Entscheidungsdatum: 13.08.2013
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. November 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Fall IV. der Urteilsgründe,
b) im Strafausspruch im Fall III. der Urteilsgründe,
c) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (Fall III. der Urteilsgründe) sowie versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter schwerer Körperverletzung (Fall IV. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und das bei der letzten Tat verwendete Tatmesser eingezogen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter schwerer Körperverletzung hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat insoweit im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
aa) Am 8. Juli 2011 tötete der Angeklagte die Mutter seiner Ehefrau (Fall III. der Urteilsgründe). Er wurde noch am Tattag vorläufig festgenommen, in der Folge aber mangels dringenden Tatverdachts wieder freigelassen. Seine Ehefrau, die den Angeklagten trotzdem der Täterschaft verdächtigte, trennte sich von ihm und zog in eine andere Wohnung. Am 7. Januar 2012 begegneten sich der Angeklagte und seine Ehefrau in einem Lebensmittel-Markt. Als der Angeklagte seine Ehefrau ansprach, antwortete diese nicht, sondern zahlte, und verließ mit den von ihr gekauften Gegenständen den Markt. Der Angeklagte folgte ihr und rief ihr etwas hinterher, was die Geschädigte auf Grund ihrer Schwerhörigkeit nicht verstand. Schließlich holte er sie ein. Er „umgriff sie von hinten und schnitt ihr mit einem mitgebrachten klappbaren Rasiermesser mit einer Klingenlänge von ca. 10 cm von hinten in Höhe des rechten Auges durch das Gesicht“ (UA S. 14). Die Geschädigte erlitt eine ca. 15 cm lange, über der Mitte des rechten Oberlides beginnende und in einem leichten Abwärtsbogen bis zum rechten Ohr verlaufende Schnittwunde. Weder das Auge noch die in der Kopf- bzw. Halsregion verlaufenden lebenswichtigen Blutgefäße wurden verletzt. Die Geschädigte konnte sich aus der Umklammerung befreien, wobei sie sich eine Abwehrverletzung am linken Daumen zuzog, und in ihre nahegelegene Wohnung flüchten. Der Angeklagte erkannte, dass er auf Grund seiner bestehenden Gehbehinderung nicht in der Lage war, die Geschädigte einzuholen, und warf das bei der Tat zerbrochene Rasiermesser in ein Gebüsch.
bb) Der Angeklagte war entweder wegen des wortlosen Davonlaufens seiner Ehefrau, der er die Schuld für die vermeintliche Distanzierung von seinem Sohn gab, gekränkt oder er hatte ihr von vornherein zu dem Zweck aufgelauert, sich für die Trennung von ihm zu rächen. Beide Sachverhalts-alternativen hat das Landgericht als gleichermaßen wahrscheinlich bewertet und sich zu sicheren Feststellungen außerstande gesehen. Für die erste Variante ist es sachverständig beraten zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei, und daher davon ausgegangen, dass bei Anwendung des Zweifelssatzes die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht ausschließbar gegeben gewesen seien.
cc) Das Landgericht hat bedingten Vorsatz sowohl hinsichtlich einer möglichen Tötung der Geschädigten als auch hinsichtlich einer Verletzung ihres rechten Auges mit der Folge des Verlustes der Sehkraft angenommen. Der von hinten durch das Gesicht der Nebenklägerin geführte Messerschnitt sei generell geeignet gewesen, die Geschädigte lebensgefährlich zu verletzen, was dem Angeklagten grundsätzlich bekannt gewesen sei. Bei Messerstichen in den Kopf- oder Halsbereich liege der Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz nahe. Der Täter sei zu einer schonenden Dosierung des Angriffs auf Grund der „hochgradigen Dynamik des Geschehens“ (UA S. 46) in der Regel nicht in der Lage. Auf Grund der Lokalisation des „Stichs“ im Gesichtsbereich – in unmittelbarer Nähe lebenswichtiger Blutgefäße – sowie des Umstands, dass der Angriff im Gehen und hinterrücks verübt wurde, sei auszuschließen, dass der Angeklagte ernsthaft darauf vertraut haben könnte, den „Messerstich“ gezielt dosieren und eine Lebensgefährdung ausschließen zu können. Auch hinsichtlich eines möglichen Verlusts der Sehfähigkeit habe der Angeklagte angesichts des hoch-dynamischen, nicht zu kontrollierenden Geschehens nicht ernsthaft auf einen glücklichen Ausgang vertrauen können.
b) Die Beweiswürdigung zur Frage des bedingten Tötungsvorsatzes hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
aa) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen mit ihm abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Willens- als auch das Wissenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Gewalthandlung, aber auch die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motive mit einzubeziehen sind (std. Rspr; vgl. nur BGH, Urteil vom 28. Mai 2013 – 3 StR 78/13, Rn. 5 juris; Urteil vom 4. April 2013 – 3 StR 37/13, Rn. 3 juris; Urteil vom 28. Februar 2013 – 4 StR 357/12, Rn. 15 juris; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 ff., jeweils mwN).
bb) Auch unter Berücksichtigung des bestehenden tatrichterlichen Bewertungsspielraums werden die Ausführungen des Landgerichts den Anforderungen an die Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gerecht.
Das Landgericht stellt zwar im Ausgangspunkt zutreffend darauf ab, dass bei einem hochgradig dynamischen Geschehen der Täter zu einer schonenden Dosierung seines Messerstichs in aller Regel nicht in der Lage ist. Ungeachtet des Umstands, dass es sich vorliegend nicht um einen Messerstich, sondern um einen Schnitt handelte, ist ein „hochdynamisches“ Geschehen aber durch die insoweit unklaren Feststellungen nicht belegt. Insoweit ist nur festgestellt, dass der Angeklagte die vor ihm gehende Geschädigte von hinten umgriff, bevor er sie mit dem Rasiermesser verletzte. Nähere Einzelheiten zur Position der Geschädigten, zur Art des Umgreifens – insbesondere ob und inwieweit der Kopf der Nebenklägerin dadurch fixiert war – sowie zur Schnelligkeit der Schnittbewegung werden nicht mitgeteilt. Der Senat kann die Bewertung des Tatgeschehens als „hochgradig dynamisch“ und für den Angeklagten unkontrollierbar daher nicht nachprüfen.
c) Dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils im Fall IV. der Urteilsgründe mitsamt den zugehörigen Feststellungen. Die Aufhebung erstreckt sich auch auf die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter schwerer Körperverletzung, wobei gegen letztere ihrerseits durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt zwischen einem vollendeten vorsätzlichen Tötungsdelikt und einem vollendeten vorsätzlichen Körperverletzungsdelikt keine Tateinheit vor, sondern das Körperverletzungsdelikt tritt – soweit tatbestandlich überhaupt anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1997 – 3 StR 522/96, NStZ 1997, 233, 234) – als subsidiär zurück (std. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 28. Juni 1961 – 2 StR 136/61, BGHSt 16, 122, 123; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 211 Rn. 107 und § 212 Rn. 22 mwN). Nichts anderes kann gelten, wenn sowohl das Tötungsdelikt als auch das Körperverletzungsdelikt im Versuchsstadium steckengeblieben sind (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 212 Rn. 22; Neumann in NK-StGB, 4. Aufl., § 212 Rn. 40). Ob eine andere Beurteilung gerechtfertigt ist, wenn dem qualifizierten Körperverletzungsdelikt ein selbständiger Unwertgehalt zukommt (vgl. hierzu Eser aaO Rn. 20; Neumann aaO Rn. 35; Schneider in MünchKomm, StGB, 2. Aufl., § 212 Rn. 92), muss hier nicht entschieden werden. Denn ein solcher selbständiger Unwertgehalt liegt in Fällen, in denen – wie hier – nach den Feststellungen bei einer einheitlichen Verletzungshandlung alle Verletzungsfolgen – und damit auch solche im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB – bis hin zum Tode gleichermaßen billigend in Kauf genommen werden, nicht vor.
2. Hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Totschlags (Fall III. der Urteilsgründe) hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Strafausspruch begegnet hingegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Das Landgericht hat die gegen den Angeklagten verhängte Einzelfreiheitsstrafe von neun Jahren dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen; einen minder schweren Fall des Totschlags hat es unter Berücksichtigung von Tatbild und Täterpersönlichkeit verneint. Bei der Strafzumessung im engeren Sinn hat es zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich um ein situatives Tatgeschehen und keine von langer Hand geplante Tat gehandelt hat, der Angeklagte bei der Tat stark erregt war und er alters- und krankheitsbedingt besonders haftempfindlich und nicht vorbestraft ist. Strafschärfungsgründe führt die Strafkammer nicht auf.
b) Diese Ausführungen sind – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 3. August 2011 – 2 StR 207/11, Rn. 5 juris; BGH, Beschluss vom 17. Juli 2009 – 5 StR 241/09, NStZ-RR 2009, 336, jeweils mwN) – lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer stützt sich zur Begründung der im anwendbaren Strafrahmen gefundenen Strafe ausschließlich auf Strafmilderungsgründe. Eine Abwägung "aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände" (UA S. 52) findet gerade nicht statt. Damit ist aber nicht erkennbar begründet, warum sich die Strafe am oberen Rand des zur Verfügung stehenden Strafrahmens von elf Jahren drei Monaten bewegt.
c) Die Sache bedarf auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung, da der Senat ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Rechtsfehler letztlich nicht ausschließen kann. Dies gilt trotz des Umstandes, dass es mangels ausreichend konkreter Feststellungen an einer Grundlage für die vorgenommene Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB fehlt. Wie eine „testpsychologisch weder gesicherte noch sicher ausgeschlossene“ hirnorganische Störung in Zusammenhang mit einer leichten kognitiven Störung bei Diabetes Typ II zu einer psychiatrisch relevanten „Zuspitzung“ von an sich im normalpsychologischen Bereich liegenden Persönlichkeitszügen geführt haben soll (UA S. 49), ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Zuordnung dieses Befundes zum Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung.
Im Hinblick auf die vom Landgericht erörterten Sachverhaltsalternativen weist der Senat darauf hin, dass es durch den Zweifelssatz nicht geboten ist, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten oder sonstige Umstände zu unterstellen, für deren Vorliegen die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte erbracht hat (std. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. April 2007 – 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324, 325 mwN).
3. Durch den Wegfall der Einzelstrafen wird auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen.
Fischer Appl Eschelbach
Ott Zeng