch vor Fristablauf zu unterzeichnen.“
Richter am Landgericht hat in seiner dienstlichen Erklärung vom 6. März 2013 angegeben, dass er dem vorsitzendem Richter am Oberlandesgericht einen vollständigen Urteilsentwurf nach Jena per E-Mail übersandt habe. Am 24. Januar 2013 habe der Vorsitzende daraufhin mit ihm Änderungswünsche besprochen. Diese habe er danach eingearbeitet und am 29. Januar 2013 den vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht in Jena angerufen und gefragt, ob er das Urteil nochmals lesen und unterschreiben wolle. Der Vorsitzende habe ihm darauf wie aus dem aus der Urteilsurkunde ersichtlichen Verhinderungsvermerk geantwortet. In seiner dienstlichen Erklärung vom 14. März 2013 hat Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht unter Bezugnahme auf die dienstliche Erklärung von Richter am Landgericht ausgeführt, dass ungeachtet der dienstlich begründeten Ortsabwesenheit die hohe Belastung im Strafsenat in Jena - u.a. mit einem überdurchschnittlichen Anfall von Haftbeschwerden und Haftprüfungen - keinen Raum für eine rechtzeitige Lektüre und Unterzeichnung des nochmals überarbeiteten schriftlichen Originalurteils gelassen habe.
II.
Danach ist das Urteil nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist vollständig im Sinne von § 275 Absatz 1 Satz 1 StPO zu den Akten gelangt. Vollständig zu den Akten gelangt ist ein Urteil grundsätzlich nur dann, wenn es von allen an der Entscheidung mitwirkenden Richtern unterzeichnet ist (vgl. § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO; BGHSt 26, 247, 248) bzw. eine etwaige Verhinderung unter dem Urteil ordnungsgemäß vermerkt ist (§ 275 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Annahme von Richter am Landgericht , dass Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht verhindert war, seine Unterschrift beizufügen, unterliegt hier durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Ausweislich der dienstlichen Erklärung hielt Richter am Landgericht den vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht aus tatsächlichen Gründen an der Unterschriftsleistung gehindert. Dies war hier auch in Anbetracht des insoweit bestehenden Beurteilungsspielraums (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., 2013 § 338 Rn. 57) rechtsfehlerhaft:
Die Unterzeichnung eines Strafurteils ist ein dringliches unaufschiebbares Dienstgeschäft (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2010 - 2 StR 331/10, NStZ 2011, 358), dessen Vornahme nur ausnahmsweise wegen anderer Dienstgeschäfte zurückzustehen hat. Mit ihrer Unterschrift beurkunden die mitwirkenden Richter, dass der Urteilstext die von ihnen verantworteten Gründe der Entscheidung dokumentiert. Die von allen Richtern getragenen Gründe sollen dem Rechtsmittelberechtigten eine sachgemäße Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels ermöglichen. Für das Rechtsmittelgericht, namentlich das Revisionsgericht, bilden sie die Grundlage der rechtlichen Überprüfung des Urteils. Dieser Bedeutung der schriftlichen Urteilsgründe sowie der Unterschrift der an der Entscheidung mitwirkenden Richter trägt die gesetzliche Regelung Rechnung. § 275 Absatz 2 Satz 1 postuliert den Grundsatz, dass das schriftliche Urteil von allen beteiligten Berufsrichtern zu unterzeichnen ist, während der nach § 275 Absatz 2 Satz 2 StPO mögliche Verhinderungsvermerk eine Ausnahme von dieser Regel normiert. Eine nach § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO beurkundete Verhinderung genügt daher nur dann den rechtlichen Anforderungen, wenn sie diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis und der Bedeutung der persönlichen Unterschriftsleistung der mitwirkenden Richter Rechnung trägt.
Legt man dies zugrunde, ist vorliegend nicht hinreichend dargetan, dass es dem Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht nicht möglich gewesen sein soll, die Urteilsgründe zu lesen und zu unterzeichnen. Zwar kann die Versetzung an ein anderes Gericht - wie hier die Versetzung an das Thüringer Oberlandesgericht - im Einzelfall der Unterzeichnung des Urteils entgegenstehen (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2010 - 2 StR 331/10, NStZ 2011, 358 mwN). Auch kann die Überlastung mit anderen Dienstgeschäften grundsätzlich einen Verhinderungsgrund darstellen (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., 2013 § 275 Rn. 22 mwN). Jedoch hatte das Urteil hier mit 27 Seiten einen überschaubaren Umfang. Einen Urteilsentwurf hatte der versetzte Richter bereits mit dem Berichterstatter durchgesprochen, sodass eine erneute Prüfung der Urteilsgründe nur einen begrenzten Umfang haben konnte. Auch ist nicht ersichtlich, dass eine Übermittlung des fertiggestellten Urteils und seine Unterzeichnung nach Durchsicht nicht auf anderem Wege hätte durchgeführt werden können. Vor allem aber ist der Verhinderungsgrund nicht hinreichend dargelegt. Dass der Vermerk von Richter am Landgericht auf der Urteilsurkunde aus Gründen der Praktikabilität notwendigerweise allgemein gehalten ist, ist an sich rechtlich nicht zu beanstanden. Da die Revision jedoch ausdrücklich geltend macht, dass die vermerkte Verhinderung auf willkürlichen, sachfremden Erwägungen beruht, hätte es näherer Darlegung in der dienstlichen Erklärung von Vorsitzendem Richter am Oberlandesgericht bedurft, auf welchen Umständen die geltend gemachte Überlastung mit anderweitigen Dienstgeschäften beruht (vgl. BGHSt 31, 212). Insoweit ist die allgemein auf einen überdurchschnittlichen Anfall mit Haftsachen gestützte Erklärung nicht hinreichend substantiiert, um dem Senat eine Überprüfung zu ermöglichen, ob bei der Annahme der Verhinderung dem nach der gesetzlichen Regelung in § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderlichen Gewicht der persönlichen Unterschriftsleistung ausreichend Rechnung getragen wurde.
Fischer Schmitt Krehl
Ott Zeng