Entscheidungsdatum: 14.01.2015
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 25. Februar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Rüge materiellen Rechts Erfolg.
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
Der Angeklagte leidet an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung sowie einem Abhängigkeitssyndrom von multiplen psychotropen Substanzen. Zum Tatzeitpunkt lebte er bei seiner Mutter, die aufgrund multipler Sklerose mit Tetraspastik seit Jahren bettlägerig und auf Pflege angewiesen war. Am 23. März 2013 schlug der Angeklagte der im Bett liegenden Geschädigten, der gegenüber er sich bereits früher aggressiv gezeigt hatte, mindestens zwei Mal mit voller Kraft in das Gesicht. Hierdurch erlitt die Geschädigte eine Mittelgesichts- und Unterkieferfraktur. Es traten sofort massive Blutungen auf. Der Angeklagte war sich hierbei der Möglichkeit einer tödlichen Verletzung bewusst und nahm diese jedenfalls billigend in Kauf. Aufgrund der Verletzungen bestand für die Geschädigte durch die Gefahr des Erstickens in Folge der massiven Blutungen akute Lebensgefahr. Nach Ausführung des letzten Schlages hielt der Angeklagte es für möglich, dass die Geschädigte ohne weiteres Zutun seinerseits sterben würde. Mit Rücksicht auf die bei ihm festgestellte Blutalkoholkonzentration (maximal 1,96 Promille) sowie einen zusätzlichen Medikamenten-und Drogenbefund kann eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht ausgeschlossen werden.
Die Geschädigte betätigte von ihrem Bett aus einen Notruf über einen Handgelenkknopf. Sie bat um Hilfe und sagte, dass ihr Sohn alkoholisiert sei, schreie und sie schlage. Aufgrund des Notrufs wurden ein Streifenwagen und der Notarzt zum Haus der Geschädigten geschickt; diese wurde in ein Krankenhaus gebracht. Dort erkrankte sie an einer Lungenentzündung, die mit einer Antibiotika-Therapie erfolgreich behandelt werden konnte. Nachdem sie in eine Pflegeeinrichtung verlegt worden war, wurde bei ihr eine weitere beginnende Lungenentzündung diagnostiziert. Diese hätte voraussichtlich ebenfalls erfolgreich behandelt werden können. Die Geschädigte lehnte jedoch gegenüber den behandelnden Ärzten eine weitere Behandlung eigenverantwortlich ab. Am 25. April 2013 verstarb sie infolge von Atemversagen, das mit der zweiten Lungenentzündung einherging.
2. Das Landgericht hat die Tat rechtlich als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. An einer Verurteilung wegen vollendeten Totschlags sah sie sich gehindert, weil sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen ließ, dass der Tod der Geschädigten durch die Tat des Angeklagten verursacht wurde; im Ergebnis sei die Kausalität jedenfalls durch die in der Ablehnung weiterer lebenserhaltender Maßnahmen liegende eigenverantwortliche Selbstgefährdung der Geschädigten unterbrochen.
Der Angeklagte sei nicht strafbefreiend vom Versuch des Totschlags zurückgetreten. Es habe sich um einen beendeten Versuch gehandelt. Er sei nach den ausgeführten Schlägen davon ausgegangen, alles getan zu haben, um den Tod seiner Mutter möglicherweise herbeizuführen. Die Vollendung der Tat habe er nicht verhindert.
3. Die Begründung, mit der das Landgericht einen Rücktritt des Angeklagten vom Versuch des Totschlags verneint hat, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Das Landgericht hat seine Annahme, dass es sich um einen beendeten Versuch gehandelt habe, u.a. damit begründet, dass der Angeklagte offenbar selbst Anlass zum Handeln gesehen habe, da er nach seiner Einlassung den Notrufknopf gedrückt habe (UA 23). Andererseits hat das Landgericht diese Behauptung des Angeklagten als widerlegt angesehen (UA 17/18) und ist davon ausgegangen, dass nicht er, sondern die Geschädigte den Notrufknopf betätigt hat (UA 7). Dies ist rechtsfehlerhaft. Eine für widerlegt erachtete - entlastende - Behauptung des Angeklagten kann nicht ohne Weiteres als ihn belastendes Indiz gewertet werden (vgl. Senat, Urteil vom 26. November 2014 - 2 StR 54/14 m.w.N.). Dass der Angeklagte nach dem zweiten Faustschlag den Tod der Geschädigten zumindest für möglich hielt, durfte die Strafkammer hier nicht aus seiner insoweit für unwahr gehaltenen Einlassung herleiten. Dies verstand sich nach den Urteilsfeststellungen auch nicht von selbst. Die Geschädigte blutete zwar stark, sie war aber bei Bewusstsein und in der Lage, Hilfe herbeizurufen. Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass nach Ausführung des letzten Schlages durch den Angeklagten die Geschädigte "erkennbar lebensbedrohlich verletzt" gewesen sei, lässt dies besorgen, dass es für die Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch nicht - wie erforderlich (vgl. BGH NStZ 2007, 634 f.) - auf die tatsächlichen Vorstellungen des Angeklagten nach Ausführung der letzten Tathandlung abgestellt, sondern rechtsfehlerhaft einen objektiven Maßstab angelegt hat.
Fischer Schmitt Krehl
Eschelbach Zeng