Entscheidungsdatum: 30.07.2013
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 10. Januar 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Nach den Feststellungen begann der Angeklagte ab dem 14. Lebensjahr Cannabis zu konsumieren, anschließend kam Alkohol hinzu. Zwischen dem 16. und dem 18. Lebensjahr nahm der Angeklagte verschiedene Drogen zu sich, "neben Amphetamin und Kokain auch Pilze, Ecstasy und Speed" (UA S. 2). Nach etwa zweijähriger Abstinenz fing der Angeklagte im Alter von 20 Jahren erneut an, Alkohol und Cannabisprodukte zu konsumieren. Drei Jahre später nahm er Heroin, das er zunächst vier Jahre lang injizierte, später rauchte und nasal zu sich nahm. Schließlich nahm er in Bulgarien an einem Methadon-Programm teil, wobei der Angeklagte daneben weiterhin Heroin konsumierte. Als Entlohnung für seine der Verurteilung zugrunde liegenden Tätigkeiten durfte sich der Angeklagte u.a. aus dem gebunkerten Heroinbestand frei bedienen und bis zu fünf Gramm Heroin täglich entnehmen, "um seinen eigenen Konsum zu decken" (UA S. 5).
Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB verneint. Ein Hang sei nicht gegeben, da seine Leistungsfähigkeit erhalten geblieben sei. Zudem gehe die "abgeurteilte Straftat des Angeklagten … nicht auf einen Hang bei ihm zurück, Betäubungsmittel zu konsumieren, sondern ist im Hinblick auf seine Methadonsubstitution auf seine finanzielle Notlage aufgrund der lang andauernden Erwerbslosigkeit zurückzuführen" (UA S. 9 f.).
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne von § 64 StGB sowie des erforderlichen symptomatischen Zusammenhangs zwischen den abgeurteilten Taten und dem Hang ausgegangen ist.
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12 mwN, insoweit in NStZ-RR 2013, 74 nicht abgedruckt). Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (BGH, Beschluss vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204; Beschluss vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 64 Rn. 10a).
Hier drängt sich das Vorliegen eines Hanges schon angesichts des festgestellten (langjährigen) Konsumverhaltens des Angeklagten auf, insbesondere mit Blick auf den von ihm für unerlässlich gehaltenen – freilich mengenmäßig nicht näher konkretisierten – Beikonsum von Heroin (vgl. zum Beikonsum bei Methadon: Senatsbeschluss vom 27. Juni 2001 – 2 StR 204/01, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 7 mwN). Die "über Monate hinweg erhalten" (UA S. 9) gebliebene Leistungsfähigkeit des noch relativ jungen Angeklagten ist angesichts dessen nicht ausschlaggebend. Dass beim Angeklagten die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Tatzeit rechtsfehlerfrei verneint wurden, stünde im Übrigen einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht entgegen (Senatsbeschluss vom 5. Juli 2000 – 2 StR 87/00, NStZ-RR 2001, 12).
b) Auch der Symptomwert der festgestellten Tat für den Hang des Angeklagten liegt – entgegen der Auffassung des Landgerichts – ausgesprochen nahe. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat, und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12, insoweit in NStZ-RR 2013, 74 nicht abgedruckt; Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 4 StR 416/11). So liegt es hier. Denn der sich in finanzieller Notlage befindliche und arbeitslose Angeklagte durfte als Gegenleistung für seine der Verurteilung zugrunde liegenden Tätigkeiten aus dem – im Übrigen zum Handel dienenden – Heroinbestand u.a. täglich bis zu fünf Gramm Heroin für den Eigenkonsum entnehmen. Damit liegt es sehr nahe, dass der Drogenkonsum des Angeklagten jedenfalls mitursächlich für die Tat gewesen ist.
c) Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Maßregel deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges fehlt (§ 64 Satz 2 StGB).
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung.
3. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.).
4. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine mildere Freiheitsstrafe verhängt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.
Fischer Schmitt Eschelbach
Ott Zeng