Entscheidungsdatum: 12.05.2010
1. Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 19. Oktober 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nachträglich gemäß § 66 b Abs. 2 StGB angeordnet. Grundlage war eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren durch das Landgericht Bonn vom 14. September 1995 wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord und besonders schwerer Brandstiftung. Die Revision des Verurteilten hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
1. Das Landgericht hat - teils unter Bezugnahme auf das Ausgangsurteil - folgende Feststellungen getroffen:
Der heute 76jährige Verurteilte erkrankte 1951 im Alter von 17 Jahren erstmals psychisch. Während eines halbjährigen Aufenthalts in einer Nervenklinik wurde eine hebephrene Schizophrenie diagnostiziert. In den folgenden Jahren befand er sich wiederholt auch über längere Zeiträume in stationärer nervenärztlicher Betreuung, wobei jeweils die Diagnose einer endogenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis bestätigt wurde.
Strafrechtliche Verfahren gegen ihn in den Jahren 1966 und 1969 u.a. wegen Körperverletzungen und Widerstandshandlungen wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. 1975 wurde wegen ähnlicher Delikte gegen ihn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Im Jahre 1995 verurteilte ihn das Landgericht Bonn wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord und besonders schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren. Dem lag zugrunde, dass der Verurteilte einen Eimer Benzin in ein voll besetztes Lokal gegossen und entzündet hatte, wodurch zwei Menschen zu Tode kamen und zahlreiche weitere Gäste zum Teil schwerste Verletzungen erlitten. Sachverständig beraten hielt die Schwurgerichtskammer den Verurteilten zwar für schuldfähig, vermochte aber eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht sicher auszuschließen. Dies deshalb, weil es nach Einschätzung des Sachverständigen zu einer erheblichen Remission der früher diagnostizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis gekommen war; es könne lediglich nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es bei dem Angeklagten infolge der durchgemachten psychotischen Erkrankung zu einem durch seelische Ausfälle gekennzeichneten, nicht rückbildungsfähigen Endzustand nach einer Psychose gekommen sei, der aber nicht ein solches Ausmaß erreicht habe, dass die Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen war.
Nach Teilverbüßung setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen mit Wirkung zum 1. Juli 2008 die Reststrafe zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf vier Jahre festgesetzt. Der Verurteilte wurde u.a. angewiesen, seinen ständigen Aufenthalt in einer geschlossenen Einrichtung für Psychiatrie zu nehmen und diesen nicht ohne Zustimmung der Kammer vorzeitig zu beenden.
Der Verurteilte war zunächst mit dieser Maßnahme einverstanden und wurde in die psychiatrische Einrichtung entlassen. Als er jedoch nach einem Gespräch mit seiner Bewährungshelferin realisierte, dass er dort vier Jahre würde zubringen müssen, während er alternativ nur noch einen Strafrest von einem Jahr und drei Monate zu verbüßen hatte und ihm auch bewusst wurde, dass der Heimaufenthalt seine Ersparnisse von ca. 30.000 Euro aufzehren würde, forderte er die Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, verweigerte er die Nahrungs- und Medikamenteneinnahme, drohte, einen anderen Heimbewohner zu erwürgen und äußerte, dass die Matratzen "sicher sehr schön brennen würden". Dieses Verhalten führte zu einem Bewährungswiderruf und zu einer Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt, wo er seine Strafe bis zum 30. November 2009 unauffällig verbüßte.
2. Das Landgericht ist - nach rechtsfehlerfreier Bejahung der formellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 2 StGB - sachverständig beraten zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Verurteilten eine hohe Wahrscheinlichkeit erneuter Begehung erheblicher, potentielle Opfer schwer schädigender Straftaten der in § 66 b Abs. 2 StGB vorausgesetzten Art bestehe. Die Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit ergebe sich aus Tatsachen, die erst während des Strafvollzugs erkennbar geworden seien. Zwar habe die Grunderkrankung des Verurteilten bereits zur Tatzeit im November 1994 und bei seiner anschließenden Verurteilung bestanden. Damals sei jedoch nicht erkennbar gewesen, dass die Krankheit sich dauerhaft auf die Steuerungsfähigkeit auswirken und ein Maß erreichen würde, das zumindest erheblich im Sinne des § 21 StGB ist. Im Gegenteil hätten deutlich Anhaltspunkte für eine Remission der psychotischen Erkrankung vorgelegen. Die Dauerhaftigkeit und der Grad der Auswirkung der Erkrankung auf die Steuerungsfähigkeit seien erst während des Vollzugs, ganz deutlich bei den Vorfällen in der psychiatrischen Einrichtung im Juli 2008 erkennbar geworden. Seitdem stehe fest, dass jederzeit mit dem Eintreten von Situationen zu rechnen sei, auf die der Verurteilte mit erheblichen Straftaten reagiere. Diese neuen Umstände führten zu einer sowohl zeitlich als auch tatsächlich erheblich vergrößerten Beurteilungsgrundlage für eine Gefahrprognose, wodurch die Gefährlichkeit des Verurteilten im Vergleich zum Zeitpunkt der Vorverurteilung in einem neuen Licht erscheine.
II.
Die Anwendung des § 66 b Abs. 2 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Neue Tatsachen, die erst nach der Verurteilung erkennbar geworden sind, werden durch die bisherigen Urteilsfeststellungen nicht belegt. Zwar können auch psychiatrische Befundtatsachen im Einzelfall "neue Tatsachen" im Sinne des § 66 b Abs. 2 StGB darstellen. Maßgeblich ist aber nicht eine neue sachverständige Bewertung von Tatsachen. Entscheidend ist vielmehr, ob die dieser Bewertung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung bereits vorlagen und bekannt oder erkennbar waren (BGHSt 50, 275, 278). Hier stellt das Landgericht fest, "bei dem Verurteilten handelt es sich um ein chronisches Stadium im Verlauf einer schizophrenen Erkrankung, dass schon seit Jahrzehnten besteht und bei dem der Versuch einer therapeutischen Behandlung keine Aussicht auf Erfolg hat. Als Krankheitsfolge besteht eine Persönlichkeitsproblematik mit einer Störung der Affektwahrnehmung und der Affektkontrolle. Diese Problematik, die auch der Anlasstat zugrundelag, besteht weiter fort" (UA 8). Damit folgt das Landgericht den Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. L. und Dr. K. (UA 10), die darüber hinaus ausgeführt haben, "Diese besondere Problematik der Persönlichkeit des Verurteilten, die schon vor der Anlasstat zu Aggressionshandlungen geführt habe, bestehe, trotz durchgehender psychiatrischer Behandlung unter den Bedingungen der Haft unverändert fort…" (Dr. K. UA 11), bzw. "dass seiner Einschätzung nach bereits damals ein hinreichender Anlass gegeben gewesen wäre, die Minderung der Schuldfähigkeit als sicher feststellbar anzunehmen" (Prof. Dr. L. UA 13). Vor diesem Hintergrund und angesichts des bereits viele Jahre vor der Anlasstat festgestellten Krankheitsbildes, das wiederholt zur Einstellung von Strafverfahren wegen Schuldunfähigkeit bzw. zur Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB geführt hat, hätte die Strafkammer erwägen müssen, ob es sich bei der vom Sachverständigen im Ausgangsverfahren diagnostizierten Remission der psychiatrischen Erkrankung um eine falsche Bewertung eines seit langem bekannten psychischen Defektzustandes gehandelt hat. Dann nämlich würde es sich vorliegend lediglich um eine bloße Um- bzw. Neubewertung bereits im Ausgangsverfahren erkannter und gewürdigter Tatsachen und eine hierauf gestützte bloße Änderung der psychiatrischen Bewertung handeln, die eine nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht rechtfertigen könnte (BGHSt 50, 275, 278; BGHR StGB § 66 b Neue Tatsachen 3; BGH, Urteil vom 22. April 2009 - 2 StR 21/09; Rissing-van Saan/Peglau in LK StGB 12. Aufl. § 66 b Rdn. 89). Ebenso wenig könnten Tatsachen - wie hier das Verhalten des Verurteilten in der psychiatrischen Einrichtung -, die zwar nach der Anlassverurteilung auftreten, durch die sich ein im Ausgangsverfahren bekannter bzw. erkennbarer Zustand aber lediglich bestätigt, als "neu" gelten (BGH StV 2007, 29, 30).
Der neue Tatrichter wird schließlich auch zu erwägen haben, ob der hochintelligente, mit einem IQ von 136 ausgestattete Verurteilte mit den in der psychiatrischen Einrichtung geäußerten - wie von ihm behauptet nicht ernst gemeinten - Drohungen aus durchaus nachvollziehbaren Gründen nur seine Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt erzwingen wollte.
Fischer Athing Roggenbuck
Appl Schmitt